*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75086 ***
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Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1897 so weit
wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
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An deutschem Herd.
Kulturgeschichtliche Erzählungen aus alter und neuer Zeit
mit besonderer Berücksichtigung
des
Lebens der deutschen Frauen.
Für das reifere Mädchenalter
von
Brigitte Augusti.
Motto:
Willst du genau erfahren, was sich ziemt,
So frage nur bei edlen Frauen an.
(Goethe.)
II.
Im Banne der freien Reichsstadt.
[Illustration]
Leipzig,
Ferdinand Hirt & Sohn.
1897.
Jeder Band bildet ein selbständiges Ganze und ist einzeln käuflich.
[Illustration: Fröhliche Hochzeit. (Zu Seite 212.)]
Im Banne der freien Reichsstadt.
Kulturgeschichtliche Erzählung aus dem fünfzehnten Jahrhundert.
Für das reifere Mädchenalter
von
Brigitte Augusti.
Motto:
Dienen lerne bei Zeiten das Weib nach seiner Bestimmung;
Dienet die Schwester dem Bruder doch früh, sie dienet den Eltern,
Daß sie ganz sich vergißt, und leben mag nur in andern!
(Goethe.)
Mit vielen Abbildungen von Professor Woldemar Friedrich.
Vierte Auflage.
[Illustration]
Leipzig,
Ferdinand Hirt & Sohn.
1897.
Alle Rechte vorbehalten.
Vorbemerkung der Verlagsbuchhandlung.
Die allgemeine Anerkennung, welche dem ersten Bande von „+An deutschem
Herd+“, betitelt „+Edelfalk und Waldvöglein+“, gleich bei Erscheinen
zu teil geworden ist, hat uns die wohlthuende Bestätigung gebracht,
daß unser Gedanke ein glücklicher war: Frau +Brigitte Augusti+ zur
Veröffentlichung einer Serie von kulturgeschichtlichen Erzählungen
für die reifere weibliche Jugend aufzufordern. Zumeist wird derselben
ja viel leichtere Kost geboten; wir haben uns hierüber in unserer
Vorbemerkung zu Edelfalk und Waldvöglein ausgesprochen.
Daß die „Erzählung“ auch in diesem Bande die Leserinnen befriedigen
wird, dürfen wir hoffen nach dem großen Erfolg, den die bisher
erschienenen Schriften +Brigitte Augustis+ errungen haben; steht es uns
als den Verlegern auch nicht zu, unsern eigenen Verlag zu loben, so
können wir jedenfalls der Überzeugung Ausdruck geben, daß auch dieser
zweite Band von „An deutschem Herd“ nichts der Jugend „Ungesundes“
enthält.
Der +geschichtliche, beziehentlich kulturgeschichtliche Inhalt+ der
vorliegenden Erzählung ist ein reicher und abwechslungsvoller: das
tyrannische Regiment Karls des Kühnen von Burgund, das kluge Walten
des Kurfürsten Albrecht Achilles von Brandenburg, die Vereinigung der
Krone von Burgund und der der Habsburger durch die Heirat Maximilians
und Marias, der Bauernkrieg und die beginnende Reformation bilden den
geschichtlichen Hintergrund.
Die Erzählung spielt (wie der Titel besagt) wesentlich in und um
Nürnberg; seine bürgerlichen Einrichtungen, im Gegensatz zu dem sich
auflösenden Rittertum, werden, mit freier Benutzung älterer Schriften
ähnlichen Inhalts, geschildert; das Leben und Wirken der Künstler
Nürnbergs, die Bestrebungen der Meistersinger, die kirchlichen
Verhältnisse vor der Reformation finden sich berücksichtigt. Daneben
ist das Augenmerk der Verfasserin stets darauf gerichtet geblieben,
interessante Einzelheiten aus dem Kleinleben, z. B. über Trachten,
Geräte, Inneres der Häuser u. a. m., an geeigneter Stelle einzuflechten.
So glauben wir denn mit Recht auch diese Schrift Brigitte Augustis der
wohlwollenden Beachtung von +Eltern und Erziehern+ empfehlen zu dürfen.
+Leipzig.+
=Ferdinand Hirt & Sohn.=
Prolog.
Willkommen seid, die gütig Ihr geneigt,
Von unserm Spiel das zweite Stück zu sehen!
Kein Lustspiel ist’s, ein ernstes Antlitz zeigt
Die Zeit, auf deren Boden heut’ wir stehen;
Denn vieles, was uns groß schien, sank in Staub,
Und manches Gute ward des Bösen Raub.
Die holde Poesie, sie ist entflohn,
Die einst mit Sang und Klang die Welt erfüllte,
Die von der niedern Hütte bis zum Thron
Mit schönem Schein die Wirklichkeit umhüllte.
Nicht führt das Kreuz den Ritter mehr zum Sieg:
Rauflust und Beutegier bestimmt den Krieg.
Der freie Bauer ward zum „armen Mann“,
Schwer drückt das Joch der Herren seinen Rücken.
Schon grollt’s wie dumpfer Donner dann und wann,
Schon sieht von ferne man die Blitze zücken.
Blut und Zerstörung birgt der Wolken Schoß:
Weh Herrn und Knechten, bricht das Wetter los!
Was Großes, Gutes noch besitzt die Welt,
Das flüchtet in der Städte feste Mauern;
Und wenn das Rittertum in Trümmer fällt --
Treufest wird es der Bürger überdauern.
Die ems’ge Arbeit füllt ihm Haus und Schrein,
Und Kunst und Wissenschaft ziehn bei ihm ein.
Noch beugt er sich der Kirche Machtgebot,
Noch kann nur Priesterwort die Seele retten;
Doch eines neuen Tages Morgenrot
Verheißt Befreiung schon von Geistesketten. --
Nun schaut ob uns das ernste Spiel gelang,
Und nehmt für güt’ge Nachsicht Gruß und Dank!
Erstes Kapitel.
Afras Heimkehr.
In den gewaltigen Baum fährt zündend das Feuer des Kriegsgotts;
Wehe der Vöglein Schar, welche dort Nester gebaut!
Die glorreiche Zeit der Hohenstaufen war längst vorüber; an poetischer
Schönheit, Glanz und Größe jedem andern Königsgeschlecht auf Erden
überlegen, waren sie doch innerhalb eines Menschenalters von der
höchsten irdischen Höhe hinabgestürzt und erloschen, -- der letzte
Sproß eines mächtigen Hauses, welches Deutschland sechs Herrscher
gegeben hatte, war ohne Land und Leute zu Neapel auf dem Blutgerüst
gestorben. Der Untergang der Hohenstaufen schien auch den Verfall
deutscher Kraft und Herrlichkeit zu bedeuten; überall herrschte
Auflösung und Kampf, die Macht des Gesamtreiches zerbröckelte in
unzählige kleine Staaten, Fürsten und Städte suchten nur noch das eigne
Wohl und fragten wenig nach dem Gedeihen des Ganzen. Wohl bestieg
hin und wieder ein Kaiser den deutschen Thron, der mit kraftvoller
Hand in das Chaos eingriff und die Geschicke des Reiches in festere
Bahnen lenkte: ein Rudolf von Habsburg, ein Heinrich der Siebente von
Luxemburg umgaben die Krone noch einmal mit dem Glanz einer mächtigen
Persönlichkeit, -- aber sie konnten den Verfall nur aufhalten,
nicht dauernd verhüten. Im Innern stritten Deutsche wider Deutsche:
die großen Städte vereinigten sich zu festen Bündnissen gegen die
benachbarten Fürsten, diese standen gegen den Kaiser in Waffen, von
außen aber drohten mächtige Feinde von allen Seiten. In der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts verwüsteten die böhmischen Hussiten die
angrenzenden deutschen Lande mit Mord und Brand; später drängten
in wildem Fanatismus die türkischen Scharen, welche das morsche,
oströmische Reich erobert hatten, gegen Ungarn und Deutschland vor; im
Westen breitete ein gewaltiger Gegner, der Herzog von Burgund, seine
Herrschaft immer weiter aus und brachte manches schöne Reichsland unter
sein Scepter.
Solchen Männern gegenüber saß auf Deutschlands Kaiserthron um diese
Zeit ein Mann, der so großen Gefahren wenig gewachsen war. Friedrich
der Dritte war ein Philosoph, der sich bei astrologischen Träumereien,
Gartenzucht und Heilkunde über den schlimmen Lauf der Welt tröstete. Er
besaß keine einzige große königliche Eigenschaft; mit zäher Berechnung
verfolgte er ein halbes Jahrhundert hindurch nur ein einziges Ziel,
das, seine österreichische Hausmacht zu vermehren. Er selbst klagte,
daß „das Reich voll Gewaltthätigkeit, Mord und Brand sei, davon es gar
schädlich gemindert werde,“ aber er fand kein Mittel, dem Verderben zu
steuern.
Man schrieb das Jahr 1468. Mit einem starken Heer lag der
Burgunderherzog Karl der Kühne vor den Mauern von Lüttich; er
hatte einen hohen Schwur gethan, dasselbe für seine wiederholte
Widersetzlichkeit furchtbar züchtigen zu wollen. Die Stadt hatte
seit alter Zeit zum Deutschen Reich gehört, in allen kirchlichen
Dingen hatte der Erzbischof von Köln die oberste Entscheidung.
Widerwillig fügte sie sich dem burgundischen Regiment und befand sich
in stetem Widerstreit gegen den aufgedrungenen Bischof, der ein naher
Verwandter des Herzogs war. Die strengsten Strafen hatten den kühnen,
trotzigen Geist der Einwohner nicht zu brechen vermocht; aufs neue
hatten sie sich erhoben, um ihre Freiheit und Selbständigkeit gegen
den herzoglichen Statthalter zu verteidigen, und mit dem Mute der
Verzweiflung wehrte sich jetzt die Bürgerschaft gegen den Angriff des
Herzogs, welcher mit einer Anzahl gewaltiger Geschütze ihre festen
Mauern bedrohte.
Schon acht Tage lang tobte der erbitterte Kampf, und auf beiden Seiten
war eine Pause der Ermüdung eingetreten. Der Donner der Kartaunen war
endlich verstummt, die Einwohner atmeten nach der furchtbaren Spannung
freier auf. An der Thür eines kleinen Hauses stand in der Abendstunde
ein junges Weib und schaute mit angstvollem Blick die Straße hinab, auf
der jetzt bewaffnete Männer, einzeln und in Gruppen, vorübereilten.
„Habt Ihr den Matthias Fiedler nicht gesehen, Nachbar?“ rief sie dem
einen und dem andern Bekannten zu, doch erhielt sie keine Antwort,
außer einem flüchtigen Kopfschütteln; es hatte eben keiner Zeit, an den
Nächsten zu denken. Jetzt kam ein Mann daher, müden Schrittes schleppte
er sich weiter, tödliche Erschöpfung war seiner ganzen Erscheinung
aufgedrückt. Sie flog ihm entgegen und legte stützend den Arm um ihn.
„Kommst du endlich, mein Matthias?“ sagte sie liebevoll, „o wie habe
ich mich um dich geängstigt! ich meinte schon, ich sollte dich niemals
wiedersehen!“
„Es fehlte nicht viel, so wäre ich auf dem Wall liegen geblieben,“
erwiderte er langsam; „es war harte Arbeit, und die neuliche Wunde
schmerzt noch immer. Doch -- den Heiligen sei Dank! -- jetzt darf ich
eine Weile ruhn.“
Sie führte ihn in das Haus, wo ihnen ein zehnjähriger Knabe
entgegenkam; Mutter und Sohn beeiferten sich, dem Vater die Rüstung und
die schweren Waffen abzunehmen, und bald streckte er sich behaglich auf
dem bereitstehenden Lager aus. Erst, als er sich mit Speise und Trank
gestärkt, that die Frau einige Fragen nach dem Stande der Dinge. „Für
die nächsten vierundzwanzig Stunden ist nichts zu fürchten,“ versetzte
Matthias, „unsre Kundschafter brachten uns Botschaft, daß Herzog Karl
selbst der Ruhe bedarf. Freilich ist’s nur ein kurzer Aufschub; morgen,
zu Allerheiligen, werden die Geschütze schweigen, danach aber müssen
wir uns auf einen Sturm gefaßt machen. Mögen Gott und alle vierzehn
heiligen Nothelfer uns beistehen, daß wir der Gewalt des furchtbaren
Herzogs nicht erliegen -- sonst würde es uns schlimm ergehen.“
Zitternd drückte die Frau seine Hände und schlang den Arm um den
Knaben, der aufmerksam, mit weit geöffneten Augen, zugehört hatte.
„Warum sind wir nicht geflohen, ehe die Belagerung begann!“ klagte sie
leise; „warum müssen wir, die wir hier fremd sind, all dieses Ungemach
ertragen? O, hätten wir nie die teure Heimat verlassen, wären wir nie
in dieses Land gekommen, das uns in sein Verderben hineinzieht!“
„Arme Afra!“ versetzte er wehmütig, „warum hast du dein Leben an das
meine geknüpft? habe ich doch nur Unruhe, Mühe und Sorge über dich
gebracht! Und du hättest daheim so friedlich und wohl behütet leben
können!“
„Nein, nein!“ rief sie lebhaft und schloß ihm die Lippen mit einem Kuß,
„sprich nicht so, Matthias! Tausendmal lieber mit dir in Lüttich zu
Grunde gehen, als in Nürnberg ohne dich ein ruhiges Leben führen! Es
ist auch nicht um mich, wenn ich klage, nur um die Kinder -- um unsern
Hans und die kleine Matthäa --, das Mutterherz blutet, wenn es denkt,
daß ihnen ein Leides geschehen könnte! Aber nun schlafe, teurer Mann,
und sammle neue Kraft, du wirst sie brauchen.“
Die Nacht verging ruhig; am nächsten Morgen luden alle Glocken der
zahlreichen Kirchen Lüttichs zur Feier des Allerheiligenfestes ein.
Zu Tausenden drängten sich die Einwohner um die Altäre; fühlte doch
ein jeder, daß ohne höhere Hilfe sicheres Verderben das Los der Stadt
sein müsse. Auch Afra war in die nächste Kirche geeilt, während
Matthias noch schlief und die kleine einjährige Matthäa der Obhut ihres
Bruders Hans übergeben war. Heiße, brünstige Gebete stiegen zu allen
Heiligen des Himmels empor; nie hatte man eine andächtigere Menge vor
ihren kostbaren Schreinen und Altären versammelt gesehen. Da scholl
plötzlich der dumpfe Ton der Sturmglocke in den Gesang der Gemeinde
hinein; zugleich dröhnten die burgundischen Kartaunen, und wildes
Geschrei erklang von den Wällen. Entsetzt stob die Menge auseinander;
in tobender Angst drängte jeder hinaus, die Frauen stürzten in ihre
Häuser, die Männer auf ihre Posten, die vorher jedem sorgsam angewiesen
worden waren. An allen Gliedern bebend, erreichte Afra ihr Haus: schon
war Matthias vom Lager aufgesprungen und wappnete sich in atemloser
Hast. „Der Herzog hat uns überrumpelt -- Gott sei uns gnädig -- halte
alles zur Flucht bereit ...“ -- ohne Abschiedsgruß war er davon
gestürmt.
In halber Betäubung raffte Afra die notwendigsten Sachen zusammen und
packte sie in ein Bündel, schnürte die kleine Matthäa in Betten ein und
rüstete Hans für die Reise aus. Dann setzte sie sich nieder, drückte
ihre Kinder fest an sich und schaute mit brennendem, thränenschwerem
Blick um sich. Wie freundlich sah es in dem Häuschen aus! mit welcher
Freude hatte sie ein Stück nach dem andern angeschafft, war doch jedes
ein Merkmal des Fleißes und der Kunstfertigkeit ihres Matthias, die
hier so reichen Lohn gefunden, daß sein unbezwinglicher Wandertrieb
endlich zur Ruhe zu kommen schien. War auch in ihrer Seele das Heimweh
nie erloschen, so war sie doch dankbar gewesen, hier in Lüttich eine
bleibende Stätte zu finden, -- und nun sollte sie alles verlassen und
flüchtig in die Welt hinaus ziehn! -- o, es war sehr bitter, und das
Herz zog sich ihr krampfhaft zusammen vor Kummer und namenloser Angst.
[Illustration:
(S. 12.)
Auf der Flucht.]
Ein Schlag gegen die Hausthür schreckte sie aus dumpfem Brüten auf;
blutbespritzt, mit dem Ausdruck der Verzweiflung in den verzerrten
Zügen, stand Matthias vor ihr. „Fort, fort!“ keuchte er, „die Burgunder
sind auf den Wällen, in wenig Augenblicken überschwemmen sie die Stadt.
Wehe dem, den sie hier finden!“ Er nahm Hans auf den Rücken, ergriff
Afras Hand mit eisernem Druck und eilte mit den Seinen dem südlichen
Thore zu, das von dem feindlichen Angriff noch verschont geblieben war.
Schon wälzte sich ein breiter Strom von Flüchtlingen die Straße hinab,
erzwang die Öffnung des Thores und stürmte hinaus, dem nahen Walde
zu. Zu Fuß, zu Pferde, in Wagen und Karren suchten die unglücklichen
Bewohner sich und ihre Habe in Sicherheit zu bringen, während hinter
ihnen entsetzliches Geschrei und wildes Toben anzeigte, daß die
wütenden Feinde in die besiegte Stadt eingedrungen seien.
Herzog Karl hatte seinen Schwur erfüllt: das blühende Lüttich mit
seinen dreihundert Kirchen, seinen kunstreichen Werkstätten und
Eisenhämmern war fast vom Erdboden verschwunden! Ohne Rücksicht auf
Alter, Stand und Geschlecht waren die Einwohner hingemordet worden,
Priester lagen am Altar erschlagen, Gefangene wurden massenweise
in die Maas gestürzt, die Häuser waren zuerst geplündert, dann den
Flammen übergeben worden. Aber noch nicht genug der Greuel: auch an
den Wehrlosen, die in den Schluchten des Ardennenwaldes eine Zuflucht
gesucht, ließ der Herzog furchtbare Rache üben; wochenlang verfolgten
seine Kriegsknechte die Flüchtlinge, damit auch nicht eine Seele übrig
bleibe, um in die verödeten Wohnstätten zurückzukehren. Und dennoch hob
das grausam zerstörte Lüttich sich mit der Zeit wieder aus der Asche
empor, als sein Bezwinger längst besiegt am Boden lag. --
* * * * *
Auf der Landstraße, etliche Meilen von Nürnberg entfernt, wanderte
müden Schrittes ein Weib dahin, einen Knaben an der Hand, ein kleines
Kind im Arm. Es wäre schwer gewesen, in den abgezehrten Zügen, dem
erloschnen Blick, der zerfetzten Kleidung, irgend eine Ähnlichkeit mit
der schmucken Erscheinung der blühenden Frau Afra wiederzuerkennen, die
wir einige Monate früher in Lüttich gesehen. Furchtbare Leidenswochen
lagen hinter ihr; sie wäre nicht fähig gewesen, die Geschichte ihres
Elendes zu erzählen, dem ihr Gatte längst erlegen war; sie konnte
überhaupt nicht mehr denken; in ihrer geknickten Seele waren nur zwei
Regungen übriggeblieben, die sie fast bewußtlos vorwärts trieben: die
Liebe zu ihren Kindern und ein brennendes Heimweh. Barmherzige Seelen
hatten sie auf ihrem langen, trübseligen Wege mitunter gespeist und
beherbergt; hin und wieder hatte ein mitleidiger Bauer oder Kaufmann
sie in seinem Wagen ein paar Meilen weit mitgenommen: so war sie
endlich bis in die Nähe der Heimat gelangt.
„Mutter, ich kann nicht weiter“, wimmerte der Knabe, indem er sich auf
den harten Waldboden warf; „ich bin so müde, die Füße schmerzen mich
und mich hungert so sehr.“
„Sei gut, Hans!“ versetzte die Mutter mit einer tonlosen Stimme, die
an eine zersprungene Glocke mahnte; „nur noch ein paar Stunden, dann
sind wir bei der Großmutter auf dem Annenhof; da kannst du schlafen und
essen, so viel du willst.“
„Das hast du schon so oft gesagt,“ versetzte der Knabe, laut
aufweinend; „aber der Annenhof ist immer noch nicht da, und ich kann
nicht weiter gehen. Der Weg ist so weit, wird er nie ein Ende nehmen?“
„Der Weg wohl, aber mein Jammer nicht,“ murmelte Afra in sich hinein.
Sie setzte sich auf einen Stein am Wege und löste die Hüllen, in
welche die kleine Matthäa sorgsam gewickelt war. Ein zartes Köpfchen,
unsäglich blaß, aber von großer Lieblichkeit, lächelte ihr entgegen,
sie preßte es mit schmerzvoller Zärtlichkeit an ihre Brust. „Arme, arme
Kleine,“ flüsterte sie, „warum habe ich dich so angstvoll gehütet, zu
welchem Elend dich aufbewahrt? wäre es doch tausendmal besser für dich
gewesen, du wärest deinem Vater in das Paradies gefolgt! Und doch danke
ich dir, barmherziger Gott, daß du mir meinen einzigen Schatz, meine
Kinder, gnädig erhalten hast!“
Ein Wagen kam langsam des Weges daher und schlug am nächsten Kreuzweg
die Richtung nach Nürnberg ein; pfeifend ging der Fuhrknecht daneben.
Afra bat ihn schüchtern, sie eine Strecke mitzunehmen; er nickte und
half ihr gutmütig, aufzusteigen. Es saß sich warm und weich in dem
duftigen Heu, aus dem die Ladung bestand; bald sank ihr Kopf müde auf
die Seite, und ein tiefer Schlummer senkte sich auf ihre Lider herab. --
Plötzlich weckte ein tüchtiger Stoß sie auf, sie blickte um sich und
griff erschrocken nach den Kindern. Hans lag süß schlafend neben ihr,
aber wo war Matthäa? Sie rief, sie suchte -- vergebens, das Kind war
verschwunden. In Todesangst sprang sie vom Wagen herab, „habt Erbarmen,
wartet ein wenig!“ rief sie dem Fuhrmann zu und jagte von dannen, die
Straße zurück, die sie gekommen waren. Mit einem heftigen Ruck hielt
der Bauer die Pferde an. „Ist das Weibsbild toll geworden?“ schrie er
ihr zornig nach. „Meint Ihr, ich solle hier stehen und warten, bis die
Thore der Stadt geschlossen sind? Hier lege ich Euch den Knaben hin,
Ihr mögt ihn auflesen, wenn es Euch beliebt!“ Er hob Hans heraus und
fuhr davon; jammernd sah der Verlassne bald dem verschwindenden Wagen,
bald der enteilenden Mutter nach.
Afra lief weiter, solange ihre Füße sie tragen wollten, aber wie sie
auch spähte und suchte, -- von dem verlornen Kinde war keine Spur zu
entdecken. Tödlich erschöpft stürzte sie endlich zu Boden und blieb
eine Weile bewußtlos liegen, dann scheuchte der Gedanke an Hans sie
wieder auf. Einen letzten, verzweifelten Blick warf sie auf die kahle,
öde Landstraße, dann schlich sie zurück zu der Stelle, wo laut weinend
der Knabe saß. Sie drückte ihn heftig an sich, aber kein Wort kam über
ihre Lippen, keine Thräne in ihre Augen. Auch Hans war still geworden,
der starre Ausdruck im Gesicht der Mutter ließ sein Schreien und
Weinen plötzlich verstummen. Schweigend pilgerten sie fürbaß, bis nach
kurzer Zeit der Wald sich lichtete und ein stattlicher Hof vor ihnen
auftauchte, -- das Ziel ihrer Wanderung war erreicht.
Es dämmerte stark, als die beiden vor dem Hause ankamen und den
metallenen Klopfer gegen die Thür fallen ließen. Die obere Hälfte der
Hausthür ward geöffnet, ein freundliches altes Gesicht guckte über die
Scheidewand und fragte beim Anblick der zerlumpten Gestalten in einem
Ton, der strenge sein sollte: „Woher des Wegs? und was begehrt ihr?“
„Bist du die Großmutter?“ fragte Hans sehnsüchtig, „dann mach uns auf,
wir sind todmüde und sehr hungrig.“
„Wer bist du, Knabe?“ fragte die Alte erstaunt, indem sie den Sprecher
forschend ansah.
„Ich bin Hans Fiedler, und dies ist meine Mutter, kennst du uns nicht?“
„Heilige Anna! ist’s möglich?“ rief die alte Frau, „Afra, mein Kind,
so kommst du zu mir zurück?“ Sie riß die untere Thür auf und breitete
ihre Arme aus, ohnmächtig fiel das unglückliche Weib an ihre Brust, --
endlich hatte sie eine Stätte gefunden, an der sie ausruhen konnte. --
Der Annenhof war ein ansehnliches Landgut, das seit undenklichen
Zeiten im Besitz der Tuchers gewesen war, einer alten Nürnberger
Patrizierfamilie, welche der Stadt eine lange Reihe von Ratsherren
und Bürgermeistern gegeben hatte, deren männliche Erben zu dieser
Zeit aber ausgestorben waren. So war der Hof mit der Hand der letzten
Tochter des alten Geschlechts an Herrn Wilibald Ebner[1] gekommen,
welcher Kaufherr und Beisitzer des kleinen Rats von Nürnberg war.
Sein Weib, das frühe die Mutter verloren, hatte manchen Sommertag auf
dem Annenhof verlebt, unter Obhut der biederen Crescentia, welche mit
ihrem Gatten die Bewirtschaftung des Gutes leitete. Afra, die einzige
Tochter des würdigen Paares, war in enger Gemeinschaft mit der Tucherin
aufgewachsen und folgte derselben bei ihrer Verheiratung als vertraute
Gürtelmagd in die städtische Häuslichkeit. Dort hatte sie den Matthias
Fiedler kennen gelernt, einen frischen, frohen Gesellen und geschickten
Goldschmied; sie hatten einander alsbald geheiratet und ein glückliches
Leben begonnen. Die Fiedlers waren auch schon seit langer Zeit in
Nürnberg ansässig, und oft hatte unter den zünftigen Handwerksmeistern
der Stadt einer des Namens eine angesehene Stellung eingenommen, doch
hatte sich die Familie nie ausgebreitet, denn von mehreren Söhnen
blieb sicher nur einer der Heimat treu; die andern zogen in die Welt
hinaus und suchten ihr Glück in der Ferne. Auch den Matthias hatte es
nicht lange auf der heimischen Scholle geduldet; er hatte als Jüngling
in den glänzenden Städten von Flandern und Brabant gearbeitet, und
seine Sehnsucht stand dorthin. Ungern ließ Crescenz, die inzwischen
ihren Mann begraben hatte, die Tochter in die Fremde ziehn, doch hatte
sie kein Recht, sie zu halten; fünf Jahre hatte jene in der Fremde
verweilt, und nun stand sie plötzlich vor ihr, krank und gebrochen an
Leib und Seele, eine landflüchtige, hilflose Bettlerin! --
[Footnote 1: Der Name +Ebner+ ist hier nur gewählt, um eine angesehene
Patrizier-Familie zu bezeichnen. Mit der wirklichen Geschichte dieses
alten Geschlechtes, das in der Entwicklung Nürnbergs oft eine Rolle
gespielt hat, und das in zahlreichen Gliedern noch in seiner Vaterstadt
fortlebt, haben die hier geschilderten Personen und Ereignisse nichts
gemein.]
Der Winter, der bis dahin ungewöhnlich mild gewesen war, brach jetzt
mit verdoppelter Macht herein, Eis und Schnee umgaben den Annenhof,
schnitten ihn von jedem Verkehr mit der Welt ab und vereitelten alle
Nachforschungen nach dem verlorenen Kinde. Auch innen sah es traurig
aus: Afra war nach der furchtbaren Anspannung aller Kräfte, nach den
harten Schicksalsschlägen, die sie betroffen, auf das Krankenlager
gesunken und schwebte wochenlang in Todesgefahr. Endlich überwand
der Körper das Leiden und fing allmählich an, zu genesen, aber der
Geist blieb umnachtet; Tage lang saß die unglückliche Frau stumm und
regungslos auf ihrem Platz und starrte ziellos in die Ferne, selbst
für ihre Mutter und für Hans hatte sie nichts weiter, als ein müdes
Nicken oder einen matten Händedruck. Nur zuweilen, wenn sie ganz allein
war, oder in dunkler Nacht, öffneten sich die stummen Lippen und leise
gemurmelte Worte drangen daraus hervor. Einmal belauschte Crescenz
solch ein Selbstgespräch: „Fluch dem Räuber meines Glücks, Fluch dem
blutigen Herzog!“ klang es an ihr Ohr. Sie schlug ein Kreuz: „das
Fluchen bringt uns keinen Segen, Afra; du solltest lieber beten,“ sagte
sie angstvoll. „Beten?“ schallte es kaum vernehmbar zurück, „zu wem?
mich hört niemand.“
Solche Lästerung erfüllte die Seele der guten Alten mit Entsetzen, und
sie rief um so eifriger zu allen Heiligen, um Vergebung und Besserung
für ihr unglückliches Kind zu erflehen; sie versuchte auch all ihre
Beredsamkeit, um Afra auf andre Gedanken zu bringen, -- aber vergebens.
Die Tochter ließ sie sprechen, ohne etwas zu erwidern, doch kein Blick,
kein Wort verriet, daß sie überzeugt, daß die starre Rinde ihres
Herzens geschmolzen sei.
Allmählich fing sie jedoch an, ihre Hände fleißig zu regen, und vom
Morgen bis zum Abend drehte sie in rastlosem Eifer die Spindel. Die
Knechte und Mägde des Hofes, die anfangs mit beklommener Scheu auf
Afra gesehen, gewöhnten sich an ihren immer gleichen Anblick, und nach
wenigen Monaten erregte „die stille Frau“, wie sie dieselbe nannten,
kein Fragen und Verwundern mehr.
Hans hatte die Folgen der weiten Reise bald von sich abgeschüttelt und
sich auf dem Annenhofe vollkommen heimisch gemacht; seine Gegenwart war
für die Alte wie ein heller Sonnenstrahl, der siegend durch Sturm und
Wolken bricht. Sie wurde nicht müde, sich von den Erlebnissen seines
jungen Lebens berichten zu lassen, von dem Wanderleben, das er mit den
Eltern geführt, von den Schrecken der Belagerung und der Flucht, vom
Tode des Vaters und dem Verlust der kleinen Matthäa. Vergoß Mutter
Crescenz auch viele heiße Thränen bei diesen Erzählungen, so wußte der
Knabe sie doch wunderbar zu erheitern; in seinem fröhlichen Kindergemüt
verlor selbst das Schwerste seine düsteren Farben; er bewahrte jede ihm
erwiesene Freundlichkeit in dankbarem Gedächtnis und hatte mitten in
aller Trübsal auch allerlei Frohes erlebt. Die wie zu Stein erstarrte
Mutter und der heitre, lebensfrische Knabe -- das waren ein paar
wunderbare Gegensätze in dem engen Rahmen des ländlichen Hauses.
[Illustration]
Zweites Kapitel.
Patrizierhaus und Ritterburg.
Fest, auf gesichertem Grund, erbaut sich die Heimat des Bürgers,
Aber des Ritters Geschlecht sinkt von der Höhe herab.
Am Ägidienplatz zu Nürnberg stand ein stattliches Haus, breit und
hoch, mit steil ansteigendem Dach, dessen Fläche vielfach durch kleine
Fenster und Luken unterbrochen war, als guckten neugierige Augen von
der Höhe herab über die belebten Straßen, die ansehnlichen Plätze,
mit ihren hohen Häusern und doppeltürmigen Kirchen, bis hinauf zum
Burgberge, wo die alte Kaiserburg mit ihren mächtigen Mauern und
Türmen weit hinausschaut in das gesegnete Frankenland. Dort oben hatte
schon im 10. Jahrhundert Konrad der Erste gern verweilt; Friedrich
Barbarossa hatte den ehrwürdigen Bau erweitert, und seine Nachfolger
hatten oft ihre Residenz, wenigstens zeitweilig, dort aufgeschlagen.
Die Burggrafen von Nürnberg, seit Jahrhunderten dem edlen Geschlecht
der Hohenzollern angehörend, hatten sich, im Anschluß an die alte
Burg, ein eignes Gebäude errichtet, das sie bis zum Anfang des 15.
Jahrhunderts bewohnten; dann aber hatten sie die Burg mit allem Zubehör
an die Reichsstadt verkauft und residierten seitdem auf der Bergfeste
Kadolzburg oder zu Onolzbach.
In das Patrizierhaus führte ein breiter Thorweg, der nicht nur für
Menschen, sondern auch für Wagen und Pferde zum Eingang diente;
die kleinen tiefliegenden Fenster zu beiden Seiten waren mit
Eisenstäben vergittert und gaben dem Gebäude das Ansehen einer
wohlverwahrten Festung. Wer durch das Thor eintrat, befand sich in
einem gepflasterten, nach hinten geöffneten Hausflur, aus dem zu beiden
Seiten Stufen zu den Schreibstuben und Warenräumen emporführten;
geradeaus aber kam man in einen großen Hof, an dessen einem Ende leere
Fässer und Kisten aufgespeichert lagen, während an dem andern ein
uralter Nußbaum emporragte. Der hatte wohl schon seit zweihundert
Jahren dort gestanden, und wie er sich aus einer schlanken Gerte
allmählich zu einem mächtigen Stamm entwickelt hatte, so war auch
das Haus ringsumher gewachsen und die Familien, die darin gewohnt,
hatten zugenommen an Reichtum und Bedeutung. Er war ein treuer Freund
aller Bewohner gewesen, der alte Nußbaum; den Kindern diente er als
unschätzbarer Helfer bei ihren Spielen, beim Klettern und Verstecken;
den Mädchen ließ er im Frühling seine raupenartigen Blüten neckend in
den Schoß fallen, den Knaben warf er im Herbst seine Früchte an den
Kopf, den Hausfrauen aber schenkte er seine wohlriechenden Blätter,
die, mit Lavendel vermischt, die geschnitzten Schränke und mächtigen
Truhen mit einem gar lieblichen Geruch erfüllten. Wenn kosende
Frühlingslüftchen mit den Zweigen spielten, dann klopften diese wohl
leise an die Fenster, wie gute Bekannte, die um Einlaß bitten; wenn
aber in Herbst- und Winternächten der Sturm heulte, dann peitschte er
die Äste gegen die Mauern, daß die Schläfer drinnen die Köpfe tiefer
unter die Decken steckten, weil es klang, als zögen böse Geister über
den Hof.
Eine bedeckte Treppe führte in das obere Stockwerk, zunächst auf einen
Vorplatz, dessen Wände mit buntglasierten Kacheln belegt waren und
dessen Decke auf einem Pfeiler von dunklem Holz ruhte. Der Treppe
gegenüber sprang ein geräumiger Erker weit in die Straße hinaus,
hölzerne Sitze liefen ringsum und gewährten einen anmutigen Platz,
wo sich in der guten Jahreszeit die Frauen des Hauses mit Vorliebe
aufhielten. Mehrere Thüren von schwerem Eichenholz in schönverzierten
Gerüsten führten zu den verschiedenen Wohn- und Schlafgemächern,
während die Hintergebäude Speicher und Stallungen enthielten. Ein
Gewirr von schmalen Gängen, Treppen und Treppchen verband die Teile des
weitläufigen Baus und die Stockwerke miteinander, und es gehörte schon
ein kundiges Auge dazu, um sich in diesem Labyrinth zurechtzufinden.
In einem Zimmer des Erdgeschosses, der Schreibstube des Hausherrn,
saßen zwei Männer, der eine in dunkler, bürgerlicher Tracht, mit
pelzverbrämter Schaube, der andre von ritterlichem Aussehen, in grünem
Samtwams, kurzen Beinkleidern und hohen Reiterstiefeln, -- eine
kräftige Gestalt, welche durch die Jahre nicht gebeugt, sondern nur
gerundet worden war. Es war der Ritter Werner von Maltheim, der auf der
Burg gleichen Namens, dem alten Erbe seiner Väter, saß, ein getreuer
Freund und Anhänger des Burg- und Markgrafen Albrecht Achilles, des
streitbaren Hohenzollernfürsten. Der Mann ihm gegenüber war der
Herr des stattlichen Patrizierhauses, Herr Wilibald Ebner, eines
der reichsten und angesehensten Glieder der ansehnlichen Nürnberger
Kaufmannsgilde. Er war viel kleiner und schmächtiger gebaut, als sein
ritterlicher Gast, aber sein kluges Auge deutete auf einen scharfen,
gebildeten Verstand und ließ ihn dem Kriegsmann sehr überlegen
erscheinen. Er saß auf dem einzigen Stuhl des Gemaches vor einem großen
Schreibpult, über dem von der Decke herab eine Ampel hing, die fast
den ganzen Tag brennen mußte; der Ritter hatte auf einer der schweren
Truhen Platz genommen, welche zu größerer Bequemlichkeit mit weichen
Kissen belegt waren.
Herr Ebner hatte eifrig geschrieben, jetzt legte er die Feder
hin und begann laut aus einem Schriftstück zu lesen. Es war ein
Vertrag zwischen den beiden Männern, in welchem der Kaufmann
sich verpflichtete, dem andern die Summe von zehntausend Gulden
vorzustrecken, wogegen der Ritter Dorf und Flur Hohenheiligen in Pfand
gab, welche verfallen sollten, wenn der Schuldner sie nicht innerhalb
fünf Jahren einlösen könnte. Das alles war mit vielen vorsichtigen
Worten und weitschichtigen Redensarten verklausuliert, so daß der
Ritter mit steigender Ungeduld zuhörte. „Macht’s kurz, Herr,“ sagte
er endlich, „wir wissen beide, worauf es ankommt. Zahlt mir von dem
Gelde, so viel Ihr bei der Hand habt, den Rest hole ich mir in ein paar
Wochen.“
„Alles nach Recht und Ordnung, edler Herr,“ erwiderte der Kaufmann
bedächtig; „habt die Gewogenheit, die Schuldverschreibung zuvor durch
Eure Unterschrift zu vollziehen.“
„Meint Ihr, ich sei ein Schulmeister?“ rief der Ritter unmutig; „die
Hand, die seit langen Jahren das Schwert geführt, hat längst die
Schreibekunst verlernt. Gebt mir ein wenig Wachs, ich will meinen
Degenknopf darauf drücken: das Zeichen gilt bei Juden und Christen.“
Aufmerksam prüfte der Kaufmann das Siegel, schrieb seinen eignen Namen
darunter und schloß das Dokument in sein Pult; dann öffnete er eine der
Truhen, nahm einen gefüllten Beutel heraus und zählte die klingenden
Gulden vor dem Ritter auf, der sie mit zufriedener Miene auf seiner
Brust verwahrte. Er stand auf und griff nach seinem Barett.
„Ich hoffe, edler Herr,“ sagte Ebner höflich, „Ihr werdet mein Haus
nicht verlassen, ohne einen kleinen Imbiß einzunehmen; meine Hausfrau
würde es mir nicht verzeihen, hätte ich Euch ohne Speise und Trank
davonziehen lassen.“
„Und ich möchte Nürnberg nicht den Rücken kehren, ohne die werte
Frau Ursula gesehen zu haben,“ erwiderte der Ritter mit gleicher
Höflichkeit, „hat mir doch mein Weib eine Menge warmer Grüße an die
Jugendfreundin aufgetragen.“
Beide stiegen die Treppe zum Vorsaal hinauf, von dem ihnen fröhlicher
Lärm entgegenschallte. Mehrere Kinder trieben hier ihr Spiel mit
Haschen und Verstecken, wobei ihnen die tiefen Winkel des Erkers und
die schwerfälligen Stühle, die um den Tisch in der Mitte standen,
trefflich zu statten kamen. Der älteste unter der kleinen Schar
war Ulrich von Maltheim, der den Vater begleitet hatte, ein hoch
aufgeschoßner Knabe von seltner Schönheit, mit langen goldnen Locken
und tiefblauen Augen, die am liebsten träumerisch in die Ferne
schauten. Sein jüngerer Genosse war Berthold, der einzige Sohn
des Kaufherrn, dessen geschmeidige Glieder, blitzende Augen und
weiche, dunkle Haare manchen Tropfen welschen Blutes verrieten, --
hatten doch die Vorfahren des Kaufhauses von altersher in lebhafter
Verbindung mit dem Süden gestanden und manche junge Hausfrau aus
Italien in die nördliche Heimat geführt. Auch zwei kleine Mädchen,
Bertholds Schwestern, waren dabei; die größere lief auf den Vater zu
und schmiegte sich zutraulich an sein Knie, während die jüngere beim
Anblick des fremden Ritters davonlief und sich im Erker versteckte.
Herr Ebner fuhr liebkosend über Margaretas braunes Lockenköpfchen und
schob sie dann von sich, um die Thür zu öffnen, die in das Prunkgemach
des Hauses führte. Dunkles Getäfel bedeckte die Wände bis zur halben
Höhe; auf dem breiten Bord waren schöne Krüge und Pokale, silberne
Schüsseln und Schaustücke aufgestellt, darüber zeigte sich die Wand mit
allerlei Bildnissen geschmückt. Ein weicher, dunkler Teppich bedeckte
die Mitte des Fußbodens, auf demselben stand ein zierlich gedeckter
Tisch, der mit blinkendem Gerät besetzt war.
Mit tiefer Verneigung trat Frau Ursula Ebnerin dem Gaste entgegen.
Sie war mit gediegener Pracht gekleidet: das Kleid von schiefergrauem
Samt hatte ein tief ausgeschnittenes Leibchen, welches vorn mit einer
silbernen Kette zugeschnürt und durch einen fein gefältelten Einsatz
von schneeweißem Linnen ergänzt wurde. Um die breite Halskrause schlang
sich ein Perlenhalsband, eine zweite silberne Kette schmiegte sich um
die Hüften, wo sie den langen Rock seitwärts aufraffte, während an
der andern Seite ein Schlüsselbund hing, das nie fehlende Sinnbild
hausfräulicher Würde.
Herr von Maltheim begrüßte die Patrizierin mit ritterlicher Artigkeit;
er hatte sich viel am Hofe des Markgrafen aufgehalten und daher die
alte, höfische Sitte bewahrt, welche zu dieser Zeit mehr und mehr
auszusterben drohte, denn auf den Ritterburgen gewann rohe Trink- und
Rauflust immer mehr die Oberhand, und der frühere Frauendienst trat
dagegen in den Hintergrund.
Man setzte sich zu Tische. „Wie geht es Eurer edlen Hausfrau und Euren
Töchtern?“ fragte die Ebnerin den Gast.
Über des Ritters wettergebräuntes Gesicht flog ein wehmütiger Schatten.
„Habt Dank für Eure gütige Nachfrage, ehrsame Frau,“ erwiderte er;
„mein Weib ist gesund, aber mit unsern Töchtern haben wir kein Glück.
Zwei hat der Himmel wieder zu sich genommen, und Sankt Kilian mag
wissen, ob ich die jüngste noch am Leben finde, wenn ich heimkehre.“
„O, wie beklage ich Euch!“ rief Frau Ursula, indem sie einen zärtlichen
Blick durch die offene Thürspalte auf ihre eignen, blühenden Kinder
warf; „wie still und öde muß es auf Eurer Burg sein, wenn die hellen
Stimmen und die trippelnden Schritte verstummen! Und Euer jüngstes Kind
ist auch krank?“
Der Ritter fuhr sich über den Schnauzbart, und seine Stimme klang rauh,
als er erwiderte: „Ich verließ mein Weib in großer Sorge um das Leben
der kleinen Irmgard, -- ich konnte den Jammer nicht mehr mit ansehn und
bin davongeritten.“
„Ihr ließt Frau Kunigunde allein in ihrem Kummer,“ sagte Ursula mit
leisem Vorwurf, „und nahmt auch den Knaben mit, der ihr ein Trost in
ihrem Leid gewesen wäre!“
„Sie hat unsern Haus-Pfaffen, Pater Benedikt, um sich, der versteht
das Trösten besser, als unsereiner! Und der Junge mußte einmal heraus
aus den alten Mauern, wo es jetzt allzuviel Thränen und Trauergesänge
giebt, -- er soll kein Duckmäuser werden, wozu er ohnehin Neigung
zeigt. Doch schicke ich ihn von hier zurück, während ich zum
Durchlauchtigen Markgrafen nach der Kadolzburg reite. Die Nähe des
löwenherzigen Herrn verscheucht all die kleinen Kümmernisse, die uns
daheim bedrücken, und das Herz wird wieder groß und frei, wenn es mit
ihm verkehrt. Freilich -- bei Euch Herren vom Rat findet man taube
Ohren, wenn man den deutschen Achilles lobt.“
„Wir Nürnberger haben wenig Grund, den Hohenzoller zu preisen,“
versetzte Herr Ebner mit ernster Zurückhaltung. „Wenn Ihr nach
der Kadolzburg reitet, werdet Ihr an manchem Meierhof und mancher
städischen Burg die Spuren der Wunden sehen, die uns der Markgraf in
blutiger Fehde geschlagen hat.“
„Ja, wo der Löwe seine Tatzen einschlägt, da ist es freilich zu
spüren,“ lachte der Ritter. „Aber zeigt mir unter den deutschen Fürsten
einen, der an unverwüstlicher Kraft und Tapferkeit diesem gleich wäre!
Wollte Gott, unsre Kaiserliche Majestät gliche ihm nur ein wenig, dann
stünde wohl manches besser im Reich, als jetzt.“
„Wenn das so großes Lob bringt, unnötige und unbillige Kriege
anzufangen,“ erwiderte der Ratsherr mit gerunzelter Stirn, „so muß auch
der Türke des Lobes wert sein.“
„Wollt Ihr den edlen Markgrafen mit dem heidnischen Erzfeind
vergleichen?“ rief Herr von Maltheim unwillig. „Warum mußtet Ihr ihm
überall seine Befugnisse bestreiten, die ihm doch der Kaiser selbst
verliehen hatte? Sollte der stolze Fürst sich vor den Städtern beugen?
Endlich wäre es doch wohl Zeit, den alten Hader zu vergessen, über dem
schon Gras gewachsen ist! Auch ich habe damals unter Albrechts Banner
wider Euch gefochten und doch längst meinen Frieden mit der Stadt
gemacht. Aber wo Euer Hab’ und Gut angerührt wird, da habt Ihr Herren
vom Handel ein ellenlanges Gedächtnis, und solche Schulden werden nie
aus Euren Büchern gestrichen.“
Frau Ursula sah mit Besorgnis, wie sich die dunkle Wolke auf ihres
Gatten Stirn immer drohender zusammenzog. Sie erhob ihren Becher und
fiel mit gewandter Rede den Männern ins Wort. „Laßt uns auf Frieden und
gute Nachbarschaft trinken, edler Herr; möge die Freundschaft, welche
einst Eure Gattin und mich in der Jugend verband, auch unsere Kinder
vereinigen! Ulrich und Berthold sind fast in gleichem Alter, möchten
sie Freunde sein und bleiben!“
Die silbernen Becher klangen aneinander, mit einem Zuge goß der Ritter
den Inhalt des seinen herab. „Das ist ein guter Trinkspruch, werte
Frau, und ich thue Euch von Herzen Bescheid darauf. Seid so gütig und
laßt die Knaben hereinkommen, sie sollen in unserer Gegenwart einen
festen Bund schließen.“
Die Thür ging auf, und in fröhlichen Zuge traten die Kinder ein.
Margarete hatte ein blaues Tuch an ihrem Leibchen befestigt, so daß
es wie eine lange Schleppe hinter ihr dreinzog, über ihren Locken lag
ein weißer Schleier, den ein grünes Kränzlein festhielt. So trippelte
sie mit gesenkten Augen neben Ulrich hin, der einen langen Mantel um
die Schultern geworfen hatte und mit stolzer Miene einherschritt.
Voran ging Berthold als Herold, mit Fahne und Trompete, und die kleine
Elsbeth folgte als Schleppträgerin. Es war ein liebliches Bild und Frau
Ursulas Mutterherz hob sich höher beim Anblick der reizenden Kinder.
„Welch ein Spiel habt Ihr heute ausgedacht?“ fragte sie liebreich.
„Wir spielen Hochzeit,“ versetzte Berthold eifrig, „Ulrich ist der
junge König, und die Grete ist seine Braut.“
„Kein übles Paar!“ lachte der Ritter wohlgefällig; „was meint Ihr, Herr
Ebner, wollen wir die Kinder auf der Stelle verloben? Ihr verschreibt
dem Bräutchen Dorf Hohenheiligen als Mitgift -- dann sind wir mit einem
Schlage aller Sorgen ledig.“
„Ich bin kein Freund von Kinderheiraten,“ versetzte der Ratsherr steif,
„dergleichen überlassen wir nüchternen Städter den Fürsten und hohen
Herrn. Über zwölf Jahre mag Margarete selbst entscheiden, ob ihr der
Freier gefällt, den ihr der Vater ausgesucht hat.“
Auf des Ritters Stirn schwoll die Zornesader bei dieser nachdrücklichen
Zurückweisung; war sein Vorschlag auch nur scherzhaft gemeint, so mußte
er doch, nach seiner Meinung, für den Städter sehr schmeichelhaft
klingen. Er öffnete schon die Lippen zu einer gereizten Entgegnung, als
ihm Frau Ursula zuvorkam. „Junker Ulrich würde es Euch wenig danken,“
sagte sie in heiterm Ton, „wenn Ihr ihn an ein kleines Stadtkind
binden wollet; seine ritterliche Schönheit wird ihm sicher überall die
edelsten Herzen erwerben. Werdet Ihr ihn an den Hof bringen, um seine
Erziehung zu vollenden?“
„Mir wäre nichts lieber, als das, -- aber mein Weib jammert, daß sie
sich von dem Knaben trennen soll, und Pater Benedikt, der sein Lehrer
ist, behauptet, er hätte einen Kopf für die Wissenschaften, und es
wäre schade, seinen Unterricht zu unterbrechen. Der Junge selbst sitzt
wahrhaftig lieber hinter den Büchern, als zu Pferde! Ein Maltheim
ein Federfuchser! ich kann’s nicht begreifen, wie es möglich ist, --
aber freilich, die Welt scheint mir heutzutage ganz aus dem Gleise
zu kommen. Es ist nicht mehr, wie es früher war, seit nicht Mut
und Tapferkeit im Kampf den Ausschlag geben, sondern die Menge der
Donnerbüchsen; seit der hochherzigste Ritter nicht mehr sicher ist, daß
ihn nicht eine tückische Kugel zu Boden streckt, die ein feiger Knecht
aus sicherm Hinterhalt entsendet. Wer vermag tapfer zu sein gegen die
bösen Geister, welche in dem teuflischen Pulver ihr Spiel treiben? Wenn
es so fortgeht, werden sich Männer von altem Schlage bald nicht mehr
in der Welt zurechtfinden.“ Er wandte sich an Berthold. „Was willst du
denn werden kleiner Freund? ein Gelehrter oder ein Handelsmann?“
„Ein Ritter will ich werden!“ rief der Knabe mit leuchtenden Augen,
„ich will hoch zu Rosse sitzen und mein Schwert schwingen; ich will
ausziehen und große Thaten thun, wie die alten Recken, von denen, mir
Muhme Lene erzählt hat!“
„Das ist brav gedacht!“ rief der Ritter, indem er kräftig auf Bertholds
Schulter schlug, „solche kühnen Worte thun einem echten Manne wohl.
Komm her, Ulrich, reiche diesem wackern Knaben die Hand und gelobt euch
Freundschaft und Treue für alle Zeit eures Lebens.“
Die Knaben thaten mit feierlichem Ernst, wie sie geheißen waren;
aufmerksam sah Margarete dem Bündnis zu, das durch einen Becher Wein
besiegelt wurde. Plötzlich legte sie ihr kleines, rundes Händchen auf
die verschlungenen Hände der beiden Freunde und rief: „Ich will auch
dabei sein, mich soll Ulrich auch lieb haben!“
Herr von Maltheim lachte herzlich und hob die Kleine auf sein Knie.
„Recht so, kleine Dame,“ sagte er scherzend, „halte ihn fest und laß
ihn nicht entschlüpfen; ein schmuckeres Bräutchen, als dich, kann er
nicht finden, und du keinen hübscheren Bräutigam.“ Er küßte das Kind
und erhob sich, um sich zu verabschieden. Frau Ursula trug ihm Grüße an
seine Gattin auf und lud Ulrich ein, bald wiederzukommen; der Ratsherr
begleitete die Gäste bis auf den Hof, wo ein Diener des Hauses mit den
Pferden bereit stand. Vor der Thür hielten ein paar berittne Knappen,
und bald war der Reitertrupp um die nächste Ecke verschwunden.
Mit umwölkter Miene kehrte Herr Ebner zu den Seinen zurück, schickte
die Kinder hinaus und rief seine Gattin zu sich. „Berthold wird nun
bald 10 Jahre alt,“ sagte er in strengem Ton, „und es wird Zeit für
ihn, den kindischen Märchen zu entsagen, womit Base Lene bisher seinen
Kopf angefüllt hat. Er ist nicht geboren, um ein Ritter zu werden und
sein Leben in Waffenspielen und nutzlosen Kämpfen zu vergeuden, sondern
um in die Fußstapfen seines und deines Vaters zu treten, und als
Kaufmann in redlicher Arbeit für sich und die Seinen zu sorgen. Vergiß
es nie, Ursula, daß dies seine eigentliche Bestimmung, alles andere
nur Vorbereitung und Nebensache ist. Was soll das Gaukelspiel einer
Freundschaft mit dem jungen Ulrich von Maltheim? ein Bürger und ein
adliger Junker können so wenig Freunde sein, wie Wasser und Feuer sich
je miteinander paaren werden.“
Er wandte sich ab und ging in sein Schreibzimmer, wo er stundenlang
eifrig rechnete und schrieb. Frau Ursula seufzte tief, und leise
flüsterte sie vor sich hin: „Wer weiß, wozu der Himmel dich bestimmt
hat, mein Berthold! vielleicht sollst du Liebling meines Herzens doch
noch höher steigen, als bis zum Warenspeicher und zum Zahltisch!“
* * * * *
Als Junker Ulrich gegen Abend in den Schloßhof von Maltheim einritt,
bemerkte er, daß Knappen und Knechte in lebhaftem Gespräch bei
einander standen und die Mägde am Brunnen geheimnisvoll die Köpfe
zusammensteckten. Ihm fuhr es wie ein Stich durchs Herz: sicher war
die kleine Irmgard tot, die er so zärtlich geliebt hatte! Das war nun
in wenigen Jahren schon die dritte Schwester, die der Tod ihm entriß;
warum durfte er ihrer nicht froh werden, warum erwuchs ihm keine
liebe Gespielin, wie seinem neuen Freunde Berthold? Wie hätte er ein
Schwesterchen, gleich der holden Margarete, lieben und auf Händen
tragen, wie hätte er sie, wenn sie lieblich erblühte, vor jeder Gefahr
schützen wollen! Mit traurig gesenkten Augen stieg er die Treppe hinan,
die in den Oberstock zu den Gemächern seiner Mutter führte; er sehnte
sich, sie zu umfassen und an ihrem Herzen den gemeinsamen Verlust zu
beweinen.
Es war ganz still auf dem langen Gange, niemand kam ihm entgegen, und
mit beklommnem Herzen stand er eine Weile horchend an der Thür, ehe
er es wagte, sie aufzuklinken und in das Zimmer zu treten, in dem
die kleine Irmgard krank gelegen hatte. Eine verdunkelte Lampe warf
nur einen schwachen Dämmerschein um sich, das Bettchen stand ganz im
Schatten, doch sah er deutlich, wie sich das wachsbleiche Gesicht von
dem purpurroten Kissen abhob. Leise schlich er heran, knieete nieder
und sprach ein wehmütiges Vaterunser für die entflohene Seele der
Schwester. Aber was war das? hatte sich die Hand, die auf der Decke
lag, wirklich bewegt, oder täuschten ihn die Thränen, die aus seinen
Augen rannen? Er wischte sie hinweg und starrte auf die Schläferin --
nein, es war keine Täuschung, die Händchen ballten sich und streckten
sich wieder aus. Er sprang zum Tisch hin, riß den Schirm von der Lampe
und ließ den vollen Schein auf das Bett fallen. Die dunklen Wimpern
ruhten auf den schneeigen Wangen, aber aus dem halbgeöffneten Munde
kamen regelmäßige Atemzüge.
„Heilige Mutter Gottes, sie lebt!“ rief er mit leisem Jubelton und
beugte sich über die Kleine, um ihre Hände zu küssen.
„Ruhig, ruhig, Junker Ulrich,“ sagte eine mahnende Stimme; „weckt das
Kind nicht auf und stört eure Frau Mutter nicht, die der Ruhe sehr
bedarf.“
„O, Bärbel, sage mir, wie dies gekommen ist,“ bat Ulrich, „ist Irmgard
wirklich genesen?“
Die Wärterin, welche schon seit Jahren im Dienst des Hauses stand und
auch ihn einst auf ihren Armen getragen, zog ihn in die andre Ecke des
Zimmers, und nachdem sie die Lampe wieder verdunkelt hatte, sagte sie
in gedämpftem Ton: „Es ist ein Wunder geschehen, Ulrich; die heilige
Jungfrau hat unsre Irmgard aus dem Rachen des Todes gerissen, während
wir sie schon beweinten.“ --
„O du liebe heilige Gottesmutter, habe Dank für deine Gnade!“ rief
Ulrich glückselig aus. „Aber wo ist mein Mütterlein? laß mich zu ihr,
Bärbel, daß ich mich mit ihr freue.“
„Eure arme Mutter ist noch sehr krank von Angst und Kummer, sie hat
das selige Wunder noch kaum begriffen. Als wir alle glaubten, es
ginge mit unserm Kindchen zu Ende, da brach sie ohnmächtig zusammen;
Pater Benedikt trug sie auf ihr Lager und suchte sie mit stärkenden
Essenzen ins Leben zurückzurufen. Es dauerte lange, bis sie wieder zu
sich kam, und niemand hatte unterdessen Zeit, sich um die arme Kleine
zu bekümmern. Als ich später an ihr Bettchen trat, da sah sie mich
plötzlich mit klaren Augen an; wir aber vermochten die unverhoffte
Freude kaum zu fassen.“
Am nächsten Morgen war Ulrichs erster Gang zu Irmgards Bett; sie lag
mit offnen Augen da, aber während sie ihn sonst mit Lachen und Jauchzen
zu begrüßen pflegte, blieb sie heute stumm und wendete sich von ihm ab.
„Was bedeutet das?“ fragte der Knabe erschrocken den Pater, der sich
zu ihm gesellt hatte, „warum thut mein Schwesterlein so fremd mit mir?
Sieht sie nicht seltsam verändert aus?“
„Du darfst dich nicht wundern, mein Sohn,“ versetzte Pater Benedikt
sanft, „daß eine Seele, die schon an der Schwelle des Todes gestanden
hat, Zeit braucht, um sich hier wieder heimisch zu machen. Bedenke,
daß sie vielleicht schon von fern einen Blick in die Seligkeit des
Paradieses gethan hat.“
„Und wird auch sie der Gottesmutter dankbar sein, daß sie sie vom
Paradiesesthor wieder zurückgescheucht hat? sie könnte jetzt schon mit
den seligen Engeln spielen,“ sagte Ulrich träumerisch.
Der Kaplan schwieg einen Augenblick. „Uns ziemt es nicht, zu grübeln
und zu deuteln,“ sagte er dann entschieden. „Hüte dich, mein Sohn, die
Gnade der Heiligen durch solche Fragen in Zweifel zu ziehn.“
Frau Kunigunde war an Leib und Seele zu heftig erschüttert, um sich
in wenigen Tagen zu erholen; erst allmählich kehrten ihre Kräfte
zurück und damit auch die Freude über das wunderbar erhaltene Kind,
das ihr wie neugeschenkt erschien. Manchmal war es ihr, als sei in
das teure, kleine Wesen etwas Fremdes gekommen, das sie sich nicht
zu erklären vermochte; die auffallende Weiße des Gesichts, die nicht
weichen wollte, der Glanz der großen dunkeln Augen, die sie so fragend
und verwundert anblickten, verwirrten sie fast; sie hatte sie früher
nicht an ihrem Kinde bemerkt. Es mußten wohl die Folgen der schweren
Krankheit sein, denn in einigen Wochen verwischte sich der fremdartige
Eindruck, und bald war die vorige Zärtlichkeit der Kleinen zu Mutter
und Bruder wiederhergestellt.
Als Herr Werner von Maltheim endlich von seinem Besuch bei dem
Markgrafen zurückkehrte, fand er zu seiner frohen Überraschung seine
kleine Tochter am Leben und alle Herzen voll Dank und Freude, wodurch
er sich sehr erleichtert fühlte. Er war ein tapferer Mann und hatte
sein gutes Schwert in unzähligen Kämpfen geschwungen, aber vor
Weiberthränen hatte er eine geheime Angst und ging ihnen aus dem Wege,
so weit er konnte.
So war das Leben auf der Burg wieder in das gewohnte Geleise
zurückgekehrt, nur +eine+ Veränderung unterbrach das Stillleben: Frau
Barbara bat um ihre Entlassung. „Was ficht dich an, Bärbel?“ fragte
ihre Herrin erstaunt, „willst du jetzt deinen Pflegling verlassen, da
die Kleine zu unser aller Freude so lieblich zu gedeihen beginnt? hast
du sie nicht lieb, wie dein eignes Kind?“
„Gewiß, gewiß, edle Frau,“ stammelte Frau Barbara sichtlich verlegen
„aber dennoch bitte ich Euch inständig: gebt mich frei! Mein Ehemann
Klaus -- Ihr wißt, er war jahrelang in fremden Kriegsdiensten -- ist
heimgekehrt und begehrt meiner. Zwar ist er immer ein rauher Geselle
gewesen, aber er bleibt doch der Vater meiner Kinder, und ich mag ihm
nicht widerstehen. Wir wollen uns allesamt in der Stadt niederlassen.“
Dagegen konnte die Edelfrau wenig einwenden; sie entließ die treue alte
Dienerin mit huldreicher Güte und streckte ihr eine Summe vor, um sich
in Nürnberg eine Schenke zu pachten. So verließ Frau Barbara unter
tausend Thränen und beiderseitigem Bedauern die Burg.
[Illustration]
Drittes Kapitel.
Fastnachtsscherze und Osterspiel.
Fort mit Arbeit und Ernst! heut’ gilt es, sich fröhlich zu tummeln!
Kurz sind die Stunden der Lust, ach, und die Fasten so lang!
Der Gottesdienst am Sonntag ~Estomihi~ war beendet, und mit dem Läuten
der Nachmittagsglocken schien sich über die löbliche Stadt Nürnberg ein
Geist ausgelassner Freude und lärmender Lustigkeit zu ergießen, der
selbst die Verständigen ergriff und ruhige Männer und Frauen zu Kindern
und Narren machte. Für einige Tage lösten sich die Bande strenger Zucht
und Sitte, welche sonst dem Benehmen der Bürger den Stempel gemessener
Ehrbarkeit aufdrückten: die Reichsstadt feierte ihren Karneval, „das
Schembartlaufen“ genannt, weil man sich dabei durch falsche Bärte,
später durch ganze Larven, unkenntlich zu machen suchte. Der Himmel
schien dem tollen Treiben hold zu sein, ein starker Wind hatte die
Straßen getrocknet, heller Sonnenschein lachte von oben herab, und die
Luft war, wenn auch kühl, doch von der belebenden Frische, welche einer
Bewegung im Freien günstig ist.
Die Belustigungen der ersten Faschingstage gehörten vorherrschend
dem niederen Volke an: da zogen Scharen vermummter Spielleute durch
die Straßen, angeführt von komischen Tiergestalten, aufrechtgehenden
Löwen, Bären und Affen; wo sie an den Fenstern ein neugieriges Gesicht
erblickten, da machten sie halt, stimmten auf den wunderlichsten
Instrumenten ihre Musik an und sangen dazu ihre possenhaften
Lieder deren derber Witz meist herzlich belacht wurde, wenn er
auch verwöhnteren Ohren oft recht roh und anstößig klingen mochte.
Rotten von Buben zagen mit Tannenbäumen umher, pflanzten sie vor die
Thüren der größeren Bürgerhäuser und fingen unter lustigen Sprüngen
und Grimassen die kleinen Münzen auf, welche man ihnen herabwarf.
Junge Burschen vom Lande schleppten Pflüge herein, die mit bunten
Bändern geschmückt waren; mit List und Gewalt suchten sie die Dirnen
einzufangen und mit Strohseilen an das Ackergerät zu spannen, bis jene
sich, unter dem Jauchzen des umgebenden Volkes, durch ein paar Heller
oder einen Kuß auslösten. So dauerte der Jubel fort bis zur Dunkelheit,
um am nächsten Morgen wieder zu beginnen; an jedem folgenden Tage
tauchten neue Larven, andre Scherze auf, bis am letzten Nachmittag
auch die besseren Stände sich in das heitere Treiben mischten und die
Mummereien und Aufzüge immer glänzender und überraschender wurden.
Im Erker des Ebnerhauses waren alle Fenster geöffnet und buntfarbige
Decken herausgehängt; stattliche Frauen und lachende Kinder beugten
sich darüber hinab. Mehrere Freundinnen des Hauses, die Frauen
ansehnlicher Kaufherrn, deren Stellung ihnen eine persönliche
Teilnahme an der Lust des Volkes nicht gestattete, hatten sich hier
zusammengefunden, um von dieser günstigen Stelle aus dem Treiben auf
der Straße zuzusehen. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Vorsaals
waren allerlei Erfrischungen aufgestellt, gewürzter Wein, eingemachte
Früchte und Honigküchlein, die man nirgend so schmackhaft zu backen
verstand, wie in Nürnberg. Eine Verwandte der Hausfrau, Jungfer
Magdalena Löffelholzin, war eifrig bemüht, dieselben immer wieder den
Gästen anzubieten und sie zum Essen und Trinken einzuladen. Magdalene,
von den Kindern der ganzen Bekanntschaft nur Muhme Lene genannt, war
weder jung, noch besonders hübsch, aber die kleine, rundliche Gestalt,
mit dem apfelwangigen Gesicht und den freundlichen Augen darin, war
überall gern gesehen, denn wo es galt, zu helfen und zu trösten, wo es
Kranke zu pflegen oder wilde Kinder zu beruhigen gab, da war Jungfer
Magdalene immer bereit; sie verstand es, sich in jedes Hauswesen zu
schicken, jedem Hausherrn seine kleinen Liebhabereien abzulauschen
und die Kinder mit schönen Geschichten und kleinen Scherzen so zu
beschäftigen, daß sie niemand zur Last fielen.
„Seht nur den stattlichen Türken dort unten,“ sagte eine der anwesenden
Frauen, „wie er hier heraufschaut und uns Grüße zuwinkt; doch scheinen
seine Blicke offenbar noch jemand zu suchen ...“
„Ich wette, es ist der lustige Herr Stadtschreiber,“ rief eine andre.
„und dann weiß ich auch, wen er sucht. Jungfer Lenchen, Ihr müßt Euch
einmal am Fenster zeigen, eher wird er sich nicht zufrieden geben.“
„Ich?“ fragte Magdalene errötend, „Ihr beliebt zu scherzen, Frau
Hallerin.“
„Ei, thut nur nicht so unwissend,“ lachte die junge Frau, „es weiß es
ja jeder, daß er Euch gar zu gern zur Frau Stadtschreiberin machte.“
„Wie mögt Ihr nur so sprechen,“ stotterte Magdalene, „Ihr wißt doch
-- -- ich bin ja längst -- -- wollet mich doch mit solchen Reden
verschonen, die mir wehthun, da ich mein Wort ....“
„Solltet Ihr wirklich immer noch an jenen jungen Gesellen denken,
Magdalene,“ fragte in strengem Ton eine ältere Frau, die Gattin des
gebietenden Bürgermeisters Friedrich Volkamer, „an jenen Adam Krafft,
welcher seine Vaterstadt vor langen Zeiten verließ, da Ihr noch ein
halbes Kind wart? ich kann Euch bei Euren Jahren kaum für so thöricht
halten.“
„Wir haben uns damals Treue versprochen, gestrenge Frau,“ erwiderte
Magdalene mit niedergeschlagenen Augen, „könnt Ihr es tadeln, wenn ich
mein Wort halte?“
„Gewiß nicht, solange man vernünftigerweise auf Adams Rückkehr rechnen
konnte, aber wie lange ist es denn her, seit er fortging?“
„Zwanzig Jahre werden es im nächsten Frühjahr,“ sagte Magdalene, und
ein schmerzliches Zucken spielte um ihren Mund.
„Zwanzig Jahre!“ rief die lebhafte Frau Hallerin, „lieber Himmel, da
war ich noch ein kleines Kind, das kaum gehen und sprechen konnte! Und
die ganze Zeit habt Ihr gewartet, Base Lenchen? Heilige Agathe, welche
Geduld -- mir wäre sie schon zehnmal gerissen! Und wie lange denkt Ihr
getreue Eva noch auf Euren Adam zu harren?“
„Bis er aus der Fremde zurückkehrt.“
„Und wenn er gar nicht kommt? wenn er längst gestorben ist, oder im
Auslande Euer vergessen und eine andre Frau genommen hat?“
„Das hat er sicher nicht gethan, -- und sollte er nicht mehr leben, so
hoffe ich ihn im Paradiese wiederzufinden.“
„Ihr seid eine Thörin, Magdalene,“ sagte die Volkamerin strenge, „hat
Euch das Leben denn gar so weich gebettet, daß Ihr hartnäckig an Eurer
gegenwärtigen Lage festhalten müßt? Mich dünkt, Ihr könntet froh sein,
wenn Euch einer eine geachtete Stellung und ein wohl eingerichtetes
Haus anböte, worin Ihr als Herrin walten könntet, statt daß Ihr jetzt
nur jedermanns gehorsame Dienerin seid.“
„Laßt mir die Base in Frieden,“ fiel Frau Ursula ein, indem sie
liebevoll den Arm um die Gescholtene legte, „wir alle haben sie
herzlich lieb, und unsre Kinder könnten die Muhme Lehne schlecht
entbehren.“
Magdalene drückte dankbar die Hand der Ebnerin und war froh, als
die Aufmerksamkeit der Frauen sich wieder auf die Vorgänge draußen
richtete. Die Kinder jauchzten laut auf, als jetzt ein lustiger Zug
um die Ecke bog, voran ein Pickelhering, der auf einem Esel ritt und
eine mächtige Narrenfahne schwang. Seine Kleidung schillerte in allen
Farben des Regenbogens; die Eselsohren auf der hohen Mütze, die dicke
Nase, der flatternde Spitzbart sahen gar lächerlich aus, und die
Glöckchen, die ihm an Ohren, Gürtel, Ellenbogen und Schnabelschuhen
befestigt waren und bei jedem Schritt seines Reittieres einen hellen
Ton gaben, erhöhten noch den drolligen Eindruck. Ihm folgte auf einem
niedrigen Wagen der Fasching selbst, eine Gestalt von unförmlicher
Dicke, umkränzt von Würsten, Schincken und Kürbisflaschen; hinterdrein
wurde auf einem Thronsessel sein Weib, die prächtig geputzte Fastnacht
getragen, welche aus einem riesigen Korbe Brezeln und Wecken unter
das jubilierende Volk streute. Ein lustiges Gesindel von Narren und
Masken umschwärmte den Zug; sie schlugen Purzelbäume, ließen ihre
Schellen klingen, rasselten mit den Trommeln, bliesen auf Trompeten und
Schalmeien, -- kurz, sie trieben jede Art von ausgelassenen Scherzen,
und in diesen betäubenden Lärm mischte sich das Jauchzen und Lachen der
zuschauenden Kinder.
„Wo steckt denn Euer Berthold, Ursula?“ fragte die Hallerin, „hat Euer
Gatte ihn mit sich auf die Straße genommen?“
„Mein Gatte? wo denkt Ihr hin!“ versetzte die Ebnerin achselzuckend,
„der sitzt in seinem Schreibgemach, wohin von dem ganzen Treiben auch
nicht ein Laut dringt. Ich schickte Berthold, auf seine Bitte, unter
der Obhut eines Dieners hinaus; ein junges Herz will doch auch seinen
Teil an der allgemeinen Lustigkeit haben.“
„Fast wundre ich mich, daß Euer gestrenger Herr es ihm gestattet hat,“
bemerkte die Volkamerin.
„Er hat es nicht verboten,“ versetzte Frau Ursula kurz und wendete das
Gespräch auf etwas anderes. Ihr war nicht ganz wohl zu Mut, denn sie
hatte die Erlaubnis ihres Eheherrn nicht eingeholt und sah nun schon
seit einer Weile unruhig nach Berthold aus. Wenn in der aufgeregten
Menge dem Knaben ein Leid zustieße! wenn er nicht zu rechter Zeit
zurückkehrte! sie wußte, daß der Hausherr dann unmutig die Stirn
runzeln und strenge Worte sprechen würde, und sie fürchtete die Zeichen
seines Unwillens noch mehr für ihren Sohn, als für sich selbst.
Wie würde sie gezittert haben, hätten ihre Blicke ein paar Straßen
weiter gereicht! Da war ein Bäuerlein, das auch an dem Faschingsjubel
seinen Teil haben wollte und dabei dem starken Nürnberger Biere mehr
als billig zugesprochen hatte; unsicher schwankte es durch die belebten
Gassen, und seine kleine Begleiterin hatte Mühe, seine Schritte
zu lenken und ihn vor unliebsamen Zusammenstößen zu bewahren. Mit
gütlichem Zureden und sanften Stößen hatte sie ihn endlich in ein
stilleres Gäßchen gedrängt, wo sie hoffen konnte, ungefährdet das Thor
zu erreichen, als plötzlich eine Rotte vermummter Buben den beiden
mit lautem Geschrei entgegenkam. Im Augenblick waren sie umringt; die
tolle Schar ließ ihren Übermut an dem halbberauschten Bauer aus, indem
sie ihn von rechts und links zupfte und stieß, und seine taumelnden
Versuche, sich seiner Peiniger zu erwehren, mit Hohngelächter
begleitete. Vergebens versuchte das Mädchen, dem Vater beizustehn, ein
großer Bursche drängte sie fort, riß ihr den Korb vom Arm und stürzte
ihn um, so daß sein Inhalt auf die Straße kollerte. „O meine Wecken!“
rief die Kleine jammernd, „ich wollte sie den Geschwistern mitbringen,
sie haben noch nie Weizengebacknes gegessen!“
„Die kleinen Dorfteufel mögen sich mit Haferbrot begnügen!“ schrie der
Bursche lachend, „die Wecken sind viel zu gut für das lumpige Gesindel,
die gebühren den Stadtkindern.“ Er wollte das Mädchen festhalten, doch
traf ihn unvermutet der Schlag einer Narrenpritsche ins Gesicht, so daß
er den Arm fahren ließ und sich dem Gegner zuwandte. Ein maskierter
Knabe, viel kleiner und schlanker als er selbst, stand vor ihm.
„Laß los!“ rief er dem Großen herrisch zu, „und du, kleine Dirne, lies
deine Wecken auf und mach’, daß du fortkommst, ich will dein Beschützer
sein.“
„Wie kommst du dazu, kleiner Knirps, so unhöflich um dich zu schlagen?“
fragte der große Bursche ärgerlich, „denkst du, ich werde mit dir viel
Federlesens machen?“
[Illustration: Berthold stürzte in ein offenes Haus ....]
„Komm nur heran,“ rief der kleine Ritter, indem er sich stolz in die
Brust warf, „ich nehme es mit jedem auf.“ Es bildeten sich sofort zwei
Parteien, die mit Pritschen und Fäusten aufeinander losgingen, aber
die Kräfte waren zu ungleich verteilt, und der tapfre kleine Mann sah
sich bald von seinen Helfern verlassen. Er erkannte, daß ihm nur ein
beschleunigter Rückzug übrig bliebe, wenn er nicht jämmerlich zerbläut
werden wollte, und so ergriff er eilends die Flucht. Flink und
geschmeidig wie er war, entkam er dem stärkeren Gegner und stürzte in
ein offenes Haus, auf dessen Schwelle eine Frau stand, welche, schnell
den Zusammenhang begreifend, die Thür ins Schloß warf. Der Knabe riß
die Larve vom glühenden Gesicht, in welchem die dunklen Augen vor
Aufregung blitzten. „Ich wäre nicht davon gelaufen, wenn ihrer nicht
so viele gewesen wären,“ rief er keuchend, „denkt nicht, daß Berthold
Ebner feige sei, gute Mutter!“
„Seid ohne Sorge, Junkerlein,“ lächelte die Frau, „Ihr mögt wohl
brave Streiche ausgeteilt haben, aber Ihr habt auch tüchtige Püffe
eingesteckt -- seht, da sickert Euch das helle Blut aus der Nase und
befleckt Euch das schmucke Habit.“
Sie führte ihn in die Küche und machte sich in mütterlicher Fürsorge
um ihn zu schaffen; dann, als sie sah, daß der Flüchtling müde zum
Umsinken war, stieß sie die Kammerthür auf und zeigte auf ein sauberes
Bett. „Legt Euch hin und ruht ein wenig, Junker; inzwischen wird es
ruhiger auf den Straßen, und Ihr könnt ungefährdet nach Hause gehn.“
Sie trat in das andere Zimmer ein, wo in einem großen Lehnstuhl, dicht
am Fenster, ein grauhaariger Mann saß. In kurzen Worten berichtete sie
ihm das kleine Abenteuer und setzte hinzu: „ein prächtiger Junge voll
Leben und Feuer, und denke dir, Alter, er heißt Ebner.“
„Ebner?“ fragte der Mann betroffen, „des Wilibalds Sohn?“
„Ich glaube wohl; es giebt nur den einen des Namens hier in Nürnberg.“
„Sonderbar!“ sagte der Alte, indem er nachdenklich das graue Haupt
hin- und herwiegte, „des Wilibalds Sohn in unserm Hause!“ Und die
beiden alten Leute versanken in tiefes Sinnen, in das sich mancherlei
schmerzliche Erinnerungen zu flechten schienen, denn die Frau fuhr
ein paarmal mit dem Zipfel der Schürze über die Augen, und über dem
freundlichen Gesicht des Mannes lag ein trüber Schatten.
Inzwischen war Just, der Diener, welcher Berthold begleiten sollte,
in tausend Ängsten durch die Straßen geirrt, um seinen jungen Herrn
zu suchen. Er war, wie er sich selbst zur Beruhigung sagte, nur für
einen einzigen Augenblick in eine Schenke getreten, um ein Maß Bier
hinabzustürzen, denn er fühlte sich schier verschmachtet vom langen
Umherlaufen, Gaffen und Lachen. Nun fuhr er auf jeden verlarvten
Knaben zu, um seinen Junker zu entdecken, aber er fand ihn nicht, und
vergebens gelobte er seinem Schutzpatron eine immer längere Reihe
von Gebeten, sogar eine Kerze für seinen Altar, wenn er ihm den
Ausreißer wieder in die Arme führe. Schon fing es an zu dämmern, und
er konnte sich denken, mit welcher Ungeduld die Frau Ratsherrin den
Sohn erwarten würde. Sie war zwar immer sanft und mild, aber diesmal
war die Sache doch zu ernst, und mit dem gestrengen Herrn war ohnehin
nicht zu scherzen, der fuhr immer gleich mit erschrecklichem Ernst
darein, obgleich er wenig Worte dabei machte. Als Just angstvoll nach
Hause schlich und vom Thorweg aus noch einmal seine suchenden Blicke
umherschickte, sah er eine kleine Gestalt auf sich zukommen, ohne
Kappe und mit wirrem Haar, das zierliche Narrenkleid zerrissen und
beschmutzt. Just stürzte auf den Knaben zu und hob ihn jubelnd in die
Höhe.
„Heiliger Sebaldus, sei tausendmal bedankt!“ rief er, „da ist mein
Junkerlein heil und gesund! Aber wo habt Ihr Euch umhergetrieben
und wie habt Ihr Euch zugerichtet? kann man auch nicht ein kurzes
Augenblickchen die Augen von Euch abwenden, ohne daß Ihr die größten
Dummheiten macht?“
„Ich erzähle es dir ein andermal,“ sagte Berthold gähnend und reckte
die Arme, als ob alle Glieder ihn schmerzten; „jetzt bin ich zu müde.“
Auf dem Vorsaal empfing ihn Muhme Lene. „Den Heiligen sei Dank, daß du
da bist,“ sagte sie inbrünstig, „deine Mutter hat sich sehr um dich
gesorgt.“
„Und der Herr Vater?“
„Der hat deine Abwesenheit noch gar nicht bemerkt.“
„Dann ist’s gut,“ sagte Berthold beruhigt, „die Herzmutter wird nicht
so arg zürnen, wenn sie hört, wie es mir ergangen ist.“ --
Am folgenden Tage beleuchtete die Sonne ein ganz andres Bild in den
Straßen der freien Reichsstadt. Verstummt waren Lachen, Lust und
Scherz, spurlos verschwunden die bunten Gestalten, die darin ihr tolles
Spiel getrieben. Ein dumpfes Schweigen schien auf allen Häusern zu
lasten, bis ernst und feierlich die Glocken von St. Sebald, St. Lorenz
und all den andern Kirchen zu läuten begannen. In einzelnen Gruppen,
die kaum miteinander flüsterten, in dunklen Gewändern und mit ernsten
Gesichtern, wandelten die Bürger mit Weib und Kind zu den Gotteshäusern
und warfen sich vor den verhüllten Altären auf die Kniee. Die Orgel
schwieg, nur hin und wieder unterbrach ein eintönig gesungener Bußpsalm
die drückende Stille. Dann erschien der Priester, mahnte in strengen
Worten zur Buße und Einkehr, zu Gebet und Kreuzigung des Fleisches und
streute die geweihte Asche auf die Häupter der Betenden. -- Auf den
Fastnachtsjubel war der Aschermittwoch gefolgt, welcher die lange,
ernste Fastenzeit einleitete.
Auch im Ebnerschen Hause herrschte volle Aschermittwochsstimmung. Just
war in die tiefste Ungnade gefallen; trübselig saß er in seiner Kammer
und murmelte die gelobten Gebete, die ihm sehr sauer wurden. Auch
Berthold wäre der Strafe für sein spätes Ausbleiben nicht entgangen,
hätte er sich nicht als Andenken an seine Rauferei ein Dutzend brauner
und blauer Flecke heimgebracht, bei deren Anblick die Strenge der
Mutter in weiches Mitleid zerschmolz. Und als er ihr erzählte, daß er
die Schläge bei der Verteidigung eines wehrlosen Mädchens erhalten
habe, da konnte sie vollends nicht mehr zürnen, sondern belohnte den
ritterlichen Kämpen mit Kuß und Lobspruch. -- --
Die Fastenzeit ging zu Ende; ihre ernste Bedeutung mußte sich selbst
einem stumpfen Gemüt durch die tägliche Entbehrung gewohnter Genüsse
einprägen. Nun rüstete sich alles, um das Osterfest mit Freuden zu
begehen, und in allen Häusern der Stadt gab es ein eifriges Waschen
und Scheuern, Putzen und Schmücken, Backen und Braten. Die letzten
Nachwehen des Winters waren überwunden, überall drängten sich Knospen
ans Licht, blühten die Veilchen, zwitscherten die Vögel -- Natur und
Menschheit waren in gleicher Weise bereit, ein Auferstehungsfest zu
feiern. Die Ostersonne ging in blendendem Glanze über der Reichsstadt
auf, von allen Türmen läuteten die Glocken, geputzte Menschen zogen
scharenweise, mit Gebetbüchern und frischen Sträußchen in den Händen,
den Kirchen zu, und wo sich Bekannte trafen, da grüßten sie sich mit
dem uralten, freudigen Ostergruß: „der Herr ist erstanden, er ist
wahrhaftig auferstanden!“ Überall sah man glückliche Gesichter, hörte
man frohe Stimmen, und am Nachmittage tummelten sich unzählige Gruppen
von Spaziergängern vor den Thoren und auf der Hallerwiese, deren
kunstreich angepflanzte Strauchpartieen im ersten, grünen Hauch des
Frühlings prangten.
Der zweite Feiertag brachte nach herkömmlicher Weise das Osterspiel,
das auf dem großen Platz hinter der Johanniskirche, vor dem Tiergärtner
Thor, zu Nutz und Frommen der Bevölkerung von der Geistlichkeit
aufgeführt wurde. Da drängte sich alles hinzu, Große und Kleine, Hohe
und Geringe; nur wenige Häupter der alten, städtischen Geschlechter,
unter ihnen Herr Wilibald Ebner, dünkten sich zu vornehm, um sich mit
ihren Frauen unter die Volksmenge zu mischen. So war denn Muhme Lene
allein mit Berthold hingegangen, um das Spiel anzusehn, das in seinen
Hauptzügen alt und feststehend war, aber in jedem Jahr durch neue
Zuthaten erweitert und verschönert wurde.
Ein riesiges Brettergerüst stellte die Bühne dar, denn dieselbe mußte
drei übereinander liegende Schauplätze umfassen, Himmel, Erde und
Hölle. Zuerst öffnete sich der Himmel: Gott Vater sitzt auf einem
Thron, von Engelscharen umgeben, zu seiner Seite halten die Erzengel
Michael und Gabriel die Wacht. In vollstimmigem Chor singen die
Himmlischen das Lob Gottes des Schöpfers und seines Sohnes, welcher
gerade auf Erden weilt, um das Werk der Erlösung zu vollbringen. Da
tritt Satanas ein; scheu und verlegen senkt er den Blick vor der
göttlichen Glorie; er bekennt, daß er sich vergebens bemüht habe,
den Gottessohn in Versuchung zu führen, daß jener ihn aber dreimal
siegreich aus dem Felde geschlagen habe, -- und von neuem brechen die
Engel in den Lobgesang zu Ehren Christi aus. Aber der Satan ist noch
nicht von seiner unantastbaren Heiligkeit überzeugt; der Menschenleib,
meinte er, müsse dem Teufel irgend eine schwache Stelle darbieten.
Gott Vater gestattet ihm, den Sohn aufs neue zu versuchen, ja, ihn zu
martern und zu töten, und froh der gewordenen Erlaubnis geht der Böse
von dannen.
Jetzt öffnet sich der mittlere Schauplatz, man sieht Christus, auf
einem Esel reitend, seinen Einzug in Jerusalem halten, jubelndes Volk
ringsum, das ihm die Kleider auf den Weg breitet und Palmen streut.
Die Jünger triumphieren über des Meisters Verherrlichung, nur Judas
schaut düster darein. Er bleibt allein zurück, und Satan flüstert ihm
den Gedanken des Verrats ins Ohr. Die nächste Scene zeigt Judas vor dem
hohen Rat, mit der Frage: was wollt Ihr mir geben, ich will ihn Euch
verraten. Es folgt eine Verhandlung voll derber Komik, ein Feilschen
und Handeln ohne Ende, denn selbst in ernster Darstellung verlangt
der Sinn des Volkes Stoff zum Lachen, und Judas ist gewissermaßen die
komische Person in diesem tragischen Spiel. Die Einsetzung des heiligen
Abendmahls, Christi Seelenkampf in Gethsemane, Judas’ Verrat und die
Gefangennehmung des Heilandes, sein Verhör und seine Verurteilung durch
Pilatus -- das alles entrollt sich in kurzen, erschütternden Bildern
vor den Augen der Menge, die bald in andächtigem Schweigen lauscht,
bald in lautes Gelächter, bald in Schluchzen und Thränen ausbricht.
Als der Vorhang von neuem aufgeht, sieht man die drei Kreuze
aufgerichtet. Die Getreuen umstehen den sterbenden Erlöser, die Trauer
der Maria bricht in ergreifender Klage aus: „O weh der Leiden, der Tod
will uns scheiden; Tod, nimm uns beide, daß er nicht allein zum Jammer
von mir scheide. Herzenskind, deine Augen sind dir so gar verblichen,
deine Macht und Kraft ist dir so gar entwichen! O weh, was soll ich
armes Weib, seit ich dich, liebes Kind mein, leiden sah so große Pein;
des sticht mich zu dieser Stund’ ein Schwert durch meines Herzens
Grund. Ach liebes Kind, sprich doch ein Wort, daß ich deine Mutter
bin! weh mir, er kann nicht, er ist dahin!“ Johannes will die Weinende
von der Stätte des Jammers fortführen, aber kaum ist sie entfernt, so
ertönt vom Kreuz herab der erschütternde Ruf: „Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?“ und mit dem Aufschrei: „O weh, ich hörte
einen Ruf, das war mein Kind Jesus, das in seinen Ängsten rief!“ eilt
Maria zurück, um auszuharren, bis mit dem Wort: „Es ist vollbracht!“
die Marter Christi ihr Ende erreicht hat. --
Es folgt eine längere Pause, denn man hat stundenlang gesehen und
zugehört und die heftigsten Gemütsbewegungen durchgemacht. Der Leib
macht seine Rechte geltend, man will essen und trinken, ehe man mehr
von der gewaltigen Geschichte in sich aufnimmt, aber keiner denkt
daran, den Platz zu verlassen, ehe das letzte Wort gesprochen ist.
Die nächste Scene spielt in der Hölle, die als ein groteskes Zerrbild
des Himmels erscheint. Satan sitzt in abschreckender Majestät auf
seinem Thron, seine Scharen um ihn her, deren komische Geberden und
derbe Späße mächtig auf das Zwerchfell der Zuschauer wirken. Der Böse
triumphiert, daß er durch seine Künste zwei Jünger zu Verrat und
Verleugnung verführt, den Sohn Gottes dem Tode überliefert und das Werk
der Erlösung vereitelt habe. Ein Haufe kleiner Teufelchen schleppt den
Judas herein, der in der Verzweiflung seinem Leben ein Ende gemacht
hat. Mit spöttischer Höflichkeit steigt Satan von seinem Throne und
bietet ihn dem Verräter an, der durch seine unerhörte Bosheit selbst
ihn übertroffen habe; dann aber giebt er den Seinen den Befehl, den
Unseligen zu martern und zu peinigen, und vor den Augen der Zuschauer
wird er in das ewige Feuer geworfen.
Wieder öffnet sich der mittlere Schauplatz, die Auferstehung stellt
sich den Blicken dar. Als Christus im leuchtend weißen Gewande den
Seinen erscheint, als die Jünger auf der Bühne den Lobgesang ertönen
lassen, da ergreift es die Menge mächtig, und wie aus einem Munde
stimmt sie ein in den Ostergesang:
„Christ ist erstanden
Von der Marter alle.
Des sollen wir alle froh sein,
Christe soll unser Trost sein.
Kyrie eleison!“
Den Schluß bildet die Himmelfahrt, Christus nimmt von den Seinen
Abschied und verschwindet vor ihren Augen; zu gleicher Zeit thut sich
oben der Himmel auf, wo die Engelscharen den verklärten Überwinder mit
Jauchzen und Preisen empfangen. Gott Vater eilt ihm entgegen und führt
ihn zu seinem Thron, wo er zu seiner Rechten Platz nimmt. Satan wird
hereingeführt; er sieht mit Entsetzen, daß all seine Anschläge zunichte
gemacht sind, bekennt sich als vollständig überwunden und stürzt mit
teuflischem Geheul von dannen. Ein Engelchor zum Preise Gottes und
seines Sohnes schließt das Spiel. --
Eine Weile verharrten die Zuschauer in andächtigem Schweigen, tief
ergriffen von allem, was sie mit erlebt; dann aber begann ein Summen
vieler Stimmen, ein Scharren unzähliger Füße, und in dichten Wogen
drängte die Menge aus den engen Sitzreihen ins Freie. Magdalene hielt
Berthold fest an der Hand, um ihn nicht zu verlieren; plötzlich sahen
sie vor sich eine alte Frau stolpern und zu Boden fallen. Von gleichem
Eifer getrieben, sprangen beide hinzu und halfen ihr aufstehen;
Magdalene schob ihren Arm in den der Alten, Berthold lehnte sich
fest an ihre andere Seite, und so führten sie dieselbe bis auf einen
etwas freieren Raum, wo sie sich hinsetzen und erholen konnte. „Es
ist die gute Alte, die mich zur Fastnacht so liebreich aufgenommen!“
rief Berthold mit Erstaunen, „wie schön, Mutter, daß ich Euch hier
wiederfinde; ich hatte Euch wahrhaftig ganz vergessen!“
„Ihr habt es heute wett gemacht, Junker,“ versetzte die Frau, „mich
freut’s daß Ihr mich wenigstens erkannt habt. Und ist dies Eure werte
Frau Mutter, die Gattin des Herrn Wilibald Ebner?“
„O nein, nein,“ rief der Knabe laut lachend, „das ist nur die Muhme
Lene; mein Mütterchen ist um einen Kopf größer und viel schöner und
vornehmer.“
Da die alte Frau noch zitterte und schwankte, erbot sich Magdalene,
sie heimzugeleiten; alle drei erreichten unter freundlichem Plaudern
das kleine Haus im Hundsgäßlein und traten zusammen ein. Das Stübchen
bot einen anheimelnden Anblick dar; alles glänzte von Sauberkeit und
Nettigkeit, am Fenster standen geweihte Palmen und Veilchen in Scherben
mit frischem Wasser, und auf seinem Platz im Lehnstuhl saß der alte
Mann, auf dem ehrwürdigen Kopf ein schwarzes Käppchen, unter dem sich
die silbergrauen Locken hervordrängten, die gefalteten Hände müßig
im Schoße; er mußte wohl guten Gedanken nachgehangen haben, denn auf
seinen Zügen lag es wie ein Hauch von Verklärung.
„Ist dir die Zeit sehr lang geworden, mein alter Andreas?“ fragte die
Frau in herzlichem Ton; „dem, der allein zu Hause sitzt, scheint sie
immer länger, als dem, der draußen viel Schönes zu sehen und zu hören
bekommt. Aber nun bringe ich dir auch liebe Gäste mit, die sich meiner
aufs gütigste angenommen haben.“
Der Alte rückte grüßend sein Käppchen und streckte beiden die Hände
entgegen. „Sieh da, unser kleiner Junker,“ sagte er herzlich, „seid
willkommen, ehrsame Frau, und verzeiht, wenn ich Euch sitzend begrüßen
muß, meine Füße gehorchen mir nicht mehr.“
„Wie traurig!“ sagte Magdalene voll Teilnahme, „seid Ihr schon lange so
hilflos, Vater?“
„Seit vier Jahren schon muß meine Eva mein Stab und meine Stütze sein,
-- dem Herrn sei Dank, daß er mir solch ein treffliches Weib geschenkt
hat! Seht, von unten bin ich zwar gelähmt, aber oben fehlt mir nichts,
Kopf und Augen sind klar, die Hände zu aller Arbeit tüchtig, -- das ist
eine große Gnadengabe meines himmlischen Vaters.“
„Und womit beschäftigt Ihr Euch vom Morgen bis zum Abend?“
„Der Tag ist mir stets zu kurz für das, was ich schaffen möchte; ich
zeichne Bilder, um die Bücher damit zu schmücken, und schneide sie in
Holz.“
„So seid Ihr ein Künstler, Meister? wollt Ihr mich etwas von Euren
Sachen sehen lassen?“
Er streckte den Arm aus und nahm vom Bord, der hinter ihm an der
Wand hinlief, einen dicken Band. „Seht,“ sagte er mit wohlgefälligem
Lächeln, „dies ist in schönem Druck die ganze Geschichte unsres
Heilandes, die habe ich mit vielen Tafeln verziert.“
Neugierig blickte Magdalene in das Buch, sie verstand etwas vom
Zeichnen, und ihre Neugier verwandelte sich bald in Staunen und
Bewunderung, denn was sie sah, stand hoch über den gewöhnlichen
Holzschnitten, mit denen man Gebetbücher und Heiligengeschichten zu
verzieren pflegte. „Wie schön!“ rief sie aus, „wie lieblich ist die
reine Magd Maria dargestellt, und wie leuchtet die Gottheit aus den
Augen des Kindes! Und wie herrlich ist diese Tafel, welche die Anbetung
der heiligen drei Könige zeigt!“
„Die ist nicht von mir entworfen,“ sagte der Alte, „sondern von einem
lieben, jungen Freunde -- wollte Gott, ich dürfte ihn noch einmal
wiedersehn! Er hatte herrliche Gaben, der Adam Krafft!“
„Adam Krafft!“ rief Magdalene in höchster Überraschung aus, „Ihr kennt
ihn? lebt er noch? wird er endlich zurückkehren? O sprecht, lieber
Meister, -- Ihr wißt nicht, was dieser Name in meinem Herzen für
Gedanken, Erinnerungen und Hoffnungen weckt, eine ganze Welt von Freud
und Leid!“
Der Alte sah sie fragend an, erstaunt über die plötzliche Heftigkeit,
die gegen ihr sonstiges, stilles Wesen seltsam abstach. „Solltet Ihr
die Magdalene sein, von der er einmal sprach?“ fragte er nachdenklich.
„So hat er von mir gesprochen? dachte er noch an mich? hat er mich lieb
behalten?“ drängte Magdalene, indem ihr die hellen Thränen in die Augen
traten, „o lieber Meister, erzählt mir alles ganz genau; seht, es sind
bald zwanzig Jahre, seit er seine Vaterstadt verließ, und seitdem hat
kein Sterbenswörtchen von ihm meine durstige Seele erquickt.“
„Ja, meine werte Jungfer,“ versetzte der alte Mann mit größter
Freundlichkeit, „viel Neues kann ich Euch auch nicht erzählen. Laßt
sehen, es sind wenigstens fünfzehn Jahre her, seit ich ihn da unten in
Venedig traf, denn ich war noch ein rüstiger Mann in der Blüte meines
Lebens. Viele schöne Stunden habe ich damals mit dem Adam verlebt, der
ein gar trefflicher, froher Geselle war, und manch artiges Bildchen
kann ich Euch zeigen, das er mir zum Andenken verehrt hat.“
„Heute ist’s zu spät,“ erwiderte Magdalene, indem sie sich zögernd
erhob, „die Base Ebnerin würde sich ängstigen, wenn wir so lange
ausblieben. Aber ich darf wiederkommen, Meister, nicht wahr? Ihr
erzählt mir dann alles von meinem Adam und zeigt mir jeden Strich von
seiner lieben Hand?“
„Gern, werte Jungfer, von Herzen gern. Meister Andreas Fiedler
und seine Eva werden Euch stets willkommen heißen, wenn Ihr unser
bescheidenes Häuschen für Euren Besuch nicht zu gering achtet.“
Von nun an verging selten eine Woche, in der Magdalene nicht bei
dem alten Paar eingekehrt wäre, und kam sie anfangs nur, um von
ihrem Adam zu hören und zu sprechen, so lernte sie bald die beiden
so hochschätzen, daß sie gern um ihrer selbst willen wiederkam.
Es herrschte solch ein seliger Friede in dem kleinen Hause, solche
ungetrübte Eintracht und eine lautere Frömmigkeit, welche gleichwohl
ein ganz andres Gepräge trug, als die der meisten andern Menschen. Nie
führten sie einen der zahllosen Heiligen im Munde, in deren Anrufung
und Verehrung damals fast die ganze Gottesfurcht der großen Menge
bestand, und die oft in ein abgöttisches Wesen ausartete. Als Magdalene
einmal eine Bemerkung darüber machte, erwiderte Meister Andreas
lächelnd: „Wozu soll ich mich bei den Dienern aufhalten, die doch auch
nur an der Thür meines Gottes stehen, während ich gradeswegs zu dem
Herrn hereingehen darf, der die Freundlichkeit und Leutseligkeit selbst
ist?“ Das gab dem Mädchen viel zu denken.
Auch Berthold, für den sonst Stillsitzen die schwerste Aufgabe war,
ging gern einmal mit zu den alten Leuten; die vielen Bilder, die der
Meister ihm zeigte, die schönen Geschichten, die er ihm dazu erzählte,
fesselte seinen lebhaften, unruhigen Sinn, und er wußte seiner Mutter
immer viel von dem kleinen Hause im Hundsgäßlein zu berichten. So kam
der Name Meister Fiedlers auch vor die Ohren des Herrn Wilibald Ebner,
der ein seltsames Gesicht dazu machte und zuerst geneigt schien, den
Verkehr zu verbieten. Doch besann er sich eines besseren und ließ die
Sache ungehindert ihren Weg gehen.
[Illustration]
Viertes Kapitel.
Die Tochter des Herrn von Maltheim.
O Sankt Lorenz, wer führt die unliebsamen Gäste ins Haus mir?
Heiliger! brächtest du doch schleunig sie wieder hinaus!
Über der Burg Maltheim lag heller Frühlingssonnenschein, der die
alten Mauern wunderbar verschönte und sich in den unzähligen, kleinen
Scheiben auf der Südseite behaglich spiegelte. Zwitschernde Schwalben
segelten mit weit ausgespannten, metallisch glänzenden Flügeln hin und
her, mit Strohhalmen und kleinen Zweigen im Schnabel, um die Nester
instandzusetzen, welche die Winterstürme arg zerzaust und beschädigt
hatten. Zwischen allen Ritzen sproßten frische, grüne Triebe hervor,
hier ein bescheidenes Blümchen, dort ein schlankes Bäumchen, das
unsicher im leisen Frühlingswinde hin und her schwankte, da seine
Wurzeln zwischen Mauersteinen und Felsspalten nur geringen Halt
fanden. Der Wald, der in einiger Entfernung die Burg umgab, hatte sein
zartestes Blätterkleid angelegt, wozu die dunklen Tannen eine wirksame
Verbrämung bildeten, und aus dem Burggärtchen drang der würzige Duft
blühender Obstbäume bis zu dem steinernen Altan hinauf, auf dem Herr
Werner von Maltheim mit seiner Familie den lieblichen Tag genoß.
Der Ritter saß im bequemen Hauskleide in einem Lehnstuhl, dessen
Behaglichkeit durch weiche Kissen und Decken noch erhöht worden war;
sein rechtes Bein, das mit Binden und Tüchern wohl verwahrt war, ruhte
lang ausgestreckt auf einem Schemel; neben ihm auf der steinernen
Balustrade stand ein Deckelkrug, aus dem er hin und wieder einen
mäßigen Schluck nahm. Der tapfere Herr sah lange nicht so rüstig und
unternehmend aus, wie einige Wochen früher; die frische Röte seines
Gesichts war ganz verblichen, und auf seiner Stirn hatten heftige
Schmerzen ihre unverkennbaren Furchen gezogen. Es war ihm auch
schlecht ergangen, denn er war wieder einmal seinem grimmigsten,
unversöhnlichsten Feinde erlegen, der ihn aus tückischem Hinterhalt zu
überfallen pflegte, wenn er am wenigsten an ihn dachte, und seine Tage
bei Jagden und Waffenspielen, die halben Nächte bei frohem Becherklang
durchschwärmt hatte. Das war die Gicht, die ihn dann überwältigte und
in schwere Fesseln schlug, und gegen diesen Feind half keine Tapferkeit
und kein Schwert, sondern nur Geduld und stilles Aushalten, im Verein
mit den Tränkchen und Kräuterbädern seiner Hausfrau, die sich auf
die Bereitung von Arzeneien trefflich verstand. Neben dem Ritter saß
Frau Kunigunde mit einer Arbeit in den fleißigen Händen, und um die
Eltern tummelten sich in heiterem Spiel Ulrich und Irmgard. Die Kleine
hatte sich seit dem Winter erfreulich entwickelt, sie lief sicher
umher, die dunklen Augen glänzten vor Vergnügen, die aschblonden
Löckchen ringelten sich üppig um das zarte Gesicht, das immer noch
eine auffallende Blässe zeigte. Zwischen den Geschwistern bestand
eine zärtliche Liebe, welche Ulrich zum gehorsamen Diener des kleinen
Fräuleins machte. Sobald seine Lehrstunden beendet waren, die Pater
Benedikt mit großem Ernst abhielt, eilte er zu Irmgard und suchte
sie in jeder Weise zu unterhalten; wenn aber einmal der gestrenge
Lehrmeister den Unterricht über die Gebühr ausdehnte, so klopften ein
paar weiche Händchen an die Thür der Bücherei, und der ungeduldige Ruf:
„Ulli, Ulli!“ schallte im Gange wieder.
Eine Schwalbe hielt in ihrem Fluge still, duckte sich auf der
steinernen Brustwehr nieder und schaute mit den klugen Äugelein die
Kinder an. Irmgard lief jauchzend auf sie zu und streckte die Hände
aus -- im Nu war der Vogel verschwunden. „Greif ihn, Ulli,“ rief sie
eifrig, „ich will ihn haben!“
„Viel verlangt, mein weißes Röslein,“ sagte er lachend, „gieb mir
Flügel, um mich in die Luft zu heben, auf zwei Füßen holt man die Vögel
nicht ein.“
„Greif ihn mir!“ bat sie dringender, und als er vor ihr niederkniete
und ihr sagte, daß er zu ungeschickt dazu sei, faßte sie in seine
blonden Locken und zauste so wacker darin, bis sie die Händchen voll
goldener Fäden hatte. Er ließ es sich ohne einen Schmerzenslaut
gefallen. „Ich will ein Netz aufstellen, kleine Herrin,“ sagte er
begütigend, „morgen sollst du den Vogel haben.“
Mit behaglichem Lächeln hatte Herr Werner den beiden eine Weile
zugesehen, jetzt versank er in ein tiefes Brüten. „Was sinnt Ihr,
lieber Herr?“ fragte Frau Kunigunde nach längerer Pause, „Ihr seht
nicht froh aus, schmerzt Euer Fuß Euch wieder?“
„Nein, das nicht,“ erwiderte er, „aber das lange Stillsitzen erzeugt
allerlei schwere Gedanken. Wenn ich diese alte Burg ansehe, die nun
bald vierhundert Jahre auf dieser Stelle steht, und in der eine lange
Reihe von Maltheims aus- und eingegangen ist, so muß ich mich fragen,
ob auch nach mir alles bleiben wird, wie es ist, und ob nach weiteren
vierhundert Jahren noch eine Spur meines Geschlechtes übrig sein wird.
Denn es ist eine böse Zeit angebrochen; vieles, was wir von den Vätern
überkommen haben, fängt an zu wanken, und das Neue will mir nicht
gefallen.“
„Aber es ist nicht immer so gewesen, lieber Herr? gerade diese Burg
kann es Euch lehren, das jedes Geschlecht neue Bedürfnisse hat und
seinem eignen Sinne folgt. Pater Benedikt hat mir erst kürzlich aus
alten Chroniken bewiesen, daß fast jeder Inhaber den Bau in einzelnen
Teilen umgestaltet hat, denn was dem Großvater noch ausreichend
erschien, das war dem Enkel nicht mehr schön und bequem genug. Wenn
jener Ritter von Maltheim und Buchenbühl, der den Ruhm seines Namens so
herrlich leuchten ließ, heute wiederkehrte, glaubt Ihr, er fände nicht
vieles anders, als er es verlassen hat; meint Ihr, er würde sich nicht
wundern über die Ansprüche seiner Nachkommen, die ihre Fenster mit Glas
verkleiden und das Feuer in Kachelöfen sperren, damit es besser wärme?“
„Pater Benedikt macht dich ja gewaltig klug, Gundel; ich muß wirklich
Respekt vor die haben,“ meinte der Ritter mit gutmütigem Spott. „Ihr
mögt auch wohl beide recht haben, -- dennoch, wenn ich Ulrich ansehe,
so weiß ich, daß er anders geartet ist, als ich oder mein Vater. Er
gleicht mehr den Männern deiner Sippe, unter denen mancher geistliche
Herr und Gelehrte war. Ja, wenn mein Friedrich noch lebte -- der wäre
wohl ein echter Maltheim geworden! Hat er doch, so jung er war, sein
Leben im ritterlichen Kampfe eingebüßt.“
In Frau Kunigundens Seele stieg eine eifersüchtige Regung auf; sie
liebte die Erinnerung an diesen Friedrich nicht, welcher ein Sohn
aus des Ritters erster Ehe gewesen war. Erst nach seinem Tode hatte
Herr Werner den zweiten Ehebund mit der bedeutend jüngeren Frau
geschlossen, welche anfangs schwere Tage verlebt hatte. Denn sie fand
eine erwachsene Tochter vor, die es gewohnt gewesen war, als Herrin auf
der Burg zu gebieten, und die sich nur widerwillig der Stiefmutter
beugte, welche wenig älter war als sie selbst. Es hatte sich zwischen
den beiden Frauen kein freundliches Verhältnis herstellen wollen;
beide hatten sich unglücklich gefühlt, und als der kecke Junker Veit
von Rotenhahn um Fräulein Walburg geworben, hatte sie ihm freudig
ihr Jawort gegeben, obgleich er nur ein heimatloser Abenteurer war,
der nirgend ein Fleckchen Erde sein eigen nannte, sondern von einem
Fürstenhof zum andern zog, um seine Dienste anzubieten. Der Ritter
von Maltheim hatte zuerst die Ehe nicht zugeben wollen, aber die
eigenwillige Tochter hatte ihm seine Zustimmung halb abgeschmeichelt,
halb abgetrotzt; die Hochzeit ward gefeiert, und das junge Paar zog von
dannen. Seit manchem Jahr hatte der Vater nichts von Walburg gehört,
und Frau Kunigunde hoffte im stillen, die störrische Hausgenossin nie
wiederzusehn.
„Komm her, Ulrich,“ sagte der Ritter, als Irmgard mit ihrer Wärterin
verschwunden war, „ich hab mit dir zu reden. Hast du schon einmal
ernstlich bedacht, Knabe, daß du der Erbe eines alten, herrlichen
Namens bist, und daß es deine heilige Pflicht ist, dich deiner
glorreichen Ahnen wert zu zeigen?“
Ulrich sah eine Weile sinnend vor sich hin, dann hob er den Blick mit
tiefem Ernst empor.
„Kann man nur mit dem Schwert den Ruhm erwerben, Herr Vater? und giebt
es für einen Edelmann nichts zu thun, als Schlachten zu schlagen?“
Der alte Ritter sah seinen Sohn ganz verblüfft an. „Wunderliche
Frage!“ brummte er, „wie willst du dich denn auszeichnen, wenn nicht
durch Tapferkeit, und wo willst du Ruhm erwerben, wenn nicht auf dem
Schlachtfelde? Sieh doch die Reihe unserer Vorfahren an, haben sie
nicht alle als Krieger und Helden geglänzt? Alle haben treu zu ihrem
Kaiser gehalten und wacker auf seine Feinde -- oder ihre eigenen
-- losgeschlagen; ich selbst habe im Gefolge meines tapfern Herrn,
des Markgrafen, wohl hundert Fehden ausfechten helfen, und man hat
mich deshalb oft das Schwert des Achilles genannt, -- wo findest
du ähnlichen Ruhm? Willst du ein Pfaffe werden und nach Inful und
Krummstab, oder gar nach Sankt Peters Stuhl trachten?“
„Nein, Vater,“ versetzte Ulrich, „ein Priester möchte ich nicht werden,
und eine Kutte will ich nicht tragen. Aber ich möchte etwas thun, um
die Menschen besser und glücklicher zu machen, um die Gerechtigkeit zur
Geltung zu bringen und die Wehrlosen gegen die Gewalt der Mächtigen
zu schützen. Pater Benedikt hat mir von den großen Universitäten zu
Padua und Bologna erzählt, wo man lernen kann, was Recht und Unrecht
ist; das möchte ich studieren und dann die Fürsten beraten, damit Mord,
Brand und Fehde aufhöre, und aller Streit fortan friedlich geschlichtet
werde.“
In sprachlosem Erstaunen hatte Herr Werner dem Knaben zugehört, der
mit leuchtenden Augen vor ihm stand; dann brach er zornig los: „Also
solche Hirngespinste setzt dir Pater Benedikt in den Kopf? Thörichtes
Geschwätz von Friede und Gerechtigkeit -- das Recht ist immer auf
Seiten des Stärkeren gewesen und wird es bleiben, solange die Erde
steht. Meinst du, der Krieg solle fortan mit Tinte und Feder geführt
werden, statt mit klingenden Waffen und frischem Dreinschlagen?
Heiliger Georg, bewahre mich vor solch einer faulen Welt! -- ich will
nichts mit ihr zu schaffen haben, und ich hoffe, es wird auch im
Paradiese noch Feinde geben, denen ich mit meinem guten Schwert zu
Leibe gehen kann. Es ist Zeit, daß ich dich von der Leitung des Pfaffen
befreie, er hat schon zu sehr jeden ritterlichen Funken in dir erstickt
-- Heiliger Kilian! muß mein einziger Erbe an adliger Gesinnung hinter
dem Sohne eines Krämers zurückstehen?“
Besänftigend legte Frau Kunigunde die Hand auf den Arm ihres Gatten.
„Erzürnt Euch nicht so sehr über seine kindischen Gedanken,“ sagte sie
bittend, „Ihr schadet Euch, lieber Herr. Ulrich ist ja noch so jung;
in seinem Kopf spiegeln die Dinge sich anders, als in Eurem erfahrnen
Blick, und er spricht wohl nur nach, was ihm der Pater vorgesagt hat.
Laßt ihn nur verständiger werden, dann werdet ihr sicher Freude an ihm
erleben.“
Des Ritters Gesicht zuckte in heftigem Schmerz. „Mein Fuß, mein
Fuß!“ stöhnte er, „o wie das bohrt und mich peinigt, als säßen
lauter boshafte Teufel darin! Geh mir aus den Augen, Knabe, deine
abgeschmackten Reden haben mich krank gemacht!“ Er lehnte sich bleich
und matt in seinen Stuhl zurück; schweigend verließ Ulrich den Altan.
Frau Kunigunde eilte ihrem Ehegemahl mit den gewohnten Linderungsmitteln
zu Hilfe und blieb bei ihm, auch, nachdem er sich von seinem Anfall
erholt hatte, obgleich ihr Herz sie unbeschreiblich zu ihrem Knaben
zog. Wie gern hätte sie ihn in ihre Arme genommen und getröstet,
wie gern ihm ganz leise zugeflüstert, daß sie immer stolz auf ihn
sein wolle, auch wenn er kein blutdürstiger Kriegsheld, sondern ein
Apostel des Friedens und der Gerechtigkeit würde! Stammte sie doch
selbst, wie ihr Gatte zuweilen mit einiger Geringschätzung hervorhob,
aus einem friedliebenden Hause, das von jeher Kunst und Wissenschaft
gepflegt hatte, warum sollte sie traurig sein, wenn ihr Sohn die besten
Eigenschaften ihrer Sippe erbte? --
[Illustration: Walburgs Heimkehr.]
Von der Zugbrücke her erscholl jetzt Pferdegetrappel und Rollen von
Rädern; bald darauf trat der alte Hausmeister aus der Halle. „Edler
Herr, ich melde ehrenwerte Gäste: Junker Veit von Rotenhahn mit seiner
Gemahlin und seinen Kindern wünscht Euch zu begrüßen.“
Frau Kunigunde legte die Hand aufs Herz, das plötzlich stillzustehen
schien. Walburg hier? all ihr Glück und häusliches Behagen drohte mit
einem Schlage in einen tiefen Abgrund zu versinken. Der Ritter richtete
sich lebhaft auf. „Meine Tochter? hat der gütige Himmel sie wieder
zurückgeführt? Geh, Daniel, und geleite sie zu mir, ich kann ihr ja
nicht entgegengehn, -- und du, liebes Weib, eile, die unverhofften
Gäste willkommen zu heißen.“
Mühsam faßte die Hausfrau sich so weit, um zu thun, was ihr Gatte und
ihre Pflicht geboten, aber schon standen die Ankömmlinge in der Halle,
und ohne der Mutter zu achten, stürmte Walburg, an jeder Hand einen
Knaben, an ihr vorüber. „Mein teurer Vater!“ rief sie, indem sie neben
dem Sessel des alten Herrn auf die Kniee sank, „da bin ich wieder
daheim! segnet Eure Tochter und Eure Enkel, die sich von Herzen gesehnt
haben, Euer geliebtes Antlitz zu schauen und Eure Hände zu küssen!“
Herr Werner war sehr gerührt durch diese gefühlvolle Anrede, er umarmte
Walburg und küßte die Knaben, zwei stämmige Burschen von acht und
zehn Jahren, welche etwas verdutzt dreinschauten und sich bei dieser
zärtlichen Scene offenbar sehr unbehaglich fühlten. Walburg überströmte
den Vater mit einer Flut von Versicherungen, wie schmerzlich sie ihn
all diese Jahre hindurch vermißt habe, wie glücklich sie sei, wieder
als Kind im Vaterhause leben zu dürfen, wie traurig es sie mache, ihn
so krank und hinfällig zu finden, wie sie aber alles aufbieten wolle,
um ihn zu pflegen und zu erheitern.
Mittlerweile hatte Frau Kunigunde den Junker Veit begrüßt, dessen
räuberartiges Aussehen ihr einen neuen Schrecken einflößte. Auf der
übermäßig schlanken Gestalt saß ein Kopf, dessen wachsgelbes Gesicht
mit den kleinen, unheimlich funkelnden Augen und dem rabenschwarzen
Zwickelbart einen fast dämonischen Eindruck machte. Seine Kleidung
war ritterlich, trug aber unverkennbare Spuren langen Gebrauchs: die
Halskrause hing welk und matt über das arg verschossene, rote Samtwams
herab, der kurze Mantel zeigte manchen Riß, der nur unvollkommen
geflickt war, und die Federn des Baretts senkten sich, wie geknickte
Blumen, traurig hernieder. Auch Frau Walburgs Anzug zeigte nur noch
Überreste ehemaligen Glanzes; das Kleid war von kostbarem Stoff, aber
stark abgetragen, und in der Pelzverbrämung ihres Überwurfs schienen
die Motten manches ungestörte Fest gefeiert zu haben. Sie sah viel
älter aus, als ihre Stiefmutter, und so holdselig sie jetzt auch
lächelte, so waren doch in ihren Zügen die Spuren von Leidenschaft und
Trübsal unschwer zu erkennen.
Nachdem die ersten Begrüßungen vorüber waren, sagte Frau Kunigunde, sie
wolle nun gehen, um den Reisenden Imbiß und Nachtlager zu bereiten,
zuvor aber bat sie den Gatten, sich von ihr in die Halle führen zu
lassen, damit die kühlere Luft ihm keinen Schaden thäte. „Geht nur an
Eure Geschäfte, Frau Mutter,“ rief Walburg eifrig, „wir wollen für
des geliebten Vaters Bequemlichkeit schon sorgen; es soll ihm sicher
an nichts fehlen, nun ich wieder zu Hause bin.“ Der Ritter nickte ihr
freundlich zu und nannte sie sein gutes, treues Kind; Frau Kunigunde
aber ging mit einem bittern Gefühl von dannen. Kaum eine Stunde war
Walburg im Hause, und schon suchte dieselbe sie aus ihren heiligsten
Rechten und Pflichten zu verdrängen; durfte sie das dulden, mußte sie
nicht vom ersten Augenblick an ihr gutes Recht als Gattin und Hausfrau
verteidigen? Aber dann gab es Zank und Streit ohne Ende, vor dem ihr
friedliebender Sinn zurückschreckte, -- nein, lieber wollte sie eine
Weile in der Stille dulden und jede Pflicht der Gastlichkeit erfüllen;
vielleicht befreiten die Heiligen sie dann eher von den lästigen
Gästen. Sie beugte einen Augenblick das Knie vor dem Muttergottesbild
in ihrem Gemach, benetzte Stirn und Brust mit geweihtem Wasser und ging
mit besserem Mut an ihre häuslichen Anordnungen.
Nach eingenommener Mahlzeit scharte die Familie sich um den Ofen, in
dem ein tüchtiges Feuer angezündet worden war, denn so schön der Tag
gewesen, so kühl wurde der Abend. Frau Kunigunde hatte vollkommen
recht gehabt, wenn sie meinte, der berühmte Ahnherr des Hauses, Herr
Diether von Maltheim und Buchenbühl, würde seine Burg sehr verändert
finden, wenn er aus zweihundertjährigem Todesschlaf erwachen und sein
Haus heimsuchen sollte. Die Halle war zwar in ihren Mauern dieselbe
geblieben, aber die Einrichtung war viel wohnlicher geworden: statt
der offnen Kamine erwärmte ein riesiger Kachelofen den weiten Raum,
und die verglasten Fenster wehrten dem Winde, dem Schnee und Regen den
Eingang. Um den langen Tisch in der Mitte sammelten sich auch jetzt
noch, nach alter Sitte, Herrschaft und Gesinde zur Mahlzeit, danach
aber verließ die Dienerschaft die Halle, welche nur der Familie und
den Gästen zum Aufenthalt diente. Die Wände waren sauber getüncht und
mit kunstreich zusammengestellten Waffen und Jagdtrophäen verziert,
in hohen Schränken bewahrte man die kriegerische Ausrüstung für die
Burgmannen. Auf einem breiten Kredenztisch mit hohen Borden glänzte
manch schönes Stück kostbaren Gerätes, und die Bänke, welche sich um
den Ofen an der Wand hinzogen, waren weich gepolstert und mit bunten
Decken verhüllt. Auch sonst war im Laufe der Zeit manche Veränderung
eingetreten: die Frauengemächer waren aus dem Nebenhause in das obere
Stockwerk verlegt, breitere Treppen führten hinauf, zahlreichere
Fenster sorgten für mehr Licht und Luft. Die Knechte waren in den
Flügel verwiesen, der einst zur Kemenate gedient hatte, doch war eine
bessere Verbindung der einzelnen Gebäude hergestellt, -- kurz überall
zeigten sich Spuren des Fortschritts, Anzeichen, daß die Menschen einen
höheren Wert, als früher, auf ihre Heimstätte legten und bemüht waren,
dieselbe mit größerer Behaglichkeit auszustatten.
Der Hausmeister hatte einen schweren Eichentisch nahe an den Ofen
geschoben und eine frische Kanne schäumenden Bieres nebst hölzernen
Bechern daraufgesetzt. „Nein, Gundel,“ rief der Ritter, „heute mußt du
mit ein paar Flaschen firnen Weines herausrücken; die Rückkehr meiner
lieben Kinder wollen wir mit einem köstlicheren Trunk feiern, als
dieser ist.“
„Wie gern nehme ich unsre Gäste mit dem Besten auf, was das Haus
bietet,“ versetzte Frau Kunigunde zögernd, „doch bedenkt, lieber Herr,
-- versprecht mir -- Ihr wißt, daß Wein für Euren kranken Fuß Gift ist.“
„Seid ohne Sorge, Frau Mutter,“ fiel Walburg spöttisch ein; „die Freude
ist die beste Arznei für den Kranken, und was er aus Freuden thut, wird
ihm niemals schaden. Armer Herr Vater, Ihr habt ein gar zu trauriges
Leben geführt, dabei kann niemand gesunden. Aber das soll nun alles
anders werden!“
Bald stand der Wein auf dem Tische, die silbernen Becher klangen
grüßend aneinander. „Und nun erzählt uns von Eurem Leben in diesen
zehn Jahren, Veit,“ rief Herr Werner frohgelaunt, „weiß ich doch nichts
von Euch, seit Ihr meine herzliebe Tochter in die weite Ferne entführt
habt.“
Junker Veit that einen tiefen Zug und begann zu erzählen, -- man
konnte im Zweifel sein, was er besser verstünde, das Flunkern oder das
Zechen, denn in beidem erschien er als Meister. Er hatte jahrelang
in ungarischen Diensten gestanden, und wenn man ihm zuhörte, mußte
man denken, alle Geschicke Ungarns wären von ihm geleitet worden,
seine Kühnheit hätte dem glänzenden Matthias Corvinus auf den
Königsthron geholfen, sein tapferes Schwert in unzähligen Schlachten
die hereinstürmenden Türken von den Grenzen des Reichs zurückgedrängt,
sein scharfer Blick Verschwörungen entdeckt und vereitelt. Frau Walburg
unterstützte den Bericht ihres Eheherrn durch eingestreute Bemerkungen
über die Ehrenbezeigungen, mit welchen man denselben am ungarischen
Hofe überhäuft, und an denen auch sie vollen Teil gehabt habe, über
die reiche Beute, welche er aus den Türkenkriegen heimgebracht, und
erging sich in prunkenden Beschreibungen des Glanzes, in welchem sie
dort gelebt hätten. „Warum habt ihr denn diesen Schauplatz der Ehren
verlassen?“ fragte Frau Kunigunde trocken.
„Mich zog es unwiderstehlich zu dem teuren Vater und der geliebten
Heimat zurück,“ erwiderte Walburg, indem sie zärtlich des Ritters Hand
drückte, „und ich ließ meinem Gatten keine Ruhe, bis er mich aus dem
Prunk der großen Welt wieder in diese liebliche Stille geführt hatte.“
„Mich trieb auch noch ein anderer Grund von dannen,“ sagte Junker Veit
mit zwinkernden Augen, indem er den langen Zwickelbart strich; „so
lange König Matthias meinen Arm gegen die Türken gebrauchte, stand ich
ihm gern zu Diensten, als er sich aber gegen die Kaiserliche Majestät
von Deutschland wendete, als er Kaiser Friedrich aus seiner eignen
Residenz vertrieb -- da empörte sich mein deutsches Herz, und ich sagte
ihm den Gehorsam auf. Glaubt mir, Herr Vater, es war mir ein tiefer
Kummer, als wir auf unserm Wege dem Kaiser begegneten, der als ein
Flüchtling mit einem Gespann Ochsen seine Straße dahinzog und an einer
Klosterpforte um Zehrung und Obdach bat.“
„Ihr seid ein wackerer Mann, Veit von Rotenhahn,“ rief Herr Werner
herzlich und schüttelte die Hand des schlauen Erzählers mit kräftigem
Druck; „Ihr habt recht gethan, denn wenn auch Friedrich wenig
königliche Größe zeigt, so bleibt er doch immer unser Herr, und
mein Geschlecht hat sich stets durch seine Treue gegen den Kaiser
hervorgethan. Mir ist es lieb, daß auch mein Eidam solche Gesinnung
hegt und bewährt.“
Es war schon spät am Abend, als man sich trennte; Balduin und Emmo, die
beiden Söhne der Rotenhahns, lagen längst in einem Winkel der Halle in
tiefem Schlaf. Aber Frau Kunigunde blieb auf ihrem Lager noch lange
wach, ihr Herz war tief bedrückt, und sie sah schweren Tagen entgegen.
Am nächsten Morgen fühlte Herr Werner sich kräftiger, als seit
langer Zeit; er hob es rühmend hervor, wie wohl ihm die Freude des
Wiedersehens und der gute Wein gethan hätten, und Walburg triumphierte.
Mit Ulrich that sie überaus freundlich und empfahl ihm ihre lieben
Söhnlein als gute Spielkameraden; als aber Irmgard hereinkam, nahm ihr
Gesicht den Ausdruck unangenehmer Überraschung an. „Ich wußte nicht,
daß Ihr noch solch ein ungefiedertes Vöglein im Nest habt, Herr Vater,“
sagte sie spöttisch. „Aber wie bleich und krank es aussieht! schwerlich
werdet Ihr es aufwachsen sehen!“
„Du irrst, meine Tochter,“ versetzte der Ritter, „dies Kind steht
unter besonderer Obhut der heiligen Jungfrau, die es sicher nicht dazu
vom Tode errettet hat, damit es uns noch einmal entrissen werde. Seit
jener schweren Krankheit ist es so blaß geblieben, aber es ist trotzdem
frisch und gesund.“
„Seltsam!“ sagte Walburg, welche die Kleine aufmerksam betrachtete,
„ihre Züge zeigen nicht die geringste Ähnlichkeit, weder mit Euch, Herr
Vater, noch mit Eurer Gattin. Man könnte glauben, Ihr hättet einen
Findling in Euer Haus aufgenommen.“
Frau Kunigunde schlang ihren Arm um Irmgard, als müßte sie sie
schützen. „Ich weiß nicht, wie Ihr so reden mögt, Walburg,“ versetzte
sie mit zitternder Stimme, „das Kind hat ein Maltheim’sches Gesicht:
dunkle Augen und helles Haar, grade wie Euer Vater, als er noch jung
war.“
„Meint Ihr, Frau Mutter?“ fragte Walburg in scharfem Ton, „mich
dünkt, es gehören ganz besondere Augen dazu, um solche Ähnlichkeit zu
finden.“ --
Frau Kunigundens bange Ahnung erwies sich als nur zu gut begründet:
böse Wochen zogen an Burg Maltheim vorüber. Nach kurzer, scheinbarer
Genesung warf ein heftiger Rückfall den Ritter in sein altes Leiden
zurück: stöhnend lag er auf seinem Lager, wollte niemand sehen und
ließ alle seine Schmerzen und seine üble Laune an seiner getreuen
Gattin aus, der jetzt keiner mehr die Pflege des Kranken streitig
machte.
Unterdessen wurden die Gäste mit jedem Tage anmaßender und
anspruchsvoller. „Ihr helft uns wohl mit ein wenig Wäsche und
Kleidern aus, bis unsre Packwagen nachkommen,“ sagte Walburg kühl und
durchstöberte rücksichtslos die wohl geordneten Truhen der Hausfrau,
denen sie alles entnahm, was ihr und den Ihrigen nützlich sein konnte.
Das Zurückgeben machte ihr wenig Sorge; die Wagen kamen nicht, und die
Seelenruhe, mit der das Ehepaar die verspätete Ankunft seiner Habe
erwartete, ließ schließen, daß dieselbe nie von Ungarn abgegangen
sei. Junker Veit ritt indessen Herrn Werners Pferde, jagte mit seinen
Hunden, trank seine Weine und zankte sich mit seinem Hausmeister, wenn
dieser ihm nicht in allen Stücken zu Willen war. Emmo und Balduin waren
zwei Rangen, die in schrankenloser Freiheit aufgewachsen waren; von
ihrer Mutter abwechselnd gehätschelt und beiseite geschoben, von ihrem
Vater kaum beachtet, waren Junker Veits kräftige Fäuste das einzige,
wovor sie Respekt hatten, denn die pflegten freilich, wo sie zugriffen,
auch deutliche Spuren zu hinterlassen. Ulrich ging den Vettern, so weit
wie möglich, aus dem Wege; ihre rohen Scherze flößten ihm unendlichen
Widerwillen ein, und er widmete sich mit größerem Eifer, als je, den
Lehrstunden bei Pater Benedikt; Irmgard weinte, sobald sie die wilden
Buben sah, und die weibliche Dienerschaft befand sich stets im Zustande
der Empörung wider die Knaben, die keinen Hund und keine Katze, kein
Huhn und keine Ente schonten, und an Menschen und Tieren ihre boshaften
Streiche ausübten.
Und wie die Herren, so die Diener; der schwarze Janko und der lahme
Miklos, zwei echte Heiducken aus den innersten Steppen Ungarns, waren
in der Gesindestube bald ebenso ungern gesehen, wie ihre Gebieter in
der Halle: sie stahlen wie die Raben, logen, als würden sie dafür
bezahlt, fluchten in ihrem fremdländischen Kauderwelsch ganz lästerlich
und ließen bei jedem Streit die scharfen Klingen ihrer langen Messer
zwischen den Fingern blitzen, so daß der alte Daniel seine liebe Not
damit hatte, Ruhe und Frieden unter der Dienerschaft aufrecht zu
halten. So kam es, daß kaum ein Tag verging, an dem nicht der Wunsch,
die lästigen Eindringlinge los zu werden, auf aller Lippen gelegen
hätte.
Walburg saß in der tiefen Fensternische ihres Gemaches und zog mit
langen Stichen die Risse in den Wämsern ihrer hoffnungsvollen
Sprößlinge zusammen, als Junker Veit eintrat und sich laut gähnend
auf sein Lager warf. Er beschäftigte sich eine Weile damit, ein schön
gesticktes Kissen auf der Spitze seines langen Dolches tanzen zu
lassen, wobei es ihn wenig kümmerte, wenn dieser das Zeug durchschnitt
und die Federn herausstäubten. „Ich habe es satt, hier noch länger den
Tugendhaften zu spielen,“ brummte er endlich unwirsch, „die Langeweile
tötet mich.“
„Besser die Langeweile, als der Hunger oder der Strang,“ versetzte
seine Gattin; „du weißt am besten, wie nahe dir beides war.“
„Hexe!“ murmelte er und warf ihr einen stechenden Blick zu. „Strenge
dein Hirn an, einen andern Plan auszusinnen; in diesem öden Nest mag
ich nicht länger bleiben.“
„So geh deiner Wege, wohin du willst; glaubst du, Frau Kunigunde werde
dich fußfällig bitten, zu bleiben? sie ist unser längst überdrüssig,
und der Alte auch; deine schön aufgeputzten Lügen konnten es ihm doch
nicht lange verhehlen, welch ein Erzschelm dahinter steckt.“
„Weib, reize mich nicht!“ rief Veit grollend, „ich bin nicht in der
Laune für Sticheleien.“
„Nur gemach, lieber Herr,“ sagte Walburg, „seid nur nicht gleich so
hitzig, sondern laßt uns vernünftig über die Sache reden; was begehrt
Ihr eigentlich von mir?“
„Ich wollte dir auch raten, verständig zu sein,“ brummte er. -- „Sage
deinem Alten, er solle uns ein Schlößchen geben, in dem wir unsre
eignen Herren sind, -- ich bin es müde, mir jeden Trunk Wein vom alten
Daniel zu erbitten.“
„Und wovon sollen wir dort leben? Willst du ein Bauer werden und die
Scholle beackern, damit wir Brotkorn gewinnen?“
„Weit gefehlt! Gieb mir nur eine Landstraße zu ritterlichem Erwerb; ein
einziger, glücklicher Fang eines Nürnberger Krämerzuges macht uns für
viele Wochen satt.“
„Ich will es versuchen,“ sagte Walburg nach kurzem Besinnen, „aber dann
gieb auch zu, daß ich dein kluges, wackres Weib bin, das du gar nicht
entbehren kannst.“
„Meinetwegen,“ versetzte Veit nachlässig, „du bist die schlechteste
nicht, nur deine Zunge ist allzu spitz und giftig, und das macht mich
manchmal wütend; halte sie besser im Zaum.“
Die Wünsche der Rotenhahns fanden bei dem Ritter ein willigeres Ohr,
als jene erwartet hatten; selbst er hatte allmählich eingesehen, daß
ein längeres Zusammenleben keinem zum Heil gereichen würde. Er besaß
außer Maltheim noch Hohenheiligen, dessen Flur er an Herrn Ebner
verpfändet hatte, doch gehörte die alte Burg nicht in das Pfandlehen
hinein. Freilich war sie in der großen Nürnberger Fehde arg verwüstet
und teilweise niedergebrannt worden, aber ein Flügel stand noch
und ließ sich mit geringem Aufwand bewohnbar machen. Junker Veit
ritt hinüber und fand die Lage günstig; die Burg stand am Rande des
Reichswaldes, der den dürren Sandboden um Nürnberg auf Meilen weit
bedeckte; bis zur Heerstraße war es nur ein mäßiger Ritt. Er sah im
Geiste schon die langen Warenzüge der reichsstädtischen Kaufleute dort
vorübergehn und in seine Hände fallen; in bester Stimmung rüstete er
sich zum Umzuge.
An einem sonnigen Morgen brach die Familie mit Janko und Miklos auf,
ein schwer beladener Packwagen mit dem nötigsten Hausrat begleitete
sie. Der Tag ward von den Bewohnern von Maltheim als ein Freudenfest
begangen, aber von niemand mehr, als von Frau Kunigunde und Ulrich.
Mehr als einmal sahen sich die Mägde verstohlen lächelnd und
verständnisvoll an, wenn aus dem Munde der Edelfrau, mitten unter ihren
häuslichen Beschäftigungen, singende Töne hervorbrachen, als könne sie
die Freude ihres Herzens gar nicht unterdrücken. Abends kam Ulrich
freudestrahlend zum Ritter. „Denkt nur, Herr Vater, heute habe ich
drei Spatzen im Fluge mit dem Bolzen erlegt; Lukas sagt, es sei ein
Meisterschuß.“
„Sieh da, mein Knabe,“ sagte Herr Werner angenehm überrascht, „treibst
du auch ritterliche Künste neben der Büchergelehrsamkeit?“
„Ei freilich, Herr Vater; ich habe mich fleißig im Schießen geübt, ich
möchte alles lernen, was Euch wohlgefällt.“
„Das ist brav, mein Junge,“ versetzte der Alte und strich ihm
freundlich über die langen Locken, „vergiß es nie, daß du der Sproß
eines der edelsten Häuser im Frankenlande bist.“ --
So waren Ruhe und Frieden wieder in Maltheim eingekehrt, die auch der
Ritter wohlthuend empfand, obgleich er nichts darüber sagte. Junker
Veit ließ sich selten blicken, und wenn Walburg auch zuweilen zum
Besuch herüberkam -- sie that es nur, wenn die Not sie trieb, und hatte
stets eine Menge von Wünschen vorzubringen --, so ließ sich das schon
ertragen, denn es war doch immer ein baldiges Ende abzusehn.
[Illustration]
Fünftes Kapitel.
Das letzte Opfer.
Über der zitternden Stadt schwingt ihre Geißel die Seuche,
Folget dem Flüchtling selbst bis in das sichre Asyl.
Der Sommer war vorüber, er hatte den Nürnbergern nur wenige ungetrübte
Tage gebracht. Drückende Schwüle, heftige Gewitter und viel Regen
hatten miteinander abgewechselt, und mühsam hatte man die Ernte von
den Feldern eingebracht, die unter solchen Umständen keine reiche
und erfreuliche sein konnte. Unter den wohlhabenderen Reichsstädtern
war kaum einer, der nicht ein ländliches Grundstück besessen hätte,
die kleineren Bürger hatten wenigstens ein Stückchen Land gepachtet
oder zu eigen, worauf sie ihren Kohl und etwas Korn bauten; daher
war auch in der Stadt die Mehrzahl der Einwohner an dem Ertrage des
Feldbaus unmittelbar beteiligt. -- Auch der Herbst schien es nicht
besser im Sinn zu haben, als der Sommer; keine Woche verging, in der
nicht gewaltige Regengüsse herabgestürzt wären und die Straßen in
Bäche verwandelt hätten, aus denen die großen Steine des Bürgersteiges
wie Inselchen hervorguckten. Nachts ließen sich am Himmel allerlei
merkwürdige Zeichen sehen, ungewöhnliche Konstellationen der Sterne,
welche die Eingeweihten sehr bedenklich machen; alte, erfahrne
Leute schüttelten bedeutungsvoll die Köpfe und sprachen in düsterem
Prophetenton von Pestilenz und teurer Zeit, wohl gar von einem Kriege
mit dem Türken. Die Erfüllung dieser bösen Anzeichen ließ auch nicht
lange auf sich warten, die Preise stiegen infolge der mangelhaften
Ernte sehr hoch, und im November fing man an zu munkeln, daß hier und
da in den ärmeren Stadtteilen ein Fall von Pest vorgekommen sei. Man
suchte anfangs diese traurige Thatsache möglichst geheim zu halten;
als aber im Februar die Kälte nachließ und Tauwetter eintrat, als über
dem durchweichten Erdboden eine dicke, schwere Nebelluft lagerte und
giftige Dünste aufstiegen, -- da konnte kein Zweifel mehr sein: die
Pest herrschte in Nürnberg und forderte täglich ihre Opfer, die sie
bald nicht allein aus den Reihen der Armen und Geringen, sondern auch
aus den Häusern der Reichen und Vornehmen wählte.
Eines Morgens ward zu ungewöhnlich früher Stunde an die Thür des
Ebnerhauses gepocht: Jungfer Magdalene Löffelholzin stand davor, ein
großes Bündel im Arm; sie sah bleich und verstört aus. „Ihr bringt
schlimme Kunde, Base Lene!“ rief ihr Frau Ursula erschrocken entgegen,
„was ist Euch begegnet?“
„Die Pest ist bei uns eingekehrt,“ versetzte sie mit zitternden Lippen,
„ich sprach gestern noch mit meiner Wirtin und gab ihr etwas zur
Stärkung für ihren kranken Mann, -- heute sind beide tot, die Magd ist
fortgelaufen -- mir graute in dem öden Hause -- wollt Ihr mich gütig
bei Euch aufnehmen?“
„Gern, Base Lene; wie oft habe ich es Euch schon angeboten, aber Ihr
wolltet ja durchaus Euer eigner Herr bleiben. Ihr wißt, Euer Stübchen
oben im Giebel steht immer für Euch bereit. Legt schnell Haube und
Mantel ab, ein warmes Süpplein wird Euch wohlthun.“
Eben trug die Magd die dampfende Morgensuppe auf und stellte Brot, Eier
und Speck daneben; eine Glocke rief die Hausgenossen zum Frühstück
zusammen. Am oberen Ende der langen Tafel saß der Hausherr, zu seiner
Rechten die etwaigen Gäste, links die Kinder und die Hausfrau. Weiter
abwärts schlossen sich die Schreiber und Lehrlinge der Handlung,
die Knechte und Mägde des Hauses an; alle standen ehrerbietig mit
gefalteten Händen hinter ihren Stühlen, bis Berthold das Gratias
gesprochen und die Herrschaft sich niedergesetzt hatte. Es wurde
wenig gesprochen; wen der Herr oder die Frau nicht anredete, der that
seinen Mund nicht auf, aber es ward tüchtig und ohne Scheu gegessen,
und die großen Schüsseln gingen fleißig von Hand zu Hand. Erst, als
die Hausgenossen mit einem „Gesegne es Gott!“ sich entfernt hatten,
erzählte Magdalene Herrn Wilibald, was sie so früh hierher getrieben.
„Mein Haus, Jungfer Base, steht Euch allezeit offen,“ sagte er mit
ernster Freundlichkeit, „aber wie lange wird es noch eine Sicherheit
gegen die Seuche darbieten? Wenn es so fortgeht, muß ich die Meinen
fortschicken, doch wo sie bleiben, wird es auch für Euch einen Platz
geben.“
Schon nach wenigen Tagen teilte Herr Ebner seiner Gattin mit, daß er
einen Boten nach dem Annenhof geschickt habe, um die alte Crescenz auf
ihr Kommen vorzubereiten; sie möge so bald als möglich sich und die
Kinder für eine längere Abwesenheit in Bereitschaft setzen. „Und Ihr
wollt allein in der verpesteten Stadt bleiben, lieber Herr?“ fragte
Ursula angstvoll; „o ich bitte Euch, kommt mit uns hinaus, ich verginge
vor Angst, wüßte ich Euch hier der Gefahr ausgesetzt.“
„Ich muß als Ratsherr auf meinem Posten bleiben und in schweren Zeiten
das Wohl der Stadt zu hüten suchen,“ versetzte Ebner ernst; „ich
kann so wenig fort, wie ein Hauptmann sein Fähnlein in der Schlacht
verlassen darf.“
Sie sah mit einem Ausdruck scheuer Ehrfurcht zu dem älteren Manne auf,
der immer so hoch über ihr zu stehen schien; hätte sie nur die Arme um
seinen Hals schlingen und ihm alles sagen dürfen, was sie fühlte --
aber sein kühles, gemessenes Wesen scheuchte die warme Empfindung immer
unausgesprochen zurück in die Tiefen ihres Herzens. „Wer soll hier für
Euch sorgen, teurer Herr?“ fragte sie niedergeschlagen, „wem kann ich
das Vertrauen schenken, daß er in solcher Zeit alles Nötige für Euer
Behagen thun wird?“
„Unsre alte Brigitte ist eine brave, zuverlässige Magd, sie wird es mir
sicher an nichts fehlen lassen.“
„Es soll alles geschehen, wie Ihr es befehlt, lieber Herr,“ sagte
Ursula nach kurzer Überlegung; „ich beuge mich Eurem Willen und Eurer
Einsicht, die gewiß auf unser Bestes bedacht sind.“
„Du thust recht daran, liebes Weib,“ erwiderte er mit einem
freundlichen Blick; „du kannst sicher sein, daß das Wohl meiner Familie
mir bei Tag und Nacht am Herzen liegt.“
Kaum hörte Magdalene von der bevorstehenden Übersiedelung, als sie sich
erbot, in der Stadt zu bleiben und Haus und Hausherrn zu versorgen.
„Ihr, Base Lene, Ihr wollt bei ihm bleiben und seine Gefahr teilen,“
rief Ursula schmerzlich, „und ich, sein Weib, soll in sicherer Ferne
abwarten, was ein feindliches Geschick vielleicht über ihn verhängt?
wäre es nicht mein Recht, an seiner Seite auszuharren? Geht Ihr mit den
Kindern nach dem Annenhof und laßt mich hier.“
„Was liegt an meinem einsamen Leben?“ fragte Magdalene wehmütig, „und
wem wäre mein Tod ein unüberwindlicher Schlag? Ihr müßt Euch Eurem
Gatten, Euren Kindern erhalten, Ursula, sie alle können Euch nicht
missen. Ist es mir aber beschieden, der Seuche zu erliegen, so grüßt
meinen Adam, wenn er zurückkehrt, und sagt ihm, ich wäre ihm treu
geblieben. Vielleicht finde ich ihn schon drüben, und alles Warten und
Sehnen hat dann ein Ende!“
Die nächsten Tage vergingen in eifrigen Zurüstungen; eines Morgens
hielt der schwerfällige Reisewagen auf dem Hofe, alle Diener des Hauses
trugen Bündel und Körbe herab, um sie aufzuladen. Zuletzt erschien
Herr Wilibald mit seiner Familie; schluchzend warf sich Ursula in
seine Arme: „Alle vierzehn heiligen Nothelfer sollen Euch behüten und
beschirmen, mein teurer Gatte; möchten sie uns in Glück und Freude
wieder zusammenführen! O, wie ist mir so bange ums Herz, als stünde uns
Schweres bevor!“
„Laß uns einander nicht weich machen, liebes Weib,“ versetzte Ebner
gehalten; „was geschehen muß, geschieht am besten in ruhiger Fassung.
Sankt Sebald und die heilige Jungfrau mögen Euch geleiten!“ Er küßte
sie auf die Stirn und half ihr in den Wagen; auch die Kinder küßte er
ohne Erregung, nur sein Töchterchen Margarete hielt er einen Augenblick
länger in seinen Armen, -- das sinnige, kleine Mädchen mit den ernsten
grauen Augen war dem Herzen des ernsten Mannes wohl das teuerste
Kleinod.
„Ihr werdet mir doch fleißig schreiben?“ bat Ursula noch von oben herab.
„Ich werde dir jede Woche einen Boten schicken, der dir Nachricht
bringt,“ erwiderte er, knöpfte selbst den Ledervorhang fest, welcher
die Öffnung schloß, und gab dem Kutscher das Zeichen zur Abfahrt.
Er sah dem Wagen, dem sich zur Sicherheit einige reisige Knechte
anschlossen, nach, bis er den Thorweg passiert hatte, dann ging er in
sein Kontor, und niemand merkte ihm an, daß heute etwas Besonderes
vorgefallen sei.
Obgleich die Entfernung von der Stadt bis zum Annenhofe nur wenige
Meilen betrug, so bedurfte es bei der entsetzlichen Beschaffenheit der
Landstraße doch vieler Stunden, um den Weg zurückzulegen; die Reisenden
waren von allen Gefahren des Umwerfens und Steckenbleibens bedroht, und
Menschen und Tiere waren in einem Zustande fast tödlicher Erschöpfung,
als sie endlich ihr Ziel erreichten. Frau Crescenz hatte wacker
geschafft, um das bescheidene Haus zum Empfang der geliebten Herrschaft
instandzusetzen; über der Hausthür prangte ein Kranz von frischem
Tannengrün, sie selbst stand im Feierkleide, dem dunkelroten Faltenrock
mit der großen, weißen Schürze und der gesteiften, weißen Haube, mit
Hans auf den Stufen, um die Gestrenge zu begrüßen, während alle Knechte
und Mägde des Hofes am Thorwege aufgestellt waren, um den Wagen
feierlich bis an das Haus zu geleiten. Einige sprangen diensteifrig
hinzu, um den Vorhang zu öffnen und die mehrstufige Leiter, welche von
dem hohen Gefährt bis auf den Boden reichte, herabzulassen. Mühsam
kletterten die Insassen, denen von der schrecklichen Fahrt noch alle
Glieder zitterten, herab, nur Berthold sprang mit einem Satz zur
Erde und stellte sich mit forschender Neugier vor Hans auf. „Ich bin
Berthold Ebner, und du?“
„Ich bin Hans Fiedler.“
„Kannst du jagen und klettern?“
„Ei freilich.“
„Auch raufen und schlagen?“
„Wer mich schlägt, den schlage ich wieder, sonst mache ich mir nichts
daraus.“
„Kennst du Wald und Flur?“
„Wie meine Tasche.“
„Dann bist du mein Mann! schlag ein, wir wollen gute Kameraden sein.“
So war die Freundschaft der Knaben schnell geschlossen.
Das Haus zeigte einen einfachen, ländlichen Zuschnitt; der Luxus des
städtischen Lebens mit seinen verfeinerten Ansprüchen hatte noch keinen
Eingang gefunden, da die Familie des Herrn nur selten hier verweilte.
Die Mitte des niedrigen Gebäudes nahm ein großer Raum ein, der sowohl
als Küche, wie zum Aufenthalt diente. In einer Ecke stand der riesige
Feuerherd mit dem gewaltigen Rauchfang darüber, an den Wänden lange
Regale, die mit blitzend blankem Metallgeschirr, mit irdenen Tellern
und Krügen besetzt waren. Der bunte Ziegelfußboden war mit hellem
Sande bestreut, unter den schneeweiß gescheuerten Tischen und Bänken
lagen zierlich geflochtene Matten. Ebenso sauber war das Gemach zur
Rechten, das zur Aufnahme der Gebieterin und ihrer Kinder eingerichtet
war. Das große Himmelbett mit den blau und weiß gewürfelten Vorhängen,
der mächtige Tisch mit dem knaufigen Gestell, die großen Truhen, der
schwerfällige Lehnstuhl -- das alles stammte aus alter Zeit und hatte
sicher schon den Großeltern der jetzigen Besitzerin gedient, aber es
war alles wohl erhalten und nicht ohne altväterische Behaglichkeit.
In keinem Raume des Hauses fehlte der kleine Weihwasserkessel neben
der Thür und zwischen den Fenstern ein Kruzifix oder geschnitztes
Heiligenbild, das heute mit frischem Tannengrün geschmückt war.
„Wie geht es deiner Afra?“ fragte Frau Ursula, als Crescenz mit
Händeküssen und Versicherungen ihrer Freude kein Ende finden konnte.
Die Alte fuhr mit der Schürze über die Augen: „Ach, gestrenge Frau, es
ist immer in einer Weise mit ihr. In Jahr und Tag hat sie nicht zwanzig
Worte mit mir oder ihrem einzigen Kinde gesprochen; sie sitzt immer da
und spinnt und schlägt die Augen zu Boden, und lacht nicht und weint
nicht -- es ist etwas tot in ihr oder entzwei gesprungen -- die heilige
Anna mag wissen, was es ist. Was habe ich nicht geweint und gebetet,
wie viel Kerzen im Annenkapellchen angezündet, wieviel Messen von Pater
Anselmus lesen lassen, -- es hilft alles nichts; sie bleibt so stumm,
wie sie gewesen, und schüttelt zu allem nur den Kopf, -- nicht böse
oder verstockt, aber so traurig, daß einem das Herz dabei blutet. Wenn
Ihr es noch versuchen möchtet, ihr zuzureden, gestrenge Frau! Euch hat
sie von klein auf geliebt und verehrt, Ihr seid meine letzte Hoffnung,
denn selbst der Priester vermag nichts über sie.“
„Quält das arme Weib nicht,“ sagte Ursula, ergriffen von dieser
Schilderung eines tiefen Seelenleidens; „sie hat mehr Schweres erlebt,
als ihr Geist zu fassen vermochte. Vielleicht senden die Heiligen
einmal eine Hilfe ohne unser Zuthun.“
Das Wiedersehen mit der Jugendgespielin schien wenig Eindruck auf
Afra zu machen, sie beugte sich über die dargebotene Hand, um sie zu
küssen, sah aber kaum auf und spann unbewegt weiter. Nur beim Anblick
der kleinen Mädchen überlief ein leises Zittern ihre Gestalt, doch nur
für einen Augenblick; die runden, rosigen Geschöpfchen, die lachend
umherspielten, erinnerten doch zu wenig an ihren bleichen, verlornen
Liebling. Margarete aber faßte eine seltsame Zuneigung zu der stillen
Frau, die immer auf derselben Stelle saß und ihr Spinnrad eintönig
schnurren ließ. Oft rückte das Kind sein kleines Stühlchen nahe an
Afra heran und sah ihr unverwandt zu; als es draußen zu blühen begann,
brachte sie ihr Schürzchen voll Blumen, schüttete sie auf Afras Schoß
und sah dabei so suchend und fragend in die gesenkten Augen, bis
endlich ein Strahl der Erkenntlichkeit darin aufleuchtete. Und wenn
Afra auch ihr Schweigen nicht brach, so legte sie doch mitunter ihre
Hand wie segnend auf des Kindes lockiges Köpfchen, das sich so zärtlich
an sie schmiegte. Das war auch ein neugeschlossener Freundschaftsbund,
wennschon von ganz anderer Art, wie der der beiden Knaben.
Die tobten lustig in Hof und Feld umher und fragten nicht viel nach
Wind und Wetter. Für Berthold war kein Baum zu hoch, kein Bach zu
breit, kein Streich zu gewagt, und Hans war ein unschätzbarer
Gefährte, doch blieb er stets der Verständigere, und seine überlegene
körperliche Kraft bewahrte den Gespielen vor manchem Unfall. Als die
Jahreszeit vorschritt, Wind und Sonne den unergründlichen Schmutz der
Landstraße zu trocknen anfingen, kam Ulrich zuweilen herübergeritten --
Burg Maltheim lag kaum eine Stunde weit vom Annenhof entfernt -- und
nahm an den Spielen der beiden teil. Fand er sie nicht zu Hause, so
war er auch nicht traurig, er gesellte sich gern zu Frau Ursula oder
zu Margarete, die ihm besonders lieb war; ihr erzählte er allerlei
phantastische Geschichten, die ihn beschäftigten, oder beantwortete
die altklugen Fragen, die in dem sinnigen Köpfchen auftauchten, und
freute sich, wenn die Kleine ihn mit Jubel empfing und ihm mit ernstem
Vertrauen zuhörte.
„Sage, Ulrich,“ fragte sie eines Tages, als beide auf den steinernen
Stufen vor der Hausthür saßen und sie ihr weißes Kätzchen liebkoste,
„kommen die Tiere auch in das Paradies?“
„Nein, Gretel, das kann nicht sein; da kommen nur erlöste Seelen
hinein, die den rechten Glauben haben.“
„Das ist aber traurig; soll ich meine Miez und meinen Vogel dort
missen? ich habe sie doch so lieb und sie mich auch.“
Ulrich schaute träumerisch vor sich hin. „Eigentlich kann es auch nicht
sein,“ sagte er sinnend, „denn die Tiere können lieben und hassen,
gut und böse sein, sie müssen also eine Seele haben, und eine Seele
kann nicht sterben, sagt Pater Benedikt. Ja, Gretel, wenn ich’s recht
bedenke, müssen die guten Tiere auch ins Paradies kommen und dort in
Frieden und Eintracht miteinander leben.“
„O, das ist schön!“ rief die Kleine froh, „wo sollten auch all die
lieben Hündchen und Kätzchen bleiben, die hier immer um uns sind? Aber,
Ulrich,“ hob sie wieder zweifelnd an, „werden sie in dem Frieden auch
recht glücklich sein? Sieh, meine Mieze ist nie so zufrieden, als wenn
sie ein Mäuschen jagen und fangen kann; zuerst weinte ich darüber und
wollte es ihr wehren, aber Mütterchen schalt mich thöricht und sagte,
das sei Katzenart, davon könne sie nicht lassen. Wie soll es damit im
Paradiese werden?“
Aus diesem Dilemma wußte Ulrich keinen Ausweg, und beide versanken
wieder in tiefes Nachdenken. „Ich hab’s!“ rief Margarete plötzlich mit
glänzenden Augen, „die +bösen+ Mäuschen werden ins Paradies geschickt,
damit die guten Katzen sie dort greifen können; so haben sie ihren Lohn
und jene ihre Strafe. Nicht wahr, Ulrich, so ist’s recht?“
„Wohl möglich, du kleine Weisheit,“ versetzte er, indem er mit
aufrichtiger Bewunderung in das strahlende Gesichtchen blickte, das
gespannt zu ihm aufsah; „wie kommen nur all die großen und klugen
Gedanken in diesen kleinen Kopf?“ --
Ein andermal erzählte er ihr die Geschichte der Sündflut und malte ihr
in den lebhaftesten Farben den Untergang aller lebenden Wesen aus, mit
Ausnahme der wenigen, welche in der Arche rettende Aufnahme fanden.
Die grauen Augen seiner Zuhörerin wurden immer größer vor angstvoller
Spannung, endlich schimmerten sie feucht von verhaltenen Thränen.
„Warum mußten denn alle die armen Menschen so grausam ertrinken?“
fragte sie.
„Weil sie böse waren und den Geboten des Herrn nicht gehorchen
wollten,“ erwiderte Ulrich.
„Aber all die lieben, kleinen Kinderchen, die noch gar nicht gehen und
sprechen konnten, die waren doch nicht schlecht und ungehorsam, warum
mußten die auch ertrinken?“ fuhr Margarete in steigender Erregung fort,
„warum konnten die nicht lieber in der Arche gerettet werden, statt
der häßlichen, wilden Tiere, die nichts thun, als brüllen und andre
auffressen?“
Ulrich sah sie ein wenig erschrocken an; seine kleine Freundin liebte
es, Fragen zu stellen, auf die er schwer eine Antwort fand. „Die
kleinen Kinder wären mit der Zeit auch schlecht geworden,“ sagte er
etwas unsicher, „daher mußte das ganze Geschlecht vertilgt werden, das
den Zorn des Herrgotts erregt hatte.“
Die Kleine schwieg eine Weile, dann sagte sie scheu und leise: „Ulrich,
ist der Herrgott so zornig? Berthold sagt manchmal, unser Vater sei
streng, aber der große Gott ist viel strenger, als er. Denn wenn ich
mein Väterchen recht herzlich um etwas bitte, so thut er es, und er hat
schon manchmal Berthold die Strafe geschenkt.“ --
Ulrich ritt in tiefen Gedanken nach Hause und überschüttete daheim
Pater Benedikt mit dringenden Fragen: warum die Unschuldigen mit den
Schuldigen leiden müßten, warum es in der Schöpfung so viel feindliche
Gewalten gäbe, die dem Menschen Verderben brächten, und warum Gott
so viel strenger sei, als irdische Väter. Der Pater gab ihm Antwort,
soweit er es vermochte, aber zum Schluß sagte er ihm wieder: „Uns ziemt
es nicht, nach dem Warum zu fragen, sondern im Staube anzubeten. Hüte
dich, mein Sohn, daß dich der grübelnde Verstand nicht um die Seligkeit
eines einfältigen Glaubens betrüge.“ Dann schwieg der Knabe, aber er
hoffte im stillen auf eine Zeit, in der er auf alle seine Fragen klare
Antwort erhalten würde, und immer höher stieg in seiner Seele der Durst
nach Weisheit und Erkenntnis.
Endlich ging auch Bertholds heißester Wunsch in Erfüllung: er durfte
ein Pferd besteigen und unter Just’s Anleitung reiten lernen. Er war
unendlich stolz darauf, denn er betrachtete diese Kunst als die erste
Stufe zu den Heldenthaten und dem Rittertum, von denen er beständig
träumte. Es war ein großer Tag für ihn, als er zum erstenmal nach Burg
Maltheim reiten durfte; ganz erfüllt von den Herrlichkeiten, die er
dort gesehen, kehrte er abends zurück. So müde er war, konnte er doch
nicht eher die Augen schließen, bis er seinem Mütterchen alles genau
berichtet hatte: die alte Ritterburg mit Graben und Zugbrücke, mit
Mauern und Türmen, die große Halle mit ihren Waffen und Rüstungen, die
gewölbte Bücherei mit den uralten Pergamenten, in denen die Chronik
derer von Maltheim seit unvordenklichen Zeiten aufgezeichnet war, --
das alles waren für ihn die ersten greifbaren Verkörperungen seiner
Ideale, die ihm bisher nur nach Erzählungen und mangelhaften Bildern
vorgeschwebt hatten. „Es war alles so schön und groß,“ erzählte er in
atemlosem Eifer, „aber das Allerschönste war doch die kleine Irmgard!
Solch ein Kind hast du noch nie gesehen, Herzmutter! -- sie ist nicht
frisch und rund, wie Grete -- nein, so zart und fein, als könnte sie
davonfliegen, ihre Haare sind hell, aber nicht goldig wie die Ulrichs,
oder weiß wie Elsbeths, sondern so, als ob ein Schleier darüber läge --
ähnlich wie die von Afra. Und dann hat sie so große, dunkle Augen wie
-- ja, wie nur? einmal sah mich Afra ganz groß an, da sahen ihre Augen
auch so aus, sonst kenne ich keine ähnlichen.“
„Ist denn Irmgard unsrer Afra ähnlich?“
„O nein, nein, wie kannst du so etwas denken? sie ist wie ein
Königskind. Ich wollte, sie wäre eine Prinzessin und würde von einem
Drachen bewacht, und ich wäre ein Ritter und könnte ausziehen, um sie
zu befreien! Wie wollte ich mein Schwert schwingen und allen Gefahren
trotzen und nicht eher ruhen, bis ich sie erlöst hätte, und die weiße
Rose mein wäre! Sie ist so weiß wie Schnee, Mutter, kein Tröpflein Blut
fließt in ihren Wangen.“
„Das arme Kind ist wohl krank; mir würde das nicht gefallen.“
„O Mutter, ich finde das aber schön!“ sagte Berthold, „viel schöner,
als dicke -- rote -- Backen --“ und damit fielen ihm die Augen zu. --
Während der Aufenthalt auf dem Annenhof den Kindern mancherlei Freuden
und Anregungen brachte, gingen für Frau Ursula die Wochen in drückender
Eintönigkeit vorüber. Die einzige Abwechselung gewährte ihr der Bote
aus der Stadt, der mit höchster Pünktlichkeit in jeder Woche erschien
und ihr einen Brief ihres Gatten brachte. Mit peinlicher Ungeduld
sah sie ihm entgegen, denn die Tage wurden ihr lang, und Sehnsucht
und Sorge stiegen immer höher. Anfangs hatte der Ratsherr nicht viel
Erfreuliches zu melden, die Pest forderte zahllose Opfer, und mancher,
der morgens noch wohlauf war, lag abends auf der Bahre, darunter mehr
als ein guter Freund des Hauses. Noch trostloser klang das, was der
Knecht mündlich berichtete: viele Häuser ständen offen, weil niemand
darin sei, um sie zu verschließen; still und öde wären die Straßen, auf
denen nur der Priester und der Sakristan mit vermummten Gesichtern hin-
und hereilten, um den Sterbenden das Sakrament zu bringen. Außer dem
Meßglöcklein höre man kaum einen Laut, denn die Glocken dürften nicht
mehr geläutet, und die Toten müßten bei Nacht, draußen vor der Stadt,
begraben werden; überall seien auf den Plätzen große Feuer angezündet,
um die Luft zu reinigen, und wenn sich zwei auf der öden Straße träfen,
so eile einer ohne Gruß am andern vorüber, denn jeder fürchte, der Atem
des Nachbars könne ihm Ansteckung und Verderben bringen.
Aber als der Frühling vorschritt und die Nässe des Bodens austrocknete,
als reinere Lüfte wehten, da schien die Gewalt der furchtbaren Seuche
sich endlich zu brechen, und im April konnte Herr Wilibald der Gattin
melden, daß er für einen Tag wenigstens hinauskommen dürfe, um die
Seinen wiederzusehn und nach der schweren Zeit einige Stunden der
Erholung zu genießen. Frau Ursula drückte das Blatt an ihre Lippen und
sendete ein heißes Dankgebet zum Himmel empor; war doch die Zeit der
Heimsuchung mit all ihrer tödlichen Angst glücklich vorübergegangen,
hatten doch die Heiligen, die sie ohn’ Unterlaß angerufen, ihr Haus so
gnädig behütet, daß keinem der Ihrigen ein Leid widerfahren war.
Ganz erfüllt von Dank und Freude saß sie an einem lieblichen Abend vor
der Thür des Hauses, in ehrerbietiger Entfernung stand Crescenz, mit
der sie freundlich plauderte, während die kleinen Mädchen unter Obhut
ihrer Wärterin in ihrer Nähe spielten. „Die Sonne sinkt,“ sagte Frau
Ursula aufblickend, „es wird Zeit, die Kleinen zur Ruhe zu bringen. Wo
nur die Knaben bleiben? sie sind schon stundenlang fort.“
„Sie sind in den Wald gegangen,“ versetzte die Alte, „aber seid ohne
Sorge, gestrenge Frau, Hans ist verständig und weiß, daß er mit dem
Abendläuten zu Hause sein muß.“ Aber der Klang der Feierabendsglocke
war längst verstummt, und von den beiden war noch immer nichts zu
sehen. Crescenz lief vor das Hofthor und spähte nach allen Seiten aus,
und da kamen sie endlich an, atemlos und erhitzt vom eiligen Lauf, und
nicht schnell genug konnten sie erzählen, was sie erlebt hatten. Sie
hätten im Walde einen Wanderer getroffen, der gar müde gewesen sei und
nicht weiter gekonnt hätte; Hans habe an seinen Vater denken müssen,
und da habe der Mann ihn von Herzen gedauert; sie hätten ihm ein
Lager von Laub und Moos zurechtgemacht und ihm vom nahen Bache Wasser
geholt, denn er habe über brennenden Durst geklagt. Endlich hätten sie
ihm versprochen, ihm Leute zu schicken, mit deren Hilfe er den Hof
erreichen könne. Crescenz strich den beiden barmherzigen Samaritern
die wirren Haare aus der Stirn und küßte die aufgerechten Gesichter
mit Zärtlichkeit; sie schickte zwei Knechte hinaus, um den Fremden
aufzusuchen, und bemühte sich, der Gebieterin gegenüber ganz ruhig von
dem kleinen Erlebnis zu sprechen, aber in ihrem Herzen lag es wie eine
dumpfe Sorge, über die sie sich selbst kaum Rechenschaft zu geben wagte.
Die Knechte kamen nach kurzer Frist allein zurück und berichteten,
von Grausen geschüttelt, der alten Schaffnerin, sie hätten an dem
bezeichneten Platz einen Kranken gefunden, der in den letzten Zügen
gelegen und bereits unfähig gewesen sei, eine Antwort zu geben; sie
hätten ihn nicht berühren mögen, denn die schwarzen Flecke auf Gesicht
und Händen hätten nur zu deutlich gezeigt, daß es die furchtbare Pest
sei, der er zum Opfer gefallen. Crescenz bekreuzte sich in tödlichem
Schrecken, denn die Berührung eines Pestkranken konnte Ansteckung und
Tod bringen, und die Knaben hatten sich so viel mit dem Unglücklichen
zu schaffen gemacht! Sie wagte nicht, der Ratsherrin etwas zu sagen;
heimlich zog sie Berthold mit in ihr Zimmer, besprengte die Knaben
mit Weihwasser, betete allerlei Segenssprüchlein über ihnen und hing
jedem ein geweihtes Amulett um den Hals. Dann brachte sie die halbe
Nacht auf ihren Knieen zu und flehte die heilige Anna und alle übrigen
Heiligen des Himmels an, die beiden Knaben zu schützen und ihnen ihre
Barmherzigkeit nicht zum Fluche werden zu lassen.
Zwei Tage vergingen in gewohnter Weise, und schon fing Crescenz an,
freier aufzuatmen, da kam Berthold müde und matt von draußen herein
und klagte, daß der Kopf ihm schwer sei, und alle Glieder ihn
schmerzten. Frau Ursula ermahnte ihn, sich ein wenig auszuruhen, er
sei wohl zu toll umhergelaufen; wenn der Herr Vater käme, müsse er
frisch sein, denn der sollte alle die Seinen kerngesund finden. Aber
als Herr Wilibald ankam, trat ihm seine Gattin mit sorgenvoller Miene
entgegen; „erschreckt nicht, mein teurer Herr,“ sagte sie mit mühsam
bezwungenen Thränen, „Berthold ist unpäßlich, aber ich hoffe, es hat
nichts zu sagen.“ Bestürzt eilte der Ratsherr an das Lager des Sohnes,
der ihn kaum noch erkannte; seine Stirn und Hände brannten, die Augen
blickten starr und trübe. Ach, Ebner kannte diese Anzeichen nur zu
gut, er sah mit einem Blick, daß alle Fürsorge vergebens gewesen, daß
die verderbliche Seuche auch hieher ihren Weg gefunden und sich seinen
einzigen Sohn zum Opfer auserkoren habe. Er wußte auch, daß ärztliche
Kunst hier ohnmächtig sei, daß unter hundert Kranken kaum einer genese!
Für einen Augenblick drohte den ruhigen Mann die Fassung zu verlassen,
doch bezwang er sich schnell, faßte Ursulas Hand mit festem Druck und
führte sie vor die Thür hinaus.
„Es ist die Pest,“ sagte er mit dumpfer, tonloser Stimme. Sie sah ihn
an, als könne sie seine Worte nicht fassen, -- dann sank sie ohnmächtig
in seine Arme. Er legte sie auf Afras Bett nieder und traf mit der
Ruhe der Verzweiflung die nötigen Anordnungen. Berthold wurde samt
seinem Lager in die große luftige Bodenkammer getragen, in der sonst
niemand schlief; auf einem Kohlenfeuer wurden Myrrhen und Wacholder
angezündet, deren würzigem Duft man eine heilende Kraft zuschrieb. Nur
eine Wärterin durfte den Kranken versorgen, außer ihr sollte niemand
den Oberstock betreten. Crescenz rang die Hände; wem sollte sie die
Pflege, die so leicht verderblich werden konnte, übertragen? sie selbst
konnte sie nicht übernehmen, denn sie durfte die Wirtschaft nicht
verlassen. Da stand plötzlich Afra neben ihrer Mutter und gab ihr durch
ein Zeichen kund, daß sie dazu bereit sei. „Du, Afra?“ rief die Alte,
halb erschrocken und halb erfreut, „die heilige Anna lohne dir deinen
Heldenmut und segne deine Hand, daß sie unserm lieben Junker Heilung
bringe.“
Mit Innigkeit zog die stille Frau ihren Sohn, wie zum Abschied, an ihre
Brust, dann stieg sie die Treppe hinauf und verschwand in der Thür,
hinter der der Pestkranke lag. Mit unermüdlicher Sorgfalt versah sie
bei Tag und Nacht ihr schweres Amt, kühlte die fieberglühende Stirn,
netzte die brennenden Lippen und schien für sich selbst weder Speise
noch Schlaf zu bedürfen.
Herr Ebner war am nächsten Morgen nach der Stadt zurückgekehrt, wohin
die Pflicht ihn gebieterisch rief; am fünften Tage, der in den meisten
Fällen die Entscheidung zu bringen pflegte, wollte er wiederkommen. In
trauriger Verfassung blieb Ursula zurück; ohne die Stütze ihres Gatten
schwankte sie umher, wie ein irrer Geist, und da sie feierlich gelobt
hatte, die Krankenkammer zu meiden, so brachte sie viele Stunden des
Tages in der kleinen Annenkapelle zu, welche dicht vor dem Thor lag und
dem Hof seinen Namen gegeben hatte. Es war ein uraltes Kirchlein im
Schatten mächtiger, alter Bäume, ganz von immergrünem Epheu umsponnen,
der das einzige Fenster fast verdunkelte. Die ewige Lampe, die über
dem Altar schwebte und von Crescenz stets sorgfältig versehen wurde,
goß nur einen Dämmerschein über das bescheidene Heiligtum aus, die
Winkel blieben immer in Schatten gehüllt. Zuweilen las Pater Anselmus
vom nächsten Dorf, oder Pater Benedikt von der Burg hier eine Messe;
für gewöhnlich aber diente das Kapellchen nur als Stätte stiller
Andacht für die Insassen des Hofes, welche die heilige Anna als ihre
Schutzpatronin verehrten und besondere Berücksichtigung von ihr
erwarteten.
Auch am Morgen des entscheidenden Tages war Frau Ursula hierher
geeilt; es litt sie in der furchtbaren Spannung nicht im Hause, doch
hatte sie Befehl gegeben, ihr bei dem leisesten Zeichen eintretender
Besserung sogleich eine Botschaft zu senden. Sie warf sich vor dem mit
Lichtern und Kränzen geschmückten Altar auf die Kniee und erleichterte
ihr bedrücktes Herz in heißem Flehen; sie gelobte der heiligen Anna
eine reich gestickte Decke, einen kostbaren Altar, endlich eine neue
Kapelle, wenn sie ihren Sohn vom Tode erretten wolle; sie flehte sie
an, ihr ein Zeichen zu geben, daß sie ihre Bitte höre. Aber das Antlitz
der Heiligen, auf das sie ihre angstvollen Blicke heftete, blieb
unbewegt und lächelte unter seinem Heiligenschein, ruhig wie immer, auf
die Beterin herab. Ganz erschöpft hielt Frau Ursula inne und lauschte
eine Weile, ob niemand vom Hause herkomme, um ihr eine tröstliche
Botschaft zu bringen, aber auch hier blieb alles leer und still. Da
warf sie sich noch einmal auf die Stufen nieder, hob die Hände empor
und rief mit leidenschaftlicher Inbrunst: „Heilige Anna, schenke mir
meinen Sohn, meinen Liebling, und ich will ihn dem Himmel weihen ...“
„Amen!“ sagte eine tiefe Stimme.
Ursula fuhr erschrocken empor; wer hatte es gewagt, ihre Zwiesprache
mit dem Himmel zu belauschen? welcher Mund drückte ein Siegel auf
das Gelübde, das fast unbewußt über ihre Lippen gekommen war? Sie
schaute suchend umher, es war niemand zu sehen, und ehe sie noch Zeit
hatte, näher nachzuforschen, ob irgend ein Mensch sich in der Kapelle
verborgen habe, tönte draußen ein schneller Schritt, die Thür ward
aufgerissen, -- ihr Gatte stand vor ihr. „Er ist gerettet!“ rief er,
und mit einem Schrei stürzte sein Weib in seine Arme. Unter strömenden
Thränen knieten beide nieder, um Gott und den Heiligen für diese Gnade
zu danken, dann eilten sie mit beflügelten Schritten an das Lager des
neugeschenkten Sohnes.
Sah der Knabe auch bleich und abgezehrt aus, vermochte er auch vor
Schwäche kaum die Hand zu rühren, so war sein Blick doch klar und hell,
und mit vollem Bewußtsein lächelte er die beglückten Eltern an. Frau
Ursula wußte kaum, wie sie ihre Freude und Wonne ausdrücken sollte; sie
fiel Afra um den Hals und küßte sie: „habe Dank, du Treue,“ rief sie
schluchzend, „und sage mir, wie ich dir deine Aufopferung vergelten
kann.“ Auch der Ratsherr dankte ihr mit warmen Worten. „Durch Eure
Hand,“ sagte er, „hat mir der Himmel meinen einzigen Sohn erhalten; zum
Dank laßt mich für Euren Sohn sorgen. Gebt ihn uns mit nach Nürnberg,
er soll in unserm Hause leben und alles mit Berthold teilen.“
Afras Seele erbebte bei diesen gütigen Worten; sollte sie ihr Letztes
hingeben, den Knaben, der seines Vaters Ebenbild zu werden versprach,
und ganz allein zurückbleiben? Und doch -- wie durfte sie dies
Anerbieten ablehnen, das ihrem Hans eine tüchtige Erziehung sicherte;
was konnte sie in ihrer Armut und Hilflosigkeit thun, um ihm einen
ehrenvollen Weg durch das Leben zu bahnen? Es mußte sein, auch dieses
Opfer mußte gebracht werden; tief neigte sie ihr Haupt hinab und
küßte in schweigender Zustimmung die Hände, die ihrem Kinde so Großes
darboten.
Wenige Wochen später nahm die Ebnersche Familie Abschied vom Annenhofe
und kehrte nach der Stadt zurück, wo die Seuche völlig erloschen war
und ein schönerer Sommer, als der vorige, die Gräber mit Grün und
Blumen verhüllte. Hans begleitete sie und ging, nach Kinderart, den
neuen Verhältnissen mit freudiger Erwartung entgegen. Die alte Crescenz
aber blieb in tiefem Kummer zurück; das Haus kam ihr leer und öde vor,
als das fröhliche Völkchen daraus verschwunden war, und täglich weinte
sie heiße Thränen um ihren lieben Hans, den ihr großmütterliches Herz
so fest und zärtlich umschlossen hielt. Afra weinte nicht, aber ihr
Antlitz wurde noch starrer, als zuvor; -- sie fühlte sich grenzenlos
elend und verlassen.
[Illustration]
Sechstes Kapitel.
Die Kapelle der heiligen Anna.
Unverletzliche Treue! Dir naht sich die seligste Stunde,
Da, was das Herz sich ersehnt, endlich das Auge erschaut!
Muhme Lene wanderte mit den beiden Knaben durch die Straßen, um Hans
alle Merkwürdigkeiten seiner neuen Heimat zu zeigen, und Berthold
brannte, mit dem ganzen Stolze eines echten Nürnberger Kindes, darauf,
das überwältigte Erstaunen seines Gefährten zu sehen, der eben frisch
vom Lande kam und seine schöne Vaterstadt noch gar nicht kannte.
Doch fand er sich einigermaßen enttäuscht, denn in Hans erwachte das
schlummernde Andenken an das reiche Lüttich; er verglich beständig, was
er hier sah, mit den Bildern seiner Erinnerung und befand sich oft im
Streit mit Berthold, welche Stadt die schönere sei. Sie hatten jetzt
den Markt erreicht, „solch einen Brunnen hast du sicher in Lüttich
nicht gesehen,“ rief Berthold triumphierend, „denn selbst der Kaiser
hat gesagt, daß er ein unerreichtes Meisterwerk sei.“ Und halblaut sang
er dazu:
„Am Markt zu Nürnberg steht ein Bronn’;
So weit, als leuchten mag die Sonn’,
Find’t man desgleichen nicht.“
Ein zierliches Türmchen von ansehnlicher Höhe, mit Bögen und Giebeln
von kunstreich durchbrochener Arbeit, von vielen Bildsäulen umgeben,
die lauter Heldengestalten darstellen, ragt über dem Becken empor.
Magdalene machte Hans mit liebevollem Eifer auf alle Einzelheiten
aufmerksam, und der Knabe erfaßte alles mit bewunderndem Blick. Da
hob die Uhr auf der nahen Frauenkirche zum Schlagen aus, und Berthold
drängte dorthin, um das „Männleinlaufen“ nicht zu versäumen. Das
war ein kunstvolles Uhrwerk über der Eingangsthür, welches zu jeder
Stunde eine Menge bunter Figuren in Bewegung setzte. Auf einem Thron
sitzt der Kaiser in vollem Ornat; ein Herold erscheint, gefolgt
von vier Posaunenbläsern, denen sich die sieben Kurfürsten mit den
Reichskleinodien anschließen. Alle bewegen sich langsam vorwärts; vor
dem Throne angekommen, setzen die Bläser ihre Instrumente an den Mund,
die Fürsten nehmen die Hermelinmützen ab, hinter dem Kaiser aber steht
der Knochenmann und schlägt mit der Sense die Stunden an die Glocke.
Als das Kunstwerk mit der Vollendung des Glockenschlages wieder zur
Ruhe gekommen war und Hans seine Bewunderung gebührend ausgesprochen
hatte, gingen die drei weiter, überschritten die Königsbrücke, welche
über die gelblichen Fluten der Pegnitz führt und standen nun vor dem
höchsten Stolz aller Nürnberger, dem herrlichen Lorenzmünster, der mit
seinen beiden goldgedeckten Türmen bis in den Himmel zu ragen scheint.
Reiches steinernes Bildwerk umrahmt den Eingang; innen vereinigen
sich die Bogen der himmelanstrebenden Pfeilerreihen wie zu einem
Laubengange, dessen Ende der staunende Blick kaum ermißt. Durch die
schön gemalten Fenster warf die Sonne schimmernde, wie Rubinen und
Saphire glänzende Lichter in die heiligen Räume und beleuchtete das
neue Schnitzbild von Veit Stoß, der englische Gruß genannt. Auf einem
Throne sitzt Gott Vater mit Krone und Scepter in göttlicher Majestät,
und seine Strahlen senken sich nieder auf die betende Jungfrau, welche
die Botschaft des Engels mit Freude und Schrecken vernimmt. Ein Kranz
von Blumen und Blättern in unendlich zierlicher Arbeit schlingt sich um
die Figuren und schließt das Ganze wie ein Rahmen ab.
Wie geblendet wandelte Hans umher; „wer auch so Schönes erdenken, so
Erhabenes schaffen könnte,“ sagte er aus tiefster Seele; „ich wollte,
ich könnte ein Künstler werden!“ Hatte das Staunen seines Gefährten
Berthold zuerst nicht befriedigt, so wurde er jetzt ungeduldig, als
jener mit Schauen und Bewundern kein Ende finden konnte; fehlte ihm
selbst doch jener künstlerische Blick, jenes tiefere Gefühl für das
Schöne, die Hans als ein altes Erbteil seiner Familie überkommen hatte,
und die jetzt zuerst zu vollem Bewußtsein erwachten.
„Ich meine, Sankt Sebald lassen wir für ein andermal,“ schlug Berthold
vor, „und gehen nun zu Meister Andreas. Ich bin gar zu neugierig, was
der Alte sagen wird, wenn wir ihm einen Fiedler ins Haus bringen.“
Die andern waren damit zufrieden, und so schlugen sie den Weg nach
dem Hundsgäßlein ein. Unterwegs machte Magdalene Hans auf vieles
aufmerksam, hier auf ein mächtiges Warenhaus, dort auf ein buntes
Kirchenfenster, auf das Steinpflaster in einigen Straßen und die
Laternen, welche an den Ecken quer über den Weg hingen -- zwei
Einrichtungen, welche Nürnberg vor andern Städten damaliger Zeit voraus
hatte --; mit allem war der Name Tucher eng verbunden. „Die Tuchers,“
sagte sie, „sind seit alten Zeiten treue Söhne ihrer Vaterstadt
gewesen und haben ihr ihre besten Kräfte gewidmet. Zwar haben sie viel
Handel nach Welschland und den Niederlanden getrieben und dort auch
Niederlassungen gegründet, aber im Herzen blieben sie stets echte
Nürnberger. Meine Mutter war auch eine Tucherin,“ setzte sie mit
bescheidenem Stolze hinzu.
„Wie kommt es nur, Muhme Lene,“ fragte Berthold; „daß so viel von den
Tuchers, und so wenig von den Ebners die Rede ist? Haben die Vorfahren
meines Vaters sich denn gar nicht ausgezeichnet?“
„Der Herr Vater ist kein Nürnberger Kind; er ist aus Ulm zugewandert,“
war die Antwort. „Da aber dein Großvater keinen Sohn hatte und Herr
Wilibald in allen Stücken seine rechte Hand war, so wurde, er, mit
Zustimmung des weisen Rates der Stadt, in alle Rechte eines Sohnes
eingesetzt. Daher ist er auch Ratsherr geworden, was sonst einem
Zugewanderten nicht gewährt wird.“
Sie pochten jetzt an die Thür des Fiedlerhauses, und Frau Eva öffnete.
„Es ist Junker Berthold!“ rief sie freudig, „Gott willkommen, liebes
Junkerlein, und dem Herrn sei Dank, der Euch vom Tode errettet hat!“
Auch Meister Andreas empfing den Knaben mit herzlicher Freude und
drückte Magdalenen wie einer vertrauten Freundin die Hand. „Und wen
haben wir hier?“ fragte er, auf Hans deutend.
„Das sollt Ihr einmal raten, Meister,“ rief Berthold fröhlich, „wir
sagen’s Euch nicht. Es ist mein Kamerad, der mit mir bei Latein und
Mathematik leiden soll, -- aber Euch geht er noch näher an.“
„Uns?“ fragten die beiden Alten erstaunt, „redet deutlicher, lieber
Junker.“
„So seht ihn doch nur an, Mutter Eva; findet Ihr nicht eine wunderbare
Ähnlichkeit mit Eurem Meister an ihm?“
Frau Eva betrachtete ihn aufmerksam. „Wahrhaftig, Alter, er hat deine
Augen, die guten, ehrlichen Fiedleraugen, und es liegt etwas in seinem
Gesicht ....“
„Ich bin auch ein Fiedler,“ sagte Hans, „der Sohn von Meister Matthias,
dem Goldschmied.“
Der Alte breitete seine Arme aus. „Komm an mein Herz, mein Junge,“
sagte er mit warmer Freundlichkeit, „und sei mir tausendmal
willkommen! Dein Vater war mein Brudersohn und ein lieber, braver
Geselle. Sieh, Eva, da führt uns der Herr noch am Abend meines Lebens
einen Menschen von meinem Fleisch und Blut zu, dem ich die alten
Fiedlerschätze hinterlassen kann. Es hat mich immer schon gewurmt, daß
sie in fremde Hände fallen sollten!“ --
In kurzer Zeit war Hans völlig in sein neues Leben eingeführt; sein
heitres Wesen, sein dankbares Bestreben, sich für die ihm erwiesene
Güte erkenntlich zu zeigen, gewann ihm schnell alle Herzen. Die Töchter
des Hauses konnten sich keinen besseren Gespielen wünschen, denn er
war stets bereit, ihre kleinen Wünsche zu erfüllen, ihren Puppen mit
geschickten Händen neue Köpfe und Füße anzusetzen, oder ihnen Blumen zu
holen, die weit vor dem Thor wuchsen. Der Ratsherr hatte einen älteren
Bacchanten ins Haus genommen, welcher die Knaben in Latein und allem
Wissenswerten unterrichten sollte; derselbe fand es schwer, Berthold
zu fesseln, dem die Grammatik bald ein Greuel wurde, und der sich
nur für Kriegs- und Heldenthaten begeisterte, während Hans treu und
fleißig lernte und seinem Lehrmeister wenig Schwierigkeiten bereitete.
Seine schönsten Stunden aber waren die, welche er bei Meister Andreas
verlebte; so oft er konnte, eilte er dorthin, wo er stets wie ein
lieber Enkel empfangen wurde und die Herzen der beiden Alten durch
seine kindliche Anhänglichkeit labte. Nie wurde er müde, die vielen
Bilder zu betrachten und nachzuzeichnen, und keine größere Freude
konnte ihm der Oheim machen, als wenn er ihm sagte, daß er gute Anlagen
besäße und auch einmal ein Meister werden könne. Oft versenkten sich
beide in Betrachtung der alten Fiedlerschätze, die Andreas wie wahre
Heiligtümer bewahrte. Da war zuerst eine uralte Fiedel von einfachster
Form, auf welcher die Jahreszahl 1220 eingeritzt war, die stammte von
jenem berühmten Spielmann, von dem noch manches Lied im Munde des
Volkes lebte, von jenem Friedel, den sie einst den Sänger Barbarossas
genannt hatten; dann war da ein goldnes Gnadenkettlein, das hatte
weiland Kaiser Friedrich der Zweite jenem nämlichen Sängerfriedel als
Zeichen seiner Gunst geschenkt. Auch manch kunstreiches Schnitzwerk
war vorhanden, das aus alter Zeit stammte und von irgend einem
Fiedler gefertigt war, -- denn die ganze Familie hatte sich durch
eine geschickte Hand ausgezeichnet, daneben aber auch eine besondere
Freude an Musik und Gesang bewahrt, weshalb sie auch den Namen Fiedler
angenommen hatte. --
Während zu dieser Zeit das Leben im Ebnerhause so ruhig verlief, daß
auch nicht ein Wellchen die glatte Oberfläche zu kräuseln schien, gab
es doch ein Wesen darin, welches sich bei Tag und Nacht in geheimer
Unruhe verzehrte, -- und das war Frau Ursula. In der ersten Zeit
nach Bertholds Genesung hatte sie nichts empfunden, als Wonne und
Glückseligkeit; ihr ganzes Sein erhob sich in einem steten Dankgebet
zu Gott und der heiligen Anna, welche so Großes an ihr und ihrem
Hause gethan. Mit wahrer Herzensfreude hatte sie die kleine Kapelle
ausgeschmückt; verbot deren ehrwürdiges Alter auch durchgreifende
Veränderungen, so legten doch die prachtvolle Altardecke und die
silbernen Leuchter zu beiden Seiten des Bildes ein beredtes Zeugnis
von der Dankbarkeit der Geberin ab. Als Pater Anselmus eine feierliche
Messe darin abhielt, und danach die gesamten Bewohner des Annenhofes,
samt einer großen Anzahl von Armen der Umgegend, gespeist und reich
beschenkt wurden, da hatte Frau Ursula das Gefühl, daß sie alles gethan
habe, was die Heilige von ihr erwarten könne. Aber nun regte sich eine
Stimme in ihrem Innern, welche ihr, erst leise und undeutlich, dann
aber immer lauter und dringender zurief, daß sie die Hauptsache noch
unausgeführt gelassen habe, daß sie den Himmel um eine ihm angelobte
Seele betrügen wolle. Oft fuhr sie in der Stille der Nacht von ihrem
Lager empor, weil mit entsetzlicher Deutlichkeit ihre eignen Worte: ich
will ihn dem Himmel weihen! an ihr Ohr schlugen. Sie mußte es wohl, daß
dieselben nur eine Auslegung zuließen; der Himmel hieß -- das Kloster,
und bei diesem Gedanken überlief ein kalter Schauder ihre Glieder, sie
streckte abwehrend die Hände aus, als müsse sie ein Schreckliches von
sich und ihrem Erstgebornen fernhalten.
Nein, es konnte nicht sein! so Unmögliches konnten die Heiligen nicht
verlangen. Sie wußte ja selbst nicht recht, welch ein Leben sie für
Berthold erwarte; sein Sehnen und Streben stimmte mit dem Willen seines
Vaters gar nicht zusammen, und sie hatte bisher nicht einmal den Mut
gehabt, ihn ernstlich auf seine Bestimmung zum Kaufmann hinzuweisen.
Doch hätte dieser Beruf ihn wenigstens in die Welt hinausgeführt,
in die stete Gesellschaft der Menschen; er schloß Lebensfreude und
Genuß nicht aus, wenn er auch strenge Arbeit und Hingabe verlangte.
Sie wollte sich von nun an bemühen, ihn mit den Wünschen seines
Vaters auszusöhnen, ihm die ritterlichen Träume auszureden; in einem
Augenblick kam ihr dies schon wie ein verdienstliches Werk vor, -- aber
im nächsten tönte plötzlich jenes dumpfe „Amen“ in ihrer Seele wieder
und flößte ihr neue Angst ein. War irgend ein Mensch Zeuge ihres
übereilten Gelübdes gewesen, oder hatte der Himmel selbst sein „Ja“
dazu gesprochen?
In dieser Gewissensqual, die sie weder ihrem Gatten, noch ihrem
Beichtvater anzuvertrauen wagte, fiel ihr Meister Andreas Fiedler
ein, von dessen reiner Frömmigkeit Magdalene so viel zu rühmen wußte,
dessen Wesen auch auf sie selbst einen tiefen Eindruck gemacht hatte.
Ihm wollte sie den Fall vorsichtig vortragen und seine Meinung hören;
vielleicht würde er ihn vorurteilsfreier ansehen, als mancher andre.
An einem Sonntag-Vormittag, als die Ihrigen in der Kirche waren, eilte
sie dem kleinen Hause zu. Der alte Meister saß, wie sie erwartet,
allein in seinem Lehnstuhl, das offne Evangelienbuch vor sich; er sah
so fromm und friedlich aus, daß sie sich innerlich gelobte, seine
Ansicht für Wahrheit anzunehmen. „Gott grüß’ Euch, Meister,“ sagte sie
herzlich, „mich hat es recht verlangt, ein Wort mit Euch zu reden.“
„Geruht Euch zu mir zu setzen, ehrsame Frau,“ versetzte er mit
liebreicher Höflichkeit; „ich freue mich, Euer gütiges Antlitz
wiederzusehen.“
Sie redeten eine Weile über dies und das, bis Frau Ursula plötzlich
anfing: „Was haltet Ihr vom Klosterleben, lieber Meister? ist es
wirklich der sichre Friedenshafen, als den es uns die frommen Väter so
gern schildern, oder findet man dort auch nicht den Himmel auf Erden?“
„Ich habe Klosterleute beiderlei Geschlechts gesehen,“ versetzte der
Alte, „welche vom Himmel sicher viel weiter entfernt waren, als manche
fromme Laien; andre dienten ihrem Gott in unverfälschtem Glauben und
reiner Heiligkeit. Das Kloster ist so wenig der Himmel, wie die Welt
die Hölle: erst der Mensch macht beides dazu, je nachdem er gut oder
böse ist.“
„So meint Ihr, man könne ein Kind dem Himmel weihen, ohne es ins
Kloster zu bringen?“
„Sicher, werte Frau; lehrt es nur Gott vor Augen und im Herzen haben,
weis’t es hin auf das selige Paradies, das unser Heiland uns erworben,
und lehrt es jede Sünde fliehen, die es dafür untüchtig macht, -- und
seid gewiß, Ihr werdet seine Seele sicherer dem Himmel weihen, als wenn
Ihr es wider seine Neigung zum Mönch oder zur Nonne machen wolltet.
Seht, ich hatte selbst ein teures, einziges Kind, meine Hedwig -- die
glaubte, als ihr die liebste Hoffnung scheiterte, sie könne das Leben
in der Welt nicht mehr ertragen und müsse ins Kloster fliehen, um dort
den Frieden zu finden. Sie fand ihn auch, -- aber er lag nicht fertig
auf der Schwelle, wie sie gewähnt hatte, sondern sie mußte ihn mühsam
erringen in Kampf und Gebet. Und als es mit ihr zum Sterben kam, da
ließ sie uns rufen und sagte: ‚Vater, Mutter, vergebt mir, daß ich Euch
eigenwillig verließ; ich habe zu spät erkannt, daß ich einen Irrtum
beging, daß ich den Frieden, der im Glauben und in der Ergebung liegt,
auch bei Euch hätte finden können.‘“
Der alte Mann hatte sein Haupt bei der schmerzlichen Erinnerung
gesenkt, ein paar Thränen fielen auf die gefalteten Hände herab. Frau
Ursala war tief gerührt, aber noch mehr erhoben und getröstet. „Habt
Dank!“ sagte sie warm, indem sie ihm beide Hände reichte, „Ihr habt mir
unendlich wohlgethan, lieber Meister. Der Himmel segne Euch und erhalte
Euch Euren reinen Glauben!“
Sie ging nach Hause, ihre Schritte waren beflügelt, sie trug ihr
Haupt höher, eine Centnerlast war von ihrer Seele genommen. Fortan
sollte keine Sorge mehr ihren Frieden stören; sie wollte nicht allein
Berthold, sondern alle ihre Kinder in der Art dem Himmel weihen, wie es
Meister Andreas sie gelehrt hatte, und so ihr Gelübde überschwenglich
erfüllen.
Und noch eins wollte sie thun: sie hatte der heiligen Anna eine neue
Kapelle gelobt, jetzt wußte sie, wo sie dieselbe bauen lassen wollte.
Der Rat hatte in der Zeit, als die Pest wütete, verboten, die Toten
noch ferner innerhalb der Mauern zu begraben; es war ein neuer Friedhof
vor dem Tiergärtner Thor geweiht worden, der fortan als allgemeine
Ruhestätte dienen sollte. Doch war man bei der großen Menge auf
heftigen Widerstand gestoßen, und es hatten sich alle Gutgesinnten,
denen das Wohl der Stadt am Herzen lag, die Aufgabe gestellt, den
neuen Johanniskirchhof aufs schönste auszustatten, um so das Vorurteil
zu besiegen. Es fiel Frau Ursala nicht schwer, ihren Gatten für
ihren Plan zu gewinnen; er liebte es, seinen Reichtum zu entfalten
und zum allgemeinen Besten anzuwenden, nur fehlte es ihm, unter den
tausend Geschäften, die der ausgedehnte Handel seines Hauses mit sich
brachte, oft an Zeit und Gedanken dafür. Doch war er gern bereit,
eine Versammlung der besten Kunsthandwerker Nürnbergs in sein Haus zu
berufen, um den Plan der Kapelle mit ihnen zu besprechen.
Um den großen Tisch im Wohnzimmer waren bald darauf die hervorragendsten
Meister der Stadt vereint. Da war Michael Wohlgemuth, der die besten
Gemälde in Nürnberg fertigte, -- denn der, welcher einst sein Schüler
werden und seinen Ruhm tief in Schatten stellen sollte, Albrecht Dürer,
lag noch als kleines Kindlein in der Wiege --; Peter Vischer, der
treffliche Rotgießer, der schon manches schöne Werk geschaffen hatte;
Veit Stoß, der geschickte Bildschnitzer, von dem der englische Gruß
in der Lorenzkirche herrührte; Sebastian Lindenast, der kunstreiche
Verfertiger des Männleinlaufens; Veit Hirschvogel, der Glasmaler, der
die Kirchen mit köstlichen Fenstern schmückte, und andre; nur der
eigentliche Baumeister war ausgeblieben. Während Herr Wilibald seine
Absichten entwickelte, Frau Ursula hin und wieder ein bescheidenes
Wörtchen einwarf, und die Anwesenden ihre Ideen aussprachen, war
Magdalene draußen beschäftigt, einen Imbiß vorzubereiten, denn es war
anzunehmen, daß nach vollendeter Beratung jeder einen rechtschaffenen
Hunger und Durst empfinden werde.
Der Diener Just meldete ihr, daß ein Mann sie zu sprechen wünsche.
„Mich?“ fragte sie erstaunt, „habt Ihr auch recht gehört? wer ist es?“
„Er ist mir ganz fremd, ein hoher schlanker Mann mit langem, dunklem
Bart; er trägt sich anders, als die Leute hier pflegen.“
Magdalenens Herz wallte hoch auf -- sollte endlich die lange und heiß
ersehnte Stunde gekommen sein? „Führt ihn zu mir auf den Vorsaal,“
sagte sie gepreßt; sie mußte sich an einem Stuhl festhalten, denn sie
zitterte an allen Gliedern. Der Fremde stieg die Treppe herauf; jetzt
stand er vor ihr; einen Augenblick betrachtete er sie prüfend, dann
breitete er seine Arme aus. „Meine Magdalene,“ rief er, -- und der eine
Laut sagte ihr alles, zwanzig Jahre des Harrens waren in einem Moment
ausgelöscht, sie schluchzte nur: „Adam!“ und sank halb ohnmächtig an
seine Brust.
Wenige Minuten später that sich die Thür zum Versammlungszimmer
auf; mit einem Ausdruck des Glücks, welcher ihre ganze Erscheinung
verjüngte und verschönte, trat Magdalene ein, Adam an der Hand führend.
„Verzeiht, liebe Herren, wenn ich Euch unterbreche,“ sagte sie mit
leuchtendem Blick, „aber hier ist einer, der bei Eurem Werk auch wohl
ein Wörtchen mitreden dürfte, und dessen Rat Ihr nicht verschmähen
werdet. Adam Krafft ist wiedergekehrt!“
[Illustration: Adam Kraffts Heimkehr.]
Alle sprangen von ihren Sitzen auf, staunend umringten sie den
Ankömmling, der den meisten von ihrer Jugend her bekannt war, an
dessen Wiederkehr aber keiner mehr geglaubt hatte, als das eine treue
Herz seiner Braut. „Wo habt Ihr so lange verweilt? -- was hat Euch all
die Jahre zurückgehalten? -- wo kommt Ihr plötzlich her?“ so hieß es
von allen Seiten. „Setzt Euch und berichtet uns, wie es Euch ergangen
ist.“
Es war eine traurige Geschichte, die Adam zu erzählen hatte. Anfangs
zwar war ihm alles herrlich geglückt; von einem Meister an den andern
empfohlen, von der Lust, zu schauen und zu lernen, immer weiter
gelockt, hatte er schöne Jahre in Deutschland und Italien verlebt und
manchen reichen Verdienst eingesammelt, der ihm das künftige Haus
sollte bauen helfen. In Neapel hatte er kehrt machen wollen, ein
Schiff sollte ihn bis Genua führen, und Wind und Wellen schienen dem
Streben seiner treuen Liebe hold zu sein. Aber plötzlich erhob sich
ein Unwetter, die Masten mußten gekappt werden, ein Sturm trieb das
steuerlose Schiff an ein fremdes Gestade, und an dem schlimmen Empfang,
den sie dort fand, erkannte die unglückselige Mannschaft, daß sie in
die Hände des heidnischen Herrschers von Tunis gefallen sei. Viele
Jahre hatte Adam dort als Sklave die niedrigsten Dienste verrichten und
endlich Steine zum Bau eines Tempels heranschleppen müssen. Er erkannte
mit verständnisvollem Blick, daß das Gebäude übel angelegt sei, und
warnte den König und den Baumeister vor den Folgen. Man strich ihn
für seine Dreistigkeit mit Ruten; als aber bald darauf sein Wort in
Erfüllung ging und der Tempel zusammenstürzte, da gedachte der König
seiner Warnung und befahl ihm, ein neues Bauwerk zu errichten. Er that
es, und sein Lohn war die Freiheit, doch ward er ohne Habe bei Genua
ans Land gesetzt, und mühsam hatte er von dort aus seinen Weg bis zur
Heimat zurückgelegt. Nun war er nach zwanzigjähriger Abwesenheit wieder
in seiner lieben Vaterstadt angelangt, -- aber arm, wie er gegangen;
nur seine gesunden Arme hatte er mit heimgebracht, einen Kopf voller
Pläne und Entwürfe und seine unveränderte Liebe für seine Magdalene.
Wie ein Lauffeuer ging die Kunde von Adam Kraffts Heimkehr durch
die Stadt, alles drängte sich hinzu, um ihn zu begrüßen und Jungfer
Magdalene zu beglückwünschen. Wie viele Scheltworte hatte sie um ihrer
Hartnäckigkeit willen hinnehmen müssen! wie oft hatten sich Witz und
Spott an ihrer hoffnungslosen Treue versucht! Sie hatte sich durch das
eine so wenig irre machen lassen, wie durch das andre, und ließ sich
auch jetzt nicht dadurch anfechten, daß Adams Armut ihre Vereinigung
mit ihm ins Ungewisse hinausrückte. Aber hier zeigte sich der Geist der
Nürnberger im schönsten Licht: Adam, hieß es, sei ein echter Sohn der
Stadt, und ein Sohn dürfe nichts dagegen einwenden, wenn die Eltern
ihn ausstatteten. Von allen Seiten trug man ihm Geschenke zu, der eine
brachte Geld, der andre Hausrat, und Adam dachte zu groß, um sich
solcher Liebe zu schämen. Er kaufte ein freundliches Häuschen, richtete
es mit dem Notdürftigsten ein und bat Magdalene, seine Hausfrau zu
werden. Im Herbst ward die Hochzeit gefeiert, die ganze Stadt nahm den
herzlichsten Teil daran. Herr Wilibald Ebner übertrug ihm den Bau der
Kapelle, den er aufs glänzendste ausführte; er bewies sich dadurch als
ein trefflicher Baumeister und hervorragender Steinmetz, dem es fortan
an Bestellungen nicht fehlte. Der Name Adam Krafft strahlte von da an
als heller Stern am künstlerischen Himmel von Nürnberg.
Frau Ursulas liebster Gang führte sie fortan zur Kapelle der heiligen
Anna auf dem Johanniskirchhof; dort betete sie oft für ihre Kinder und
mit ihnen und erneuerte den Entschluß, sie in treuer Sorge für den
Himmel zu erziehen. Sie ließ es sich jetzt angelegen sein, Berthold
für der Stand seines Vaters zu bestimmen, und so sehr er auch anfangs
widerstrebte, so fand er sich doch allmählich in den Gedanken, schon
um seiner Mutter willen, an der er mit schwärmerischer Liebe hing. Wie
keck und übermütig er auch oft sein mochte -- +ein+ bittendes Wort von
ihr, +ein+ vorwurfsvoller Blick genügte, um seiner mutwilligen Laune
eine Schranke zu setzen und ihn zu liebevollem Gehorsam zurückzuführen.
So vergingen einige Jahre in stillem Frieden, und wenn Frau Ursula
auch zuweilen darüber seufzte, daß ihr Gatte so wenig Zeit für sie
und die Kinder übrig habe, wenn sie auch mitunter wünschte, er möchte
aufgeschlossner, vertrauensvoller sein, so sah sie diese Entbehrungen
doch als die unvermeidlichen Schwächen an, die jedem Erdenlose
anhaften, und betrachtete sich als eine glückliche Frau und reich
gesegnete Mutter, denn ihre Kinder erblühten neben ihr, frisch und
schön, wie die Rosen.
[Illustration]
Siebentes Kapitel.
Das Strafgericht der Stadt.
Räuberischer Gesell, du Zerrbild christlichen Adels,
Trotzest du heut’ dem Gesetz, einmal bezwingt es dich doch!
In der Hausflur des Ebnerschen Hauses drängte sich ein Haufe Menschen,
Männer, Frauen und Kinder, in dürftiger bäuerlicher Tracht. Ihr
Aussehen bezeugte deutlich, daß sie zu den Mühseligen und Beladenen
gehörten, denn alle Gesichter hatten einen Ausdruck des Leidens,
der bei den einen mehr in stumpfes Dulden, bei den anderen in
verbissenen Groll überging. Justus hatte vergebens versucht, die Leute
hinauszudrängen, sie widerstanden ihm mit ruhiger Hartnäckigkeit und
erklärten, nicht vom Platze weichen zu wollen, bis sie den Ratsherrn
gesprochen hätten. Endlich öffnete sich eine Thür, und Herr Wilibald
Ebner erschien auf den Stufen; alles stürmte auf ihn zu, und alle
Stimmen riefen auf einmal: „Helft uns, rettet uns! Habt Erbarmen, übt
Gerechtigkeit!“
Der Kaufherr hob die Hand auf. „Schweigt!“ sagte er in ernstem Ton,
und in seiner Haltung, wie in dem Klange seiner Stimme lag etwas
Gebietendes, das sich sofort Gehorsam erzwang. „Einer rede und sage mir
in kurzen Worten Euer Begehr. Sprich du, Freund, was führt Euch zu mir?“
Der Angerufene, ein älterer Mann von ehrbarem, aber unendlich
niedergedrücktem Wesen, trat einen Schritt vor. „Herr,“ begann er
kummervoll, „wir sind Einwohner des Dorfes Hohenheiligen und bitten
Euch um Schutz gegen unsere Bedränger. Junker Veit von Rotenhahn, der
die alte Burg bewohnt, behandelt uns wie Feinde; er raubt uns unser
Vieh, verwüstet unsre Felder, schlägt unsre Kinder .....“
„Mir hat der Teufel, der schwarze Janko, die einzige Kuh von der Weide
getrieben,“ rief eine Stimme dazwischen -- „Mir haben die kleinen
Junker die Gänse gestohlen,“ schrie eine andre -- „Mir hat der lahme
Miklot meine Tochter entführt und zum Dienst auf der Burg gepreßt, wo
sie mehr Schläge erhält als Essen“ -- „Uns haben sie das Heu von der
Wiese genommen“ -- „Uns das Getreide vom Felde gefahren“ -- -- Die
Klagen wollten kein Ende nehmen.
Wieder erhob Herr Wilibald die Hand und gebot Schweigen; wieder nahm
der erste Sprecher das Wort. „Als wir uns bei dem Junker Veit selbst
über das Treiben seiner Knechte und seiner wilden Söhnlein beschweren
wollten, warf er einen unsrer Boten ins Verließ, wo weder Sonne noch
Mond hinscheint, die andern ließ er vom Hofe peitschen. Dann gingen
wir zum Ritter nach Maltheim, wo seit der Väter Zeiten unsre Herren
gesessen, -- aber er sagte uns, er habe Dorf und Flur Hohenheiligen an
Euch, Herr, verpfändet und während der Pfandzeit könne er nichts für
uns thun. So sind wir zu Euch gekommen, gestrenger Herr; nehmt Ihr Euch
unserer Not an! wahrlich, wir sind des Lebens satt und müde, denn es
ist, als säße der leibhaftige Teufel mit seinen Helfershelfern über uns
und plagte uns schier zu Tode!“
Herrn Ebners Stirn zog sich in dunkle Falten, unwillkürlich ballte
sich seine Hand, doch bewahrte er äußerlich seine Ruhe und sprach nach
kurzem Bedenken: „Ich gehe eben in die Ratssitzung; drei von Euch mögen
mich begleiten, um Eure Klagen vor dem wohllöblichen Rat der Stadt
vorzubringen; ich, als Einzelner, vermögte Euch wenig zu helfen. Die
andern mögen sich auf dem Hofe niedersetzen, meine Hausfrau wird sie
mit Speise und Trank erquicken. Dann aber geht ruhig Eures Weges und
erwartet in Geduld das weitere.“
Diese Entscheidung wurde mit einem beifälligen Gemurmel aufgenommen;
der Haufe, der vom weiten Wege müde und hungrig war, lagerte sich
im Schatten des alten Nußbaums, der seine grünen Zweige freundlich
über die Armen und Elenden ausbreitete. Nach einiger Zeit erschien
Frau Ursula mit den Töchtern zur Seite und zwei Mägden hinter sich,
welche große Schüsseln dampfenden Mehlbreis, Brot, Käse und Wurst
trugen. Die Hausfrau selbst leitete die Verteilung und sah zu, daß
niemand zu kurz käme; besonders auf die Kinder hatte sie ein gütiges
Auge, und es rührte sie, zu sehen, mit welchem heißhungrigen Lächeln
sie zulangten und sich die gute Kost schmecken ließen, die für sie
ein seltener Leckerbissen war. Mit freundlicher Herablassung sprach
sie mit den armen Weibern und ließ sich die Geschichte ihrer Leiden
erzählen, die ihr tief zu Herzen ging; es war ein erschütterndes Bild
täglich wiederholter Plagen, welche diesen unterdrückten Menschen jede
Lebensfreude verkümmerten, ja, ihrem elenden Dasein jede Sicherheit
entzogen.
So sehr hatten sich im Laufe der Jahrhunderte die ländlichen
Verhältnisse verändert, daß die ehemals freien Bauern, welche mit
Freude und Selbstbewußtsein ihren Acker bauten und die Früchte
ihres Fleißes genossen, fast ausnahmslos zu rechtlosen Leibeigenen
herabgedrückt und unter die Knechtschaft der adligen Herren gestellt
worden waren. Die Zeit war nicht mehr fern, in der der tiefe Groll,
der lange Jahre hindurch die Gemüter mit wohlberechtigter Entrüstung
erfüllt hatte, endlich in hellen Flammen wilden Hasses auflodern, und
bei der gänzlichen Verkommenheit alles geistigen Lebens ein furchtbares
Verderben um sich her verbreiten sollte, in welchem zahllose Dränger
und Bedrängte ihren Untergang finden mußten. -- Wie dankbar empfand
die Ebnerin in dieser Stunde alle Vorzüge ihrer Stellung, wie preßte
sie ihre Kinder ans Herz und pries den Himmel dafür, daß sie nicht der
Bosheit roher Knechte und ungezügelter Buben ausgesetzt waren! --
Unterdessen fand auf dem Rathause eine sehr erregte Sitzung statt. Die
Klagen der Bauern fielen auf einen wohlbereiteten Boden, denn sie waren
nicht die einzigen, deren Rechte Junker Veit gröblich mit Füßen trat.
Kaum ein Warentransport gelangte von dieser Seite her in die Stadt,
dem er nicht aufgelauert hätte, und wenn seine Kräfte auch denen der
reisigen Begleiter selten in offenem Kampfe gewachsen gewesen wären,
so verstand er es doch vortrefflich, durch List einen einzelnen Wagen
zum Stürzen zu bringen und sich in der eintretenden Verwirrung eines
Teils seiner Ladung zu bemächtigen. Jeder Handelsherr der Stadt hatte
schon Verlust und Arger durch ihn erlitten, und in der Zeit des regsten
Verkehrs verging keine Woche ohne solche Schädigungen. Wurden doch in
der guten Jahreszeit die Straßen nicht leer von Fuhrwerken, welche die
im Auslande lebhaft begehrten Woll- und Lederarbeiten, die Harnische
und Waffen und all die zierlichen Erzeugnisse der vorgeschrittenen
Industrie Nürnbergs fremden Plätzen zuführten, während andrerseits
die großen Kaufhäuser täglich ankommende Waren erwarteten, Weine vom
Rhein, aus Spanien, Italien und Ungarn, feine Leinwand aus Flandern,
Gewürze aus Indien, Heringe aus dem Norden und andre Dinge aus aller
Welt Enden. Da brachte ein einziger Fang dem Räuber ebenso stattlichen
Gewinn, wie er dem Kaufmann bedeutenden Schaden zufügte. Auch der
städtische Jägermeister hatte beständig gegen Junker Veit und seine
Spießgesellen zu klagen, denn sie jagten ohne jede Berechtigung
im Reichswalde, der städtisches Eigentum war, und fällten dort so
viel Holz, wie sie für Herd und Ofen brauchten. Die Namen Veits von
Rotenhahn, des schwarzen Janko und des lahmen Miklot wurden von allen
Seiten nur mit Haß und Verachtung genannt; man meinte allgemein, sie
müßten mit dem Bösen im Bunde stehen, weil es nie gelänge, einen von
ihnen zu fassen. Stets wußten sie mit heiler Haut zu entwischen, auch
wenn die Verfolger in der Überzahl und in offenbarem Vorteil waren.
Darin also waren alle einig, daß Junker Veit ein arger Bösewicht sei,
welcher gegen jedes Recht frevle und harte Strafe verdiene; aber
wie die Strafe zu vollstrecken sei, darüber gingen die Meinungen
weit auseinander. Die Hitzigsten wollten Aufbietung der bewaffneten
Stadtmacht, offne Fehde-Erklärung, Belagerung der Burg und Vernichtung
oder Gefangennahme der Übelthäter; die Ruhigen verlangten, daß erst
alle Mittel friedlicher Justiz versucht werden sollten. „Wir wenden uns
mit unsrer Klage an das kaiserliche Landgericht,“ hieß es.
„Habt Ihr vergessen,“ wendete ein andrer ein, „daß Markgraf Albrecht
Achilles Verwalter des kaiserlichen Gerichts ist? und könnt Ihr von ihm
Gerechtigkeit erwarten in Sachen der Stadt wider einen Adligen?“
„Wir müssen uns selbst Recht schaffen!“ rief ein dritter; „ladet den
Junker vor die städtische Gerichtsbarkeit, er hat sich hundertmal auf
städtischem Gebiet vergangen.“
„Laden können wir ihn wohl, aber wird er kommen?“ fragte ein vierter;
„wird er unsre Forderung nicht einfach verlachen?“
Dennoch hatte dieser Vorschlag schließlich die meisten Stimmen für
sich, und man beschloß, dem Junker durch drei sichere Boten eine Ladung
zu senden. Sollte er derselben nicht folgen, so konnte man ihn in
seiner Abwesenheit verurteilen und für vogelfrei erklären, sobald er
sich auf städtischem Grund und Boden betreten ließe. Dann würde es wohl
nicht schwer halten, ihm durch ein paar verwegene Gesellen auflauern
und ihn in sichere Haft bringen zu lassen -- und dann winkten ihm
Galgen und Rad als unausbleibliche Strafe.
Inzwischen saß der, gegen welchen diese Anklagen geschleudert wurden,
in seiner sicheren Feste, wie ein Dachs in seinem Bau, und seine
Tage vergingen teils in aufregenden Unternehmungen, teils in trägem
Müßiggang. Die Stätte, wo er mit seiner Familie hauste, war keineswegs
anheimelnd oder wohnlich, doch war sie seinen wilden Neigungen
trefflich angepaßt. Inmitten eines wüsten Trümmerhaufens erhob sich
in drei Stockwerken ein turmartiger Bau mit gewaltigen, unversehrten
Mauern, der letzte Überrest einer stolzen Burg. Das unterste Gelaß,
das nur durch einige Öffnungen dicht unter der Decke spärlich erhellt
wurde, enthielt die Küche und etliche Vorratsräume; eine schmale
Spalte, die durch eine starke eichene Thür und eiserne Riegel verwahrt
werden konnte, führte ins Freie. In den zweiten Stock gelangte man von
außen auf einer hölzernen Treppe, welche in eisernen Haken hing, und
die man nach Gefallen abnehmen konnte; von hier führte eine steinerne
Wendeltreppe nach oben. Jedes Stockwerk enthielt einen größeren
Raum, unten den für die Männer, oben den für die Frauen, und kleine
Schlafkammern daneben; auf der Zinne wohnte in einer winzigen Zelle
der Türmer, der auf einem vorspringenden Söller ringsum gehen und die
Umgebung der Burg auf eine weite Entfernung überschauen konnte. Ein
enger Hof, der durch eine hohe Umwallung aus den zerfallenen Steinen
der ehemaligen Burg abgeschlossen wurde, umgab den Turm; die Zugbrücke,
welche meist aufgezogen blieb, wurde durch zwei Donnerbüchsen behütet,
und so war mit großem Geschick eine fast uneinnehmbare Festung
geschaffen worden, deren Inhaber die Feindschaft und den Haß der ganzen
Welt verlachte.
Junker Veit lag lang ausgestreckt auf seinem Lager, dessen Stroh nur
mangelhaft durch einige ausgebreitete Felle verdeckt wurde; eine
umgestürzte, riesige Bierkanne zeugte deutlich von der Beschäftigung,
der er sich vorher hingegeben hatte. Sein Weib stand neben ihm. „Holla,
Veit,“ rief sie laut und schüttelte ihn derb an der Schulter, „wie
lange willst du hier noch auf der Bärenhaut liegen? sollen deine Frau
und deine Kinder Hunger leiden um deiner Faulheit willen?“
Er blinzelte und gähnte, ohne seine Stellung zu verändern. „Rüste dich,
und ziehe auf die Jagd aus,“ fuhr sie fort, „die Kammer ist leer, kein
Stücklein Fleisch oder Speck im Vorrat, das Mehl in der Tonne bedeckt
kaum noch den Boden, der Wein ist ausgetrunken. Schaffe neue Vorräte
an, oder Schmalhans wird unser Küchenmeister sein, und den liebst du am
wenigsten.“
„Schicke die Knechte aus,“ sagte er schläfrig.
„Miklot behauptet, er könne nicht zu Pferde steigen: der Stich, den er
neulich ins Bein erhalten, schmerze noch zu sehr; und Janko will nicht
allein reiten, er sagt, die verdammten Bauern fahndeten zu hart auf
ihn, einer könne sich ihrer schlecht erwehren.“
„So laß die Knaben ausziehen und dir ein paar Hühner oder ein
Schweinchen von der Weide holen.“
„Meinst du, ich würde die unschuldigen Lämmer noch einmal den Knütteln
der elenden Dorfbuben aussetzen? Emmo ist kaum noch kenntlich, so
haben ihm die Schufte das Gesicht zerbläut, und Balduins Rücken ist
mit Beulen überdeckt, daß ich Tag und Nacht daran kühlen muß. Du magst
es vergessen, daß die Knaben von ihrer Mutter Seite her aus altem,
edlem Geschlecht stammen, ich habe es immer vor Augen und werde sie vor
Unwürdigem zu bewahren wissen, obgleich ihr Vater nur ein landläufiger
Abenteurer ist.“
Mit einem Satz war Junker Veit auf den Füßen, „Hochmütige Hexe!“
knirschte er zwischen den Zähnen, „willst du mich rasend machen?“ Sie
entfloh vor seinem wilden, drohenden Blick in ihr eignes Gemach; eine
Weile saß sie dort still in bebender Angst, dann lauschte sie auf die
unten erschallenden Tritte. „Er rüstet sich!“ sagte sie triumphierend,
„ich habe ihn aufgerüttelt. Es versteht es doch keiner, mit ihm fertig
zu werden, als ich allein!“
Als am Abend dieses Tages Junker Veit und Janko mit reicher Jagdbeute
heimkehrten, empfing Walburg den Gatten aufs freundlichste.
„Seid willkommen, teurer Herr,“ sagte sie mit liebevollem Lächeln,
„und habt Dank, daß Ihr meine Vorratskammer so reich versehen habt.
Ich wußte es ja, daß dieser starke Arm die Seinen nicht würde darben
lassen.“
Er küßte sie flüchtig auf die Stirn, und der oft getrübte Friede war
wieder einmal geschlossen. --
Am nächsten Mittag stieß der Türmer ins Horn. „Was siehst du?“ rief
Junker Veit zu ihm hinauf.
„Es kommen drei Reiter von der Stadt her; sie tragen die Abzeichen von
Nürnberg und ein weißes Fähnlein, zum Zeichen friedlicher Gesinnung.“
„Viel Gutes werden sie mir nicht bringen,“ meinte der Junker, „ich
glaube nicht, daß die Krämerseelen mir besonders gewogen sind. Doch man
kann ja hören, was sie wollen.“
Er stieg hinab rief die beiden Knechte zu sich, ließ die Zugbrücke
fallen und stellte sich am Anfang derselben auf, Janko und Miklot
hinter sich, doch so, daß sie von den Ankommenden nicht gesehen werden
konnten. Die Reiter hielten vor der Brücke still. „Was ist Euer
Begehr?“ rief Veit ihnen zu.
„Wir sind vom wohllöblichen Rat der Stadt Nürnberg gesendet, um eine
Ladung an den Junker Veit von Rotenhahn zu überbringen.“
„Ich bin es selber; sprecht aus, was Ihr zu sagen habt.“
Der vorderste Reiter zog aus dem Schaft seines hohen Stiefels ein
Papier, an dem ein großes Siegel hing, entfaltete es und begann
mit lauter Stimme zu lesen. Es war eine genaue Aufzählung all
der Übertretungen, deren sich der Inhaber der Burg Hohenheiligen
schuldig gemacht hatte, -- und eine mächtige lange Reihe hatte
man zusammengestellt, wovon schon die Hälfte genügt hätte, dem
Übelthäter an Kopf und Kragen zu gehen. Zum Schluß ward der Junker
vor das städtische Gericht geladen, um sich wegen dieser Anklagen zu
verantworten.
Veit hatte mit belustigtem Zwinkern zugehört und sich behaglich den
Bart gestrichen; als die Lesung beendet war, brach er in ein höhnisches
Gelächter aus. „Sagt dem gestrengen Rat: auch die Nürnberger hängten
keinen, sie hätten ihn denn, und mich sollen sie noch lange nicht
haben! Was schert mich der Rat der Stadt? ich bin ein freier Mann auf
eignem Grund und Boden und lache der städtischen Gerichtsbarkeit.
Wollen die Herren mich richten, so mögen sie zu mir kommen, wir wollen
sie gastlich und mit Ehren empfangen und ihnen ein lustiges Tänzlein
aufspielen! Zum Zeichen aber, daß Veit von Rotenhahn nicht mit sich
scherzen läßt, behalte ich diesen großmäuligen Patron als Geisel in
meinem Gewahrsam.“
Damit warf er sich auf den überraschten Reiter und riß ihn vom Pferde;
Janko und Miklot waren wie der Blitz an seiner Seite, und ehe der Mann
sich von seinem Schrecken erholt hatte, war er schon innerhalb des
Thores. Ratlos sahen die beiden Begleiter sich an; sollten sie sich
gleicher Gefahr aussetzen? ihre Pflicht war es vielmehr, dem Rat diesen
neuen Frevel zu melden. Sie gaben ihren Pferden die Sporen und jagten
davon; rasselnd fuhr hinter ihnen die Zugbrücke in die Höhe.
Der Gefangene ward gebunden und in einen dunklen, gewölbten Kellerraum
geschleppt, der sich unter den Trümmern der alten Burg weit hinzog.
„Welche Absicht hast du mit ihm?“ fragte Walburg unzufrieden. „Mich
dünkt, er ist nur ein unnützer Esser mehr, der uns gar keinen Nutzen
schaffen, sondern die Städter nur noch mehr gegen dich aufbringen
kann.“
„Wenn du nichts für ihn zu essen hast, so laß ihn hungern,“ gab Veit
gleichmütig zur Antwort; „der feiste Bursche hat so lange an den fetten
Fleischtöpfen der Nürnberger gesessen, daß er ohne Schaden eine Weile
fasten kann. Übrigens weiß ein kluger Kopf jeden Umstand auszunutzen --
wer weiß, ob mir die Stadt nicht ein erkleckliches Lösegeld für ihren
Kriegsknecht bietet.“
„Schwerlich!“ versetzte Walburg. „Doch ist er ein ansehnlicher Geselle,
und mir ist, als müßte ich ihn von früher her kennen.“
Sie grübelte darüber nach, wo sie ihn schon gesehen haben könnte; die
dunkle Erinnerung vermischte sich mit Bildern aus ihrer Jugend -- jetzt
hatte sie’s: es war Klaus Zworrer, der Ehemann jener Frau Barbara,
welche schon im Dienst ihrer Stiefmutter gestanden, als sie selbst noch
als Mädchen auf Maltheim lebte. Walburg hatte sich bei ihrem langen
Besuch im Vaterhause genau nach allen Umständen erkundigt, welche sich
an die wunderbare Genesung der kleinen Irmgard knüpften; sie hatte
erfahren, daß Barbaras Gatte gerade damals für kurze Zeit ein Gast
auf der Burg gewesen war. Vielleicht ließ sich von dem Manne etwas
herausbringen, was darauf Bezug hatte, und seine Gefangennahme erwies
sich wirklich als eine nutzbare That ihres Ehegemahls, vor dessen
schlauen Anschlägen sie eine große Ehrfurcht empfand.
Nachdem der Gefangene zwei Tage lang ohne Speise und Trank in seinem
dunklen Gewahrsam gelegen hatte, stieg Frau Walburg selbst zu ihm
hinab, in einer Hand eine Laterne, in der andern einen Krug Bier und
ein Brot im Arm. Sie stellte alles in einiger Entfernung vor dem Manne
nieder, so daß er es, vermöge seiner Bande, nicht erreichen konnte
und betrachtete ihn aufmerksam. „Gebt mir zu essen,“ stöhnte er mit
trockner Kehle, „ich verschmachte vor Hunger und Durst.“
„Ihr sollt alles erhalten,“ versetzte sie, „doch müßt Ihr Euch dafür
erkenntlich zeigen.“
„Was kann ich thun?“ röchelte er „elend gefesselt und halb tot?“
„Ihr seid der Ehemann jener Frau Bärbel, die früher im Dienst der
Herrin auf Maltheim stand?“
„Ja, der bin ich.“
„Wollt Ihr mir aufrichtig und ohne Rückhalt einige Fragen beantworten?“
„Alles, was ihr wollt -- nur gebt mir zu essen und zu trinken.“
Sie schnitt ein Stück Brot ab, füllte einen kleinen Becher mit Bier
und reichte ihm beides; er ergriff es mit Gier und verschlang es mit
tierischem Heißhunger. „Mehr, mehr!“ stöhnte er.
„Erst müßt Ihr mir Bescheid geben. Ihr wart auf Maltheim bei Eurer Frau
-- es mögen jetzt etwa drei Jahre her sein?“
„Ja, ich war dort, ich erinnere mich genau, denn bald darauf zog ich
mit meinem Weibe nach Nürnberg.“
„Es war zu der Zeit, als das kleine Töchterchen des Ritters auf dem
Tode lag und wunderbar genas, besinnt Ihr Euch?“
„Nein, davon weiß ich nichts.“
„Nicht? so bin ich fertig und kann wieder gehen.“ Sie griff nach der
Laterne und den Lebensmitteln; aus der Brust des Gefangenen drang ein
Jammerlaut, der schauerlich von dem weiten Gewölbe widerhallte.
„O bleibt, erbarmt Euch -- geht nicht fort -- gebt mir mehr zu essen
--; was ich irgend weiß, will ich Euch sagen.“
Sie reichte ihm wieder einen Bissen und einen kargen Trunk. „Redet,“
sagte sie herrisch „verhehlt mir nicht den kleinsten Umstand aus jener
Zeit.“
„Ich war lange in der Fremde gewesen, in burgundischen Diensten,“
erzählte er in abgebrochenen Sätzen, „aber ich hatte die reiche Beute
nicht gefunden, die ich erhofft -- ein Teil freilich war mir beim
Würfelspiel wieder durch die Finger gegangen. Müde und krank kehrte ich
zurück, -- in der Nähe der Burg Maltheim fand ich ein Bündel auf der
Straße liegen und hob es auf, denn ich meinte, es möchte vielleicht
ein gutes Geschenk für mein Weib darin sein. Als ich es vor mir am
Sattelknopf befestigte, fing es innen an, sich zu rühren und zu quäken;
ich erschrak und untersuchte es -- es war ein kleines Kind darin. Schon
wollte ich es ärgerlich herabwerfen, aber das Würmchen dauerte mich,
es sah so weiß und fein aus; so nahm ich es mit und brachte es meinem
Weibe, das mich arg dafür auszankte. Sie behielt mich zwei Tage bei
sich; dann sagte sie, ich müsse fort, denn die Gebieterin wolle mich
unter ihrem Dach nicht leiden und dürfe mich nicht sehen. Das Kind
wolle sie behalten, aber ich müsse schwören, niemand ein Wort davon zu
sagen. Darauf zog ich nach Nürnberg und nahm Dienste bei der Stadt als
reisiger Knecht; meine Bärbel hat dort eine Schenke, und wir leben in
leidlicher Eintracht bei einander. Das ist alles, was ich Euch sagen
kann -- und nun gebt mir zu essen und zu trinken, denn ich bin schwach
zum Sterben.“
Mit einem Hochgefühl des Triumphes kehrte Walburg in ihr Gemach zurück;
endlich glaubte sie den Schlüssel zu einem Geheimnis gefunden zu
haben, an dessen Lösung sie sich bisher vergeblich versucht hatte. Es
schien ihr kein Zweifel mehr übrig, daß Irmgard jener Findling sei,
den der Kriegsknecht nach Maltheim gebracht hatte. Sie beschloß, über
ihre Entdeckung vorerst zu schweigen, um sie bei gelegener Zeit zu
verwerten, dagegen jetzt etwas für Klaus zu thun, um ihn desto sicherer
in ihrer Hand zu behalten.
„Ich sprach heute mit dem Gefangenen,“ sagte sie zu ihrem Gatten; „der
Hunger hat ihn mürbe gemacht, er ist bereit, aus der Hand zu fressen,
wie ein Hund, den man mit der Peitsche gezähmt hat. Übrigens scheint er
kein verächtlicher Geselle zu sein; vielleicht könntest du in ihm einen
tüchtigen Knecht gewinnen, denn Miklot wird gebrechlich, und es ist
nicht mehr auf ihn zu zählen.“
Der Gedanke leuchtete Junker Veit ein, und er bot dem unglücklichen
Mann die Freiheit an, falls er sich verpflichte, in seinen Dienst zu
treten, und ihm geloben wolle, ihm in allen Stücken treu und gewärtig
zu sein. Klaus weigerte sich anfangs lebhaft; er stand im Dienst der
Stadt, hatte ihrem obersten Kriegshauptmann das Jurament geleistet, und
es erschien ihm schimpflich, diesen ehrlichen Dienst mit dem bei einem
Stegreifritter und gemeinen Räuber zu vertauschen. Aber einige Tage
Hunger, Finsternis und Einsamkeit brachten ihn auf andre Gedanken; er
sah ein, daß er ohne Hilfe nicht aus dem Raubnest entfliehen könne, und
daß man ihn bei fortgesetzter Weigerung ohne Bedenken würde verhungern
lassen; die Zeit der Einkerkerung kam ihm wie eine Ewigkeit vor, denn
Tage und Nächte schlichen in endlosem Gleichmaß an seiner geängsteten
Seele vorüber. Da er daran verzweifelte, daß die Stadt etwas für
ihren gefangenen Boten thun würde, so sagte er endlich „ja“ zu Junker
Veits Vorschlägen und taumelte mühsam zum Licht der Sonne empor, das
seinen geblendeten Augen wehthat, während alle seine Glieder steif und
schmerzhaft waren und seine Kniee vor Schwäche zitterten. Es genügten
freilich wenige Tage, um ihn körperlich wiederherzustellen, aber sein
Sinn blieb düster und sein Mund verschlossen; hätte nicht Junker Veit
ihn mit einem furchtbaren Eide an sich gebunden und seinen Abfall mit
entsetzlichen Strafen bedroht, so hätte er vom ersten Tage an nur auf
Flucht gesonnen.
Die Nachricht, welche die beiden Boten nach Nürnberg brachten,
hatte Rat und Bürgerschaft in unbeschreibliche Entrüstung versetzt;
laute, aufgeregte Stimmen schrieen nach Rache für solche unerhörte
Frechheit, galten doch in der ganzen Christenheit Boten für geheiligte
Persönlichkeiten, an denen sich niemand vergreifen durfte. Man forderte
blutige Sühne für diesen Frevel, und hätte die allgemeine Stimmung sich
sofort in die That umgesetzt, wäre am nächsten Tage eine bewaffnete
Schar ausgezogen, um die Burg zu überfallen, so wäre es Junker Veit
übel ergangen. Aber so schnell ging es nicht; man war bei jeder
Unternehmung an weitläufige Formalitäten gebunden, an einberufene
Versammlungen, Vorschläge, Abstimmungen, Einspruchsfristen, und in
dieser Zeit verrauchte viel von dem anfänglichen Feuer. Endlich, nach
Ablauf einer Woche, marschierte ein Fähnlein Fußvolk unter einem
berittenen Anführer nach Hohenheiligen ab.
Inzwischen hatte Veit Muße gehabt, sich auf alle kommenden Ereignisse
vorzubereiten. Eines Tages kam Janko, der zum Spionieren ausgeschickt
war, auf schweißbedecktem Gaule angesprengt: „Sie kommen, Herr,“ rief
er keuchend, „in drei Stunden stehen sie vor unserm Thor.“
„Gut,“ sagte der Junker ruhig, „da haben wir noch reichlich Zeit, uns
zu ihrem Empfange zu rüsten.“ Er gab sofort seine Befehle, setzte
Walburg und die Knaben zu Pferde und gab ihnen Klaus und Miklot zur
Begleitung; sie sollten auf wohlbekannten Waldpfaden nach einer
benachbarten Burg reiten, wo ein gleichgesinnter Freund wohnte, und
dort das weitere abwarten. Walburg hatte sich zuerst geweigert, ihn in
dieser Gefahr zu verlassen, aber er lachte nur über den Gedanken an
Gefahr und verhieß ihr, sie in kurzem wieder heimzuholen.
Als die Nürnberger Soldaten vor der Burg anlangten, sahen sie mit
Erstaunen, daß die Zugbrücke herabgelassen war und das Thor weit offen
stand. Vorsichtig verbot der Anführer das Betreten der Brücke und des
Burghofes, weil er irgend eine teuflische List vermutete; als aber
eine Stunde verging und nichts sich regte, schickte er ein Häuflein
ab, um die Sache zu untersuchen. Totenstille herrschte in dem engen
Hof, die Thüren der niedrigen Ställe standen offen, nirgend war ein
lebendes Wesen zu sehen. Der Turm schien keinen Eingang darzubieten,
denn die schmale Öffnung, welche aus der Küche ins Freie führte,
war so kunstreich geschlossen, daß man nicht einmal eine Spur davon
gewahrte; die Treppe zum Oberstock war abgenommen, man sah nichts, als
kahle, nackte Mauern. Der Junker, der das Fähnlein führte, schüttelte
verwundert und unschlüssig den Kopf: wen sollte man denn bekriegen,
wenn gar kein Feind da war? Er hieß seine Leute, die ganze Burg
umzingeln und bewachen und ritt mit geringer Begleitung ins Dorf, um
Kundschaft einzuziehen. Bald sammelte sich die ganze Bevölkerung um die
tapferen Krieger und schrie auf sie ein; die alten Klagen gegen Junker
Veit und seine Knechte erschollen wieder, flehentliche Bitten, sie von
ihren Peinigern zu befreien, wurden laut.
„Schweigt, Ihr Gesindel!“ herrschte der Anführer die Bauern an, „ich
bin nicht gekommen, um Euer Gewäsch anzuhören. Sagt mir kurz und
bündig, was Ihr von den Insassen der Burg wißt; mir scheint, die
Galgenvögel sind allesamt ausgeflogen.“
„Ich sah die ganze Gesellschaft heute früh in gestrecktem Lauf
davonreiten,“ rief einer, „sie werden wohl Wind bekommen haben und
entflohen sein.“
„Meine Tochter, die auf der Burg gedient hat, ist heute zurückgekehrt,“
sagte eine Frau, „Junker Veit hat sie vom Hofe gejagt.“
„Bringt mir die Dirne her,“ gebot der Anführer. Ein bleiches,
verschüchtertes Mädchen trat zitternd hervor, sie sah unendlich
verkommen und zerlumpt aus. „Rede!“ rief der Reiter gebieterisch, „was
weißt du von dem, was auf der Burg vorgegangen?“
„Ich weiß nicht viel,“ stammelte die Dirne ängstlich; „vorige Woche
haben sie einen Gefangenen in den Keller geschleppt, aber niemand
durfte zu ihm, als der Herr und die Frau. Nach ein paar Tagen kam er
heraus und schwur dem Junker Treue, von da an ging er frei aus und ein.
Heute früh trieb mich der Herr mit der Peitsche aus der Küche, ich
solle mich hüten, wiederzukommen, er ritte mit all den Seinen davon.
Da bin ich gelaufen, was meine Füße mich tragen wollten, und habe mich
nicht mehr umgesehen, denn dort ist’s schlimmer, als in der Hölle.“
Zwei Tage und zwei Nächte blieben die Soldaten beobachtend vor der Burg
liegen: als aber alles still und ausgestorben blieb, fingen sie an zu
murren und verlangten, entweder in einen ehrlichen Kampf, oder nach
Hause geführt zu werden. Es gab nicht einmal etwas zu plündern auf dem
elenden Burghof, wo ohnehin alles in Trümmern lag; die alten Mauern
des Turmes hätten doch aller Bemühungen gespottet, ihnen einen Schaden
anzuthun. So begnügte sich der Anführer damit, das Urteil des Rates,
wonach Junker Veit von Rotenhahn als ein Ehrloser gebrandmarkt und
auf seinen Kopf ein Preis gesetzt wurde, ans Thor zu nageln. Dann zog
er mit seinem Fähnlein unrühmlich von dannen, um den Vätern der Stadt
mit prunkenden Worten zu berichten, daß schon die Annäherung eines
bewaffneten Trupps genügt habe, um den Frevler mit all den Seinen in
wilder Flucht von Haus und Hof zu jagen. Übrigens sei der Kriegsknecht,
Klaus Zworrer, ein Elender und Eidbrüchiger, zu dessen Befreiung
weitere Anstalten nicht zu treffen seien. --
Eine Weile, nachdem die tapferen Stadtsoldaten abgezogen waren, blieb
es still wie vorher auf dem Burghof von Hohenheiligen, dann öffnete
sich die Thür im Oberstock, die Treppe ward herabgelassen, Junker
Veit und Janko stiegen hinunter. Im Nu war die Zugbrücke aufgezogen,
das Thor geschlossen, die Pferde aus dem Kellergewölbe hervorgezogen.
Die beiden wackeren Kumpane waren unmäßig vergnügt, und dem Anführer
des Fähnleins hätten billig die Ohren klingen müssen von all den
Ehrentiteln, mit denen die beiden ihn belegten. Zuletzt holten sie
einen dickbäuchigen Krug spanischen Weines herauf, der beim letzten
Überfall in ihre Hände geraten war, und fingen an zu zechen. Erst
jubelten und sangen sie, daß die alten Mauern widerklangen, dann
lallten sie unverständliche Worte, und schließlich lagen Herr und
Knecht in tiefem Rausch mitsammen unter dem Tisch.
Das war das Ende des Strafgerichts, welches die freie Reichsstadt
Nürnberg gegen den Raubritter Veit von Rotenhahn verhängte.
[Illustration]
Achtes Kapitel.
Des Studenten Auszug.
Eng wird dem Jüngling das Haus, es treibt ihn hinaus in die Ferne,
Wo sich der strömende Quell ewiger Weisheit ergießt.
Mehrere Jahre waren verflossen; sie hatten auf Maltheim nur solche
Veränderungen hervorgebracht, wie sie naturgemäß im Laufe der Zeit
lagen. Aus dem Knaben Ulrich war ein schöner, schlanker Jüngling
geworden, in jeder Rittertugend wohl erfahren und dabei von einer
Geistesbildung, welche die seiner Standesgenossen weit überragte.
Immer noch war Pater Benedikt sein Lehrer, aber fast hatte der Schüler
ihn überholt, wenn auch nicht an eigentlicher Gelehrsamkeit, so doch
an Freiheit und Tiefe der Gedanken und mit dem Fluge einer kühnen
Phantasie. Er war der Stolz und die höchste Freude seiner Mutter und
zugleich ihr vertrauter Freund und Berater, denn ihr Eheherr war
inzwischen zu einem hilflosen Greise geworden, der sich mühsam von
seinem Lager bis zu seinem Lehnstuhl schleppte und wochenlang sein
Zimmer nicht verlassen konnte. Auch sein Geist war sehr gealtert;
es fehlte Herrn Werner alles Verständnis für die Gegenwart, der er
keine Teilnahme schenkte, dagegen lebte und webte er mit all seinen
Gedanken in einer glänzenden Vergangenheit und wurde niemals müde,
von den Thaten und Erlebnissen seiner jüngeren Jahre zu erzählen. Er
fand eine stets aufmerksame Zuhörerin an Irmgard, die mittlerweile zu
einem frühreifen Mädchen herangewachsen war. Die kleinen, zarten Formen
ihres Körpers ließen kaum auf zehn Jahre schließen, aber der Glanz der
dunklen Augen zeigte von einem ungewöhnlich regen Geistesleben, und das
von langen, aschblonden Locken umrahmte Antlitz trug den Ausdruck eines
viel reiferen Alters.
Frau Kunigunde saß in der tiefen Fensternische ihres Gemaches und
schaute aufmerksam auf den Hof hinaus, wo Ulrich die Schwester im
Reiten und Springen übte. Die zierliche Gestalt saß unerschütterlich
fest im Sattel und führte jedes Gebot ihres Lehrmeisters mit voller
Sicherheit aus. Es war ein hübsches Bild, und die Blicke der Mutter
hingen mit stolzer Freude an den beiden Geschwistern, deren Liebe im
Lauf der Jahre immer dieselbe geblieben war, wie verschieden sich auch
ihr Sinn und ihre Neigungen entwickelt hatten.
Der Eintritt des Hauskaplans unterbrach die stillen Betrachtungen
der Edelfrau; sie begrüßte ihn ehrerbietig und bot ihm einen Sitz in
ihrer Nähe an. „Ich komme, edle Frau,“ begann er mit bewegter Stimme,
„um Euch für viele friedliche Jahre zu danken, die ich in Eurem Hause
verlebt habe, -- jetzt muß ich von Euch scheiden.“
„Ihr wollt uns verlassen, Pater Benedikt?“ fragte Frau Kunigunde
überrascht. „Wir werden eine hirtenlose Schar sein, ohne Eure treue,
väterliche Leitung, und was wird Ulrich beginnen, wenn er Eurer
Unterweisung entbehren muß?“
„Das Gebot meiner Oberen ruft mich von hinnen, ich muß gehorchen, denn
der Diener des Herrn darf, wie sein Meister, auf Erden keine bleibende
Stätte haben. Aber ehe ich diesem Hause Valet sage, an dem mein Herz
vielleicht fester hängt, als es einem Sohn der Kirche geziemt, möchte
ich als treuer Freund und Beichtiger mit Euch über Ulrich sprechen.
Sein grübelnder Geist braucht kräftige Nahrung, um sich nicht auf
gefährliche Abwege zu verirren: schickt ihn nach Paris oder Bologna,
damit er fleißig studiere.“
„Ich soll mich von ihm trennen?“ rief Frau Kunigunde erschrocken;
„nein, Vater, verlangt nur das nicht von mir! sagt mir nicht, daß
es meine Pflicht sei, meinen einzigen Sohn in die Fremde hinaus zu
schicken und ohne ihn zu leben!“
„Und dennoch ist es Eure Pflicht, edle Frau, und ich weiß, Ihr werdet
Euch derselben nicht entziehen. Eine Mutter darf nicht selbstsüchtig
ihren Sohn der Welt vorenthalten, die an seine Kraft und seinen
Verstand ein Anrecht hat. Laßt ihn auf vier, fünf Jahre hinausziehen,
damit er fähig werde, die Stelle einzunehmen, für die ihm seine reichen
Gaben verliehen sind. Dann wird Ulrich einst ein Mann werden, auf den
Ihr mit Recht stolz sein dürft.“ --
Der Pater ging und ließ die Edelfrau in tiefer Bewegung zurück. Was
blieb ihr denn noch, wenn Ulrich von ihr ging? Ihr Gatte war alt und
hilflos, fast kindisch, und bei Irmgards Anblick wollte zuweilen ein
quälender Zweifel ihre Seele beschleichen. Es war nun schon mehrere
Jahre her, seit Walburg mit Klaus’ Erzählung hervorgetreten war
und behauptet hatte, jener Findling sei heimlich in die Wiege des
verstorbenen Kindes gelegt worden. Herr Werner hatte damals der Tochter
in heftigem Zorn verboten, je wieder ein ähnliches Wort zu äußern, er
hatte ihr mit völliger Enterbung gedroht, wenn sie solche schändlichen
Lügen verbreite. Sollte er sein eigen Fleisch und Blut nicht kennen?
konnte nicht ein Blinder merken, daß seine weiße Rose aus seinem alten
Stammbaum erblüht sei? Aber in Frau Kunigundens Seele war seit jener
Zeit ein Stachel zurückgeblieben; zuweilen starrte sie in Irmgards
Antlitz, um darin die Spur verwandter Züge zu entdecken -- vergebens!
Darin hatte Walburg sicher recht gehabt, daß das Mädchen weder Vater
noch Mutter glich, und je mehr sie heranwuchs, um so mehr zeigte sich
in ihr eine völlig eigenartige Schönheit. Bis jetzt hatte Frau von
Maltheim noch nicht gewagt, gegen irgend jemand ein Wort von ihren
Zweifeln zu äußern, doch stieg in ihrer Seele der Wunsch nach Gewißheit
immer höher; sie beschloß, bei nächster Gelegenheit Frau Barbara
aufzusuchen und sie vorsichtig auszuforschen.
Der Kaplan war abgereist, der Wille seiner Oberen berief ihn an die
Frauenkirche zu Nürnberg, wo er dem alternden Propst, besonders als
Kanzelredner, ein Beistand sein sollte. Niemand empfand die Lücke mehr,
als Ulrich, der den trefflichen Lehrer täglich vermißte. Eines Tages
kam er zu seiner Mutter und umfaßte sie liebevoll. „Lieb Mütterlein,“
flüsterte er in zärtlichem Ton, „hast du mich lieb? und bist du fest
überzeugt, daß ich dich lieber habe, als alles andre auf der Welt?“
„Ja, mein Ulrich,“ erwiderte sie innig, „ich weiß es, und es ist mein
bestes Glück.“
„Darf ich dir eine Bitte aussprechen?“
„Gewiß, mein Sohn; so viel in meinen Kräften steht, will ich dir von
Herzen gern gewähren.“
„So gieb mich für ein paar Jahre frei und laß mich auf die Universität
ziehen.“
„Ulrich!“ rief sie erschrocken, „bist du deiner Mutter und der Heimat
müde geworden?“
„Nein, Mutter, das nicht, aber meine Seele dürstet nach den Tiefen der
Erkenntnis, und ich möchte aus der Quelle der Weisheit selbst schöpfen.
Jetzt hast du noch den Vater an deiner Seite; stehst du einmal allein
da, so komme ich zurück, um deine Stütze zu sein.“ --
[Illustration: Ankunft der Maltheimer im Ebnerhause.]
Es kostete Frau Kunigunde einen harten Kampf, ehe sie einwilligen
konnte; war es ihr doch, als ginge in ihrem Leben die Sonne unter,
wenn ihr der Sohn fehlte, der ihres Herzens Freude und Wonne war. Aber
auch in seiner Abwesenheit übte Pater Benedikt noch einen bestimmenden
Einfluß auf sie aus; sie gedachte an die Gefahr für Ulrichs Seele,
vor der jener gewarnt, wenn er seinen eignen Grübeleien überlassen
bleibe, und mehr, als jeder andre Gedanke, bewog dieser sie, endlich
mit schwerem Herzen ihre Zustimmung zu geben. Ihr Gatte war mit allem
zufrieden; ihn kümmerte es wenig, ob Ulrich ging, wenn er nur seine
kleine Irmgard um sich behielt.
Alle Vorbereitungen waren getroffen; in Begleitung eines treuen, lang
erprobten Knechtes sollte Ulrich in die fremde Welt hinausziehen,
seine Mutter und Schwester aber gedachten ihm zu Pferde das Geleit zu
geben bis Nürnberg, wo sich der Jüngling von einigen alten Freunden
verabschieden wollte.
Der kleine Reitertrupp hielt vor dem Ebnerhause still und pochte
um Einlaß; alsbald öffnete Just das Thor und lud die Herrschaften
ein, in den Hof zu reiten. Aus einer der Schreibstuben kam Berthold
hervorgestürzt, gerade noch zur Zeit, um Irmgard vom Pferde zu heben
und mit kräftigem Schwunge auf den Boden zu setzen. Frau Ursula
erschien alsbald mit den Töchtern auf der Treppe, um die Gäste
willkommen zu heißen, und es herrschte große Freude beim Anblick der
Maltheimer, hatten sich doch die Frauen, trotz seltnen Verkehrs, immer
eine herzliche Teilnahme bewahrt, während die Jünglinge die alte
Kinderfreundschaft durch häufige Besuche in Maltheim oder Nürnberg
warm erhalten hatten. Doch hatte es sich zufällig so getroffen, daß
Frau Kunigunde und Irmgard die Ebnersche Familie nie auf dem Annenhof
besucht hatten.
Es war ein köstlicher Spätsommertag, und nach eingenommenem Frühstück
begab sich die junge Gesellschaft auf den Hof, wo man im Schatten
des alten Nußbaums die milde Witterung besser genießen konnte, als
in den Zimmern, in denen immer ein gedämpftes Licht und eine dumpfe
Luft vorherrschten. Unwillkürlich gesellten sich Berthold und Irmgard,
Ulrich und Margarete in vertraulichem Gespräch zu einander, und Elsbeth
fühlte sich so überflüssig, daß sie sich gekränkt zurückzog. Sie fühlte
sich stets gekränkt, wenn sie hinter der Schwester zurückstehen mußte,
die mit ihrem ernsten, verständigen Wesen viel mehr Beachtung fand, als
die kindische Elsbeth.
„Weißt du noch, Irmgard,“ sagte Berthold, „wie wir hier spielten, als
du zum erstenmal nach der Stadt gekommen warst? Wir hatten eine Burg
von Kisten und Fässern erbaut; du warst die gefangne Prinzessin und
Hans der böse Riese, der dich bewachte, ich aber war der Recke, der
alle Gefahren überwand und die Königstochter heimführte. Es war ein
schönes Spiel, und ich habe noch oft daran gedacht.“
„Armer Berthold!“ sagte sie mitleidig, „damals meintest du, das
Spiel sollte einmal Wirklichkeit werden, und jetzt sitzest du in der
Schreibstube und fichtst mit dem Federkiel gegen lange Reihen von
Zahlen -- ich ertrüge es nicht!“
„Ich würde es auch nicht ertragen, wenn ich es nicht meiner Mutter
zuliebe thäte, sie wünscht es so sehr. -- Du wirst Ulrich sehr
vermissen, Irmgard.“
„Gewiß, er ist so lieb und gut -- und doch kann ich ihn oft nicht
begreifen, und ich glaube, du, Berthold, würdest an seiner Stelle ganz
anders handeln.“
„Meinst du?“
„O, nicht wahr? du würdest dich nicht hinter Büchern vergraben,
wenn du der Sohn eines alten, glorreichen Adelsgeschlechtes wärest,
sondern in die Welt hinausziehen, um große Thaten zu thun und zu den
alten Ruhmeskränzen einer glänzenden Vergangenheit neue Lorbeeren
hinzuzufügen! Sieh, wenn ich höre, wie die Türken von allen Seiten
gegen unsre Grenzen herandrängen, wie vergeblich der heilige Vater sich
bemüht, einen Kreuzzug gegen sie zu predigen -- dann ergreift mich’s
gewaltig; in meinem Innern fängt es an zu sieden und zu brennen, ich
möchte Panzer und Schild anlegen und eine Kreuzesfahne in die Hand
nehmen und allen, die ein Schwert schwingen können, zurufen: Auf, folgt
mir, ich will euch zu Kampf und Sieg, zu unsterblichem Ruhm führen!
O Berthold, wenn wir beide die Welt regieren könnten, wir würden
die verhaßten Türken bald zu Paaren treiben und sie in die fernen,
heidnischen Lande zurückjagen, aus denen sie hergekommen sind. Dann
würdest du der König des befreiten Landes sein und ich deine Königin,
und die ganze Welt würde voll werden von der Glorie unsrer Siege und
unsres Namens!“
Er sah sie mit unverhohlnem Entzücken an, die kleine zarte Gestalt
mit den großen leuchtenden Augen und den wallenden Locken, mit dem
schneeweißen Rosengesicht, das von Begeisterung strahlte. „Würdest du
wirklich meine Königin sein mögen, Irmgard?“
„Gewiß, wenn du ein Ritter wärest und herrliche Heldenthaten vollbracht
hättest. Pater Benedikt hat mir einmal aus einer uralten Chronik
vorgelesen, daß zwischen dem berühmtesten Ahnherrn unsres Hauses und
einem Tucher von Nürnberg eine innige Freundschaft bestand, und daß
sogar ein Tucher, der im Kriege zum Ritter geschlagen war, ein Fräulein
von Maltheim heimführte. Ein tapferer Ritter und Kriegsheld ist selbst
einer Fürstentochter ebenbürtig.“
„Aber wenn ich nun ein großer Kaufmann würde und unermeßliche
Reichtümer erwürbe und dir alle Schätze zu Füßen legte, die nur mit
Geld zu kaufen sind -- würdest du mir dann nicht auch deine Hand
reichen?“
„Natürlich nicht! wie kannst du nur so seltsam fragen? Ein adliges
Fräulein und ein bürgerlicher Kaufherr -- das paßt schlecht zusammen.
Ich müßte auf meinen Gatten stolz sein können, und das würde ich nur,
wenn er ein Held wäre.“ --
In einem ganz andern Ton verlief die Unterhaltung zwischen Ulrich und
Margarete. „Wie freue ich mich,“ sagte sie, „daß endlich dein heißer
Wunsch in Erfüllung geht und die Weisheit ihre goldenen Thore vor dir
aufthut! Es ist nur traurig, daß du so weit in die Ferne gehst und uns
nicht hin und wieder einige Brosamen aus der Fülle mitteilen kannst, in
der du dort schwelgen wirst.“
„Ob ich wohl alles finden werde, was ich suche und hoffe?“ fragte
Ulrich träumerisch. „Zuweilen überschleicht mich eine bange Furcht, als
ob ich zu viel erwarte, denn es sind doch immer nur Menschen, die am
Quell der Wahrheit sitzen und den Durstigen daraus mitteilen. Wie, wenn
es auch dort noch Schranken und Schleier gäbe, welche die vollkommne
Erkenntnis begrenzen und verhüllen?“
„Ich meine, du wirst die Wahrheit dort so rein schauen, wie es unser
Blick überhaupt ertragen kann,“ erwiderte sie. „Vielleicht ist die
höchste, göttliche Wahrheit so strahlend hell, daß ein Menschenauge
sich davor senken muß.“
Er ergriff ihre Hand. „Du hast recht, Margarete, mich zur Demut zu
mahnen. Ich bin nur zu geneigt, zu glauben, daß meiner Seele nichts zu
hoch ist, daß ihre Flügel mich weiter zu tragen vermögen, als andere.“
„Entsinnst du dich noch, Ulrich, wie du mir einst die Geschichte von
Dädalus und Ikarus erzähltest? Ich habe sie nie vergessen und daran
gelernt, den kühnen Flug zu mäßigen, daß er uns nicht, statt zur
Sonne, in Nacht und Verderben führe. Aber ich bin auch nur ein Mädchen,
das sich bald bescheiden und seine Gedanken denen weiserer Leute
unterordnen muß.“
„Du triffst immer das Rechte, Margarete. Wie oft hat dein kindlicher
Sinn schon vor Jahren eine Wahrheit erfaßt, die ich mit allem Klügeln
und Grübeln nicht gefunden hatte. Ich wollte, du könntest mit mir gehen
und mich vor den Abgründen warnen, die mein aufwärts gerichteter Blick
nur zu oft übersieht. O Gretchen, mit dir vereint zu suchen und zu
forschen, alles Erworbene vor deinen klaren Blick zu bringen, der so
unfehlbar das Wahre vom Falschen zu unterscheiden vermag -- das müßte
das höchste Glück auf Erden sein.“
„Du denkst viel zu hoch von mir, Ulrich; wie sollte mein kleiner Kopf
deinem großen Streben gewachsen sein! -- Wann denkst du aufzubrechen?“
„Morgen mit dem frühesten; ich muß heute noch von Pater Benedikt und
unserm wackern Hans Abschied nehmen. Wo ist Hans? ich sah ihn noch
nicht.“
„Er ist seit kurzem in Meister Kraffts Werkstätte als Lehrling
eingetreten, und Onkel Adam verheißt, einen tüchtigen Steinmetz aus ihm
zu machen.“ --
In der tiefen, lauschigen Fensternische in Frau Ursulas Gemach
saßen die beiden Frauen in eifrigem Gespräch. Die Kinder bildeten
ein unerschöpfliches Thema; jede hatte so viel von den ihrigen zu
sagen, so viel zu loben, auch wohl einiges zu tadeln, was doch wieder
entschuldigt werden mußte.
„Ich bewundre Euch, Kunigunde, daß Ihr Ulrich von Euch laßt,“ sagte die
Ebnerin, „ich vermöchte es nicht. So zärtlich ich meine Mädchen liebe
-- an Berthold reichen sie doch nicht heran und könnten ihn mir nicht
ersetzen. Zu denken, daß ich auf Jahre seinen Anblick entbehren sollte
-- nein, es wäre unmöglich.“
„So habe ich zuerst auch gedacht,“ sagte die Edelfrau mit einem tiefen
Seufzer, „und endlich habe ich doch nachgegeben. Was thut eine Mutter
nicht, um ihren Liebling glücklich zu machen, um seine Seele vor jeder
Gefahr zu behüten? Sollte ich zusehen, wie sich Ulrich in Sehnsucht
verzehrte? ich konnte ihm doch die Weisheit nicht bieten, nach der es
ihn so heiß verlangt. -- Aber ich habe noch Wichtiges mit Eurem Gatten
zu besprechen, Ursula. Mein Herr hat ihm Hohenheiligen verpfändet;
wir können es jetzt nicht einlösen, brauchen aber flüssiges Geld für
Ulrichs Reise und Studium. Wollt Ihr mit Eurem Eheherrn reden, unter
welchen Bedingungen er es, unter Vorbehalt der Burgruine, als Eigentum
behalten will?“
„Ihr wollt den alten Besitz Eures Hauses aus den Händen geben?“ fragte
Ursula erstaunt, „das ist freilich auch ein großes Opfer, das Ihr Eurem
Sohne bringt! Hoffentlich denkt Junker Veit nicht daran, in die alte
Burg zurückzukehren?“
„Ihr könnt es nicht heißer wünschen, als ich, daß er und sein Weib uns
für immer fernbleiben. Es ist eine Schmach, solch einen wüsten Gesellen
seinen Eidam nennen zu müssen! Wir haben lange nichts von beiden gehört
und hoffen, er hat wieder in Ungarn lohnenden Dienst gefunden. Doch
jetzt entschuldigt mich, ich muß einen Gang in die Stadt machen.“
„Ich erwarte Euch zum Mittagessen zurück, Kunigunde, und ich hoffe,
Ihr und Eure Kinder werdet die Gastfreundschaft unsres Hauses nicht
verschmähen, solange es Euch gefällt, in Nürnberg zu verweilen.“
Dankbar nahm Frau Kunigunde das Anerbieten an und ließ sich dann
von Ulrich in die Laufergasse führen, wo unweit des Thores ein
großes Schild zum Besuch der Schenke „zum blauen Affen“ einlud. Der
blaue Affe selbst hielt ein so gewaltiges Maß Bier in der Hand und
fletschte so vergnügt die Zähne, daß jedermann es auf einen Blick
erkennen konnte, wie vorzüglich jeder Gast hier aufgehoben wäre. Um
diese Vormittagsstunde war jedoch die Schenkstube leer; Frau Barbara,
die Wirtin, saß mit ihrem Spinnrad am Fenster und kommandierte ihre
Töchter, zwei hübsche, dralle Dirnen, welche damit beschäftigt waren,
Becher und Gefäße blank zu putzen und alles in sauberer Ordnung auf
die Regale zu stellen. Frau Bärbel hatte sich in den acht Jahren
ihres städtischen Lebens eine behagliche Rundung zugelegt, welche als
ein Aushängeschild zur Empfehlung ihrer vortrefflichen Küche dienen
konnte, selbst der jahrelange Kummer um den Verlust ihres Gatten hatte
diese üppige Fülle nicht zu mindern vermocht. Dennoch sprang sie mit
Behendigkeit auf, als Frau Kunigunde und Ulrich eintraten, denn solche
Gäste verkehrten selten im blauen Affen, und es kostete ihr auch wenig
Mühe, ihre ehemalige Herrschaft zu erkennen.
„Gottwillkommen! Gottwillkommen!“ rief sie in überströmender Freude,
„o meine edle Gebieterin, welch ein Glück, Euch hier zu sehen! Teurer
Junker, wie groß und schön seid Ihr geworden! Sankt Georg selber kann
nicht herrlicher ausgesehen haben, als Ihr! Welch ein gesegneter Tag!
Trudel, Nelleke, kommt und küßt der Herrin die Hand! wischt die Stühle
ab, daß die hohen Gäste sich setzen mögen. Verschmäht es nicht, edelste
Frau, und Ihr, mein schönster Junker, eine kleine Weile unter meinem
bescheidenen Dach zu rasten -- wollt Ihr mir gestatten, Euch in aller
Demut eine Erfrischung anzubieten?“
Frau Kunigunde dankte, und Ulrich empfahl sich mit einigen freundlichen
Worten, um Pater Benedikt aufzusuchen. „Kann ich ein paar Augenblicke
mit dir allein sprechen?“ fragte die Edelfrau.
„Gewiß, meine gnädige Herrin, Ihr habt über mich und mein Haus zu
gebieten. Ist’s auch nur klein und bescheiden, so hoffe ich doch, es
ist so schmuck und rein, daß es selbst eine Königin betreten könnte,
ohne an ihrer Würde Schaden zu nehmen. Und ich danke es doch zumeist
Eurer Güte, meine edle Gebieterin, daß ich das Häuschen erwerben
konnte, das mir und meinen verwaisten Mädchen Obdach und Unterhalt
bietet -- verwaist, ach heiliger Sebaldus, ich weiß nicht einmal, ob
sie Waisen sind oder nicht, denn ihr Vater ...“ Ein rechtzeitiger
Thränenstrom schnitt den weiteren Redefluß ab, und da Frau Kunigunde
eine ungeduldige Gebärde machte, wischte Bärbel sich die nassen Augen
und führte den Gast in ein kleines Seitenzimmer, von dem aus man durch
ein Schiebefensterchen die Schenkstube übersehen konnte. Sie rieb mit
ihrer Schürze den sauberen Stuhl noch einmal ab und lud die Dame zum
Sitzen ein, während sie selbst vor ihr stehen blieb.
„Du erinnerst dich noch genau des Tages,“ begann Frau von Maltheim,
„als meine kleine Irmgard auf dem Tode lag? erzähle mir genau jeden
Umstand, der sich damals ereignete. Was du mir auch bekennen magst,
Barbara, du wirst keiner Strafe verfallen, nur berichte mir die ganze
Wahrheit.“
„Ich kann Euch heute nichts anderes sagen, als ich damals gesagt habe,
edle Frau,“ versetzte Barbara betroffen -- die unerwartete Anrede
brachte sie aus der Fassung und hemmte die gewohnte Redefertigkeit.
„Was wurde aus dem Kinde, das Klaus auf dem Wege gefunden und dir
gebracht hatte?“ fragte Frau Kunigunde und sah die andre forschend an.
Frau Bärbels purpurne Wangen wurden bleich vor Schrecken, sie ließ sich
zitternd auf einen Schemel fallen. „Ihr wißt ....“ stotterte sie.
„Du siehst, ich weiß alles, also leugne nicht länger.“
Die Wirtin bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und schwieg einige
Sekunden, dann stand sie entschlossen auf und sagte ruhig: „Edle
Gebieterin, ich habe damals ein großes Unrecht begangen, als ich von
dem gefundenen Kinde schwieg. Es war ein elendes Würmchen, das kaum
noch atmete, als ich es in Händen hielt. Es starb alsbald, und um
keinen Lärm zu machen, habe ich es in der Stille im Garten verscharrt
und niemand etwas davon gesagt. Als unsre kleine Irmgard dann so
wunderbar genas und alles voll Dank und Freude war, habe ich an das
arme Ding kaum noch gedacht, und ich begreife nicht, wie Ihr nach so
langer Zeit noch etwas davon erfahren habt.“
Frau Kunigunde sah ein, daß es vergeblich sein würde, noch weiter in
Barbara zu dringen; entweder sie sprach die Wahrheit, oder sie erzählte
eine höchst wahrscheinliche Geschichte, deren Unrichtigkeit niemand
nachzuweisen vermochte. Doch überredete sie sich gern, daß sie jetzt
die volle Wahrheit erfahren habe und sich dabei beruhigen dürfe.
Klar und sonnig zog der nächste Morgen am Himmel herauf, -- was fragte
die Natur nach dem Schmerz, der ein Mutterherz durchschnitt, welches
sein Liebstes in die Fremde ziehen ließ? Monate konnten vergehen, ehe
auch nur eine Kunde von ihm an ihr Ohr drang, Jahre, ehe ihr Auge
ihn wieder erblickte! Die Mutter nahm in ihrer Kammer von dem Sohne
Abschied und warf sich dann weinend und betend vor dem Kruzifix nieder;
die andern umstanden den Abreisenden auf dem Hofe und hatten ihm noch
unzählige Abschiedsworte zuzurufen. Sein letzter Händedruck galt
Margareten. „Vergiß mein nicht!“ sagte er leise, „ich werde deiner treu
gedenken!“ Sie nickte unter Thränen und lief nach dem Erker hinauf,
um ihm nachzublicken, wenn er die Straße erreichte. Wie stattlich sah
er aus in dem dunklen, enganliegenden Wams von flandrischem Tuch, dem
kurzen, pelzverbrämten Mantel, mit dem langen Schwert an der Seite,
den Pistolen im Gürtel und dem Barett mit den wehenden Federn auf den
goldenen Locken! Er grüßte hinauf und schwang sein Hütlein im frischen
Morgenwinde, dann trieb er das Pferd an und sprengte mit seinem
Begleiter davon. Noch einmal, an der Ecke, wendete er den Blick zurück,
sah die Tücher flattern und zerdrückte eine Thräne im Auge. „Vorwärts
mit Gott und Sankt Augustin!“ rief er entschlossen, und bald lag die
Stadt mit ihren Häusern und Thoren weit hinter ihm. --
Kurz darauf verabschiedeten sich auch Frau Kunigunde und Irmgard
vom Ebnerhause und kehrten auf ihre einsame Burg zurück. Der Mutter
erschien sie öde und leer, und mit Gewalt mußte sie sich zu Erfüllung
der gewohnten Pflichten zwingen, während Irmgard sich durch das
Entzücken ihres Vaters über ihre Heimkehr einigermaßen trösten ließ.
Als die Gäste fort waren, kam Herr Wilibald Ebner mit einem Ausdruck
des Triumphes zu seiner Gattin. „Wünsche mir Glück, Ursula,
Hohenheiligen ist mein! mühelos, wie eine reife Frucht ist mir’s in den
Schoß gefallen.“
„Macht Euch das so froh, lieber Herr?“
„Sehr froh; es wird meinem Namen neuen Glanz verleihen. Wilibald Ebner
von Hohenheiligen -- klingt das nicht ebenso vornehm, wie einer der
alten Ritternamen?“
Sie sah ihn überrascht an. „Ich glaubte, Ihr haßtet den Adel, Wilibald.“
„Ich hasse ihn, so lange er über mir steht und hochmütig auf mich
herabblickt; wenn ich ihn besiegt habe, hört der Haß auf. Meine Kinder
sollen nicht geringer sein, als die der stolzen Burgherren, und mein
Sohn soll einen angesehenen Namen auf seine Nachkommen vererben!“
[Illustration]
Neuntes Kapitel.
Der Sturz des Tyrannen.
Zittre, du blut’ger Tyrann! denn über dir thronet ein Rächer,
Der dich vom prangenden Stuhl stürzt in die Tiefe hinab.
Es war im März des Jahres 1477. In der Schenke zum blauen Affen ging
es heute sehr lebhaft zu, Trudel und Nelleke hatten alle Hände voll
zu thun, um die Gäste zu bedienen; sie flogen mit leeren und vollen
Bierkrügen hin und her, während Frau Bärbel in einsamer Hoheit hinter
dem Schenktisch thronte und mit Feldherrnblick das bunte Gewühl
überschaute. Sie behielt jeden Trinker im Auge und schrieb auf die
schwarze Tafel mit Kreide allerlei Hieroglyphen, welche jedem andern
unverständlich waren, von ihr aber mit unfehlbarer Sicherheit in die
Rechnung für den betreffenden Zecher übersetzt wurden. Es war ein
entlassener Kriegsknecht eingetroffen, von Geburt ein Nürnberger,
der in burgundischem Sold gestanden hatte und nun in die Heimat
zurückgekehrt war. Er hatte viel zu berichten; der Kreis, der sich um
ihn sammelte, wurde immer größer und dichter, und immer wieder öffnete
sich mit schrillem Glockenton die Thür, um neue Gäste einzulassen.
Ein wenig abseits von dem großen Haufen saß an einem kleinen Tischchen
Hans Fiedler. Er kam oft hierher, aber nicht, um zu zechen, sondern um
zu zeichnen, denn er fand hier manchen interessanten Charakterkopf,
an dem er seine Studien machte. Frau Bärbel war ihm sehr gewogen,
denn sie kannte seine Großmutter von altersher und schenkte ihm stets
ein volleres Maß Bier ein, als sein schmaler Beutel ihm zu bezahlen
erlaubte. Während er aufmerksam die Gruppe der Männer beobachtete
und ihre Gesichter festzuhalten suchte, lauschte er zugleich auf ihr
Gespräch.
„Ja, ja, so ist es,“ sagte der Kriegsknecht, „Ihr mögt es glauben
oder nicht, der mächtige Burgunderherzog ist tot, mausetot; die
schweizerischen Eidgenossen haben ihm den Garaus gemacht. Bei Granson
verlor er das Gut, bei Murten den Mut, bei Nanzig das Blut -- nun
ist’s vorbei mit all seiner Herrlichkeit. Ich selbst war unter denen,
die seine Leiche suchten und endlich in einem Graben fanden, halb
entkleidet, von Speerstichen durchbohrt, mit geronnenem Blut überströmt
-- ein jammervoller Anblick!“
„Ist’s möglich? -- entsetzlich! -- solch ein großmächtiger Herr
-- Hochmut kommt vor dem Fall“ -- so scholl es von allen Seiten
durcheinander.
„Aber erzählt uns alles ordentlich der Reihe nach,“ rief einer; „man
munkelte schon im Herbst von großen Niederlagen, aber so schlimm hat
man sich’s doch nicht gedacht.“
„Ja, ja, erzählt, Freund Nepomuk,“ riefen viele, „besser, als von Euch,
der Ihr alles selbst erlebt habt, können wir’s nicht erfahren.“
Der Kriegsknecht that einen tiefen Zug und begann: „Um Lichtmeß vorigen
Jahres war’s, da zog das burgundische Heer über das Juragebirge ins
Waadtland, um die Schweizer zu bekriegen, die dem Herzog viel Schaden
zugefügt hatten. Es war ein stattlicher Heereszug, eine prächtige
Reiterei in stolzen Waffen, die stärksten Kanonen, die noch die Welt
gesehen, und wir alle dachten, mit den armen Hirten schnell fertig zu
werden. Wir rückten auf Bern zu und standen am Neuenburger See, als
uns die Eidgenossen entgegenkamen, alle zu Fuß, mit Schwert und Lanze
bewaffnet, kaum etliche hundert Reiter darunter. Beim Anblick unsres
gewaltigen Heeres, das durch den See und die Berge, durch furchtbare
Geschütze und eine starke Wagenburg nach allen Seiten gedeckt war,
fiel das Bauernvolk auf die Kniee und hob die Hände zum Himmel empor;
sie riefen nach der Väter Sitte zum Herrn der Heerscharen, wir aber
glaubten, sie flehten um Gnade, und mit Hohngelächter drang unsere
Reiterei vor. Aber die Ebene war zu schmal, die Lanzen der Schweizer
starrten den Pferden entgegen wie ein undurchdringlicher Wall. Der
Herzog befahl den Rückzug, um einen besseren Kampfplatz zu gewinnen,
es gelang, -- die stramme Ordnung der Eidgenossen lockerte sich --
schon drängten wir sie nach dem See -- da erschien plötzlich auf der
Höhe neues Kriegsvolk -- die gewaltigen Schlachthörner, der Stier von
Uri und die Kuh von Unterwalden, erfüllten die Luft mit furchtbarem
Getön, und wie die Sonne die Waffen der Ankommenden bestrahlte, da war
es, als stiege ein Heer von Riesen von den Bergen herab. Ein panischer
Schrecken befiel das Burgunderheer, alles schrie: rette sich, wer
kann! und ergriff die Flucht; wie der Rauch vom Nordwind, so waren
bald die Scharen nach allen Richtungen versprengt. Vergebens schwang
der Herzog das blanke Schwert und suchte die Seinen zu halten -- da
half kein Drohen, kein Bitten und Befehlen; er selbst mußte eilends
seinen besten Renner besteigen und fliehen. Unser fünfe waren es,
die ihn begleiteten, und einen schärferen Ritt habe ich mein Lebtag
nicht gemacht; erst sechzehn Stunden von Granson machten wir Halt. Die
Prachtgezelte des Fürsten und seiner Edlen, die herrlich gestickten
Decken und Gewänder, die Masse von goldenen und silbernen Gefäßen, die
kostbaren Reliquien, die Flut von Edelsteinen und gemünztem Gelde --
das alles fiel den Eidgenossen in die Hände, die es kaum zu schätzen
wußten. Man sagt, sie hätten Gold und Silber mit Hüten ausgemessen
und verteilt, und gestickte Seide und feinste Leinwand wie in einem
Kramladen nach der Elle zerschnitten.“
Mit angehaltenem Atem lauschte der Kreis der Zuhörer, auch Trudel und
Nelleke hatten sich ganz nah herangedrängt, um kein Wort zu verlieren.
Die Beschreibung der Schlacht hörten alle in gespanntem Schweigen zu,
aber bei der Schilderung der Schätze wurde es lebhaft; da war keiner,
der nicht gewünscht hätte, bei der Plünderung gewesen zu sein und
seinen Teil an der reichen Beute gehabt zu haben. „Habt Ihr all die
Herrlichkeiten selbst gesehen? -- erzählt uns doch mehr davon -- warum
nahm der Herzog so viel Schätze mit auf den Kriegszug? -- o diese
glücklichen Schweizer! ich hätte die Seide wohl besser zu schätzen
gewußt -- ach, nur ein Hütlein voll Gold oder Silber --“ so klang es
wirr durcheinander.
„Schweigt still!“ rief eine starke Stimme dazwischen, „und laßt den
Nepomuk weiter erzählen, er ist noch lange nicht zu Ende. Trudel, mein
Täubchen, bring dem wackern Gesellen einen frischen Krug vom besten
Bier, damit er sich die Kehle anfeuchte, und schreib’s auf meine
Rechnung!“
Wieder herrschte tiefe Stille, und der Kriegsmann begann von neuem:
„Das war am ersten März. Wie schwer auch der Herzog getroffen war, so
verlor er doch nicht den Mut, sondern rüstete sofort mit allen Kräften,
um die Scharte blutig auszuwetzen. Im Mai hielt er Heerschau bei
Lausanne -- es war immer noch ein prächtiges Heer, aber er war nicht
mehr derselbe, der er gewesen; seine Wangen waren fahl, sein Blick
unstet und düster, seine Stimme drang hohl aus beklommener Brust. Alle
Fürsten und Könige hatten ihm abgeraten, den Kampf zu erneuern, aber
er schlug alle Mahnungen in den Wind -- er wollte um jeden Preis seine
kriegerische Ehre retten. Im Juni stießen wir bei Murten auf den Feind;
unser Fußvolk stand in gewaltigen Haufen, auf den Flügeln die Reiterei,
das Geschütz in der Front, durch einen starken Verhau gedeckt, davor
ein tiefer Graben. Der Himmel war mit schweren Wolken verhangen, als
aber die Eidgenossen zum Gebet niederknieten, brach die Sonne in voller
Pracht hindurch. Da erhoben sie sich, und mit dem Schlachtruf: Granson,
Granson! stürzten sie mit entsetzlichem Anprall auf uns los. Unsre
Geschütze rissen ihre Reihen nieder, die Reiterei brach in ihr festes
Viereck ein, bald türmte sich ein Wall von Leichen vor dem Verhau auf.
Aber plötzlich gab es mitten in unserer Schlachtordnung einen grausen
Tumult: ein Trupp Schweizer hatte den Verhau umschlichen und fiel
uns mit lautem Geschrei in die Flanke, -- während der herrschenden
Bestürzung drangen die Eidgenossen vorn vor, stürzten sich in den
Graben und bauten mit ihren Leibern eine Brücke, zerrissen den Verhau
und richteten unsre eignen Geschütze auf uns. Da war’s denn aus mit all
unsrer Siegeshoffnung.
Wieder mußte der Herzog fliehen, tausende von burgundischen und
flandrischen Edelleuten blieben tot auf dem Schlachtfelde, die
zersprengten Heerhaufen irrten im Jura, im Waadtlande umher und
suchten sich vergebens vor der Wut der Schweizer zu retten. Die gaben
keinen Pardon und machten keine Gefangnen; ohne Ansehen ward alles
getötet, was in ihre Hände fiel. Wie Raben und Krähen schossen sie
die Flüchtlinge von den Nußbäumen herab, in deren dichten Kronen jene
sich verborgen hatten; wie die wilden Enten jagten sie dieselben aus
dem Schilf des Murtener Sees auf und trieben sie ins Wasser, bis
sie untersanken. Wie ich mit dem Leben davongekommen bin, weiß ich
nicht zu sagen; drei Pferde wurden mir unter dem Leibe erstochen,
mich selbst traf keine Kugel und keine Hellebarde -- Sankt Sebald,
mein Schutzpatron, hielt seine Hand über mir und führte mich nach
dem blutigen Tage von Nanzig sicher und unversehrt heim in die alte
Vaterstadt.“
Längst war Hans der Stift entfallen, er hatte seine Zeichnung vergessen
und horchte mit allen Sinnen auf die Erzählung des Kriegsknechtes.
Mit welcher greifbaren Deutlichkeit stiegen die Erlebnisse seiner
Kindheit vor ihm auf! Er sah sich mit den Eltern und hunderten anderer
Flüchtlinge im Ardennerwald umherirren, aus jeder Ruhe aufgescheucht
durch die wilden Söldner des Burgunderherzogs; er hörte vor seinem
Ohr die entsetzlichen Flüche und Verwünschungen wiederklingen, welche
die Gehetzten gegen den blutigen, unbarmherzigen Herrn ausstießen,
das Röcheln der Sterbenden, den Jammer der Überlebenden. Nun hatte
die Rache des Höchsten ihn erreicht, der so hoch und unerschütterlich
fest zu stehen schien; nun hatte er selbst all das Elend zertrümmerter
Hoffnungen, die Angst der Flucht und zuletzt den jammervollsten Tod
erleiden müssen! Hans fühlte sich in tiefster Seele erschüttert; es
zog ihn plötzlich unwiderstehlich zu seiner Mutter hin, die er in der
letzten Zeit selten besucht hatte; ihre immer gleiche, starre Ruhe, das
dumpfe Schweigen, das sie in Jahren und Jahren nicht gebrochen, hatten
seine kindliche Liebe gedämpft und sein Vertrauen von ihr abgewendet;
aber in dieser Stunde durchlebte er im Geiste alles, was sie einst
erduldet hatte, und es kam ihm nicht mehr so unbegreiflich vor, daß sie
daran versteinert war. Er erbat sich bei Meister Adam Urlaub für die
nächsten Tage und begab sich am folgenden Morgen auf die Wanderung nach
dem Annenhof.
Es wanderte sich prächtig durch den stillen Wald; war die Luft auch
noch herb und kühl, so stand doch eine helle Sonne am wolkenlosen
Himmel, und zeigte die Landstraße noch unergründliche Tiefen und große
Wasserlachen, so waren doch die Raine und Fußpfade fest und trocken;
grüne Gräser und die ersten Blumen wuchsen zu Füßen, muntre Vöglein
zwitscherten zu Häupten des Wanderers. Er schritt rüstig zu und war
so mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er weder nach rechts noch
links sah. Plötzlich blickte er befremdet auf: vor ihm lichtete sich
der Wald, durch die auseinandertretenden Stämme schimmerten Mauern
-- das war nimmer der Annenhof! es war kein Zweifel, er war falsch
gegangen. Ärgerlich lief er eine Strecke weiter, um sich Gewißheit
über die Örtlichkeit zu verschaffen; ein alter Turm zeigte sich, von
unregelmäßigen Mauern umgeben, eine aufgezogene Zugbrücke, in der Ferne
die dürftigen Hütten eines Dorfes: es konnte nur Burg Hohenheiligen
sein, die vor ihm lag.
Hans war sehr ungehalten über sich selbst, er hatte mindestens eine
Stunde verlaufen, und es verlangte ihn doch so dringend, der Mutter
und Großmutter alles mitzuteilen, was ihn bewegte. Obgleich er müde
war, mochte er doch hier nicht rasten; die Nähe der verfallnen Burg
hatte etwas Unheimliches, und man erzählte sich im Volke allerhand
grausige Dinge darüber. Junker Veit war freilich mit seiner Gattin
schon vor Jahren daraus verschwunden, denn mit der Zeit war ihm der
Boden unter den Füßen doch zu heiß geworden, und eines Tages war das
Raubnest leer gewesen. Und doch nicht ganz leer: irgend jemand hauste
dort, aber ob es ein Mensch, oder ein böser Geist sei, darüber konnte
man nicht ins klare kommen. Die Zugbrücke war aufgezogen, das deutete
auf einen Bewohner; in mondhellen Nächten hörte man mitunter im Walde
eine Büchse knallen, und der städtische Jäger fand manchmal kunstreiche
Fallen aufgestellt, in denen sich gewiß manches Stück Wild fing. Unter
den Dorfleuten wollten einige den lahmen Miklot erkannt haben, der
urplötzlich im Walde in den Boden versank oder ebenso plötzlich aus der
Erde auftauchte, aber vielleicht war es der Gottseibeiuns selber, der
hinkte auch auf seinem Pferdefuß. Kurz, alle diese Gerüchte bauten eine
stärkere Schutzwehr um die öde Burg, als ihre alten Mauern, und niemand
hätte es gewagt, dort tollkühn einzudringen.
Auch Hans wandte ihr schnell den Rücken und ging mit kräftigen
Schritten tiefer in den Wald hinein, um nur erst den Kreuzweg zu
erreichen, an dem er die falsche Richtung eingeschlagen hatte. Da
hörte er einen gellenden Schrei, wie er nur aus einer geängstigten
Menschenbrust kommen konnte; er lauschte aufmerksam, eine tiefe Stimme
tönte dazwischen, es klang wie ein Streit. Die Stimmen kamen auf ihn
zu, er verbarg sich hinter einem mächtigen Stamm und hielt seinen
derben Knotenstock bereit. Jetzt knackte es zwischen den Büschen,
eine breite Männergestalt ward sichtbar, die ein Etwas auf den Armen
trug, -- noch ein paar Augenblicke höchster Spannung, dann erkannte
der Lauscher, daß es ein Mädchen sei, das augenscheinlich mit Gewalt
fortgeschleppt wurde, denn es schrie von Zeit zu Zeit laut auf und
suchte sich loszumachen. Jetzt ging der Mann dicht an Hans vorüber, mit
fester Hand ergriff derselbe seinen Stock, der in der nächsten Sekunde
mit energischer Wucht auf den Hinterkopf des Räubers niederfiel. Er
taumelte -- noch ein Schlag, und er stürzte zu Boden; im Nu hatte Hans
die zarte Gestalt an sich gerissen und floh mit ihr davon, so schnell
seine Füße ihn tragen wollten. Endlich hielt er erschöpft inne und ließ
das Mädchen herabgleiten; mit einem staunenden Blick betrachtete er
sie: „Fräulein Irmgard, Ihr seid es? wie kommt Ihr allein hierher und
in die Gewalt jenes Schurken?“
„Hans -- Hans Fiedler, bist du es? welcher gütige Heilige hat dich
gerade diesen Weg geführt? habe Dank für dein tapfres Einschreiten,
aber laß uns weiter eilen, damit jener Elende mich nicht finde!“ so
rief Irmgard, mühsam ihre Thränen bezwingend. „Hätte ich nur einen
Dolch oder eine Pistole gehabt, um mich zu verteidigen, aber ich hatte
nichts, als meine Reitgerte, und die zerbrach beim ersten Schlage, den
ich gegen des Räubers Hände führte. Wenn wir nur mein Pferd fänden, es
muß hier in der Nähe sein.“
Sie rief den Namen: Bayard! laut in den Wald hinein, und wirklich kam
nach einiger Zeit das kluge Rößlein durch die Büsche getrabt; Irmgard
schwang sich hinauf, Hans ging daneben, und so eilten sie weiter,
so schnell es gehen wollte. „Ich lasse Euch nicht allein reiten,
Fräulein,“ sagte Hans entschieden, „Ihr solltet Euch überhaupt niemals
ohne Begleitung in den Wald wagen. Aber bis Maltheim kann ich nicht in
einem Zuge wandern; habt daher die Güte, für eine Weile im Annenhofe
einzusprechen. Ihr selbst werdet auch der Ruhe bedürfen, und nach ein
paar Stunden geleite ich Euch sicher nach Hause.“
Irmgard mußte das Verständige dieses Vorschlags einsehen, obgleich
ihr bange war, was ihre Eltern von ihrem langen Ausbleiben denken
würden; hatte sie sich doch ohnehin viel weiter in den Wald vertieft,
als es ihr erlaubt war. Der Knappe, der sie begleiten sollte, war mit
dem Pferde gestürzt und hatte sich verletzt, sie hatte ihn nach Hause
geschickt und war allein weiter geritten, ohne genau auf den Weg zu
achten; dann war sie abgestiegen, um einige seltne Blumen zu pflücken,
und plötzlich hatte jener wilde, lahme Mann neben ihr gestanden und ihr
mit teuflischem Grinsen gesagt, sie müsse mit ihm, solch ein kostbares
Wild habe er lange nicht gefangen. „Und dann packte er mich, trotz
meines Sträubens, und die heilige Jungfrau mag wissen, wohin er mich
geschleppt hätte, wärst du nicht dazwischen gekommen, guter Hans!“
Die alte Crescenz war gerade in der Küche beschäftigt, als die beiden
den Annenhof erreichten; Afra saß allein im Zimmer und spann; sie
begrüßte Hans mit einem freundlichen Blick und stummen Händedruck und
sah kaum auf, als er ihr Irmgards Erscheinen erklärte. Da fiel ihr
Blick von ungefähr auf das Mädchen, ihr Gesicht belebte sich, sie stand
hastig auf, ging auf den Gast zu, und indem sie die Arme ausbreitete,
rief sie im Tone höchsten Entzückens: „Matthäa!“
Das kleine Fräulein wich einen Schritt zurück und sah fragend auf Afra,
diese aber schloß sie in ihre Arme, drückte sie an ihre Brust, küßte
sie mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit und rief dazwischen immer
wieder unter Jauchzen und Thränen: „Matthäa, mein verlornes, mein
wiedergefundenes Kind, o Matthäa, kennst du deine Mutter nicht mehr?“
Starr vor Erstaunen sah Hans die beiden an, und es war ihm plötzlich,
als gewahre er eine wunderbare Ähnlichkeit zwischen ihnen. Das waren
dieselben großen, dunklen Augen mit den hochgewölbten Brauen, dieselbe
schneeweiße Farbe der Wangen; auch das feine, glanzlose Haar war
ähnlich, wenn auch das seiner Mutter dunkler und mit weißen Fäden
durchschossen war. Irmgard hatte sich inzwischen mit Gewalt aus Afras
Umarmung gelöst; sie richtete sich hoch auf und sagte mit großer Würde:
„Ihr irrt Euch, gute Frau; ich bin Irmgard von Maltheim, Herrn Werners
und Frau Kunigundens einzige Tochter, und Ihr habt keinen Teil an mir.
Ich werde reiten, Hans,“ fügte sie in entschiedenem Tone hinzu, „dies
Mißverständnis peinigt mich.“
Hans faßte Afras Hand und führte sie auf ihren gewohnten Platz zurück.
„Laßt Euch durch eine flüchtige Ähnlichkeit nicht täuschen, liebe
Mutter,“ sagte er herzlich, „ich kenne das Fräulein von ihrer frühesten
Kindheit an und weiß, daß sie mit unsrer kleinen Matthäa nichts
gemein hat. Die ist lange tot, und Ihr werdet sie erst im Paradiese
wiederfinden.“
Afra ließ sich geduldig auf ihrem Sitz nieder und versuchte keine
weitere Annäherung, aber ihr Blick blieb an Irmgard haften, und leise
murmelte sie vor sich hin: „Sie ist es doch! Matthäa, mein geliebtes
Kind! ein Mutterherz läßt sich nicht täuschen!“ Hans beruhigte das
Fräulein und bat sie leise, sich nicht stören zu lassen; seine Mutter
sei seit langer Zeit krank, der Verlust ihres Kindes habe ihren Geist
getrübt, doch thäte sie niemand ein Leid. Während er noch sprach,
erscholl draußen Pferdegetrappel; ein Knappe von der Burg fragte
voller Angst an, ob jemand das Fräulein gesehen habe, es herrsche
daheim die größte Sorge um sie. Irmgard sprang hocherfreut auf; nun
hatte sie einen Begleiter und durfte nicht auf Hans warten. Sie dankte
ihm nochmals in warmen Worten für seine rechtzeitige Hilfe, bat ihn,
recht bald auf der Burg vorzusprechen, nickte Crescenz huldreich zu
und sprengte eilig davon, als wolle sie all die wunderbaren Erlebnisse
dieses Tages weit hinter sich lassen.
Erst, als Crescenz mit ihren häuslichen Arbeiten fertig war und sich
auch an ihr Spinnrad gesetzt hatte, fing Hans an, von dem zu erzählen,
was seine ganze Seele erfüllte, von dem Sturz und Tode des Herzogs
von Burgund. Er richtete seine Worte vornehmlich an die Großmutter
und sah darüber gar nicht, welchen Eindruck seine Erzählung auf Afra
machte. Ihre bleichen Wangen röteten sich, ihre Augen funkelten vor
leidenschaftlicher Erregung, die halb geöffneten Lippen schienen
jedes Wort begierig einzusaugen. Als Hans geendet hatte, hob sie
die gefalteten Hände hoch empor und rief mit Begeisterung: „Großer,
allmächtiger Gott im Himmel, ich danke dir, daß du dich mir wieder
offenbart hast! Ich meinte, du wärest tot, oder du hättest dein Antlitz
vor der Welt verborgen, weil der Mächtige ungestraft deiner spotten,
weil er die Schwachen unter seine Füße treten durfte, ohne daß du ihr
Flehen hörtest und zu ihrer Hilfe einschrittest! Aber du lebst und
hast dich gewaltig aufgemacht, um den Menschen deine Gerechtigkeit zu
zeigen, um dem Tyrannen zu beweisen, daß du größer bist, als er. Du
hast ihn von seiner Höhe hinabgestürzt, wie ein Wurm lag er zu deinen
Füßen. O Gott, ich danke dir und preise deinen heiligen Namen!“
Mit höchster Überraschung sahen Hans und Crescenz auf Afra, die wie
eine Seherin anzuschauen war; unwillkürlich hatten beide die Hände
gefaltet und die letzten Worte leise nachgesprochen. Dann kniete der
Jüngling neben der Mutter nieder und schlang seinen Arm um sie. „O
liebe, liebe Mutter!“ sagte er im innigsten Tone, „bist du endlich
erwacht aus deinem langen, traurigen Schlaf? willst du wieder um dich
sehen und das erkennen, was dir noch geblieben ist, deine treue Mutter
und deinen Sohn? O wie oft habe ich zu allen Heiligen für dich gebetet,
und nun haben sie mich endlich erhört und den Schleier zerrissen, der
über deinem Geiste lag! Gott und allen Himmlischen sei Dank dafür!“
Sie küßte ihn zärtlich auf die Stirn und reichte Crescenz die Hand.
„Ja, dies ist ein großer Tag für mich, und ich fühle ein neues Leben in
mir. Ich habe meinen Glauben an den Gott dort droben wiedergefunden --
und meine Matthäa!“
„Mütterchen,“ sagte Hans bekümmert, „willst du diesen Wahn nicht fahren
lassen, der dir und dem Fräulein nur Leid und Pein bereiten kann?
Ergieb dich drein, daß du deine Tochter verloren hast, daß dir nur dein
Sohn geblieben ist; ich will dir’s durch doppelte Liebe zu ersetzen
suchen.“
Sie lächelte geheimnisvoll. „Bist du denn blind, mein Hans? kannst du
nicht sehen, daß sie mein Fleisch und Blut ist? Und wenn Ihr Euch alle
verblenden laßt -- Mutteraugen sind nicht zu betrügen. Aber sei ohne
Sorge; ich werde Matthäa nicht mit Gewalt in meine Arme zwingen, ich
weiß ja, daß sie lebt und wo sie weilt -- das ist fürs erste Glücks
genug.“
Mit diesem Tage begann in der That ein neues Leben für Afra. Zwar
blieb sie immer still und in sich gekehrt, aber die starre Ruhe war
gebrochen; sie hörte und sprach, sie half ihrer alternden Mutter im
Hause und in der Wirtschaft, sie weilte jeden Morgen und Abend in
inbrünstigem Gebet im Annenkapellchen, sie ging sogar zur Messe in die
nahe Dorfkirche, und Pater Anselmus sah seine jahrelangen Bemühungen um
ihre Seele endlich von Erfolg gekrönt.
Mit emsiger Hand nähte Afra jetzt an einem neuen Sonntagsstaat für
sich, während sie sich früher nie um ihre Kleidung bekümmert hatte. Als
er vollendet war, legte sie ihn eines Morgens an und rüstete sich zum
Fortgehen. „Wohin, Afra?“ fragte Crescenz. „Laß mich, gute Mutter,“
erwiderte sie, „ich sage es dir nachher.“ Sie küßte die Alte und ging
hinaus; kopfschüttelnd sah die andre ihr nach. „Was hat sie nur?“ sagte
sie zu sich selbst, „sie sah so feierlich aus, und es ist doch Alltag
heut’ und nirgend Gottesdienst.“
Afra schlug die Richtung nach Maltheim ein; anfangs schritt sie rüstig
vorwärts, von ihren Gedanken getrieben, aber die Aprilsonne brannte
heiß, und sie war des Gehens gänzlich ungewohnt, denn seit zehn Jahren
hatte sie die engen Grenzen des Hofes nicht überschritten. So kam sie
müde und erschöpft auf der Burg an, doch gönnte sie sich kaum Zeit zum
Aufatmen, sondern bat sogleich eine Magd, sie der Herrin zu melden, der
sie etwas Wichtiges mitzuteilen habe. Nach kurzem Warten ward sie in
Frau Kunigundens Gemach geführt. Die Edelfrau musterte die Ankommende
mit einigem Erstaunen. „Wer seid Ihr, gute Frau, und was begehrt Ihr
von mir?“
„Ich bin Afra, Matthias Fiedlers, des Goldschmieds Witwe und die
Tochter der alten Schaffnerin auf dem Annenhof; wollt Ihr mir huldreich
gestatten, gnädige Frau, Euch in kurzen Worten meine Geschichte zu
erzählen?“
Die Dame nickte; sie wußte nicht, was sie von Afra halten sollte.
Eine Bittende war sie schwerlich; ihre Erscheinung hatte etwas
Ungewöhnliches, die innere Erregung hauchte ein sanftes Rot auf die
bleichen Wangen und gab ihren Augen einen dunklen Glanz, der ihr
wunderbar bekannt erschien. In gedrängter Kürze berichtete Afra von
ihren Leiden und dem Verlust der kleinen Matthäa. „Warum ließt Ihr
nicht sogleich Nachforschungen nach dem Kinde anstellen?“ fragte Frau
Kunigunde, die gespannt zugehört hatte.
„Ich war an Leib und Seele gebrochen und krank, erst nach Wochen kam
ich wieder zum Bewußtsein. Meine Mutter hat mir später gesagt, daß
in der Nacht nach unsrer Ankunft ein heftiger Schneefall und starke
Kälte eingetreten seien, da wäre alles Suchen nach dem kleinen Kinde
vergeblich gewesen. Und doch ist meine Tochter gerettet worden, ich
habe sie endlich wiedergesehen, und Euch, edle Frau, habe ich dafür zu
danken, daß Ihr mir meinen Liebling so treu behütet habt.“ Sie sank vor
Frau Kunigunden auf die Kniee und bedeckte ihre Hände mit Küssen und
Thränen.
Die Edelfrau stand befremdet auf und entzog der Schluchzenden ihre
Hände. „Ich verstehe Euch nicht, Afra Fiedlerin, wovon sprecht Ihr?“
„Von meiner Matthäa -- Ihr nennt sie Irmgard --, die hier auf Eurer
Burg aufgenommen und erzogen wurde, und die doch, so wahr Gott lebt,
mein eignes, verlornes Kind ist!“
Frau Kunigunde legte verwirrt die Hand an die Stirn, als müsse sie sich
mühsam besinnen, was sie sagen und denken solle; dann ging sie auf die
Thür zu und rief: „Irmgard!“
Das Mädchen erschien, warf einen entsetzten Blick auf Afra, streckte
abwehrend die Hände aus und rief angstvoll: „Laß mich, laß mich,
Mutter! schicke diese fort, ich mag sie nicht sehen, und sie hat keinen
Teil an mir!“ Damit stürzte sie hinaus in Herrn Werners Zimmer warf
sich neben seinem Lehnstuhl auf die Erde, verbarg ihr Antlitz in seinem
Schoß und rief, an allen Gliedern bebend: „Schütze mich, mein Vater,
gieb nicht zu, daß eine Fremde mich dir entreiße! Ich bin dein Kind und
will es bleiben, o halte mich fest, laß mich dir nicht rauben!“
Der alte Ritter zog die Zitternde empor und drückte sie zärtlich an
seine Brust. „Was hast du, mein Edelfalke, meine weiße Rose, was
ängstigt dich so? Du bist ja bei deinem Vater, da bist du doch sicher
vor allen räuberischen Angriffen. Richte dein Köpfchen auf und lache
mich an, mein Mäuschen, du hast wohl einen bösen Traum gehabt?“
Seine Liebkosungen beruhigten ihre Aufregung soweit, daß sie, eng an
ihn geschmiegt, ihm das neuliche Erlebnis auf dem Annenhof und die
heutige Begegnung erzählen konnte. „Das Weib ist wahnsinnig, oder
Walburg hat sie aufgehetzt!“ sagte der alte Herr mit großer Entrüstung;
„sie soll sich nie wieder hier blicken lassen, oder ich lasse sie
mit Hunden vom Hofe jagen! Wie kann sie es wagen, einen Anspruch auf
+meine+ Tochter zu erheben! Es ist zum Lachen, mein Liebling, laß uns
nie wieder daran denken.“
Unterdessen stand seine Gattin ratlos vor Afra; ihr sagte im tiefsten
Innern eine Stimme, daß jene recht habe, und doch fühlte sie auch
zugleich, wie fest ihr eignes Herz Irmgard umschlossen hielte, und daß
sie nicht ohne heißen Kampf dies Kind einer andern abtreten könne. „Ihr
seid in einem großen Irrtum, arme Frau,“ sagte sie endlich freundlich.
„Freilich, darin mögt Ihr recht haben, daß es Euer Kind war, das damals
von einem reisenden Kriegsknecht gefunden und hierher gebracht wurde,
aber es war ein elendes Würmchen, das in den letzten Zügen lag und an
demselben Tage starb. Wie hätte es auch all diese Fährlichkeiten in so
zartem Alter überstehen können! Ich selbst habe nichts davon gesehen,
erst nach Jahren davon gehört; wollt Ihr aber Gewißheit haben, so
wendet Euch an die Wirtin zum blauen Affen in Nürnberg, in deren Armen
Euer Kind gestorben ist. Und nun geht, gute Afra, und sucht nicht noch
einmal den Frieden dieses Hauses durch Eure fälschlichen Ansprüche zu
stören.“
Traurig senkte Afra das Haupt; ohne noch einmal aufzusehn, schritt sie
hinaus; ohne die dargebotene Erfrischung anzunehmen, verließ sie die
Burg. Sie pilgerte langsam, todesmüde heimwärts, wo ihre Mutter sie
schon mit Sorge erwartete. „Wo warst du nur so lange?“ fragte sie und
sah teilnehmend in ihr schmerzverzogenes Gesicht.
„Bei einem Begräbnis, Mutter -- ich habe meine Matthäa begraben. -- --
Doch nein, nein, sie lebt,“ fügte sie mit erhobenem Haupte hinzu, „die
Überzeugung in meiner Brust ist nicht zu töten!“
[Illustration: Unglückseliges Weib, was hast du gethan?]
[Illustration]
Zehntes Kapitel.
Die Mahnung.
Starr ist der Kirche Gebot; hier gilt kein Markten und Deuteln:
Was sie einmal erfaßt, hält sie mit eisernem Griff.
In der Woche vor Ostern war die Frau Ratsherrin Ebner, wie sie pflegte,
in früher Morgenstunde nach der Frauenkirche gegangen, um zu beichten.
Als sie zurückkehrte, hatte sie das Ansehen einer schwer Kranken, ihr
Antlitz war totenbleich, ihr Blick erloschen, ihr Gang schwankend und
unsicher. In ihrem Zimmer angekommen, hatte sie kaum noch Kraft, Mantel
und Hut abzulegen, dann warf sie sich auf ihr Bett und drückte das
Gesicht tief in die Kissen. So fand sie ihre Tochter Margarete, welche,
beunruhigt durch ihr langes Ausbleiben, sie aufzusuchen kam. „Bist du
müde, Mütterchen?“ fragte sie sanft. „Berthold wollte dir lebewohl
sagen, ehe er auf den Annenhof reitet, und fragen, ob du dort etwas zu
bestellen hast; darf er zu dir kommen?“
Ein krampfhafter Schauer schüttelte Frau Ursulas Gestalt. „Nein, nein,“
stöhnte sie fast unverständlich, „ich kann ihn nicht sehen!“
„Du bist krank, liebe Mutter,“ sagte Margarete besorgt, indem sie die
schlaff herabhängende Hand ergriff und dann leise ihren Kopf berührte,
„deine Hände sind kalt wie Eis, und deine Stirn brennt wie im Fieber.
Gewiß hast du zu lange gefastet.“ Sie eilte hinaus und kam bald mit
einer silbernen Platte zurück, auf der ein Becher mit Wein und ein
Teller mit Brot und Fleisch stand. „Iß und trink, mein Mütterchen,“
sagte sie liebevoll dringlich, „es wird dir gut thun.“
„Ich kann nicht -- laß mich -- laß mich allein mit meinem Jammer
-- o ihr Heiligen des Himmels, wie soll ich es tragen -- Gott, du
Barmherziger, habe Mitleid mit uns -- o heilige Anna, sei nicht so
grausam --“ so klang es in wirren, abgebrochnen Lauten von ihren
Lippen. Tödlich erschrocken stand das Mädchen eine Weile neben ihr und
suchte sie zu beruhigen, aber vergebens; die Kranke sah und hörte
nichts. Endlich schlich Margarete hinaus, sagte Berthold, die Mutter
sei nicht wohl, er möge getrost von dannen reiten, und eilte dann nach
dem Schreibzimmer ihres Vaters. Es wagte sonst selten jemand, ihn in
diesem Heiligtum zu stören, wenn es sich nicht um dringende Geschäfte
handelte, daher klopfte sie nur leise an die Thür und trat schüchtern
ein. „Verzeiht, lieber Vater, daß ich Euch unterbreche, die Mutter ist
-- -- sie ist wohl krank, denn sie spricht seltsame Worte, -- wollt Ihr
nicht zu ihr kommen?“
Herr Wilibald sah erstaunt auf. „Die Mutter war heute früh ganz gesund,
was sollte ihr plötzlich fehlen? Sie wird müde sein, rufe die Magd zu
Hilfe und bringt sie zu Bette.“
„Wollt Ihr nicht selbst kommen, lieber Vater?“ bat Margarete dringend,
„die Magd könnte sich unrichtige Gedanken machen, die Mutter redet so
sonderbar.“
Herr Ebner stand mit etwas ungehaltener Miene auf und schloß sein Pult
zu. „Du bist doch sonst mein verständiges Mädchen; wie kannst du dich
heute gleich so erschrecken lassen?“
Er ging mit ihr hinauf; Frau Ursula lag noch in derselben Stellung auf
ihrem Bett; bei dem Tritt ihres Gatten fuhr sie zusammen und wendete
sich ab, als wolle sie sich völlig vor ihm verbergen. „Was fehlt dir,
liebe Ursula?“ fragte er freundlich.
Keine Antwort -- nur ein Wimmern und Stöhnen, angstvoll gestammelte
Worte, die wie: „Gnade, Erbarmen!“ klangen.
„Laß uns allein, Margarete,“ sagte Herr Ebner sehr ernst, „und sorge
dafür, daß uns niemand störe.“ Er ergriff Ursulas Hände. „Steh auf,
liebes Weib, und sage mir, was so plötzlich über dich gekommen ist;
drückt dich Leid und Sorge, so habe ich ein Recht, es zu wissen, um dir
zu helfen.“
Sie richtete sich langsam empor und warf sich dann mit einer
leidenschaftlichen Gebärde zu seinen Füßen nieder. „O mein Gatte, Ihr
werdet mir zürnen, mich vielleicht verstoßen -- ach, und es wendet doch
das Schlimmste nicht ab!“
Er zog sie zu sich hinauf und schlang den Arm um sie; sie lehnte ihr
Haupt an seine Schulter, und leise, oft von Weinen unterbrochen, begann
sie also:
„Ihr erinnert Euch jenes Sommers, Wilibald, als wir vor der Pest
nach dem Annenhof flohen und die Seuche zuletzt doch unsern Berthold
ergriff? Damals lag ich in Todesangst vor dem Altar der heiligen
Anna und gelobte ihr alles Erdenkliche, wenn sie mir meinen Sohn
erhalten wollte; ich flehte um ein Zeichen, daß sie mich höre --
umsonst. Da schrie ich in meiner Qual zu ihr, ich wolle meinen Sohn
dem Himmel weihen, und mir war’s, als spräche eine Stimme ‚Amen‘
dazu -- und dann kamt Ihr und sagtet, Berthold sei gerettet! Nachher
überredete ich mich, niemand habe mein Gelübde gehört; ich beriet
mich mit Meister Andreas, der so gut und fromm ist und mich warnte,
jemand wider seinen Willen zum geistlichen Stande zu bestimmen; auch
in seinem Familienkreise und mitten im Leben könne man dem Himmel
angehören. Von Stund’ an bemühte ich mich, meine Kinder für den Himmel
zu erziehen, und ich glaube, es ist mir gelungen. Heute wollte ich
beichten; ich wußte nicht, daß unser lieber Propst krank sei, daß
ein andrer im Beichtstuhl säße. Wie eine Posaune des Gerichts klang
seine Stimme an mein Ohr: er selbst, Pater Benedikt, hatte damals
mein Gelübde belauscht und strafte mich mit strengen Worten, daß ich
es immer noch nicht erfüllt habe. Er drohte mir mit allen Strafen
der Hölle, nicht allein für mich, auch für meinen Sohn, wenn ich
eidbrüchig mein Versprechen zurückzöge. Ich bat und flehte, ich bot
ihm jeden Ersatz -- alles vergebens! er blieb dabei, nur das Eine
vermöchte meine und Bertholds Seele vom Verderben zu retten. O ihr
Heiligen, soll ich meinen Liebling, mein Kleinod, vom frohen Lichte
des Tages scheiden sehen, soll ich ihn ins Kloster ziehen lassen? --
schrecklicher, qualvoller Gedanke! und dennoch -- dennoch ....“ Ein
heißer Thränenstrom erstickte ihre Worte, verzweifelnd barg sie ihr
Gesicht in ihren Händen.
Stumm und starr hatte Ebner diesem Bekenntnis zugehört; jetzt
ließ er Ursula los und durchmaß mit großen Schritten das Gemach.
„Unglückseliges Weib, was hast du gethan?“ sagte er dumpf. „Meinen
einzigen Sohn, die ganze Hoffnung meines Alters, hast du dem lebendigen
Tode geweiht! Wofür habe ich denn gearbeitet und mich abgemüht bei Tag
und Nacht, wofür habe ich so schwere Opfer gebracht, um meinem Namen
Ansehn zu geben, wenn er mit mir zu Grabe geht? -- Ich war einst ein
froher Geselle, wie Berthold,“ fuhr er mit klangloser Stimme fort, und
es war, als spräche er mehr zu sich selbst, als zu einer andern -- „was
kümmerte es mich, daß wir nicht reich waren, lag doch die ganze Welt
vor mir offen! Aber als ich am Sterbebette meines Vaters stand, als
er mir sagte, daß ihn die falsche Freundschaft eines adligen Herrn um
Gut und Ehre betrogen habe, als ich in seine erkaltende Hand geloben
mußte, alle Kräfte einzusetzen, um unserm alten, herabgekommenen Namen
wieder einen Klang in der Welt zu verschaffen -- da riß ich in einer
Stunde alle die zarten Bande entzwei, die mich an mein bisheriges
Leben fesselten. Ich hatte eine Braut, ein liebes frommes Kind, das
mit ganzer Seele an mir hing, und das ich zärtlich liebte, aber Hedwig
war arm und von bescheidner Herkunft -- -- ich gab ihr ihren Ring
zurück, ich brach ihr die Treue, und ihr brach darüber das Herz! --
Ich kam hierher und lernte deinen Vater kennen, er schenkte mir sein
Vertrauen, und ich machte mich dessen würdig; nach zehn Jahren treuer
Arbeit reichtest du mir deine Hand, und ich trat ein in die Reihen
der Vornehmsten dieser Stadt. Mir ward ein Sohn geboren, mein Streben
erhielt einen neuen Aufschwung; für ihn wollte ich schaffen, auf sein
Haupt alles häufen, was meiner Arbeit und Hingabe erreichbar war;
ihm wollte ich einen sichern Weg bahnen, und er sollte meinen Namen
hinaustragen bis in späte Geschlechter. Und nun hast du ihn dem Kloster
gelobt, meinen einzigen Sohn, den alleinigen Träger meines Namens
-- und das ganze Gebäude meiner Hoffnungen und Anstrengungen stürzt
zusammen, wie ein Kartenhaus!“
Schneidend gingen seine Worte durch Ursulas Seele. Also darum hatte er
sie geheiratet -- nicht, weil er sie lieb gehabt, sondern weil sie eine
Stufe auf der Leiter war, die er ersteigen wollte, weil er mit der Hand
der Erbtochter eines alten Geschlechts für sich selbst einen höheren
Rang erwarb! Aber zugleich fiel ihr ein, wie hoch er sie stets gehalten
habe, und wie er ihr immer ein treuer, liebevoller Freund gewesen sei;
ihr ward auf einmal klar, wie namenlos seine Täuschung sein mußte, als
er sich plötzlich den Sohn entrissen sah, für den er so viel gethan und
gehofft -- und ein tiefes Mitgefühl mit seinem Kummer kam über sie.
Sie ging auf ihn zu, schlang ihre Arme um ihn und sagte mit flehender
Stimme: „Wilibald, lieber, teurer Mann, wende dich nicht von mir ab in
dieser furchtbaren Stunde! Laß mich nicht zugleich mit dem Sohn auch
den Gatten verlieren! laß uns gemeinsam die bittere Heimsuchung tragen,
die der Himmel über uns verhängt hat.“
Er sah sie an, fragend und zweifelnd, dann zog er sie an seine Brust
und küßte sie mit tiefer Innigkeit. „Mein treues, gutes Weib,“ sagte er
bewegt, „mir ist noch nicht alles genommen, solange du mir bleibst und
deine Liebe.“
Nie zuvor waren die Ehegatten so fest vereint gewesen, wie in dieser
Stunde; ein neuer Bund hatte ihre Herzen umschlungen in wärmerer
Neigung und rückhaltloserem Vertrauen, als in all den bisherigen Jahren
ihrer Ehe. Lange saßen sie bei einander und berieten, was zu thun wäre;
Herr Ebner versuchte es selbst, Pater Benedikt umzustimmen; er bot ihm
die reichsten Schenkungen für sein Kloster, seine Kirche an, -- aber
der Pater beharrte fest auf der Behauptung, daß Berthold dem Himmel
feierlich gelobt sei, und daß es keinen Weg gäbe, um das Gelübde ohne
Eidbruch zu umgehen. --
Berthold ahnte nichts von dem Gewitter, das sich über seinem Haupte
zusammenzog; fröhlichen Herzens war er hinausgeritten in den
sprossenden Wald und hatte mit den Vögeln um die Wette gejubelt und
gesungen. Er benutzte gern jeden freien Tag, um die Stadt zu verlassen;
das Kontor war ihm immer noch eine trübselige Stätte, an die nur das
Muß, kein eignes Interesse ihn fesselte. So oft er konnte, ließ er
Bücher und Warenballen hinter sich und eilte hinaus in die heitere
Gotteswelt, wo ihm das Herz weit aufging. Er machte sich gern etwas auf
dem Annenhof zu schaffen; bald wollte er nach der Wirtschaft sehen,
bald erbat er sich einen Auftrag seiner Mutter an Crescenz; war’s doch
immer nur ein kurzer Ritt von dort bis nach Maltheim, wo er gar zu gern
vorsprach. Irmgard empfing ihn immer mit Jubel; mit ihm konnte sie
nach Herzenslust umherschwärmen, bald zu Fuß und bald zu Pferde, und
er hatte stets ein offenes Ohr für ihre Begeisterung für alte Helden
und vertiefte sich mit ihr in ritterliche Träume. Dem alten Ritter
war er auch willkommen, denn er hatte ein offenbares Verständnis für
die wunderbaren Heldenthaten seines geliebten Herrn, des Markgrafen
Albrecht Achilles, und ließ sich geduldig zum hundertsten Mal all die
Turniere beschreiben, die jemals auf der Kadolzburg abgehalten worden
waren, und deren Pracht und Bedeutung der jetzigen schwächlichen
Generation wie ein Märchen erscheinen mußte. Mit Frau Kunigunde sprach
Berthold von Ulrich, der nun schon seit Monaten in der Fremde war; erst
einmal hatten die Seinen eine Botschaft von ihm erhalten, -- um so
unbegrenzter war das Feld für Vermutungen, Hoffnungen und Befürchtungen.
Berthold hatte diesmal in Maltheim übernachtet und kehrte erst am
nächsten Mittag von dort nach Hause zurück. Seine Mutter, die eine
schlaflose Nacht in Gebet und Thränen zugebracht, hatte Befehl gegeben,
ihn sogleich zu ihr zu führen. Ihr brach fast das Herz, als sie ihn in
den Hof einreiten sah; wie jung und lebensfroh sah er aus, mit welcher
Schnellkraft schwang er sich vom Pferde, wie heiter und leutselig
sprach er mit dem Reitknecht, der, wie alle Diener des Hauses, mit
bewundernder Zuneigung an seinem jungen Herrn hing. Er sollte scheiden
von dieser sonnigen Welt, für die er doch so ganz geschaffen war; er
sollte eine grobe Kutte tragen, dem doch die ritterliche Kleidung so
gut stand; er sollte niedrige Dienste verrichten, der doch gemacht
schien, zu befehlen und sich bedienen zu lassen -- o Gott, es war zu
hart und bitter, und das Schrecklichste davon war, daß sie, seine
Mutter, die mit Freuden ihr Herzblut für ihn hingegeben hätte, ihm
selbst dies Schicksal bereitet hatte!
Da stand er schon auf ihrer Schwelle und kam mit ausgebreiteten Armen
und fröhlich leuchtendem Antlitz auf sie zu. „Bist du wieder frisch und
gesund, Herzmutter?“ sagte er mit zärtlicher Umarmung; „ich war gestern
recht betrübt, daß ich dir nicht lebewohl sagen durfte. Aber nein, du
bist noch nicht genesen, du siehst ganz verändert aus, so angstvoll und
traurig, und deine Augen sind rot von Thränen -- o sprich, was ist dir,
mein Mütterchen, laß dich von deinem Berthold trösten!“
Jedes seiner Worte gab ihr einen Stich ins Herz, daß sie meinte, sie
könne die Pein nicht ertragen. „Setze dich zu mir, mein Sohn,“ sagte
sie mit mühsam behaupteter Fassung, „ich habe dir sehr, sehr Ernstes zu
sagen.“ Sie erzählte ihm die Geschichte jenes Sommers, als er an der
Pest daniederlag, und die gestrige Mahnung des Paters. Ungläubig hatte
er zugehört, halb lächelnd, halb unwillig; jetzt rief er mit lautem,
erzwungenem Lachen: „Ich verstehe dich nicht, Mutter, was meinst du
eigentlich? Du kannst unmöglich auch nur einen einzigen Augenblick
daran denken, einen Mönch aus mir zu machen! Ha ha! welch ein lustiger
Einfall -- ich fürchte, ich würde nur einen Wolf im Schafskleide
abgeben!“
„Lache nicht, Berthold,“ erwiderte sie schmerzlich, „du thust mir
unsagbar wehe damit. Es ist kein Scherz, es ist bitterer -- furchtbarer
-- unabwendbarer Ernst!“
Er sprang wild empor, sie hielt ihn mit sanfter Gewalt fest. „Geh nicht
so von mir, mein Sohn,“ bat sie flehend, „geh nicht im Zorn von deiner
Mutter, die dich grenzenlos liebt und jedes Leid, das dich trifft,
doppelt schwer in ihrem Herzen empfindet.“
„Mutter, Mutter!“ rief er außer sich, indem die hellen Thränen ihm
aus den Augen stürzten, „du weißt nicht, welche Aussicht du vor mir
aufthust! O warum ließest du mich nicht lieber sterben, ehe du um
solchen furchtbaren Preis mein Leben erkauftest! Tausendmal lieber
auf dem Friedhof begraben sein, als bei lebendigem Leibe im Kloster
vermodern! O, du weißt es nicht, welch ein Leben viele dieser frommen
Brüder führen, die äußerlich so demütig und scheinheilig thun und
innerlich voll Laster sind. Wievielmal habe ich mit meinen Genossen
über die heuchlerischen Mönche gespottet, die es oft schlimmer treiben,
als das ärgste Weltkind -- und nun soll ich selbst einer ihrer Schar
werden, soll umherziehen mit frommer Miene und mit Tücke im Herzen --
nein, ich kann es nicht, Mutter, es ist unmöglich!“
Frau Ursula war wie vernichtet, dennoch durfte sie nicht nachlassen;
ihr eignes Seelenheil hätte sie im Übermaß mütterlicher Liebe
vielleicht aufs Spiel gesetzt, -- das ihres Sohnes niemals! Sie weinte
und flehte; endlich warf sie sich vor Berthold auf die Kniee und rief
jammernd: „Hast du kein Erbarmen mit deiner unglücklichen Mutter?
willst du sie meineidig machen und ihre Seele in alle Ewigkeit zur
Hölle verdammen lassen?“
Lange stand der Jüngling regungslos von ihr abgewendet, endlich reichte
er ihr die Hand. „Ich will es thun,“ sagte er heiser, „um deinetwillen
will ich es thun. Aber laßt mir Zeit.“ Damit stürmte er hinaus und ward
für viele Stunden nicht im Hause gesehen. --
Eine dunkle Wolke hing über dem Ebnerhause; es war, als läge ein
Toter darin. Verstummt war jedes laute Wort, jedes heitere Lachen;
niedergeschlagen schlichen alle Bewohner umher und wagten nur
miteinander zu flüstern. Berthold vermied jedes Alleinsein mit
seiner Mutter, die namenlos darunter litt, mußte sie doch jedes Weh
dreifach durchkosten: in ihrer eignen Seele, in der des Gatten und
des geliebten Sohnes. Jeder vermied es ängstlich, auf seinen Eintritt
ins Kloster hinzudeuten, und er selbst schien den Gedanken weit von
sich zu schieben. Bald arbeitete er den ganzen Tag im Kontor mit einem
Eifer, als hinge sein Leben daran; bald ließ er sein Pferd satteln und
sprengte hinaus, um erst in sinkender Nacht heimzukehren; mitunter
verweilte er bis zum Morgen im Kreise lustiger Zecher -- er selbst
der ausgelassenste unter den übermütigen Genossen; ein andermal blieb
er den ganzen Tag auf seinem Lager liegen, als ob jeder Lichtstrahl
ihm weh thäte. Es ging ein tiefer Riß durch sein ganzes Wesen, ein
klaffender Zwiespalt, der noch lange nicht geheilt war.
Eines Tages saß Margarete in ihrer Mädchenkammer am offnen Fenster,
das durch die zartbelaubten Zweige des Nußbaums in eine Laube
verwandelt wurde. Des Mädchens Herz war schwer und bedrückt! sie sehnte
sich unbeschreiblich nach einer Aussprache mit dem Bruder und wagte es
doch nicht, dieselbe herbeizuführen, weil sie fürchtete, zurückgewiesen
zu werden. Da kam Berthold müden Schrittes über den Hof gegangen; er
blieb neben dem Baum stehen, legte die Arme um den alten Stamm, wie um
einen treuen Freund, und blickte sinnend in sein Laubdach hinauf. Leise
verließ Margarete das Fenster und eilte auf den Hof hinab; sie legte
ihre Hand sanft auf seine Schulter und sagte in innigem Ton: „Mein
lieber, guter Bruder! wie oft haben wir als glückliche Kinder unter
diesem Baum gespielt!“
Er küßte sie mit zuckenden Lippen, und ein trauriges Lächeln flog über
seine bleichen Züge. „Wollen wir noch einmal hinaufsteigen ins alte
Kindernest, Gretelein?“ fragte er. Sie nickte, und beide kletterten
die schmale Leiter empor, die an den untersten Zweigen befestigt war;
da, wo der gewaltige Stamm sich in unzählige Äste teilte, war ein Sitz
angebracht, der die Wonne der Kinder gewesen war. Für zwei Erwachsene
war er freilich eng, aber sie schmiegten sich so fest aneinander, daß
der Platz ausreichte.
„Weißt du noch, Gretel,“ begann er, „wie wir dich einmal hier sitzen
ließen, als du noch ein ganz kleines Ding warst, und die Leiter
fortnahmen, daß du nicht herunterkonntest? wie du da flattertest und
pieptest, wie ein Vögelchen, das noch nicht fliegen gelernt hat?“
„Gewiß weiß ich’s noch: du mußtest hart mit Hans kämpfen, der mir
durchaus helfen wollte, und unterdessen kam Ulrich und befreite mich.
Ulrich war immer mein getreuer Ritter, der mich gegen dich in Schutz
nahm, du lieber, böser Berthold!“
„Und besinnst du dich noch, Gretelein, wie wir einmal den Turm zu Babel
aus Fässern und Kisten erbaut und dich und Elsbeth oben drauf gesetzt
hatten, und wie dann plötzlich der ganze Bau zusammenbrach, daß ihr
jammernd am Boden lagt?“
„O, ich erinnere mich wohl; der Vater war so böse, Hans sollte mit dir
hart gestraft werden, aber du nahmst alle Schuld auf dich und trugst
allein die ganze Strafe, mein großmütiger Bruder.“
So ging es eine lange Weile fort mit „weißt du noch?“ und „erinnerst
du dich?“ bis die dunkle Wolke auf Bertholds Stirn sich lichtete und
mitunter sein altes, helles Lachen erklang. „Und immer,“ sagte er, „war
das Ende aller Spiele, daß unsre Herzmutter kam und uns Äpfel, Nüsse
und Honigkuchen brachte, daß sie uns lobte und liebkoste, oder für uns
bat, wenn wir eine Dummheit begangen und des Vaters Zorn erregt hatten.
Und immer erschien sie mir wie ein Abbild der Mutter Gottes, die auch
so mild und gütig ist und für die Sünder bittet. Damals liebte sie mich
noch -- aber jetzt ...“
„Berthold!“ rief die Schwester tief erschrocken, „willst du an der
Liebe unsrer Mutter zweifeln?“
„Ist das Liebe,“ fragte er düster, „die dem einzigen Sohne alles raubt,
was uns das Leben schön und wert macht? Um ihretwillen habe ich auf
alle Träume von Rittertum und kriegerischen Lorbeeren verzichtet, um
ihretwillen soll ich mich jetzt lebendig begraben -- und das nennst du
Liebe?“
„O mein Bruder,“ sagte das Mädchen mit tiefer Trauer, „wie wenig
verstehst du die Liebe unsrer Mutter! Siehst du nicht, wie
unaussprechlich sie um dich leidet, daß sie in wenig Wochen um
Jahrzehnte gealtert, daß ihr schönes, braunes Haar von Silberfäden
durchzogen ist! Sie würde Leben und Seligkeit opfern, um dich zu
retten, aber es giebt kein Mittel, um deine Seele zu lösen, als das
eine, vor dem wir alle zurückbeben, und das doch unabwendbar ist.“
Er sah in tiefem, trübem Sinnen vor sich nieder, ohne etwas zu
erwidern. „Sieh, Berthold,“ fuhr sie leise fort, „wenn es ein Mittel
gäbe, um dich von diesem traurigen Schicksal zu befreien, die Deinen
würden ja nicht zaudern, dir jedes Opfer zu bringen. Ich ging zu Pater
Benedikt und flehte ihn an, dich frei zu geben, ich wolle statt deiner
ins Kloster gehn, -- aber er sagte, hier sei keine Stellvertretung
möglich, der Himmel verlange das voll und ganz, was ihm geweiht sei.“
„Du, Gretel, du wolltest dich für mich opfern?“ sagte Berthold mit
Thränen in den Augen; „hast du bedacht, was es heißt, dem Leben
entsagen und der lichten, sonnigen Welt und den Menschen, die du lieb
hast, und dich einsperren in einen dumpfen Kerker, mit verknöcherten
Seelen, in denen allmählich alles menschliche Gefühl, jeder eigne
Gedanke erstorben ist, die nur noch willenlose Werkzeuge ihrer Oberen
sind? Und das sind noch die besten unter ihnen, die es so weit bringen!“
„Ja, es wäre schwer gewesen, Berthold, aber doch leichter für mich,
als für dich. Ein Mädchen lebt ohnehin in einer engeren Welt, als ein
Mann, und ich bin gewiß, man kann im Kloster Gott mit reinem Herzen und
voller Hingabe dienen.“
„Mein Schwesterlein, meine liebe, süße Grete,“ flüsterte er mit
überströmender Zärtlichkeit, „hab Dank für deine Treue! Du hast mir
sehr wohlgethan und den schlimmsten Druck von meiner Seele genommen;
ich kann wieder an die Liebe meiner Mutter glauben -- und an die deine,
du treues Herz; habe tausend Dank dafür!“ --
Wenige Tage später trat Berthold in seines Vaters Schreibzimmer. „Ich
bin bereit,“ sagte er mit düsterer Entschlossenheit, „bringt mich ins
Kloster.“
Herr Ebner stand auf; seine kühlen, klugen Augen schimmerten feucht,
er schloß ihn in seine Arme. „Mein einziger, geliebter Sohn,“ sagte er
tiefbewegt, „ich hatte andre Wünsche für dich, und ganz anders lag dein
Lebenslauf vor meinem hoffenden Blick. Aber die Kirche läßt nicht mit
sich handeln, sie verlangt den höchsten Preis. Und da sie die Schlüssel
des Himmelreichs in ihren Händen trägt, müssen wir uns ihr beugen in
schweigendem Gehorsam.“
So war er denn endlich herangekommen, der lang gefürchtete Tag
des Scheidens. Aller Wünsche trafen darin zusammen, daß Berthold
nicht in ein Nürnberger Kloster eintreten sollte; sein Vater wollte
ihn nach Augsburg bringen, wo ein entfernter Verwandter Prior des
Augustiner-Konvents war. Im Gemach der Hausfrau saßen Mutter und Sohn
und feierten eine Stunde vollster Versöhnung, in heißer Liebe und
herzbrechendem Weh. Gewaltsam riß sich Berthold los von ihr und den
Seinen, von den Freunden und Dienern des Hauses, die mit Thränen und
Jammern ihn umstanden. Nur fort, fort! und wenn es in den Tod ginge!
die Qual dieser Stunden war ein stückweises Sterben.
Wir lassen einen Schleier fallen über die Schmerzen des letzten
Abschiedes, über Frau Ursulas verzweifelten Kummer, über die traurige
Öde ihres Lebens ohne ihren Liebling. Nur die zärtliche Fürsorge
für ihren Gatten hielt sie aufrecht, für ihn hatte sie immer einen
freundlichen Blick und ein herzliches Wort.
Eines Tages kamen die Damen von Maltheim nach der Stadt geritten und
stiegen im Ebnerhause ab. „Wo ist Berthold?“ fragte Irmgard hastig, als
die beiden Töchter des Hauses ihr grüßend entgegentraten.
„Er ist fort,“ sagte Margarete traurig, und Elsbeth setzte schnell
hinzu: „Er ist ins Kloster gegangen, um ein altes Gelübde zu erfüllen,
und wird nie wieder zu uns zurückkehren.“
Irmgards blasse Wangen wurden noch bleicher, Thränen stiegen in ihre
Augen, aber sie wischte sie trotzig fort. „Es ist nicht möglich,“
sagte sie heftig und stampfte mit dem kleinen Fuße auf; „Gretel, sage
schnell, daß es nicht wahr ist.“
„Es ist doch wahr, Irmgard; hat er denn nicht Abschied von dir
genommen?“
„Er führte das letzte Mal allerlei närrische Reden, aber ich sagte
ihm, das sei ein schlechter Scherz. So niedrig dächte ich nicht von
ihm, um zu glauben, daß er sich freiwillig zu willenlosem Müßiggange
und trübseliger Knechtschaft verurteilen ließe, und wenn ihm einer das
zumute, solle er sich dessen weigern und um seine Freiheit kämpfen bis
aufs Blut: ich würde lieber sterben, als eine Nonne werden. Da rief
er mir zu, ich würde meine bösen Worte künftig noch bereuen; wenn ich
einmal zu seinen Füßen kniete, würde er mir die Absolution verweigern,
denn dann hielte er die Schlüssel des Himmels in seinen Händen. Damit
lachte er laut auf und ritt davon -- aber es war nicht sein helles,
frohes Lachen; ich hörte es immerfort in meinen Ohren klingen, und
es hat mir sehr wehe gethan. Und nun soll ich ihn nicht wiedersehen,
den lieben, frohherzigen Kameraden, und nicht einmal einen besseren
Abschied von ihm nehmen? o Gretel, das ist hart!“ Sie verbarg das
Gesicht an der Brust der Freundin und brach in leidenschaftliches
Weinen aus.
[Illustration]
Elftes Kapitel.
Maria von Burgund.
Fürstenkind, wie allein stehst du auf dem schwindelnden Gipfel,
Bis dich der Ritter erlöst, der sich in Liebe dir naht.
An einem heißen Julitage lag Frau Ursula im halb verdunkelten
Gemach auf den Kissen ihrer Ruhebank, müde von traurigen Gedanken,
abgespannt von der glühenden Hitze, und hörte nur mit halbem Ohr auf
die „wunderbaren Historien von denen berühmten Frauen, so sich seit
Erschaffung der Welt im Guten oder Bösen hervorgethan,“ ein kürzlich
erschienenes Buch mit vielen schönen Bildern, aus dem die beiden am
Fenster sitzenden Töchter ihr abwechselnd vorlasen. Sie schaute mit
mattem Lächeln auf, als Herr Wilibald ins Zimmer trat und sich neben
sie setzte. „Ich hoffe, du befindest dich wohl, liebes Weib,“ sagte
er freundlich, „es würde mir doppelt schwer werden, dich leidend
zurückzulassen.“
„Ihr wollt fort, lieber Herr?“ fragte sie ängstlich, „o laßt mich nicht
allein, ich kann es nicht ertragen!“
„Ich habe so eben eine Botschaft erhalten,“ fuhr er fort, „die mich
zu einer längeren Reise zwingt. Erzherzog Maximilian, der Sohn unsres
Kaisers und unser zukünftiger Herr, wird sich mit Maria von Burgund
vermählen, und der versammelte Rat hat mir den Auftrag gegeben, unsre
Stadt bei dem Hochzeitsfest zu vertreten. Du wirst einsehen, liebe
Ursula, daß ich eine solche Ehre unmöglich ablehnen konnte.“
„Ihr wollt bis nach Flandern reisen und mich für Wochen, vielleicht
für Monate verlassen? o mein Gatte, das Haus wird mir wie ausgestorben
erscheinen, und ich werde meinen, schon alles verloren zu haben, was
ich liebte.“
„Du hast noch die Mädchen,“ versetzte er mit leisem Vorwurf; „sie
werden sich sicher bemühen, dich zu pflegen und zu erheitern. Lieber
noch hätte ich dich freilich mit mir genommen, denn vielleicht würde
der Wechsel dir gut thun und dich wohlthätig zerstreuen.“
Sie überlegte eine kleine Weile. „Ich möchte Euch nicht zur Last
fallen, lieber Herr,“ sagte sie, liebevoll zu ihm aufblickend, „und
doch möchte ich Euch gern begleiten, wenn Ihr es wünscht. Ich will mich
zusammenraffen, Wilibald; Ihr sollt Euch unterwegs nicht mit einer
schwächlichen Frau plagen, die Euch jeden frohen Augenblick verkümmert.“
Der Entschluß war heilsam für die Ratsherrin, die Vorbereitungen
zur Reise rissen sie gewaltsam aus dem Zustande dumpfen Brütens
empor, in den sie verfallen war. Galt es doch auch für sie, den
gediegenen Reichtum und den künstlerisch gebildeten Geschmack der
freien Reichsstadt vor einer glänzenden Versammlung zu vertreten.
Täglich gingen Kaufleute aus und ein, welche kostbare Stoffe und edles
Geschmeide zur Auswahl vorlegten, oder der Gewandschneider, dem die
Ausführung der Festgewänder übertragen war. Als endlich Frau Ursula den
ganzen Hochzeitsstaat zur Probe anlegte, klatschten die Mädchen vor
Freude in die Hände und erklärten, die fürstliche Braut selbst könne
nicht herrlicher anzuschauen sein, als ihr liebes, schönes Mütterchen.
Auch Herr Wilibald schien befriedigt, denn er küßte sein Weib auf die
Stirn und flüsterte ihr zu, daß er stolz auf sie sein werde. -- Als
alle Vorkehrungen getroffen waren, wurden die Töchter auf den Annenhof
geschickt, und die Eltern traten ihre Reise an. Um Frau Ursulas
Kräfte zu schonen, konnten sie täglich nur wenige Meilen zurücklegen,
und so vergingen mehrere Wochen, bis sie das ferne Ziel ihrer Reise
erreichten. --
Die Augen von ganz Europa waren zu dieser Zeit auf Burgund gerichtet,
das mit dem Tode des Herzogs Karl des Kühnen den Herrscher verloren
hatte. Das Reich hatte sich im Laufe eines Jahrhunderts aus kleinen
Anfängen zu großer Bedeutung entwickelt; durch Heiraten, Eroberungen
und kluge Verträge war es an Größe gewachsen, bis es sich wie ein
gewaltiger Keil zwischen Deutschland und Frankreich schob, zu beiden
Staaten in einem Lehnsverhältnis stehend und doch beide in ihrer
Sicherheit bedrohend. Blühende, volkreiche Städte, in denen sich
deutsche und französische Elemente einten, wetteiferten an Kunstsinn,
Gewerbefleiß und Handelsverkehr, wie an Üppigkeit und frohen Festen
mit den Republiken und Fürstenhöfen Italiens; kein Herrscherhaus
konnte sich eines gleichen Reichtums an Gold und Edelsteinen,
an Prachtpalästen und herrlichen Gerätschaften, an Waffen und
Kriegsmaterial rühmen. Die flandrischen und brabantischen Gewebe, die
kostbaren Teppiche waren in ganz Europa hoch berühmt; auch die Kunst
feierte hier schon ihre Triumphe, und der Name der Brüder van Eyck,
welche zu Brügge und Gent ihre Malerschulen begründeten, hatte weithin
einen hellen Klang.
Oft hatte Karl der Kühne in seiner stolzen Seele den Gedanken
gehegt, das Vasallenverhältnis zu lösen und den Herzogshut mit der
Königskrone zu vertauschen; seine wiederholten Niederlagen gegen
die schweizerischen Eidgenossen und sein Tod bei Nanzig hatten aber
allen ehrgeizigen Plänen ein frühes Ende bereitet. Nun war die ganze,
unermeßliche Erbschaft seiner einzigen Tochter, der zwanzigjährigen
Maria, zugefallen, und von allen Seiten drängten sich die Freier
herzu, um mit ihrer Hand die reiche Herrschaft und den Herzogsstuhl zu
erwerben. Maria von Burgund zog allen andern Bewerbern den deutschen
Kaisersohn, Maximilian von Österreich vor; die Verlobung wurde in
seiner Abwesenheit feierlich vollzogen, und am 18. August sollte zu
Gent ein glänzendes Vermählungsfest der vereinsamten Fürstentochter
einen Gatten, dem Lande einen festen, männlichen Herrscher geben.
Es war ein schwüler Augustabend, als Herr Wilibald Ebner und seine
Gattin in die Thore von Gent einfuhren. Eine zahllose Menschenmenge
wogte in den Straßen auf und ab, war doch die Stadt schon zu
gewöhnlicher Zeit so bevölkert, daß man mittags eine Glocke läuten
ließ, zum Zeichen, daß die Mütter ihre Kinder aus dem Wege räumen
sollten, damit sie nicht durch die Scharen heimkehrender Arbeiter über
den Haufen gerannt werden möchten. Nun kam noch eine Menge von Fremden
dazu, welche aus aller Welt Enden herbeigeströmt waren, um den Glanz
der fürstlichen Hochzeit anzusehen; kein Wunder also, wenn die Straßen
überfüllt waren und der Wagen nur langsam vorwärts kam. Endlich hielt
er vor der ansehnlichen Herberge, welche dem Ratsherrn empfohlen worden
war. Der behäbige Wirt mit schneeweißer Schürze stand vor der Thür,
doch zuckte er bei Herrn Wilibalds Begehr nur lächelnd die Achseln
und erklärte, sein Haus sei bis unters Dach mit Gästen besetzt, und
er hätte nicht mehr so viel Platz, um ein Mäuslein zu beherbergen,
geschweige denn einen so stattlichen Herrn mit Wagen, Pferden und
Gefolge. Nicht besser ging es dem Kaufherrn an drei, vier andern
Stellen, überall waren die Herbergen voll, dabei dunkelte es schon, und
Frau Ursula war so erschöpft, daß sie dringend nach Ruhe verlangte.
Ratlos stand der Nürnberger da, als er hinter sich eine Stimme hörte,
welche in unverkennbar süddeutscher Mundart sagte: „Kann ich Euch
behilflich sein, Herr Landsmann? mich dünkt, Ihr seid in Verlegenheit.“
Als Ebner sich umwandte und den Sprecher ansah, trat er erschrocken
einen Schritt zurück, denn es schien ihm, als stände Berthold
leibhaftig vor ihm. Doch schon der zweite Blick genügte, um die
Täuschung zu zerstören, denn der Fremde war wohl um zehn Jahre älter,
als sein Sohn, und seine ganze Erscheinung trug das Gepräge reifer
Männlichkeit. „Habe ich die Ehre, einen Angehörigen der freien
Reichsstadt Nürnberg in Euch zu begrüßen?“ fragte er den jüngeren Mann
höflich. „Ich bin der Ratsherr Ebner und als Vertreter unsrer Stadt
hieher gesandt.“
„Ich bin aus Bamberg gebürtig,“ versetzte der Genter, „doch habe ich
einige Jahre meiner Jugend im schönen Nürnberg verlebt. Es sollte mir
eine Freude sein, werter Herr, Euch in meinem Quartier einstweilen ein
Unterkommen anzubieten, denn es dürfte schwer sein, heute abend noch
eine Herberge zu finden.“
„Ihr seid sehr gütig,“ versetzte Herr Wilibald, „doch bin ich
nicht allein, sondern habe meine Gattin mit mir, für die mir ein
Ruheplätzchen dringend erwünscht wäre. Wollt Ihr Eure Gastfreundschaft
so weit ausdehnen?“
„Mein bescheidnes Haus ist zwar wenig zur Aufnahme zarter Damen
eingerichtet, doch wenn Ihr gütig vorlieb nehmen wollt -- ein Zimmer
und ein Ruhebett findet sich wohl.“
„So nehme ich Euer Anerbieten dankbar an,“ sagte Herr Ebner und schritt
mit dem Fremden die Straße entlang während der Wagen ihnen langsam
folgte. In einer Gasse, die von dem lärmenden Verkehr der Hauptstraßen
ein wenig abseits lag, hielt der junge Mann vor einem zweistöckigen
Hause still; eine Glocke rief ein paar Diener herbei, und man half Frau
Ursula aus dem Wagen. „Seid willkommen, werte Frau, im Hause Lorenz
Tuchers,“ sagte der Genter mit höflicher Verbeugung, indem er die
Patrizierin die steinernen Stufen hinaufführte.
Frau Ursula blieb überrascht stehen. „Ihr seid ein Tucher? auch ich bin
von Geburt eine Tucherin -- hat ein freundlicher Stern uns zu einem
Verwandten geführt?“
Der Grad der Verwandtschaft ließ sich zwar nicht feststellen, doch war
sie sicher irgendwie vorhanden, und Name und Herkunft genügten, um
hier in der Fremde schnell ein enges Band um die zufällig Vereinten
zu schlingen. Lorenz Tuchers Haus war auch keineswegs so dürftig
ausgestattet, um nicht selbst verwöhnten Gästen einen angenehmen
Aufenthalt darzubieten, und die Nürnberger ließen sich gern überreden,
sich kein anderes Quartier zu suchen, sondern bei dem Vetter zu bleiben.
Der nächste Tag war nach der langen anstrengenden Reise ganz der
Ruhe gewidmet; man brachte manche Stunde in traulicher Unterhaltung
zu und unterrichtete sich über die beiderseitigen Verhältnisse.
Lorenz erzählte von seinen Seereisen, die er zu verschiedenen Malen
gemacht hatte, um alle Stapelplätze des mächtigen Hansabundes zu
besuchen; er war mit flandrischen Tuchen und feiner Leinwand nach
Bergen in Norwegen gefahren, wo die deutschen Kaufleute ein eignes
Stadtviertel inne hatten und sich in Wohnung und Sitte von allen andern
Nationen abschlossen; von Schonen hatte er Heringe geholt, die als
unentbehrliche Fastenspeise in alle Länder Europas verschickt wurden;
selbst bis in das ferne Nowgorod war er gekommen, wo man Leder, Honig
und Wachs gegen die Erzeugnisse des Südens eintauschte.
Auch von den Verhältnissen in Burgund wußte er viel Interessantes zu
erzählen, was den Nürnbergern noch neu war, denn in einer Zeit, wo man
Zeitungen noch nicht hatte, wurden die Ereignisse eines Landes oft nur
langsam, auf dem Wege von Mund zu Mund, in anderen bekannt. Er machte
eine traurige Schilderung von der Verlassenheit, in der sich die junge
Herzogin nach dem Untergange ihres Vaters befunden hätte.
„Man erzählte uns,“ bemerkte Ebner, „daß König Ludwig von Frankreich,
ihr erlauchter Pate, sich der Fürstentochter warm und väterlich
angenommen habe.“
„In der That,“ erwiderte Tucher ironisch, „er war so liebevoll, daß er
ihr das schwere Amt des Regierens möglichst erleichtern wollte, deshalb
suchte er große Stücke des Reiches an sich zu reißen; und er meinte es
so väterlich, daß er Maria zu seiner Schwiegertochter machen wollte,
obgleich sein Söhnchen erst sieben Jahre zählt und an Leib und Seele
ein Schwächling sein soll.“
„Unglaublich!“ sagte Frau Ursula entrüstet, „wie kann man im Ernst an
die Verbindung einer zwanzigjährigen Prinzessin mit einem kleinen Kinde
denken!“
„Der Herzogin gefiel der Freier auch nicht sonderlich,“ fuhr Lorenz
fort, „sie warf sich ganz ihren getreuen Ständen in die Arme, erbat
ihren Schutz gegen den übermächtigen Nachbar und versprach dagegen,
ihnen alle die Freiheiten und Gerechtsame zurückzugeben, die ihr
gewaltthätiger Vater ihnen widerrechtlich entrissen hatte. Aber so
unberechenbar und wetterwendisch ist ein Weiberkopf: kaum hatte sie
sich den Ständen gegenüber feierlich verpflichtet, da reute sie’s
wieder; sie schickte die Räte ihres Vaters Huguenot und d’Himbrecourt,
geborene Franzosen und den Ständen als Werkzeuge ihrer Unterdrückung
tief verhaßt, zum Könige und erbot sich zu allerlei Zugeständnissen,
wenn er sie im ruhigen Besitz ihrer Herrschaft lasse. Der hinterlistige
Monarch aber verriet Marias zweideutiges Spiel an die burgundischen
Abgesandten, die ihrerseits mit ihr unterhandeln wollten, und im ganzen
Lande entbrannte eine heiße Entrüstung, die sich, da man sie nicht an
der Herzogin selbst auslassen konnte, gegen die französisch gesinnten
Räte wendete. Man warf sie in den Kerker, machte ihnen den Prozeß und
verurteilte sie als Verräter zum Tode. Vergebens flehte die Fürstin
die Richter um Gnade an, sie fand nur taube Ohren. Sie versuchte es,
sich an ihr Volk zu wenden; ich selbst habe sie gesehen, wie sie
ohne Begleitung, im Trauergewande, das Haupt mit einem schwarzen
Schleier umhüllt, mit aufgelösten Haaren und verzweiflungsvollen
Gebärden die Straßen durcheilte und die Menge beschwor, den Tod ihrer
getreusten Anhänger zu verhindern. Umsonst! einzelne wurden von ihrem
Jammer wohl gerührt, aber die große Menge blieb unbewegt, und als
die blutigen Häupter der beiden Verräter auf dem offnen Markte vom
Schafott niederrollten, -- da erhob das zuschauende Volk ein lautes
Freudengeschrei.“
„Heilige Anna, wie entsetzlich!“ rief Frau Ursula schaudernd und
bekreuzte sich. „Furchtbares Los einer Fürstin, durch eigne Unklugheit
ihre besten Freunde ins Verderben zu stürzen! Was fing die unglückliche
Maria nach diesem Tage an?“
„Sie verließ Gent, das ihr durch dieses blutige Schauspiel unerträglich
geworden war, und ging nach Brügge. Dort traf wenige Wochen später eine
stattliche Gesandtschaft ein, mit dem Kanzler des Deutschen Reiches,
dem Erzbischof von Mainz, an der Spitze. Sie legten der Fürstin einen
Ehevertrag vor, den vor Jahren ihr Vater mit Kaiser Friedrich zu Trier
abgeschlossen hatte, und überreichten ihr den Ring, den sie selbst
damals dem knabenhaften Bräutigam übersendet hatte. Da besann sie sich
nicht lange, -- man sagt, sie hätte dem Kaisersohn immer eine stille
Liebe bewahrt, obgleich sie ihn nur im Bilde gesehen -- sondern gab
freudig ihr Jawort und forderte Maximilian auf, sofort zu ihr zu kommen
und das alte Versprechen einzulösen.“
„Es ist schön und erhebend,“ bemerkte Frau Ursula sinnend, „daß auch in
den höchsten Kreisen die Liebe einmal zu ihrem vollen Rechte kommt. Man
meint sonst wohl, daß nur die kühle Erwägung politischer Vorteile ein
fürstliches Paar vor dem Altar vereinige.“
„Für Maria mag die Liebe die Hauptsache sein,“ meinte Lorenz trocken,
„für das Land wäre ein gefüllter Beutel sicher keine üble Zugabe
gewesen. Aber man sagt, daß der Kaisersohn, trotz seiner hohen
Stellung, nicht über bedeutende Mittel verfüge, und dann prophezeie ich
ihm einen schweren Stand, denn in einem so reichen Lande, wie dieses
ist, giebt in den Augen der großen Menge nur das Gold dem Manne eine
Bedeutung.“
„Ich bin überzeugt,“ erwiderte die Ebnerin mit leisem Unmut, „daß
Maximilian überall einen siegenden Eindruck machen wird, denn man
findet nicht oft seinesgleichen an Hoheit und Ritterlichkeit der
Erscheinung, und ein echter Fürst kann des Goldes entbehren, um die
Herzen des Volkes zu gewinnen.“
„Wir wollen sehen,“ sagte Lorenz achselzuckend, „aber ich kenne
meine Genter und Brügger Bürger zu gut, um zu glauben, daß sie sich
durch einen baumhohen Wuchs und ein huldreiches Lächeln bestechen
lassen.“ -- --
„Wie gefällt dir unser Wirt?“ fragte Herr Wilibald seine Gattin, als
beide allein waren.
„Er macht den Eindruck der Tüchtigkeit und Gediegenheit, aber mir
scheint, er ist für seine Jahre zu ernst und nüchtern. Ich habe es
gern, wenn junge Menschen noch Feuer und Begeisterung fühlen, wie unser
...“ aufquellende Thränen erstickten ihre Stimme, und Bertholds Name
blieb unausgesprochen.
„Du vergißt,“ erwiderte der Gatte etwas unzufrieden, „daß er kein
unmündiger Knabe mehr ist, sondern ein Mann, der die Verhältnisse im
ruhigen Lichte einer reifen Erfahrung ansieht. Mir sagt er ungemein
zu; so, gerade so, hätte ich mir meinen Sohn gewünscht, -- wenn
es der Himmel nicht anders gefügt hätte. Ich wollte, ich könnte
Lorenz überreden, in die Heimat zurückzukehren und in meine Handlung
einzutreten; soll auch der Name Ebner in Nürnberg nicht dauern, so
könnte sich doch das alte Haus der Tuchers neu beleben.“
Frau Ursula schwieg; -- so schnell sollte Bertholds Stelle durch einen
Fremden ausgefüllt werden? Es wallte in ihr auf wie Haß gegen Lorenz,
der sich anmaßte, den Sohn ersetzen zu wollen -- und doch mußte sie
sich bei ruhiger Überlegung sagen, daß jener ganz unschuldig an diesen
Plänen sei und gewiß nichts davon ahne. --
Am nächsten Morgen verkündete der Klang aller Glocken, daß der Festtag
gekommen sei, an welchem Maximilian von Österreich seinen feierlichen
Einzug in die Stadt halten sollte. Prächtig hatten sich über Nacht
und in den ersten Morgenstunden die Straßen geschmückt; überall
wehten bunte Fahnen, hingen farbige Decken und köstliche Teppiche aus
den Fenstern, selbst aus den Dachluken heraus; über die Straßen hin
zogen sich Laubgewinde, an denen sich Blumenkronen wiegten, oder die
mit flatternden Bändern und Sinnsprüchen verziert waren. Die Häuser
der adligen Geschlechter hatten ihre schön gemalten Wappenschilder
ausgehängt, die Gildehäuser und Trinkstuben ihre Handwerks- und
Wahrzeichen. Eine erwartungsvolle Menge in Festkleidern besetzte alle
Fenster und Balkone, sogar von den Dächern herab schauten neugierige
Augen auf die Straßen, durch welche der Fürst kommen sollte.
Jetzt ließ der Belfried, der schlanke Glockenturm, der sich mitten
auf dem Markt erhob, seine helle Stimme erschallen; vor dem Rathause
sammelte sich der Zug, welcher dem Erzherzog entgegengehen und
ihn am Thor begrüßen sollte. Voran ein glänzender Reitertrupp in
Plattenharnischen, auf starken Rossen mit langwallenden Sattelmänteln,
auf denen die Wappen des Stadtadels gestickt waren; dann Fußvolk in
knappanliegenden Wämsern mit Plattmützen und stumpfen Schuhen, mit
Schwert und Spieß bewaffnet. Vor ihnen her schritt gravitätisch der
Fähnrich, der seine Fahne kunstreich zu schwenken verstand: bald warf
er sie in die Luft und fing sie im Schwunge wieder auf; bald hüllte er
sich in das Fahnentuch ein wie in einen Mantel, dann ließ er es wieder
in seiner ganzen Länge über den Häuptern hin wehen, daß alle seine
Schildereien zu voller Geltung kamen.
Nun folgten die Herren vom Rate der Stadt, alle im langen Amtskleide,
mit den goldenen Halsketten, eine überaus würdevolle Schar. An sie
schloß sich ein Zug von Jungfrauen aus den ersten Familien der
Stadt, in weißen, strahlenden Gewändern, mit goldenen Kränzen und
duftigen Schleiern in den aufgelösten Locken, fast ausnahmslos hohe
Gestalten mit lieblichen Zügen. In unabsehbarer Reihe folgten nun die
verschiedenen Gilden zu Fuß und zu Pferde, jede im vorgeschriebenen
Gewande, mit stattlichen Bannern und Abzeichen, mit Pfeifern und
Trompetern an der Spitze. In der Nähe des Thores stellten sich alle
in langem Spalier auf, nur die Ratsherren und die Jungfrauen blieben
in der Mitte des Platzes stehen, während die vorderste Reiterschar
hinaussprengte, um die Ankommenden schon außerhalb des Thores zu
empfangen.
Jetzt gab der Türmer das Zeichen, die Böller krachten, Erzherzog
Maximilian betrat die Stadt: eine herrliche Heldengestalt, ganz in
glänzenden Stahl gehüllt, mit dem wallenden Purpurmantel darüber.
Die wenig hervortretende Stirn, die mächtige Nase, die hängende
Unterlippe kennzeichneten den Habsburger; der hohe, reckenhafte Wuchs,
die tiefblauen, leuchtenden Augen mit dem kühnen, freien Blick, das
goldene Lockenhaar ließen ihn als ein echtes Königsbild erscheinen. Ein
langes Gefolge von Fürsten und hohen Herren schloß sich an, aber den
Ehrenplatz an der Seite des edlen Bräutigams nahm ein schlichter Ritter
ein. „Wer ist der Bevorzugte?“ flüsterte unter den Zuschauern einer dem
andern zu. „Das ist Ritter Kunz von Rosen,“ hieß es, „der lustige Rat
des Prinzen und zugleich sein bester Freund, der nie von seiner Seite
weicht. Er ist der treue Genosse all seiner Abenteuer und soll seinem
Herrn schon mehr als einmal das Leben gerettet haben, wenn dieser sich
in tollkühnem Mut in die größten Gefahren begeben hatte.“
Leutselig grüßte Max nach allen Seiten; die Ansprache der Väter der
Stadt nahm er mit huldvoller Freundlichkeit entgegen, den Jungfrauen
begegnete er mit ritterlicher Artigkeit. Seine jugendliche Kraft und
Schönheit, verbunden mit seiner echt fürstlichen Haltung machte einen
so tiefen Eindruck auf die Menge, daß das anfängliche, kritische
Schweigen schnell einer wachsenden Begeisterung wich und das Jubeln und
Schreien eine betäubende Höhe erreichte. Plötzlich gab er seinem Roß
die Sporen, daß es sich aufbäumte, und sprengte mit ungeduldiger Hast
vorwärts, man sah es ihm an, daß er Eile hatte, die Braut zu begrüßen.
Jetzt kam er in den Bereich des Palastes, auf dessen Balkon die junge
Fürstin im Kreise ihrer Frauen stand; mit klopfenden Pulsen schaute
sie dem Bräutigam entgegen, dessen Bild sie lange in ihrem Herzen
getragen, und den ihre Augen doch noch nie erblickt hatten. Es war ein
Augenblick, der alle höfische Etikette über den Haufen warf; unten
schwang der Jüngling seinen Federhut und schaute strahlenden Blicks
hinauf, von oben beugte sich die Jungfrau über die steinerne Balustrade
und ließ ihr Tuch grüßend in der Luft wehen. Noch wenige Sekunden --
dann war Maximilian vom Pferde gesprungen, die breite Treppe hinauf
geflogen, und nun hielt er die Braut, die ihm entgegeneilte, fest in
seinen Armen. -- So waren Deutschland und Burgund vereint, und wenn
auch ein allzu früher Tod Maria verhinderte, an der Seite ihres Gatten
den deutschen Kaiserthron zu besteigen, so war sie doch vom Schicksal
bestimmt, die Stammmutter einer langen Reihe deutscher Kaiser zu werden.
Der kirchlichen Vermählung folgte eine Reihe von glänzenden Festen. Der
Hof von Burgund hatte sich stets durch Prachtliebe ausgezeichnet; er
zog die adlige Jugend aus allen Ländern an sich, denn nirgends wurden
ritterliche Übungen so leidenschaftlich betrieben, standen die alten
Ritterspiele in so hoher Blüte, wie hier. So gab es alle Tage Turniere
für den Hof und die hohen Gäste des fürstlichen Paares, Banketts von
seiten der Stadt, Preis- und Wettschießen für den kleineren Bürger,
Spiel und Tanz für die Jugend, Speisung der Armen, und was sich der
Geist der Zeit an Lustbarkeiten irgend erdenken konnte. Auch Herr Ebner
und seine Gattin nahmen an mehreren dieser Feste teil, aber wenn Frau
Ursulas Erscheinung auch immer schön und würdig war, so war sie doch
bei weitem nicht die erste an Glanz und Reichtum, denn die Frauen von
Gent trugen sich alle wie Königinnen, und ihr kostbares Geschmeide, die
Pracht ihrer Gewänder stellte fast die der anwesenden Fürstinnen in
Schatten.
Endlich war der Festjubel verrauscht, das herzogliche Paar verließ
Gent, um in den übrigen Städten des Landes seinen frohen Einzug zu
halten; auch die Nürnberger rüsteten sich zur Heimfahrt. Am Abend vor
der Abreise saßen die beiden Männer noch lange in ernster Unterredung
beisammen. Herr Ebner redete dringend auf den jüngeren Freund ein,
der anfangs kopfschüttelnd zuhörte und manches Bedenken zu haben
schien; allmählich aber schwand sein Widerstand, und als die beiden
sich trennten, geschah es mit so herzlichem Händedruck, daß sie
wohl einig geworden sein mußten. Am nächsten Morgen schied man mit
Versicherungen aufrichtiger Freundschaft von beiden Seiten. „Gebt uns
bald Gelegenheit, Vetter, Euch Eure Gastfreundschaft in unserm Hause zu
vergelten,“ sagte Frau Ursula; -- „behaltet mich in gutem Andenken, bis
ich zu Euch komme, Frau Base,“ bat Lorenz; -- „auf baldiges Wiedersehen
in Nürnberg!“ klang es herüber und hinüber, und Grüße und Winke wurden
gewechselt, solange der Wagen noch in Sicht war.
Im folgenden Frühjahr erschien Lorenz Tucher in Nürnberg, wo er wie
ein alter Freund und lieber Verwandter empfangen wurde. Er hatte sein
Haus in Gent verkauft und wollte für immer nach der alten Heimat
übersiedeln. In kurzer Zeit war er im Ebnerhause vollkommen heimisch
und verkehrte in brüderlicher Weise mit den Töchtern, doch gab es
zwischen ihm und Margarete manchen stillen Kampf, denn das hochgesinnte
Mädchen nahm ebenso oft einen Anstoß an seiner kühlen Beurteilung
mancher Dinge, die ihr groß und würdig erschienen, wie er an ihrer
warmen Begeisterung für vieles, was ihm der Beachtung unwert dünkte.
Elsbeth dagegen sah mit unbegrenzter Bewunderung zu dem neuen Vetter
auf und war bereit, jeden seiner Aussprüche als unfehlbares Orakel zu
betrachten. Er beschäftigte sich zuweilen denn auch in herablassender
Freundlichkeit mit dem Bäschen, wie man sich wohl mit einem kleinen
Kätzchen abgiebt, dessen drollige Sprünge selbst einen ernsten Mann in
müßiger Stunde ergötzen mögen.
[Illustration]
Zwölftes Kapitel.
Mutter und Tochter.
Unwiderstehlich spricht zu dem Kinde die Stimme der Mutter,
Prallt sie auch anfangs zurück, endlich gewinnt sie den Sieg.
Die vier Jahre, welche für Ulrichs Studienzeit bestimmt waren, gingen
ihrem Ende entgegen, und auf Maltheim zählten Mutter und Tochter schon
die Wochen bis zu seiner Heimkehr. Frau Kunigunde war eben in ihrer
Vorratskammer beschäftigt -- dieselbe war der Stolz und die Freude
ihres Hausfrauenherzens, und sie würde den Schlüssel dazu keiner
fremden Hand anvertraut haben --, als ihr ein Mädchen gemeldet wurde,
das in einer dringenden Angelegenheit die Herrin zu sprechen wünschte.
Sorgfältig verschloß diese den Raum, der die besten Schätze ihres
Hauses enthielt, und stieg hinab in die Halle, wo sie die Dirne fand,
welche ganz erschöpft auf einen Schemel gesunken war. Dieselbe beugte
sich über die Hand der Edelfrau und bat sie in schluchzenden Tönen, ihr
zu ihrer Mutter zu folgen, welche krank daniederläge und keine Ruhe
finden könne, weil ein schweres Geheimnis sie drücke. Erst allmählich
erkannte Frau Kunigunde in der Sprechenden die blonde Nelleke, Frau
Barbaras Tochter, und eine bange Ahnung stieg in ihrem Herzen auf. Auf
wen konnte das Geheimnis, von dem jene sprach, sich beziehen, als auf
Irmgard, und was konnte die Sterbende ihr zu sagen haben, als etwas,
was ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte? Dennoch war sie sogleich
entschlossen, dem Rufe zu folgen, um endlich die volle Wahrheit zu
erfahren. Sie traf ohne Zögern die nötigen Anstalten, sagte Irmgard,
daß ein wichtiges Geschäft sie zwinge, sich in die Stadt zu begeben,
legte ihr die Sorge für den Vater ans Herz und brach nach wenig Stunden
auf, von einigen Dienern begleitet, deren einer Nelleke vor sich aufs
Pferd nahm. Einige heiße, trockne Wochen hatten die Landstraße in
einen leidlichen Zustand versetzt, man kam ziemlich schnell vorwärts
und erreichte noch bei hellem Tage die Stadt. Die Edelfrau gönnte
sich keine Ruhe nach dem ermüdenden Ritt; kaum vom Pferde gestiegen,
eilte sie nach der Schenke zum blauen Affen und ließ sich in die Kammer
führen, wo Frau Bärbel schon seit Wochen auf dem Krankenbette lag.
Die behäbige Frau war sehr verändert, die vollen Backen waren
eingefallen und von fahler Blässe, die Augen irrten angstvoll suchend
umher und leuchteten auf, als sie endlich auf Frau Kunigundens Antlitz
hafteten. „Den Heiligen sei Dank, daß Ihr kommt, edle Frau!“ stöhnte
sie, „ich konnte nicht sterben, ohne Euch alles bekannt zu haben.
Neiget Euer Ohr zu mir, meine Kraft ist schwach -- die Mutter Gottes
helfe mir, meine Beichte zu Ende zu bringen.“
Frau Kunigunde setzte sich neben das Lager und preßte Hände und Lippen
fest zusammen, um das heftige Schlagen ihres Herzens zu unterdrücken.
„Sprich ohne Scheu, Bärbel,“ sagte sie mit erkünstelter Ruhe, „ich höre
jedes Wort.“
„Ich habe Euch einst belogen,“ begann die Sterbende leise und
abgebrochen, „es war Euer eignes Kind, das ich im Garten begrub, und
ein fremdes, das ich an seiner Statt in die Wiege legte.“
„Wo habt Ihr meine Irmgard begraben?“ fragte die Edelfrau tonlos.
„Unter der großen Linde, rechts vom Altan. Ich habe inbrünstige Gebete
darüber gesprochen.“
„Und wo kam das fremde Kind her?“
„Mein Gatte hatte es auf der Landstraße gefunden.“
Ein langes Schweigen folgte. Durch Frau Kunigundens Seele ging wie ein
zweischneidiges Schwert der Schmerz um den Tod des eignen Kindes und
ein Gefühl, als ob Irmgard von ihrem Herzen losgerissen würde.
„Sagt, daß Ihr mir vergebt, gnädige Gebieterin,“ bat Barbara mit
leiser, angstvoller Stimme.
„Vergeben? wie könnte ich das!“ erwiderte die beraubte Mutter mit
unterdrückter Heftigkeit. „Warum, o warum habt Ihr mir das gethan?“
„Ich konnte Euren Schmerz nicht ansehen -- er brach mir fast das Herz.
Und als an demselben Tage Klaus mir das fremde Kind brachte, das ebenso
helle Härchen und dunkle Augen hatte wie das unsrige -- und so zart und
fein war -- da meinte ich, es sei ein Fingerzeig der heiligen Jungfrau,
die Euren Kummer lindern wollte. Während Ihr in tiefer Ohnmacht lagt,
vertauschte ich die Kinder, ohne daß es jemand sah. Aber von Stund’
an hatte ich keine Ruhe mehr -- ich konnte Euch nicht mehr frei ins
Gesicht sehen, es litt mich nicht länger auf der Burg. Jahrelang trug
ich mein Geheimnis mit mir umher, ohne es zu verraten; erst, als Pater
Benedikt nach Nürnberg kam, faßte ich mir ein Herz und beichtete ihm
meine Schuld. Er strafte mich mit strengen Worten und legte mir harte
Bußen auf, dennoch aber ließ er mich geloben, gegen jedermann darüber
zu schweigen, solange Euer edler Gemahl am Leben sei. Aber nun tritt
der Tod an mich heran -- ich konnte nicht scheiden mit der Lüge auf
dem Herzen -- -- o laßt mich nicht sterben, ohne daß Ihr mir vergeben
habt!“ Sie sank erschöpft in ihre Kissen zurück, und eine namenlose
Angst malte sich auf dem abgezehrten Antlitz.
Die Todesqual der alten Dienerin ging Frau Kunigunden tief zu Herzen;
welche Gedanken auch ihre Seele bestürmten, so drängte sie dieselben
doch zurück und dachte mit gütigem Sinn nur daran, das arme Weib zu
trösten. „Du hast es gut mit mir gemeint,“ sagte sie nach einer Pause
mit bebender Stimme, „und du konntest wohl nicht ermessen, was deine
That bedeute. Ich will dir deinen Tod nicht erschweren -- ziehe hin in
Frieden, und möge dir Gott verzeihen -- wie ich es thue.“
Sie erhob sich schnell, denn ihre Fassung drohte sie zu verlassen, und,
gefolgt von den Segenswünschen und Dankesworten der Sterbenden, eilte
sie fort. --
Als Frau Kunigunde am nächsten Tage mit schwerem Herzen nach Hause
zurückkehrte, wurde sie von verstörten Gesichtern empfangen und sah
mit einem Blick, daß etwas Ernstes geschehen sei. Voll Angst und Sorge
eilte sie hinauf in das Zimmer ihres Gatten, wo ihr Pater Anselmus, der
neben seinem geistlichen Amt die Stelle eines Arztes auf Meilen in die
Runde versah, mit ernster Miene entgegentrat. „Faßt Euch, edle Frau,“
begann er, „bereitet Euch auf eine traurige Kunde vor.“
„Was ist’s?“ fragte sie bebend, „ist mein Gatte ..?“ ihre Lippen
weigerten sich, das schreckliche Wort auszusprechen.
„Euer Gatte lebt, aber die Hand des Herrn hat ihn schwer getroffen, Ihr
werdet ihn sehr verändert finden.“
Die Edelfrau ließ sich nicht länger zurückhalten, sie trat an das
Lager des Ritters, der still, mit geschlossenen Augen, dalag; nur
der keuchende Atem verriet, daß in der bewegungslosen Gestalt noch
Leben sei. Ein Schlagfluß -- selbst heute noch eine Erscheinung, die
unvermittelt und unerklärt in das blühende Leben eingreift, die bei
dem damaligen Stande der Wissenschaft aber vollends geheimnisvoll und
unheimlich erscheinen mußte -- hatte den alten Herrn zu Boden geworfen
und ihm die Fähigkeit der Sprache und Bewegung geraubt. Von Grauen
erfüllt, hatten die Diener sich zurückgezogen und Irmgard und Pater
Anselm allein bei dem Geschlagenen gelassen. Seit dem gestrigen Abend
hatte das kleine Fräulein das Bett des Vaters nicht verlassen, jetzt
hatte die Ermüdung der durchwachten Nacht sie übermannt; im großen
Lehnstuhl zusammengekauert, war sie in so tiefen Schlaf gesunken, daß
selbst das Kommen der Mutter sie nicht erweckte. Mit blutendem Herzen
blickte jene von dem Gatten auf die Tochter, sollte sie beide hingeben
müssen? sollte die weiße Rose, die sie so treu gepflegt hatte, von ihr
genommen werden und sie nicht mehr durch ihren lieblichen Anblick und
süßen Duft erquicken? --
Unermüdlich teilten sich die beiden Frauen in die schwere Pflege des
Kranken, dem die geschwundenen Kräfte nicht wiederkehren wollten.
Zuweilen glitt, wenn die Tochter zu ihm trat, ein schwacher Schimmer
von Freude über das wachsbleiche Antlitz, oder es malte sich eine
Unruhe darauf, sobald die Gattin das Gemach verließ; aber das waren
auch die einzigen Spuren von Bewußtsein. Doch Frau Kunigundens
Prüfungen waren noch nicht zu Ende: eines Morgens blieb Irmgard, welche
sich immer müder umhergeschleppt hatte, auf ihrem Lager liegen, und
Pater Anselmus erklärte, daß sich infolge übermäßiger Anstrengung
ein schleichendes Fieber ihrer bemächtigt habe. Trostlos vernahm die
Edelfrau diesen Ausspruch, wem sollte sie Irmgards Pflege anvertrauen?
sie selbst war durch die Hilflosigkeit des Gatten vollauf in Anspruch
genommen. In dieser Not wußte der Pater einen Rat und versprach, ihr
eine Pflegerin zuzuführen, auf deren Gewissenhaftigkeit sie sich
unbedingt verlassen könne.
An demselben Abend klopfte es an Frau Kunigundens Thür, und vor ihr
stand eine Frau, deren Kopf ein großes Tuch verhüllte. „Pater Anselmus
schickt mich,“ begann dieselbe mit leiser, stockender Stimme, „wollt
Ihr mir gestatten, meine -- -- Eure -- -- das kranke Fräulein zu
pflegen?“
„Wer seid Ihr?“ fragte die Edeldame, von banger Ahnung ergriffen.
Die Fremde hob flehend die Hände empor. „O, schickt mich nicht fort,
ich beschwöre Euch,“ rief sie, und das herabfallende Tuch ließ Afras
Züge erkennen, „erlaubt mir nur, Euch und dem Fräulein zu dienen wie
die geringste Magd, ich begehre nichts darüber hinaus. Vergeßt, was
ich einst gesagt und gedacht, laßt -- o laßt mich bei Euch bleiben!“
Ein paar Augenblicke vergingen, Frau Kunigunde kämpfte mit sich selbst,
dann reichte sie Afra die Hand und sagte fest: „Es sei! ich will Euch
unser geliebtes Kind anvertrauen -- ich weiß, Ihr werdet es treu
versorgen, und der Himmel gebe seinen Segen dazu!“
Die Edelfrau sah bald ein, daß sie eine treuere Pflegerin, als Afra,
nicht hätte finden können, denn jene war Tag und Nacht auf ihrem
Platze. Die Kranke erkannte sie anfangs nicht, denn sie lag fast immer
in einem Zustande, der halb Schlaf und halb Betäubung war; doch nach
einigen Tagen bemerkte Afra, daß Irmgards Augen fest und mit Bewußtsein
auf sie gerichtet waren. Sie unterdrückte eine zitternde Furcht vor
einem heftigen Ausbruch des Abscheus, wie damals, als sie zuerst auf
der Burg erschienen war, aber das Mädchen blieb ruhig und sagte nur
leise: „Ich kenne Euch, wie kommt Ihr hieher?“
„Frau Kunigunde hat mich rufen lassen, um ihr beizustehn.“
„Euch? und warum gerade Euch?“
„Pater Anselm wußte, daß ich mit Kranken umzugehen verstehe. Ich gehe,
sobald ich nicht mehr gebraucht werde. Soll ich gleich gehen?“
„Nein, bleibt!“ versetzte Irmgard kurz; „ich glaube, Ihr meint es
gut mit mir.“ So blieb Afra, und es bildete sich allmählich ein
freundliches Verhältnis zwischen ihr und dem Fräulein, das nur langsam
genas. „Erzählt mir die Geschichte Eures Lebens,“ bat sie einmal,
und Afra erzählte, anfangs vorsichtig und zurückhaltend, bei den
Lichtpunkten ihrer Erinnerung verweilend, um die Genesende nicht zu
erregen, nach und nach immer ausführlicher, denn Irmgard hörte nicht
auf, zu forschen und zu fragen, bis sie alles erfahren hatte.
In der Seele des jungen Mädchens vollzog sich eine gewaltige
Wandlung: der heftige Widerstand, den sie damals Afras Ansprüchen
entgegengesetzt, war gebrochen; sie fühlte es mit unwiderleglicher
Gewalt, daß sie wirklich die Tochter dieser Frau sei. Diese
Überzeugung, welche durch Walburgs frühere Behauptung vorbereitet
worden war, stürzte alles um, was bisher ihr Denken und Thun bestimmt
hatte. Der Stolz, mit dem sie auf ihre adlige Geburt, auf die langen
Reihen ritterlicher Ahnen geblickt hatte, war ein lächerliches Unding,
wenn sie von einfachen Handwerkern abstammte, ihr ganzes Leben hier auf
der Burg war eine Lüge! Ihr war es, als finge das goldene Kettlein, das
sie seit ihrer Kindheit getragen, an ihrem Halse zu brennen an; sie
öffnete das Schlößchen und legte das alte Schmuckstück ab. An einer
feinen Kette hing ein Goldplättchen, auf dem fünf blaue Steine ein
Vergißmeinnicht bildeten; das war wohl über zweihundert Jahre alt und
stammte von einer Ahnfrau des Hauses, deren Andenken in hohen Ehren
gehalten wurde. Wie stolz war Irmgard gewesen, als die Mutter ihr das
einfache Kleinod umhing und sie ermahnte, es wohl zu bewahren und
jener Frau Jutta von Maltheim und Buchenbühl ähnlich zu werden, ihren
Eltern ebenso gehorsam, ihrem einstigen Gatten ebenso treu zu sein.
Oft hatte ihr die Mutter die Geschichte jener Ahnfrau erzählen müssen,
deren Bräutigam unter dem Zeichen des Kreuzes in das Heilige Land
gezogen war, und von dem sie jahrelang nichts gehört hatte; wie sie ihm
trotzdem die Treue bewahrt habe, obgleich jedermann von seinem Tode
überzeugt gewesen sei; wie sie all ihren Schmuck, bis auf dies eine
Kettlein, verkauft habe, um einen Spielmann auszurüsten und nach ihm
auszusenden. Der aber habe allzu lange nach dem Ritter suchen müssen,
und beide seien erst in dem Augenblick zurückgekehrt, als das Fräulein,
dem Befehl ihres Vaters folgend, einem Kaufmann die Hand zum Ehebunde
habe reichen sollen. Beim Anblick des Geliebten sei sie totenbleich zu
Boden gefallen, der Ritter aber habe den Bräutigam zum blutigen Kampf
herausgefordert, habe ihn besiegt, und als Siegespreis die Hand seiner
Dame erhalten.
Wie oft hatte Irmgard das Vergißmeinnicht betrachtet und sich dabei an
Fräulein Juttas Stelle gedacht, wie oft sich im stillen gelobt, nur
einem Ritter angehören zu wollen, der so treu, so heldenhaft sei, wie
jener Herr Diether. Sie hatte es sogar der Ahnfrau sehr verargt, daß
sie sich je habe bestimmen lassen, an einen Städter auch nur zu denken,
und sie war entschlossen, in diesem Punkt selbst dem Befehl ihres
Vaters zu trotzen, der freilich ebenso dachte wie sie. Was war nun aus
all diesen stolzen Träumen geworden? sie war das Kind einer armen Frau,
die einst die Magd der Frau Ebnerin gewesen; selbst Berthold würde
jetzt nicht mehr daran gedacht haben, sie zu seiner Gattin zu erwählen.
Hans Fiedler, den sie stets mit huldreicher Herablassung behandelt,
dessen ehrerbietige Huldigung sie hingenommen hatte, wie ein Königskind
die Liebe des Schäferknaben -- er war ihr Bruder, der über ihr Geschick
zu bestimmen haben würde; Ulrich aber stand so hoch, hoch über ihr, daß
sie froh sein konnte, wenn er sie einmal zur Gürtelmagd seiner Gemahlin
machte. O, es war unsäglich bitter! Irmgard mußte ihre Augen vom Lichte
abwenden und ihr Antlitz gegen die Wand kehren, um das brennende
Schamgefühl zu verbergen, das ihre bleichen Wangen mit Purpur färbte.
Was sollte nun geschehen? sie konnte nicht auf der Burg bleiben und
noch fernerhin die Rolle des Edelfräuleins spielen, -- dagegen sträubte
sich ihr Wahrheitsgefühl; sie konnte auch nicht auf den Annenhof ziehen
und Afras gehorsame Tochter sein, -- dagegen bäumte sich ihr Stolz
und die jahrelange Gewohnheit. Lange suchte sie vergebens nach einem
Ausweg, dann kam ihr plötzlich, wie ein Lichtstrahl in tiefer Nacht,
der Gedanke an das Kloster. Ja, das war eine Rettung, und sie griff
begierig danach. Dann fiel ihr Berthold ein, und wie sie ihm einst
verächtlich zugerufen hatte, sie würde lieber sterben, als eine Nonne
werden. Und nun ging sie doch denselben Weg; es stirbt sich nicht
so leicht, und der Tod kommt selten, wenn man ihn leidenschaftlich
ersehnt. Im stillen bat sie dem fröhlichen Spielgefährten jedes
schroffe Wort ab, ja sie fühlte sich ihm näher gerückt durch die
Gleichartigkeit ihres Schicksals. „Erstaunlich, daß gerade wir beide
der Welt entsagen müssen, wir, die wir uns doch so wohl darin fühlten,
so glänzende Pläne machten, so hoch hinaufstrebten! Die Heiligen führen
uns wunderbare Wege zu dem Ziel, das sie uns gesteckt haben, wir mögen
wollen oder nicht!“ -- --
Der Ritter von Maltheim war sanft entschlafen und in der Schloßkapelle
bei seinen Vätern beigesetzt. Afra hatte den trauernden Frauen treuen
Beistand geleistet; nach dem Begräbnis aber war sie ohne Gruß und
Abschied verschwunden. In tiefem Schmerz saßen Frau Kunigunde und
Irmgard bei einander, jede von Gedanken erfüllt, die mühsam nach einem
Ausdruck rangen.
„Es ist gut für Euch, daß Ulrich bald heimkehrt,“ sagte endlich das
Mädchen gepreßt --, „so werdet Ihr doch nicht lange ganz einsam sein.“
Die Mutter blickte erstaunt auf; der förmliche Ton, in dem jene sprach,
überraschte sie. „Ich habe ja noch dich, mein liebes Kind.“
„Aber nicht mehr für lange -- ich muß fort.“
„Du willst mich verlassen, jetzt, da ich traurig und einsam bin?
Irmgard, hat deine Mutter das um dich verdient?“
„O macht mir das Herz nicht schwer, Frau -- Frau Kunigunde von
Maltheim,“ rief das Mädchen, in Thränen ausbrechend, „Ihr wißt es doch
besser als ich, daß ich Euer Kind nicht bin, daß Ihr den Findling nur
aus Erbarmen aufgenommen habt! Ich kann nicht länger bei Euch bleiben,
aber ich kann auch nicht bei meiner Mutter leben -- laßt mich ins
Kloster gehn, das ist der einzige Ort auf Erden, wo ich Ruhe und
Frieden finden kann.“
Mit namenlosem Erstaunen vernahm die Edelfrau diese Rede; wie hatte
sie gesonnen und gegrübelt, auf welche Weise sie Irmgard die bittere
Kunde beibringen könne, -- und nun kam jene ihr zuvor, sie wußte alles
und hatte aus eignem Antrieb den Entschluß gefaßt, vor dem sie selbst
noch zurückbebte, und den sie doch als den einzig schicklichen Ausweg
in dieser Lage betrachten mußte. Sie that ihre Arme auf: „mein Kind,
meine geliebte Tochter!“ rief sie, „komm an meine Brust und laß uns in
alter Liebe alles miteinander besprechen, was uns beide so schmerzlich
bewegt. Hat dich die heilige Jungfrau mir nicht übergeben, daß du mein
Trost und meine Freude sein solltest? und bist du nicht deines Vaters
teuerster Schatz bis an sein Ende gewesen? Und wenn du uns nicht durch
deine Geburt angehörst, hat unsre jahrelange Liebe uns keinen Anspruch
an dich erworben?“
Da schmolz die Rinde von Härte und Bitterkeit, die sich um Irmgards
Gemüt gelegt hatte, sie sank in die Arme der treuen Mutter und sagte
ihr alles, was ihr banges Herz erfüllte.
Einige Tage danach erschien Afra, nach der man geschickt hatte, wieder
auf der Burg. Irmgard ging ihr entgegen und reichte ihr die Hand;
sie war noch bleicher als gewöhnlich, aber in ihren Zügen lag eine
tiefe Ruhe: der schwere Kampf war ausgestritten, in ihrer Seele volle
Klarheit. „Seid willkommen, liebe Mutter!“ sagte sie sanft, „ich stehe
an der Schwelle eines neuen Lebens und bitte um Euren Segen.“
Afra starrte sie an, als dürfe sie ihren Ohren nicht trauen. „Matthäa!“
rief sie dann jauchzend, „mein süßes Kind, erkennst du endlich deine
Mutter? O Gott im Himmel, habe Dank für diese Gnade! Du hast mir
meinen Liebling wiedergeschenkt!“ Sie zog Irmgard an ihr Herz und
überschüttete sie mit heißen Küssen und Liebkosungen; dann schob sie
sie einen Schritt von sich fort, um ihr Gesicht, ihre Gestalt mit
trunknem Blick zu betrachten. Endlich faßte sie sich, verbarg ihr
thränenbenetztes Gesicht einen Augenblick in ihren Händen und schaute
ruhiger auf. „Fürchte nichts, mein Liebling,“ sagte sie wehmutsvoll,
„denke nicht, daß deine Mutter dein Glück trüben, deine hohe Stellung
dir rauben will. Du sollst für jedermann das Edelfräulein bleiben,
und die edle Frau Kunigunde soll deine Mutter sein, wie bisher. Nur
zuweilen, in dunkler Abendstunde, darf ich mich herschleichen, nicht
wahr? und wenn kein Auge uns sieht und kein Ohr uns hört, dann darf
ich dich meine Matthäa nennen und dich küssen; und wenn du krank bist,
darf ich dich pflegen, und wenn du dich einmal verheiratest, darf ich
dir folgen und dir dienen und dein Haus verwalten helfen -- nicht wahr,
mein Kind? du sollst dich nie, nie meiner schämen dürfen, denn nie will
ich es einem Menschenohr anvertrauen, daß du meine Tochter bist!“
Irmgard war tief ergriffen von so selbstloser Liebe. „O meine Mutter,“
sagte sie bewegt, „wie gut bist du! Nein, ich werde mich nie deiner
schämen, denn du bist edel von Gesinnung und groß an Liebe und
Aufopferung! Aber ich werde nicht hierbleiben und nie einem Gatten
folgen -- ich gehe ins Kloster.“
„Ins Kloster!“ wiederholte Afra traurig, „ist dir die Welt vergällt,
das frohe Leben zur Last geworden? Ins Kloster! dahin kann ich dir
nicht folgen, dort kann ich meinem Kinde nicht dienen. O Matthäa, muß
es so sein?“
„Es muß so sein, Mutter, es war von Anfang an der Wille der heiligen
Jungfrau. Auch Frau Kunigunde denkt wie ich. Mit dem Beginn der
nächsten Woche scheide ich aus diesem Hause und trete in mein neues,
stilles Heim ein. Willst du bis dahin bei mir bleiben, Mutter?“ -- --
Wenige Tage später war Irmgards Stelle auf Maltheim leer, zwei einsame
Frauen blickten ihr trauernd und sehnsüchtig nach. Frau Kunigunde
hatte Afra nicht von sich gelassen, und auf ihr dringendes Bitten
hatte diese sich entschlossen, bis zu Ulrichs Rückkehr auf Maltheim
zu bleiben. Am Tage ging es noch an, da machten sich beide in Küche
und Keller, im Garten und in der Milchkammer, am Waschfaß und auf dem
Bleichplatze zu schaffen und ließen sich keine Zeit zu trüben Gedanken.
Aber wenn der Abend kam und des Tages Arbeit ruhte, dann saßen die
beiden Mütter bei einander und sprachen von ihrem Kinde und beweinten
das herbe Schicksal, das beiden die liebliche Tochter von der Seite
gerissen hatte. Dennoch waren beide davon durchdrungen, daß Irmgards
Entschluß der einzig richtige gewesen, daß sie weder als Edelfräulein
auf Maltheim, noch als die Tochter einer früheren Magd auf dem Annenhof
hätte leben können. Das Kloster erschien beiden wie ein stiller
Friedenshafen, in dem das zertrümmerte Lebensschifflein sicher vor
Anker gehen durfte.
[Illustration]
Dreizehntes Kapitel.
Sankt Sebaldus-Tag.
Kommt und laßt uns vereint den heiligen Sebald erheben!
Dankt ihm in frommem Gebet, preist ihn mit jubelnder Lust.
Seit alten Zeiten wurde der neunzehnte August in Nürnberg als hoher
Festtag gefeiert, galt er doch dem Andenken des heiligen Sebaldus, den
die Stadt als ihren eigensten Schutzpatron verehrte. Sechshundert Jahre
mochte es her sein, so erzählte die fromme Legende, als der heilige
Sebald mit seinen Gefährten Wilibald und Wunibald die Länder an der
Donau durchzog, lehrend und taufend und seine Predigt durch wunderbare
Thaten bekräftigend. Da geschah es einst, als die frommen Männer den
Strom erreicht hatten, daß die reißende Flut, welche mit Eisschollen
trieb, die Brücke zertrümmerte; zagend sahen die Genossen den Führer
an, der aber zog seine Kutte aus, legte sie auf das wildbewegte Wasser
und stellte sich darauf. Siehe, da trug ihn die Flut gehorsam bis ans
andre Ufer und netzte ihm kaum die Füße. Die andern folgten seinem
Beispiel; fast erstarrt kamen die Gottesmänner drüben an und traten
in eine dürftige Hütte, in der kein Feuer brannte, denn das Holz war
den Bewohnern ausgegangen. Da hieß Sebaldus die Frau, Eisschollen auf
den Herd tragen und anzünden, alsbald brannten sie lichterloh und
verbreiteten liebliche Wärme. Anbetend sanken die Hüttenbewohner vor
dem Heiligen auf die Kniee und wagten es, ihm eine Bitte vorzutragen.
Ihr einziges Hab’ und Gut, ein paar Ochsen, war ihnen entlaufen;
vergebens hatte der Mann sie gesucht, bis die Dunkelheit einbrach.
„Geh noch einmal hinaus,“ gebot Sebaldus, „und bete auf dem Wege, und
du wirst sie finden.“ „In der Nacht?“ fragte der Bauer zweifelnd; aber
er folgte dennoch dem Gebot, und der Wald leuchtete ihm entgegen, wie
von hellem Sonnenschein beglänzt. Er betete und fand die Tiere; zum
Dank gelobte er sich dem Heiligen zu jedem Dienst, den dieser von ihm
verlangen würde.
Bald danach ging es mit Sankt Sebald zum Sterben, und seine Genossen
fragten ihn weinend, wo er begraben sein wolle. Er gebot ihnen,
jene Bauersleute um ihre Ochsen zu bitten und dieselben vor seinen
Leichenwagen zu spannen; niemand solle sie lenken, aber wo sie stehen
blieben, da solle man seine Leiche in die Erde senken. Die frommen
Männer suchten die Hütte an der Donau auf und erinnerten das Ehepaar
an sein Versprechen, aber jene wollten nichts davon wissen, sie hätten
sich nur dem Lebenden verpflichtet, nicht dem Toten. Kaum hatten sie
das Wort gesprochen, so brachen die beiden Stiere mit wütendem Gebrüll
aus dem Stall und rannten davon, vor dem Leichenwagen aber blieben
sie stehen und ließen sich geduldig anspannen. Dann lenkten sie nach
der Stelle hin, wo der Neroberg mit dem grauen Turm, dem ältesten
Wahrzeichen Nürnbergs, emporragte, und standen vor der kleinen Kapelle
des heiligen Petrus still. Kein Ruf, kein Peitschenschlag vermochte sie
von dieser Stelle zu vertreiben; da erkannten die Begleiter, daß es
die Stätte sei, die der heilige Sebaldus sich zur Rast erkoren hatte,
und sie begruben ihn dort. Als aber ein Blitz die Petrikapelle traf
und einäscherte, da ward man inne, daß sie des großen Heiligen, der
auch im Grabe noch herrliche Wunder wirkte, nicht wert gewesen sei; man
legte die Gebeine in einen mächtigen Sarg von gediegenem Silber und
führte darüber die gewaltige Sebalduskirche auf. Der Sarg ward ein Ziel
der Wallfahrt für alle, die auf Nürnberger Grund und Boden wohnten;
man legte reiche Gaben darauf nieder und erkannte immer deutlicher,
daß Sankt Sebald der Stadt hold und wohlgesinnt sei. Aber den Vätern
leuchtete auch ein, daß der kostbare Sarkophag einer schützenden Hülle
bedürfe, wenn sein Glanz nicht durch die tausende andächtiger Küsse,
die in jedem Jahr darauf gedrückt wurden, beschädigt werden sollte,
sie beauftragten daher den trefflichen Rotgießer, Peter Vischer, einen
kunstreichen Tempel zu fertigen, welcher den Sarg wohl den Blicken,
aber nicht den Händen und Lippen der Gläubigen aussetze. Dies Kunstwerk
war eben vollendet worden und sollte am diesjährigen Sebaldustage
enthüllt werden.[2]
[Footnote 2: Thatsächlich wurde Vischers Sebaldusgrab, wie Adam
Kraffts Sakramentshäuschen, erst einige Jahrzehnte später, nach
1500, vollendet, während unsre Erzählung erst bis zum Jahre 1480
vorgeschritten ist; doch haben wir die Beschreibung dieser Kunstwerke
hier vorweg genommen, um die Schilderung dieser Periode Nürnbergischer
Kunstblüte zu vervollständigen. Beide Künstler waren um diese Zeit in
ihrer Vaterstadt thätig.]
Schon seit mehreren Tagen bemerkte man eine freudige Erregung in der
Stadt, denn alle Klassen, alle Geschlechter wollten an dem großen
Kirchenfeste teilnehmen. Als der festliche Morgen anbrach, tönten alle
Glocken in feierlicher Harmonie zusammen; gern lauschten die Einwohner
den ernsten Klängen, die ihnen von früher Kindheit an lieb und vertraut
waren, und begrüßten mit Freude die Töne besonders bekannter Glocken.
„Das ist die große Susanna,“ hieß es, „die übertönt alle übrigen,
und das ist die kleine Maria, die hat den hellsten Klang.“ In den
Straßen wogte eine erwartungsvolle Menge, hier eilten Mitglieder der
verschiedenen Innungen zu den bestimmten Sammelplätzen, dort ging
eine Schar würdiger Männer nach dem Rathause; geputzte Kinder zogen
haufenweise nach den Klosterschulen, und reich geschmückte Jünglinge
und Jungfrauen schlüpften, mit schützenden Mänteln angethan, nach der
Kirche, von welcher der Festzug ausgehen sollte.
Endlich war die Stunde für den Beginn der Prozession gekommen,
Pauken- und Posaunenschall bezeichnete den Anfang des Festes. Eine
Anzahl berittener Patriziersöhne, im schönsten Schmuck, mit wehenden
Federbüschen, eröffnete den Zug, gefolgt von einem Fähnlein zünftigen
Fußvolks. Dann kam die Schuljugend mit ihren Lehrern, die Mädchen
in hellen Gewändern mit Blumenkränzen, die Knaben mit zahlreichen
Prozessionsfahnen, die dreizipflig an einer Kreuzstange hingen. Es
folgte die Klostergeistlichkeit in grauen, weißen, schwarzen und
braunen Kutten, jeder Konvent mit Kreuz und Fahne; in festlichem Ornat
ging der Bischof unter einem Baldachin, hinter ihm die Weltpriester mit
ihren prachtvollen Kirchenfahnen; dann die Zünfte mit den Zeichen ihrer
Hantierung, die meisten mit brennenden Kerzen in den Händen, während
zahllose Chorknaben die Weihrauchgefäße schwangen, und Musik und Gesang
den ganzen Zug begleitete. Das Schönste aber war eine Schar von Mädchen
und Jünglingen, welche verschiedene Heilige darstellten und in der
Tracht alter Gemälde auftraten. Da war König David im Purpurmantel mit
goldener Harfe, der heilige Petrus mit den Himmelsschlüsseln, Sankt
Laurentius mit dem eisernen Rost, auf dem er den Märtyrertod gefunden,
die heilige Agnes mit dem Lamm, die heilige Cäcilie mit der Orgel und
viele andere. Gar lieblich anzuschauen war die heilige Margarete,
welche von Herrn Wilibald Ebners ältestem Töchterlein dargestellt
wurde; so mochte die Heilige wohl ausgesehen haben, so fromm und
demütig, so rein und furchtlos, als sie, nur mit einer Palme bewaffnet,
über den grimmigen Drachen hinschritt.
[Illustration: Eine Stimme rief plötzlich ihren Namen ....]
Margarete Ebnerin war sich des Eindrucks, den sie auf die Zuschauer
machte, nicht bewußt; ihre Gedanken waren aufwärts gerichtet, oder
mit ihrem Bruder beschäftigt. Warum durfte er heute nicht unter den
Genossen sein, die so stolz und stattlich daherritten, wie gut hätte
er dazu gepaßt! Sie fragte sich, ob er sich wohl schon völlig in das
geistliche Wesen eingelebt hätte, oder ob er immer noch in geheimer und
offner Auflehnung gegen die strenge Klosterzucht beharre? Nur selten
hatte der Vater den Sohn besuchen dürfen; er hatte ihn immer düster
und unglücklich gefunden, und der Prior hatte jetzt jeden Verkehr mit
den Seinen untersagt, bis der widerstrebende Novize sich völlig der
geistlichen Regel unterworfen haben würde. Das dauerte nun schon drei
Jahre; wie viele heiße Gebete stiegen täglich für ihn zum Himmel auf!
war es möglich, daß sie unerhört bleiben sollten? --
Eine Stimme aus der Menge rief plötzlich ihren Namen; der Ton berührte
sie wunderbar, er war ihr so fremd geworden und doch so wohlbekannt!
Eine heiße Röte stieg in ihre Wangen, unwillkürlich hob sie den Blick
empor, um den Rufenden anzusehen. Eine hohe, männliche Gestalt, in
dem schwarzen Samtwams, dem kurzen Mantel und schwarzen Barett eines
Baccalaureus, drängte sich durch die Reihen der Gaffenden, die ihn nur
widerwillig durchließen, und streckte grüßend die Hände aus. Trotz
der vier Jahre der Trennung erkannte sie ihn auf den ersten Blick an
den goldenen Locken und den blauen Augen. In der ersten Überraschung
war es, als ob sie stehen bleiben und seinen Gruß erwidern wollte,
doch besann sie sich schnell, daß sie mitten in einer kirchlichen
Feier stände; sie neigte das Haupt noch tiefer herab und schritt,
scheinbar unbewegt, vorwärts. Aber in ihrem Herzen war plötzlich
heller Sonnenschein, sie konnte an nichts anderes denken, als an den
Jugendfreund, und zu all der Musik der verschiedenen Instrumente und zu
dem tausendstimmigen Chor um sie her sang sie in ihrem Herzen nur die
Worte: „der Ulrich, der Ulrich ist wieder im Land!“
Der Zug hatte jetzt die Kirche erreicht, welche zum festlichen Tage
den schönsten Schmuck angelegt hatte. Die Wände waren mit gewebten
Teppichen bekleidet, auf denen die Wunderthaten des heiligen Sebaldus
in bunten Farben dargestellt waren; auf allen Altären prangten Blumen
und geweihte Kerzen, und ein sanfter Weihrauchduft erfüllte das
herrliche Gebäude. Inmitten des Hauptschiffes ragte ein verhüllter
Bau empor, welcher das neue Sebaldusgrab einschloß; um denselben
gruppierten sich die Hauptteilnehmer des Festzuges, während die Gewerke
und die Söldner an den Thüren die Wache hielten. Der ganze Kirchplatz
war von einer wogenden Menschenmenge erfüllt, die in ihrem Hin- und
Herdrängen und mit ihren zahllosen, summenden Stimmen den Eindruck
einer bewegten Meeresflut machte.
Nach vollendeter Messe trat der Bischof, gefolgt von einer Schar von
Geistlichen, die ihn wie ein Glorienschein umgab, in das Mittelschiff
und gab mit erhobener Hand ein Zeichen; nun stimmten alle Chöre einen
Lobpsalm an, die Posaunen dröhnten dazwischen, und die Decken sanken
herab. Ein halb unterdrücktes: Ah! erklang von allen Lippen, als das
unvergleichliche Kunstwerk frei vor allen Blicken dastand. Eine erzne
Kapelle umschließt den silbernen Sarg des Heiligen; kunstreiche Pfeiler
tragen die schön geschwungnen Bogen des Gewölbes, an sie lehnen sich
die zwölf Apostel, als die wahrhaften Stützen der Kirche. Zwischen den
Pfeilern erheben sich hohe Leuchter, aber ihre Lichte sind auch wieder
schlanke Säulchen, welche das Gewölbe tragen helfen. Drei vielfach
durchbrochene Türmchen krönen das Werk, dessen untere Platte auf
kriechenden Schnecken ruht, und das durch unzählige, kleine Figuren,
unter ihnen das Bild des Meisters im Schurzfell, geziert wird.
Margarete konnte heute ihre Gedanken nicht in rechter Andacht sammeln;
statt ihre Blicke auf das herrliche Kunstwerk zu richten und der
Weiherede des hochwürdigsten Bischofs zu lauschen, ließ sie ihre Augen
verstohlen in der Kirche umherschweifen, um ihren Freund zu entdecken.
Als sie aber seinem Blick begegnete, der fest auf sie geheftet war,
da erschrak sie und schaute nicht wieder auf; sie fühlte sich tief
beschämt über ihr unfrommes Gebaren und suchte jeden Gedanken zu
verbannen, der nicht eng mit dem heiligen Feste zusammenhing.
Als die Feier beendet war, verließ der Zug in der vorigen Ordnung das
Gotteshaus, und neue Hunderte strömten herein, um das Meisterwerk
einheimischen Kunstfleißes anzustaunen und ihre Andacht am
Sebaldusgrabe zu verrichten. Stundenlang wogte der Strom hin und
wieder, denn es war kaum ein Männlein oder Fräulein in der Stadt,
das nicht gewünscht hätte, heute an dieser Stätte zu stehen und zum
heiligen Sebaldus zu beten. Gehörte der Morgen dem kirchlichen Dienst,
so entfaltete sich in den Nachmittagsstunden das fröhlichste Volksfest;
überall wurde gegeigt und getrommelt, geschmaust und getanzt. Die
unteren Klassen tummelten sich wohlgemut auf Straßen und Plätzen umher
und trieben allerlei Kurzweil; die Familien der höheren Stände begaben
sich in mancherlei Fuhrwerken, schwerfälligen Karossen oder leichten
Korbwägelchen, hinaus in die Landhäuser, wo in den Gärten reicher
Patrizier sich heitere Gesellschaften zusammenfanden.
Auch der derzeit gebietende Bürgermeister, Herr Friedrich Volkamer (von
den drei erwählten Häuptern des städtischen Regiments, den sogenannten
Losungern, führte jedes Jahr ein andrer den Vorsitz im Rat), hatte
einen reichen Kreis von Gästen auf seinem prächtigen Landsitze
versammelt, unter denen sich auch Herr Wilibald Ebner mit seinen
Töchtern befand. Frau Ursula war daheimgeblieben, sie konnte es schwer
über sich gewinnen, die Genossen ihres Berthold fröhlich beisammen
zu sehen, während er für immer gefangen und von jeder Lebensfreude
ausgeschlossen war. Das Haus der Volkamers war mit all der Pracht und
dem künstlerischen Geschmack eingerichtet, welche zu jener Zeit dem
reichen und kunstliebenden Bewohner Nürnbergs zur Verfügung standen. Im
geräumigen Vorsaal verbreitete ein kleiner Springbrunnen erfrischende
Kühle; die zierlichsten Erz-Figürchen sprudelten das klare Naß in
ein großes Becken, in welchem eine Menge von Goldfischen schwamm;
das abfließende Wasser aber setzte eine verborgne Orgel in Bewegung,
welche fortwährend eine leise, liebliche Musik ertönen ließ. Der große
Speisesaal, dessen geöffnete Thüren in den Garten führten, war mit
Bildern reich geziert; auf der köstlich geschmückten Tafel prangte eine
Fülle von Gold- und Silbergeschirr, das zum Teil aus der Hand Meister
Dürers, des Goldschmieds, hervorgegangen war. Besondere Bewunderung
erregte ein Tafelaufsatz von blinkendem Silber, eine weibliche Figur,
welche einen reich verzierten Fruchtkorb in den emporgehobenen Händen
trägt und mit dem reizenden Köpfchen stützt. Das Stück war ein
Meisterwerk in Zeichnung und Ausführung, und doch war es die Arbeit
eines Knaben und stammte von Meister Dürers Sohne Albrecht, der auf des
Vaters Wunsch bisher noch dessen Handwerk betrieb.
Man saß lange bei Tische, und die Gänge schienen kein Ende zu nehmen;
da gab es Biersuppe mit Brot und Käse, grünen Kohl mit gebratenem
Hammelskopf, Kalbfleisch mit einer Tunke von Pfeffer und Safran,
Hirsebrei mit fetter Wurst und ein gebratenes Reh mit Knoblauch
und Zwiebeln. Dazu trank man eine Fülle der feurigsten Weine aus
Deutschland und Italien, denn die Speisen waren stark gewürzt und
erregten rechtschaffenen Durst. Die Unterhaltung der älteren Gäste
wurde immer lebhafter und lauter, die Jugend dagegen warf sehnsüchtige
Blicke in den Garten hinaus und wünschte das Ende der Tafel herbei, um
sich draußen bei Spiel und Tanz zu vergnügen. Endlich bezeichneten
süße Kuchen und saftiges Obst den Schluß des Gastmahls; der Koch
erschien mit einem silbernen Waschbecken, an dem ein Hirschkopf
befestigt war, dessen Geweih ein reich gesticktes Handtuch trug; aus
einer silbernen Kanne goß er Wasser über die Hände der Gäste, welche,
nachdem sie das Tuch benutzt hatten, eine Gabe für die Dienerschaft in
seine Zipfel knüpften.
Nun konnte man endlich hinaus in den Garten, der zu den
Sehenswürdigkeiten Nürnbergs gehörte. Kunstreich angelegte Blumenstücke
wechselten mit geschornen Laubwänden und Bogengängen, welche den
schattigsten Aufenthalt darboten. In Absätzen, die durch steinerne
Brustwehren geschützt und durch breite Treppen verbunden waren, senkte
sich der Garten bis zu einem grünen Wiesenplan herab, und, von unten
gesehen, hob sich das Haus mit seinem gewaltigen Söller frei und
prächtig aus seiner grünen Umgebung heraus.
Während die junge Welt hier in kleinen Gruppen lustwandelte und alle
Herrlichkeiten beschaute, traten zwei neue Gäste auf den kiesbestreuten
Vorplatz, bei deren Anblick Margaretens Herz heftig zu schlagen begann,
denn der eine war ohne Zweifel der, mit welchem alle ihre Gedanken
beschäftigt waren -- Ulrich von Maltheim. Wie schön und stattlich sah
er aus in dem dunklen Gewande, welches seine edlen Züge, die weiße
Stirn und die goldenen Locken nur noch glänzender hervortreten ließ!
Aber auch sie bot einen reizenden Anblick dar, in dem lichtblauen
Kleide, das, an Hals und Ärmeln mit schneeweißer Leinwand gepufft und
mit goldenen Streifen umsäumt, ihre jungfräuliche Gestalt fest und
anmutig umschloß, mit dem goldnen Netzhäubchen auf dem glänzend braunen
Haar und den klaren, grauen Augen, die so ernst und klug, und doch so
mädchenhaft und sittsam um sich schauten. Jetzt hatte auch Ulrich sie
erkannt, und nachdem er die Wirte begrüßt, eilte er mit ausgestreckter
Hand und einem fröhlichen Lächeln auf sie zu.
„Grüß’ Gott, liebe Margarete,“ sagte er innig, „welche Freude, dich
endlich wiederzusehen! sei mir tausendmal gegrüßt!“ Er beugte sich
über sie, um, wie er früher immer gethan, ihre Stirn zu küssen, aber
sie wich verwirrt vor ihm zurück. Eine plötzliche Verschämtheit kam
über sie -- wie viele Augen waren hier auf sie gerichtet! „Willkommen
daheim, Herr von Maltheim,“ sagte sie in förmlichem Ton und neigte sich
höflich vor ihm, wie vor einem Fremden, während sie zugleich ihre Hand
aus der seinigen zog.
Er sah sie erschrocken an. „So kühl, Margarete? sind wir nicht mehr
Freunde, wie wir es immer gewesen?“
„Die Kinderjahre sind vorüber,“ versetzte sie mit gesenkten Augen.
„Ihr kehrt als der gebietende Herr von Maltheim zurück, nicht mehr als
Junker Ulrich.“
Er zog sich mit einem gekränkten Ausdruck von ihr zurück, begrüßte
flüchtig die übrigen, die ihm von früher her bekannt waren und gesellte
sich zu den älteren Männern, die unter der großen Linde vor dem Hause
in behaglicher Unterhaltung saßen.
Inzwischen berieten die Mädchen und jungen Männer, welch ein Spiel sie
unternehmen wollten. „Das Minneturnier!“ riefen mehrere Stimmen, und
einer der jungen Leute unternahm es, dies allbeliebte Spiel in Gang zu
setzen. Jedes der Mädchen erhielt eine Schleife, die sie an ihre Brust
steckte, und ein langes Band von derselben Farbe; die Jünglinge teilten
sich in zwei Parteien, Ausforderer und Verteidiger, während der Ordner
das Amt eines Minnevogtes versah. Nun erkor sich jeder Verteidiger
eines der Mädchen zu seiner Dame, die andern aber forderten die Damen
zum Kampf heraus; dann ließ der Verteidiger sich auf Hände und Kniee
nieder, das Mädchen setzte sich ihm auf den Rücken und hob den Fuß
empor, gegen dessen Sohle der Angreifer einen Stoß mit seiner Fußsohle
führte. Wer dabei hinfiel, hatte verloren, ward gebunden und mußte sich
auslösen, die Mädchen durch einen Kuß, die jungen Männer durch eine
Blume oder eine zierliche Gabe. Die Damen hätten bei diesem Spiel wohl
immer verloren, hätten sie nicht den Minnevogt zu Hilfe rufen dürfen,
welcher sie stützte und ihrem Stoß dadurch größeren Nachdruck gab.
Eine Weile wurde mit Eifer und vielem Gelächter gespielt; es fehlte
auch nicht an kleinen Listen, in denen sich geheimes Wohlgefallen oder
versteckte Abneigung verriet; dann stellte es sich heraus, daß der eine
Minnevogt unmöglich allen angegriffnen Damen helfen konnte. Man sah
sich daher nach einem zweiten um, und einige schlugen vor, Ulrich dazu
heranzuziehen. Sogleich erbot sich Elsbeth Ebnerin, ihn aufzufordern,
und ohne auf Margaretens abmahnende Blicke zu achten, eilte sie die
Treppen hinauf und trat auf ihn zu. „Wollt Ihr nicht mit uns spielen,
Ulrich?“ fragte sie in dem vertraulichen Ton einer alten Bekannten, „es
fehlt uns gerade noch ein Teilnehmer, und wir würden uns freuen, Euch
unter uns zu sehn.“
„Verzeiht mir, wertes Fräulein,“ erwiderte er ernst und höflich, „wenn
ich Eurem Rufe nicht folge; ich habe vor zu kurzer Zeit meinen teuren
Vater verloren, um mit den Fröhlichen froh zu sein.“
Etwas kleinlaut kehrte Elsbeth mit diesem Bescheide zu den Genossen
zurück, Margarete aber dachte mit tiefer Bekümmernis daran, wie vieles
Ulrich bei seiner Heimkehr verändert gefunden, und wie wenig Teilnahme
sie ihm gezeigt habe. Sie nahm an allen Spielen nur noch mechanischen
Anteil; ihre Gedanken weilten bei dem Freunde, den sie so kühl begrüßt
hatte, während sie doch so warm für ihn fühlte. -- --
Ein ganz anderes Bild zeigte zu derselben Stunde der Garten hinter
dem Wirtshaus zur goldenen Rose am Markt, wo sich die Kunstgenossen
von Nürnberg zusammengethan hatten, um den Festtag in ihrer Weise zu
begehen. Unter schattigen Linden und Akazien hatte man lange Tafeln
gedeckt, an denen Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen in
bunter Reihe Platz genommen hatten, während die Kinder sich in lauter
Fröhlichkeit um sie her tummelten. Die Ehrenplätze an der Spitze nahmen
Peter Vischer und Adam Krafft ein, welche sich in die bewundernde
Anerkennung ihrer Mitbürger teilten.
Meister Adam hatte in den verflossnen Jahren die Kirchen und
öffentlichen Gebäude seiner Vaterstadt mit kunstreicher Hand
geschmückt, und manches unsterbliche Werk der Bildnerei bezeugte,
daß die zwanzig Jahre seiner Wanderschaft nicht ohne herrliche
Früchte geblieben waren. Erst vor kurzem war in der Lorenzkirche
sein Sakramentshäuschen enthüllt worden, -- ein köstlicher Schrein
zur Aufbewahrung der geweihten Hostie. So zierlich erschienen die
Formen des schlanken Türmchens, so lebensvoll und anmutig umschlang
das reiche Ranken- und Blätterwerk den erznen Schrank in der Mitte,
daß die Beschauer nicht glauben wollten, das Ganze sei ein Werk des
Meißels aus hartem Stein, sondern daß das Gerücht auftauchte, Adam
Krafft habe die Kunst entdeckt, Steine zu erweichen und flüssig in
Formen zu gießen. An der heutigen Tafel bildeten die beiden neuesten
Kunstwerke lange den Gegenstand des Gespräches; man stritt hin und her,
welches das vollendetere Werk wäre, aber man kam zu keinem Schluß,
bis endlich Vischer erklärte, es sei in Nürnberg keine kunstvollere
Arbeit vorhanden, als das Sakramentshäuschen, und Krafft entschied, das
Sebaldusgrab könne nicht übertroffen werden. Da erhob sich lauter Jubel
unter den Tischgenossen, und in vielstimmigem Chor wurden die beiden
Meister als der Stolz von Nürnberg gepriesen.
Adam Krafft dankte mit wenigen, fast abwehrenden Worten; obgleich
er ein berühmter Mann war, dessen Ruf weit über seine Vaterstadt
hinausging, war er doch von kindlich einfacher und bescheidener
Gemütsart. Um so stolzer schaute seine Magdalene drein, die ihm
zur Seite saß; gab es doch für sie kein höheres Entzücken, als
die Anerkennung, welche man ihrem Adam zollte. Die elf Jahre ihres
Ehestandes erschienen ihr beim Rückblick wie ein einziger Sommertag
voll Glück und Freude, und doch waren sie voll Mühe und Arbeit gewesen,
denn anfangs ging es in dem kleinen Häuschen oft recht dürftig her, die
Einnahmen waren eben bescheiden, die Ansprüche der Kunst oft bedeutend.
Da hieß es, sich einrichten, und Magdalene verstand es vortrefflich,
mit wenigem hauszuhalten; sie arbeitete und schaffte vom Morgen bis
zum Abend und wußte dem Gatten jede Sorge fernzuhalten, denn sie war
nicht wie andre Frauen, die mit jeder Klage zum Manne laufen und Hilfe
und Teilnahme begehren. Der Künstler fand bei ihr jederzeit ein offnes
Ohr und ein empfängliches Herz für seine Pläne, eine stolze Freude an
seinen Erfolgen, ein begütigendes Wort bei seinen Ärgernissen, und die
Zärtlichkeit und Harmonie der beiden Ehegatten war unter den Freunden
des Hauses sprichwörtlich geworden.
Neben Magdalene saß Meister Andreas Fiedler mit seiner Eva, welche
mit den Kraffts durch die innigste Freundschaft verbunden waren.
Seit Jahren hatte der alte Mann sein Haus nicht verlassen, aber
heute hatte Adam darauf bestanden, daß er auch seinen Teil an der
allgemeinen Festfreude haben sollte. Mit mehreren seiner Schüler, die
einen Handwagen zogen, war er mittags im Hundsgäßlein erschienen; die
Jünglinge hatten den Alten sorgsam hineingehoben und ihn erst nach
der Lorenz- und dann nach der Sebalduskirche gefahren, um die beiden
neuen Kunstwerke zu betrachten; dann aber hatten sie ihn, trotz seines
ängstlichen Widerspruchs, in den Garten der goldenen Rose gebracht, wo
er nun mitten unter den berühmtesten Männern von Nürnberg saß und sich
nicht satt sehen und hören konnte an allem, was um ihn her geschah.
Auch Hans Fiedler saß an einer der Tafeln, welche dem jüngeren
Nachwuchs eingeräumt worden waren; als Kraffts Schüler fiel auch
auf ihn ein Schimmer von des Meisters Ehren. Mehrere Söhne Peter
Vischers, die Gehilfen ihres großen Vaters, nebst Lehrlingen aus andern
Werkstätten, hatten sich hier mit den rosigen Töchtern verschiedener
Meister zu einem fröhlichen Kreise vereint, in dem es an Scherz und
Lachen, an heiterer und ernster Wechselrede nicht fehlte.
Hans saß neben Meister Dürers holdem Töchterlein Sabine, an deren
munterm Geplauder er ein besonderes Wohlgefallen fand; auch sah er
nicht ungern in die lachenden, blauen Augen und auf die dicken,
blonden Zöpfe, die sich unter dem üblichen Netzhäubchen kaum bergen
ließen.
Als es anfing zu dunkeln, zündeten die jungen Leute eine Menge bunter
Papierlaternen an, welche an Fäden von den Bäumen herabhingen und den
Platz mit einem geheimnisvollen Dämmerlicht übergossen; in dem ließ es
sich noch ungestörter mit der hübschen Nachbarin plaudern und scherzen.
Der köstliche Abend stimmte die jungen Gesellen poetisch, man hörte
allerlei Reimfragen und Sprüche erschallen. „Nun sage mir, Meister
Traugemut,“ rief einer über den Tisch dem andern zu, „zwei und siebzig
Lande sind dir kund: durch was ist der Rhein so tief? durch was sind
die Frauen so lieb? durch was sind die Matten so grüne? durch was sind
die Ritter so kühne? Kannst du mir darauf rechte Antwort geben, so will
ich deine Weisheit hoch erheben.“
Und der andre rief zurück: „Das hast du gefragt einen Mann, der dir’s
wohl gesagen kann. Von mancher Quelle ist der Rhein so tief, von holder
Minne sind die Frauen so lieb, von manchen Kräutern sind die Matten so
grüne, von manchen starken Wunden sind die Ritter so kühne.“
Dann hob ein dritter sein Sprüchlein an: „Wer einen Raben will baden
weiß und darauf legt seinen ganzen Fleiß, und an der Sonne Schnee
will dörren, und allen Wind in ein’ Kasten sperren, und Unglück will
tragen feil und Wasser will binden an ein Seil, und einen Kahlen will
bescher’n -- der thut auch unnütze Arbeit gern.“
Lautes Gelächter lohnte dem Sprecher, und von allen Seiten regneten
ähnliche Scherzreime, bis von der Tafel der Alten ein Zeichen
Stillschweigen gebot. „Wir wollen eine Singschule halten,“ hieß es,
und jeder war damit wohl zufrieden, denn weitaus die meisten in der
Gesellschaft gehörten zur löblichen Meistersingerzunft, und wer nicht
selbst sang, der besaß doch ein geübtes Ohr, um das Gehörte nach
feststehenden Regeln zu beurteilen. Der Meistergesang stand in Nürnberg
in höchster Blüte und wurde von jung und alt eifrig gepflegt.
Heute, unter grünen Bäumen, beim hellen Becherklang, ging es natürlich
nicht so ernst und feierlich zu, wie bei der eigentlichen Singschule,
die man entweder auf dem Rathause oder in der Kirche abhielt. Dort
durften nur geistliche Dinge den Inhalt der Gesänge bilden, und das
Gemerk, d. h. die erwählten Richter, achteten sorgfältig auf jeden
Verstoß, der gegen Inhalt und Form begangen wurde. Heute herrschte
größere Freiheit und Ungebundenheit, dennoch wurde einer der älteren
Meister zum Merker ernannt, welcher die Ordnung aufrecht zu halten und
eine gewisse Kritik zu üben hatte, und dem sich jeder der Anwesenden
ohne Widerspruch unterwarf.
[Illustration: Im Garten der goldenen Rose.]
Schon hatten mehrere der älteren Männer allerlei kunstreich
verschnörkelte Dichtungen zum besten gegeben, die mit allgemeinem
Beifall aufgenommen wurden, da erging der Ruf an die Jungen, sich
auch hören zu lassen. Ohne Zögern sprang ein junger Geselle auf, der
schon lange still und in sich gekehrt dagesessen hatte, bat um gütige
Erlaubnis und hub also an:
„Ein Weidmann fing ein Vögelein
Von kleiner Art, doch zart und fein,
Ein’ Nachtigall war es genannt.
Als er es hielt in seiner Hand
Um ihm den Todesstoß zu geben,
Da rief es: ‚schenk mir doch mein Leben!
Fürwahr, du wirst nicht satt von mir.
Drei gute Lehren geb’ ich dir,
Die bringen, wohl von dir bewahrt,
Dir Nutzen mannigfacher Art.‘
Er sprach: ‚sag’ an, was mag das sein?‘
Da sprach das kleine Vögelein:
‚Erstens: nie sollst du Glauben schenken
Dem, was unglaublich ist zu denken.
Zum zweiten: mache dir kein Leid
Um Dinge der Vergangenheit.
Zum dritten: trachte nie voll Angst
Nach dem, was du doch nie erlangst.
Die Lehren nun bewahre wohl,
So wirst du aller Weisheit voll.‘
Das hört’ der Jäger mit Vergnügen
Und ließ danach das Vöglein fliegen.
Doch als es saß im hohen Tann,
Da sprach es also zu dem Mann:
‚Gar thöricht ward dein Sinn gelenkt,
Als du die Freiheit mir geschenkt.
Denn wisse, in dem Leibe mein
Bewahr’ ich einen Edelstein.
Krankheit zerstöret er und Gift,
Ein Straußenei er übertrifft
An Größe -- den hast du verloren.‘
Der Thor! er hätte gleich geschworen,
Des Vogels Rede wäre wahr!
Vergessen hat er ganz und gar
Die Lehren, die er just empfangen.
Das Vöglein wieder zu erlangen,
Danach stand nun sein ganzer Sinn.
Das aber sprach: ‚Du Narr, fahr hin!
Schlecht paßt mein Sprüchlein in dein Haupt.
Du hast Unmögliches geglaubt:
Nicht könnt’ ich bergen solchen Stein,
Denn dazu bin ich viel zu klein.
Zum zweiten läßt dir’s keine Rast,
Daß du mich nun verloren hast.
Zum dritten trachtest du voll Angst
Nach mir, den du doch nie erlangst,
Nie wieder kreuz’ ich deinen Gang:
Du bleibst ein Thor dein Leben lang!‘“
(Ulrich Boner.)
Unter der Jugend blieb es ziemlich still, als der Sänger geendet, aber
bei den älteren Männern sah man beifälliges Nicken, und der Merker
sagte: „Ihr habt Euch in der ‚Schwarztintenweis’‘ wacker geübt, Veit
Nägelein, und könnt bei fortgesetztem Fleiß wohl einmal aus dem Schüler
ein Meister werden.“
„Wollt Ihr nicht auch singen, Hans Fiedler,“ flüsterte Sabine Dürerin
ihrem Nachbar zu, „Ihr versteht es doch viel besser, und aus Eurem
Munde klingt es viel frischer und fröhlicher.“
„Meint Ihr?“ fragte Hans zurück, indem er vor Freude über das Lob
errötete; „ich habe noch nie vor den großen Meistern gesungen, und ich
fürchte, sie werden nicht so milde urteilen, wie Ihr, Jungfer Sabine.“
Dennoch konnte er der Lockung nicht widerstehen und meldete sich zum
nächsten Gesang, den er mit heller Stimme also ertönen ließ:
„Es thront auf einsam kahler Höh’
Der königliche Aar,
Und rings auf allen Gipfeln,
In grünen Waldeswipfeln
Haust eine stolze Vogelschar.
Doch auch im niedrigen Gezweig
Ein fröhlich Völklein schwärmt.
Sie nisten selbst in Mauern
Zufrieden, sondern Trauern.
Hört nur, wie froh es singt und lärmt.
Denn droben wohnt ein reicher Herr
Im blauen Himmelssaal.
Der deckt mit vollen Händen
Hier und an allen Enden
Den Tisch den Vögeln allzumal. --
Und kannst du auch kein König sein
In güldner Krone Glanz,
Und fliegst auch nicht als Ritter
Ins Schlachtenungewitter,
Und ins Turnier zum Waffentanz:
Sei dennoch froh und wohlgemut,
Verbanne jeden Harm,
Denn sieh, vor Gott im Himmel
Ist in dem Weltgetümmel
Der größ’te auch nur klein und arm.
Auf +jeder+ Menschenseele ruht
Ein Gottesauge lind,
Er läßt die Sonne scheinen
Den Großen und den Kleinen,
Denn jedes ist sein liebes Kind.
Wohlauf! stimmt ein in meinen Spruch,
Den laut ich bringe aus:
In Lieb’ und Treu’ zusammen
Laßt stehen, die da stammen
Aus eines lieben Vaters Haus!“
Diesmal erscholl lauter Beifall an der jungen Tafel, während an
der der älteren Leute besonders die Frauen befriedigt aussahen
und Meister Andreas seinem lieben Neffen gar vergnügt zunickte.
Der Merker aber sagte ernsthaft: „In welchem Ton habt Ihr das
Lied gesungen, Hans Fiedler? Zuerst meinte ich, es sollte die
‚Hageblüt-Weise‘ sein, aber die Reime stimmten nicht dazu; dann schien
es ‚Cupidinis-Handbogen-Weise‘ zu werden, aber die Verse waren zu kurz.“
„Ich habe in meinem eignen Ton gesungen,“ versetzte Hans, kühn gemacht
durch die Zustimmung der Genossen und den verstohlnen Händedruck der
warmherzigen Nachbarin, „oder nennt es die ‚lustige Vöglein-Weise,‘
nach der stimmt es gewiß.“ Der Merker schüttelte den Kopf über die
kecke Rede und vermahnte den jungen Gesellen, sich noch eine Zeitlang
in den bewährten Weisen älterer Meister zu üben, ehe er eigne Töne zu
erfinden suche.
Der sinkende Abend mahnte endlich an den Aufbruch; noch einmal stand
Hans Rosenblüt, der geschätzte Briefmaler, auf, erhob seinen Becher
und sprach folgenden Weinsegen: „Nun gesegne Euch Gott, lieben
Freunde mein, den wir getrunken, den goldenen Wein, bis wir wieder
zusammenkommen. Sein Name der heißt Kitzelgaumen; er ist unsrer Zunge
eine süße Naschung und unsrer Kehle eine reine Waschung, er ist unserm
Herzen ein edles Zufließen und unsern Gliedern ein heilsam Begießen,
und schmeckt uns besser, als alle Bronnen, die je aus den Felsen sind
geronnen. Beschirm’ mich Gott nun vor dem Strauchen, wenn ich die
Stiege hinab muß tauchen, daß ich auf meinen Füßen bleib’ und fröhlich
heimzieh’ zu meinem Weib und alles wisse, was sie mich frag’. Nun
behüt’ Euch Gott vor Niederlag’. Amen.“ -- --
Als Hans den Meister Andreas heimgeleitet hatte und seinen Rückweg
antrat, stieß er unversehens auf einen Mann, der ihm entgegenkam;
der Mond schien ihm hell ins Gesicht, so daß er ihn erkennen konnte.
„Willkommen, tausendmal willkommen daheim, Junker Ulrich!“ rief er
freudig erregt, „Gott und Sankt Sebald seien gelobt, daß Ihr wieder da
seid! Wie ist es Euch ergangen in all den langen Jahren? o wie froh bin
ich, Euch wiederzusehn, liebster, bester Junker!“
„Empfindet wirklich einer der alten Freunde noch Freude über meine
Rückkehr?“ fragte Ulrich wehmütig. „Habe Dank für deinen herzlichen
Gruß, mein wackerer Hans; ich meinte schon, ich wäre Euch allen fremd
geworden!“
„Ihr müßt es freilich daheim sehr verändert gefunden haben,“ sagte Hans
teilnehmend, „auf der Burg ist es wohl leer geworden, seit Herr Werner
und Fräulein Irmgard fehlen. Auch Berthold ist nicht mehr da, -- aber
Jungfer Margarete ist die alte geblieben, habt Ihr sie schon gesehen?“
„Nein,“ versetzte Ulrich abwehrend, „als ich im Ebnerhause vorsprach,
war nur Frau Ursula daheim, und ich muß morgen in aller Frühe fort.“
„Wie, Junker Ulrich, Ihr wollt fort, ohne Margarete gesprochen zu
haben? Und sie hat Euer doch so treu gedacht, und unzählige Male haben
wir von Euch gesprochen!“
„Du vielleicht, mein treuer Hans; sie hat, wie ich fürchte, die
Kinderfreundschaft längst vergessen.“
„Wie Ihr nur redet, Junker!“ rief Hans entrüstet, „Margarete ist keine
von denen, die so schnell vergessen, und Ihr habt sie noch nicht
einmal auf die Probe gestellt. Ihr werdet Euch wahrlich Eurer Zweifel
schämen, wenn Ihr ihren freudigen Empfang sehen werdet!“
„Meinst du, alter Freund?“ sagte Ulrich mit schmerzlichem Lächeln, „nun
wohl, wir wollen es abwarten.“
Als Margarete an diesem Abend nach Hause kam, konnte sie ihre Thränen
kaum zurückhalten und eilte, sobald sie konnte, in ihre Kammer, um
ungestört zu weinen. Sie fühlte, daß sie den Freund, der ihr so warm
entgegengekommen war, tief verletzt habe; sie sehnte sich, ihm all ihr
Mitgefühl auszusprechen und das seine zu empfangen -- und hatte doch
die Empfindung, als würde das nie geschehen, als hätte sie den Freund
ihrer Kindheit für immer verloren!
[Illustration]
Vierzehntes Kapitel.
Zwei Heimgekehrte.
Kehret der Wandrer zurück, der lang’ in der Ferne verweilte,
Fremd schaut alles ihn an, fremde erscheinet er selbst.
Mehrere Jahre waren vergangen, seit Junker Veit von Rotenhahn die Burg
Hohenheiligen verlassen hatte; ungefährdet waren seitdem die Warenzüge
auf jener Straße gefahren, und man hatte den gefürchteten Wegelagerer
fast vergessen, oder man erinnerte sich seiner nur mit einem Gefühl der
Genugthuung darüber, daß man des adligen Räubers Herr geworden war.
Da geschah es eines Tages, daß einige Knechte schreiend und jammernd
am Stadtthor erschienen, mit der Nachricht, sie wären plötzlich von
einer Schar vermummter Reiter überfallen worden, als sie nichts ahnend
durch den Reichswald zogen; man hätte die Mehrzahl der Begleiter
gefesselt und nebst den Wagen unter lautem Hallo fortgeführt. Eine
große Aufregung bemächtigte sich der Stadt; sollte Junker Veit die
Frechheit besessen haben, zurückzukehren und sein räuberisches Handwerk
von neuem aufzunehmen? -- Die Überfälle mehrten sich, und jede Woche
brachte neue Klagen; doch war die Sache diesmal viel besser geordnet,
als früher; die Ritter vom Stegreif waren zahlreicher und besser
bewaffnet, sie lauerten bald hier, bald da den Zügen auf und hatten
verschiedene Schlupfwinkel, in denen sie mit ihrem Raube verschwanden.
Die Erkundigungen, welche Herr Wilibald Ebner von seinem Vogt im Dorf
Hohenheiligen einzog, führten zu der Erkenntnis, daß man es nicht
allein mit dem von Rotenhahn, sondern mit einer ganzen Räuberbande zu
thun habe, welche auf einer Anzahl fester Burgen in der Umgegend hause
und sich zu Schutz und Trutz verbündet habe. Man bemerkte, daß jeder
der Raubritter an der Satteldecke das Zeichen eines weißen Wolfes
trage, und daß sie stets mit demselben Ruf auf ihre Beute einzudringen
pflegten. „Die Wölfe kommen!“ das wurde bald der Schreckensschrei,
mit welchem die reisenden Kaufleute ihre Bedeckung zur äußersten
Wachsamkeit und zum mannhaften Widerstande aufriefen; dennoch blieben
die Wölfe nur zu oft die Sieger im Streit. --
Ebenso groß wie in Nürnberg war der Schrecken auf Maltheim gewesen,
als dort eines Tages Frau Walburg erschien und ihr väterliches Erbe
in Anspruch nahm. Frau Kunigunde, die ganz allein war, wußte nicht,
wie sie sich der Stieftochter erwehren sollte, deren Anmaßung durch
keine Autorität mehr in Schranken gehalten wurde. Man solle ihr Dorf
und Flur Hohenheiligen als Erbteil übergeben, so lautete ihr Begehr,
Maltheim möge Ulrich behalten. Die Antwort, daß Hohenheiligen längst
verkauft sei, versetzte sie in die bitterste Entrüstung, und mit rauhen
Worten verlangte sie eine Summe, welche diesem Besitz entspräche,
widrigenfalls sie sich an das kaiserliche Landgericht wenden werde, um
ihr gutes Recht zu erlangen. Sie habe schlagende Beweise in Händen, daß
Irmgard nicht des Ritters Kind gewesen sei, also auch keinen Anspruch
an seine Hinterlassenschaft habe, und sie riete Frau Kunigunden, das
alte Märchen nicht noch einmal vorzubringen.
Was sollte die Edelfrau thun? das bare Geld war immer ein knapper
Artikel auf Maltheim gewesen, seit Herr Werner seine Tasche nicht mehr
auf Kriegszügen durch Beute und Lösegeld gefüllt hatte; das Kaufgeld
von Hohenheiligen hatte nur hingereicht, um Ulrichs Studienjahre zu
sichern und Irmgards Brautschatz beim Eintritt in das Kloster zu
erlegen. Schon lange lebte Frau Kunigunde aufs sparsamste, und ihr
ganzes Streben war darauf gerichtet, Maltheim von den Schulden zu
befreien, die darauf lasteten, um ihrem Sohne sein väterliches Erbe
ohne Pfandlehen zu übergeben. An Walburg hatte sie nicht mehr gedacht;
sie hoffte, Junker Veit und seine Familie würden nie wieder in die
Heimat zurückkehren. Nur mit Mühe und durch mancherlei Opfer ließ sich
die Stieftochter bewegen, sich bis zu Ulrichs Rückkehr zu gedulden.
Es war ein schmerzliches Wiedersehen zwischen Mutter und Sohn: der
Vater tot, die Schwester im Kloster, der alte Besitz gefährdet, überall
Unsicherheit und Streit. Ulrich war inzwischen zum Manne gereift; er
hatte Philosophie und altes Recht studiert und sich auf der Universität
Ehren erworben, die sonst erst älteren Gelehrten zufielen, aber sein
Sinn war auf das Ideale gerichtet geblieben und unter den Verhältnissen
des gewöhnlichen Lebens wußte er nicht Bescheid. Er hatte sich daher
bald nach seiner Rückkehr nach Nürnberg begeben, um sich Rats zu
erholen und die alten Freunde zu begrüßen; beides war nicht nach
seinen Wünschen ausgefallen. Die Rechtskundigen hatten sich Bedenkzeit
ausgebeten, ehe sie sich in dieser Sache entscheiden könnten, und das
Wiedersehen, auf das er sich am meisten gefreut, hatte ihm eine bittre
Täuschung gebracht.
Eine Woche nach dem Sebaldusfeste machte er sich wieder auf den Weg
nach der Stadt, um das Urteil sachverständiger Männer über die Teilung
des väterlichen Erbes zu hören. Der ganze Zank um das Mein und Dein
war seinem feinfühligen Sinn unendlich lästig; er hätte am liebsten
Maltheim verkauft, den Erlös mit Walburg geteilt und wäre mit seiner
Mutter fortgezogen in ein anderes Land, um ein neues Leben der Arbeit
und des geistigen Strebens zu beginnen. Was fesselte ihn denn noch
an die Heimat? überall stieß er auf wehmutsvolle Erinnerungen, auf
traurige Veränderungen; die Enthüllungen über Irmgards Herkunft
entrissen seinem Herzen die geliebte Schwester, -- es schien ihm, als
lägen die vier Jahre seiner Abwesenheit wie eine unüberbrückbare Kluft
zwischen dem Einst und dem Jetzt.
In der Stadt angekommen, fand er es noch zu früh, um zu dem berühmten
Rechtsgelehrten, Herrn Pirkheimer, zu gehen, und er beschloß daher,
erst bei Meister Andreas Fiedler vorzusprechen, dem er von seiner
Knabenzeit her ein herzliches Andenken bewahrte. Manchmal hatte er
mit Berthold und Margarete zu den Füßen des alten Mannes gesessen und
seinen guten, frommen Worten gelauscht, die zwar mitunter ganz anders
klangen, als die seines Lehrers, aber dennoch einen tiefen Eindruck auf
sein Gemüt machten. Frau Eva begrüßte ihn mit herzlicher Freude und
führte ihn in das Vorderzimmer, wo immer noch, wie vor Jahren, der Alte
auf seinem Lehnstuhl am Fenster saß, zeichnend und schneidend. Vor ihm
stand eine schlanke, jugendliche Frauengestalt, die dem Eintretenden
den Rücken zukehrte. Bei dem freudigen Ausruf des Meisters wendete
dieselbe sich schnell um -- Margarete Ebnerin stand Ulrich gegenüber.
Eine glühende Röte stieg in ihre Wangen, als sie ihn wiedersah; ihr
erstes Gefühl trieb sie, auf ihn zuzueilen und ihm beide Hände zum Gruß
zu reichen, aber bei einem Blick in sein ernstes Gesicht, auf seine
förmliche Verneigung sanken ihre Arme schlaff herab, und sie wendete
sich traurig ab.
Ulrich trat zu dem Alten und begrüßte ihn mit Herzlichkeit; er zog
einen Schemel heran und begann lebhaft zu fragen und zu erzählen, ohne
auf das Mädchen zu achten. Sie wollte aufstehen und fortgehen, aber sie
konnte sich nicht rühren; wie gebannt blieb sie sitzen und betrachtete
verstohlen die wohlbekannten Züge des schönen Gesichts, das durch die
zunehmende Männlichkeit und das weiche Bärtchen auf der Oberlippe
nichts von seinen edlen Linien verloren hatte. Aufmerksam lauschte sie
dabei auf jedes seiner Worte.
„Ja, ich bin auch in Rom gewesen,“ erwiderte Ulrich jetzt auf eine
Frage des Meisters, „und herrliche Wunder der Kunst haben sich dort
meinem staunenden Blick gezeigt. Welche Kirchen! alles strahlt von
Glanz und Farben, von allen Wänden grüßen uns die herrlichsten Gemälde,
unser Ohr schwelgt in Wohllaut, die Pracht der Gottesdienste nimmt
alle Sinne gefangen. Und doch hatte ich zuweilen das Gefühl, als ob in
unserm ärmeren und kälteren Deutschland mehr Tiefe und Innigkeit des
Glaubens zu finden sei, als in jenem gesegneten Lande voll Glut und
Schönheit, wo alles nach außen drängt; als ob an den reichbesetzten
Tafeln, wo man dem Auge und dem Ohr die auserlesensten Leckerbissen
auftischt, das deutsche Gemüt hungrig und durstig bliebe.“
„Ähnliches habe auch ich empfunden, als ich das Welschland
durchwanderte,“ sagte Meister Andreas nachdenklich. „So überreiche
Nahrung auch den Sinnen zuteil wird -- in meinem Innersten fing ich an
zu darben, und erst, als ich in eine deutsche Kirche trat, ward mir
wieder heimisch und wohl zu Mut. Aber auch bei uns liegt vieles im
argen, manche Dinge fordern dringend eine Erneuerung, und die Besten
schauen sehnsüchtig nach dem aus, der unsre teure Kirche von allen
Schlacken reinigen soll. Und der Schwan wird kommen -- sicherlich!
doch die hundert Jahre sind noch nicht um, und ich werde es nicht mehr
erleben, daß die Weissagung sich erfüllt.“
„Wie meint Ihr das, Vater?“ fragte Ulrich.
„Es sind nun bald siebzig Jahre her,“ erzählte der Alte, „und ich
war noch ein Knabe, als ich meine Eltern nach Kostnitz begleitete,
wo Kaiser Sigismund ein großes Konzil zusammenberufen hatte, um über
Abstellung vieler Schäden in der Kirche zu beraten. So jung ich war,
so hat sich jene Zeit meinem Gedächtnis doch unvergeßlich eingeprägt,
und über vieles, was damals unverstanden an mein Kinderohr schlug,
ist mir später das Verständnis aufgegangen. Wenn wir auf der Straße
gingen, wies man uns fortwährend kirchliche und weltliche Würdenträger,
denn alles, was Europa an geistlichen und gelehrten Größen, an hohen
Staatsmännern besaß, war dort zusammengeströmt. Einen Mann aber gab es
unter den fremden Gästen, der aller Augen auf sich zog, ob ihn gleich
weder die Tiara, noch der Fürstenmantel schmückte, und er in keinem
Palast wohnte. Das war Johann Huß, der furchtlose Böhme, dessen Name
seitdem freilich durch falsche Anhänger einen blutigen Ruhm erworben
hat, der aber damals nur eine reinere Lehre auf Grund des ewigen
Gotteswortes predigte und unter kaiserlichem Geleit nach Kostnitz
gekommen war, um seinen Glauben zu verteidigen. Seine schlichte Güte,
seine überzeugende Wahrhaftigkeit gewannen ihm die Herzen; wenn er
sein Haus verließ, grüßten ihn die Bürger freundlich, und wir Kinder
hingen uns an seine Hände und lauschten seiner milden Rede. Mein Vater
schloß sich mit Hingebung an Huß an, ließ sich mit seinen Freunden von
ihm belehren und pries ihn als einen wahren Christen. Eines Tages aber
ging ein Schreckensschrei durch unsere Reihen; man hatte Vater Huß der
Ketzerei angeklagt und eingekerkert, -- nicht lange danach ward er zum
Feuertode verurteilt. Ehe er seine reine Seele aushauchte, rief er
laut aus: ‚Heute braten sie eine Gans, aber über hundert Jahre wird
ein Schwan kommen, den werden sie nicht verbrennen! Das Wort blieb der
Trost der Unsrigen, darauf hoffen und warten wir geduldig, bis es Gott
gefällt, die Zeit zu erfüllen.‘“
Mit gespannter Teilnahme hatte Ulrich zugehört. „Vielleicht, mein
Vater, ist der Schwan der Prophezeiung schon erschienen!“ rief er
mit leuchtenden Augen. „In Florenz hörte ich einen Dominikaner-Mönch
-- etwas Ähnliches habe ich nie vernommen, denn er predigte gewaltig
und nicht wie die andern. In tief einschneidenden Worten wies er
auf die Gebrechen der Kirche hin und forderte jeden Einzelnen auf,
Hand anzulegen, daß sie gebessert würden. Das könne nur durch wahre
Herzensbuße und eifriges, einmütiges Gebet geschehen, damit, wie einst
in der Urzeit der Kirche, Fluten des Geistes herniederströmten und
ein neues Leben schüfen. So erschütternd war Savanarolas Rede, daß
keiner in der großen Versammlung ungerührt blieb; Frauen sanken laut
schluchzend auf die Kniee, Männer schlugen an ihre Brust und gelobten
Reue und Besserung -- -- es war, als sei wieder ein Pfingstmorgen
angebrochen, wie damals, als sich dreitausend an einem Tage taufen
ließen. Könnte das nicht der Retter sein, dessen Ihr harrt?“
„Gott gebe, daß Ihr recht hättet, teurer Herr!“ sagte der alte Meister
inbrünstig. „Und doch hatte ich immer gedacht, der Befreier sollte
ein Deutscher sein und zuerst unser liebes deutsches Volk zum reinen
Glauben erwecken! Aber wie Gott will -- Er weiß am besten, was seiner
Kirche notthut.“
Hingerissen hatte Margarete diesen Reden gelauscht; in diesem
Augenblick hatte sie alles vergessen, was sich feindselig zwischen sie
und den Jugendfreund gedrängt hatte. „So habt Ihr also doch gefunden,
wonach Eure Seele verlangte, Ulrich?“ fragte sie mit der alten Wärme
und Teilnahme; „ich fürchtete schon bei Eurer Schilderung von Rom, daß
Euch Italien das nicht gehalten hätte, was es Euch versprach.“
Er wendete sich lebhaft zu ihr hin: „Ich habe dort viel gelernt
und erfahren, aber ich habe auch eingesehen, daß Ihr recht hattet,
Margarete, als Ihr mich vor dem Fluge des Ikarus warntet. Wie oft habe
ich mit geknickten Flügeln am Boden gelegen, wenn mir im Widerstreit
der Meinungen die reine Wahrheit zu entfliehen schien und ich schier
verzweifelte, sie jemals zu erfassen! Dann habe ich an Euch gedacht,
liebe Margarete; Ihr schient mir tröstend zuzuwinken und mich zu neuem
Suchen zu ermutigen, und wenn ich im Streben und Forschen nicht müde
wurde, so habe ich’s Euch zu danken.“
Sie sah ihn beglückt an und senkte dann das errötende Antlitz, wie eine
Blume vor dem heißen Sonnenstrahl. „So habt Ihr wirklich meiner gedacht
in all den langen Jahren Eurer Abwesenheit?“ flüsterte sie.
„Täglich, Margarete, und bei jeder neuen Erkenntnis, zu der ich
hindurchdrang, freute ich mich auf die Zeit, da ich sie Euch würde
mitteilen dürfen. Aber habt Ihr die alte Freundschaft auch so treu
bewahrt?“
„Gewiß!“ sagte sie fest und sah ihn treuherzig an; „was hätte mir auch
das Andenken an die glückliche Kindheit rauben sollen? Bin ich doch
viel ärmer geworden, seit Ihr uns verließt, Ulrich, da ich Berthold und
Irmgard hingeben mußte.“
Das Eis war plötzlich durchbrochen, unaufhaltsam strömte die Flut
dessen, was beider Herzen bewegte, herüber und hinüber. Lächelnd sah
Meister Andreas sich gänzlich bei Seite geschoben, aber er war darüber
nicht erzürnt, sondern beschäftigte sich eifrig mit seinem Holzstock,
um den Erguß nicht zu stören. Erst, als draußen die Turmuhr die vierte
Nachmittagsstunde verkündigte, sprang Ulrich auf. „Verzeiht, wenn ich
Euch verlassen muß,“ sagte er hastig; „ich vergaß meine dringenden
Geschäfte. Darf ich abends bei Euch einsprechen, liebe Margarete?“
„Ihr werdet uns allen herzlich willkommen sein, und ich hoffe Ihr seid
zu Nacht unser Gast, wie in alter Zeit. Die Mutter wird sich freuen,
Euch zu sehen.“
„Auf Wiedersehen!“ sagte er warm und drückte ihre Hände, die sie jetzt
nicht mehr zurückzog. Im innersten Herzen froh und glücklich ging
Margarete nach Hause.
Seit langer Zeit hatte man im Ebnerschen Familienkreise keinen so
angenehmen Abend verlebt; es war fast, als sei ein lieber Sohn ins
Elternhaus zurückgekehrt, so teilnehmend fragte jeder nach Ulrichs
Erlebnissen, so bestrebt waren alle, ihm von dem zu berichten, was sich
inzwischen zugetragen. Selbst der Hausherr betrachtete den ehemaligen
Freund seines Sohnes mit wohlwollendem Blick und hörte seinen
Erzählungen mit offenbarem Anteil zu. Nur an Bertholds und Irmgards
Schicksal wagte keiner zu rühren, es waren zu wunde Punkte für beide
Teile, um sie anders, als unter vier Augen zu besprechen. Dagegen kam
die Rede auf die Rotenhahns, und Ulrich sprach seinen tiefen Unwillen
dagegen aus, in nahen, verwandtschaftlichen Beziehungen zu einem Manne
zu stehen, welcher seine ritterliche Ehre so gering achte und seinen
adligen Namen so unheilbar beflecke.
Über Herrn Wilibalds Gesicht flog ein spöttischer Ausdruck. „Mit
dieser Ansicht dürftet Ihr unter Euren adligen Genossen sehr allein
stehen, Herr von Maltheim; die wenigsten werden an so ritterlichem
Gewerbe Anstoß nehmen; nur die ehrliche Arbeit ist in den Augen dieser
hochgebornen Herren eine Schmach.“
„Ich kann Euren harten Worten nicht widersprechen, Herr Ratsherr,“
versetzte Ulrich trübe, „unsre Moral ist arg herabgekommen, doch giebt
es auch noch Andersdenkende unter uns, und ich vertraue darauf, daß
auch für unsern Stand einmal die Erneuerung kommen wird, die so vielem
in der Welt dringend notthut.“
„Doch würde ich Euch raten, Euch damit zu beeilen,“ meinte Lorenz
Tucher mit seinem überlegenen Lächeln, „sonst möchten Euch die Städter
vollends überflügeln. Nach meiner Meinung gehört die Zukunft nicht dem
Ritter, sondern dem Bürger.“
Hier suchten die Frauen dem Gespräch mit klugen Worten eine andre
Wendung zu geben, denn so weitherzig und vorurteilsfrei Ulrich sich
auch zeigte, so mußten solche Reden ihn doch verletzen. --
Mit dunkel umwölkter Stirn kam wenige Tage später Herr Wilibald aus der
Ratssitzung nach Hause. „Die Wölfe werden immer unverschämter,“ sagte
er zu seiner Gattin, „sie schwärmen schon in Rudeln bis dicht an die
Thore der Stadt. Es wird Zeit, sie in ihren Höhlen aufzusuchen und ihre
Nester auszuräuchern -- -- wir haben heute den Beschluß gefaßt, dem
Bunde die Fehde anzusagen.“
Frau Ursula erschrak. Fehde! das Wort hatte einen bittern Klang. Es
bedeutete Mord, Brand und Plünderung, bedeutete das Elend vieler
kleinen Leute in den offnen Ortschaften, große Verluste für die
Städter, vielleicht eine Zeit der Einschließung. Mutter und Töchter
saßen in der Dämmerstunde bei einander und sprachen über diese
traurigen Aussichten, als eine Magd meldete, daß eine fremde Frau
Jungfer Margarete zu sprechen begehre. Die Gerufene verließ das Zimmer
und erkannte mit Erstaunen Frau Eva Fiedlerin, die noch nie zuvor das
Haus betreten hatte. „Was führt Euch her, Mutter Eva?“ rief das Mädchen
ihr freundlich entgegen, „kann ich Euch in irgend einer Sache helfen?“
„Stille, stille,“ sagte die Alte geheimnisvoll, „nicht hier, bringt
mich an einen Ort, wo niemand uns sieht und hört.“
Erstaunt blickte Margarete in das erregte Gesicht der Sprecherin, doch
willfahrte sie dem Wunsche und führte sie in ihre eigne Kammer. Frau
Eva schloß vorsichtig die Thür, drängte das Mädchen in einen Winkel und
flüsterte: „Ich bringe Euch einen Gruß von Eurem Bruder.“
„Von Berthold?“ fragte Margarete betroffen, „wo habt Ihr ihn gesehen?“
Die Alte zog ihr Ohr ganz nahe zu sich herab und hauchte hinein: „Er
ist in unserm Hause.“
„Jesus Maria!“ stammelte Margarete, „wie kommt er dahin? er ist doch
nicht ....“
„Er ist aus dem Kloster entflohen.“
Das Mädchen sank, wie vom Blitz getroffen, auf den Rand ihrer
Bettstelle nieder und bedeckte ihr Antlitz mit beiden Händen.
Barmherziger Himmel! welch eine entsetzliche Nachricht! was würden
ihre Eltern dazu sagen -- ihr Vater, dem ein gegebenes Wort als
unantastbares Heiligtum galt, ihre Mutter, die sich unter tausend
Schmerzen den Sohn vom Herzen gerissen hatte, um seine Seele zu retten!
Und nun war er wortbrüchig geworden an seinen heiligsten Gelübden, nun
irrte er umher als ein gehetzter Flüchtling, von dem sich jeder gute
Christ mit Verachtung abwenden mußte! O dies war schrecklicher, als
alles andre, denn hiefür gab es keinen Trost und keine Ergebung. Der
Schwester war zu Mut, als könnte sie nie wieder ihr Haupt erheben, nie
wieder um sich blicken, ohne über des Bruders Thun schamrot zu werden!
„Er klopfte gestern in später Abendstunde an unsre Thür,“ begann Eva
wieder, nachdem sie der andern Zeit gelassen, den ersten, tödlichen
Schrecken zu überwinden; „ich erkannte ihn zuerst gar nicht, so elend
und hager, so vergrämt sieht er aus. Er schwankte noch, ob er sich
einem der Seinigen entdecken sollte, aber er ist ganz ohne Mittel, und
wir sind nicht reich genug, um ihm allein zu helfen. Wollt Ihr ihn
sehen, Jungfer Margarete, oder soll er ohne Euren Beistand sein Heil in
der Welt versuchen?“
Lange blieb das Mädchen regungslos in der vorigen Stellung sitzen;
endlich erhob sie sich mit festem Entschluß, wenn auch mit
totenbleichen Wangen. „Ich will ihn sprechen,“ sagte sie, „er selbst
soll mir sagen, warum er uns das gethan hat.“
Sie warf einen dunklen Mantel um und verließ mit zitternden Schritten
das Haus; auf der Schwelle des Fiedlerhäuschens blieb sie noch einmal
zaudernd stehen, dann raffte sie ihren Mut zusammen und trat ein.
Meister Andreas saß allein in seinem Stuhl; er streckte ihr die
Hände entgegen und sagte, als er ihr finstres Gesicht, mit den fest
zusammengepreßten Lippen sah, im Tone der Bitte: „Scheltet ihn nicht,
Margarete, er hat Unsägliches erduldet und könnte Euren Zorn nicht
ertragen.“
„Wo ist er?“ fragte sie mit heiserem Ton.
„Oben in der Dachkammer -- es darf niemand ahnen, daß wir einen Gast
beherbergen. Eva, schließ die Thür zu und drücke die Fensterläden
fester, damit kein Lichtstrahl und kein Schatten auf die Straße falle.“
Diese Vorsichtsmaßregeln erweckten ein Gefühl tiefer Demütigung in
Margaretens Seele -- der flüchtige Verbrecher, den sie schützen
sollten, war ihr eigner Bruder! „Darf ich zu ihm gehen?“ fragte sie
tonlos.
„Die Stiege ist kaum für Eure Füße gemacht, und oben ist kein
Aufenthalt für Euch, werte Jungfer; laßt Berthold herabkommen, in der
Küche seid Ihr völlig ungestört.“
[Illustration: Armer, armer Berthold!]
Sie wartete in bebender Spannung auf sein Erscheinen; jetzt kamen
leise, vorsichtige Schritte die Treppe herab, die Thür ging auf,
und auf der Schwelle stand in scheuer Haltung eine Gestalt in
zerlumpter Bauerntracht, abgemagert, mit bleichem Antlitz und
unsäglich kummervollem Ausdruck. War das wirklich ihr Bruder, ihr
lebensfrischer, jugendschöner Berthold? Nichts erinnerte mehr an ihn,
als die dunklen Augen, die sich bei ihrem Anblick, ihrer Zurückhaltung,
langsam mit großen Thränen füllten.
Ja, er war es doch! das Gefühl, den Gefährten ihrer glücklichen
Kindheit so elend und unglücklich vor sich zu sehen, übermannte
sie; sie breitete ihre Arme aus und rief schluchzend: „Armer, armer
Berthold! so muß ich dich wiederfinden?“
Er eilte auf sie zu, drückte sie einen Augenblick an sich und ließ sie
dann auf einen Schemel niedersitzen, während er zwei Schritte davon
stehen blieb.
„O, warum bin ich nicht damals an der Pest gestorben!“ sagte er mit
dumpfer, klangloser Stimme; „ich wäre unschuldig und ahnungslos
dahingegangen, meine Mutter hätte sich längst getröstet und mir eine
ungetrübte Erinnerung bewahrt, und ich hätte nicht Schmach und Schande
über die Meinen gebracht. Warum muß ich so vor dir stehen, als das
unwürdigste Geschöpf, das auf Erden wandelt -- ein entlaufener Mönch?!“
„Armer, armer Berthold!“ wiederholte sie mit überströmenden Augen,
„willst du mir alles sagen, was dir widerfahren ist? ich möchte dich
und dein Thun gern begreifen lernen. Aber fasse dich kurz, denn bald
muß ich fort, um keinen Argwohn zu erregen.“
„O meine Schwester,“ versetzte er, indem er die abgezehrten Hände
krampfhaft ineinander preßte, „wie soll ich dir die Qual dieser drei
Jahre beschreiben? mich dünkt, es gehörten ebensoviel Wochen dazu, um
dir meinen Jammer klar zu machen. Zuerst war es ein ewiges Einerlei,
eine eintönige Abwickelung von Gebeten und Übungen, wobei das Herz kalt
und tot, der Geist öde und leer blieb. Für jede kleinste Übertretung
der Disciplin gab es harte Strafen und schwere Bußen, aber der innere
Sinn ward dadurch nicht verändert. Ich konnte die Heiligkeit dieses
Lebens nicht verstehen, es erschien mir völlig zwecklos, und als ich
mich weigerte, das Novizenkleid mit der Mönchskutte zu vertauschen,
als keine Drohung, keine Geißelung mich bewegen konnte, das bindende
Gelübde abzulegen, -- da warfen sie mich in einen unterirdischen Kerker
ohne Licht und Luft und ließen mich schier verschmachten. Zuweilen kam
einer von den frommen Brüdern zu mir und redete mir mit guten und bösen
Worten zu, meinen Trotz fahren zu lassen; aber wenn ich sie fragte,
worin denn die Gottgefälligkeit des Klosterlebens bestehe, warum man
Gott nicht auch in der Welt dienen könne, da doch unser Heiland und
seine Apostel in der Welt gelebt hätten, -- da schalten sie heftig
auf mich ein und nannten mich einen verstockten Sünder, der zur Hölle
fahren müsse. Da befahl ich meine arme Seele Gott und bat ihn, wenn
jene recht hätten, mich an dieser Stelle sterben zu lassen, hätten sie
aber unrecht, so wolle er selbst mich befreien. Und siehe da, Gott
hörte die Bitte des Elenden und ließ mir meine Flucht gelingen.“
„Mein Bruder,“ fragte Margarete schmerzlich, „war es wirklich Gott, der
dir half?“
„Ja, gewiß und wahrhaftig; war Er doch der einzige Freund in meiner
Not, zu dem ich rief bei Tag und Nacht. Einmal, als ich in bitterer
Verzweiflung an den Eisenstäben rüttelte, die das kleine Fenster
meines Kerkers verwahrten, fühlte ich, daß die Mauersteine nachgaben.
Das war ein Hoffnungsstrahl, und mit eiserner Ausdauer machte ich
mich daran, das morsche Gemäuer zu lockern. Ich weiß nicht, wie lange
es dauerte, denn ich konnte Tage und Nächte nicht zählen, und oft
sank ich bewußtlos nieder vor Hunger und Erschöpfung. Aber endlich
wich die Eisenstange unter meinen Händen, mit Mühe zwängte ich
meine abgemagerten Glieder durch die enge Öffnung und fand mich im
Klostergarten. Durch eine wunderbare Fügung stand das Mauerpförtchen
offen; ungesehen kam ich ins freie Feld, und mit Aufbietung meiner
letzten Kräfte rannte ich vorwärts, bis ich in einem Heuschober
zusammenstürzte. Dort fand mich am nächsten Tage ein mitleidiger Bauer,
der mir zu essen gab und mir diese dürftige Kleidung schenkte. Dann
bettelte ich mich weiter und stieß, kurz vor der Stadt, auf einen
Händler, der Vieh zum Markte trieb; ich bot mich ihm zur Hilfe an
und kam unaufgehalten durch das Thor. So kehrte der einzige Sohn des
reichen, hochgeachteten Ratsherrn in seine Vaterstadt zurück -- ein
zerlumpter Bettler unter einer Herde grunzender Schweine!“
Margarete war zu tief ergriffen, um zu sprechen; „armer, armer Bruder!“
stöhnte sie nur unter ihren Thränen hervor und versank dann in tiefes,
schmerzliches Sinnen. Endlich raffte sie sich auf. „Die Zeit drängt,
Berthold; sage mir, was du weiter zu thun denkst.“
„Ich habe nur einen Wunsch für mein gescheitertes Leben, den: mich nach
dem Norden durchzuschlagen und bei dem Deutschen Orden Aufnahme zu
suchen. Auch dort gelten die drei Gelübde der Armut, der Keuschheit und
des Gehorsams, denen ich, meiner Mutter zu liebe, nicht untreu werden
möchte, aber dort bin ich freier, und wenn Gott mein heißes Gebet
erhört, so läßt er mich einen ehrlichen Tod für eine gute Sache finden.“
Ein heftiges Pochen an der Hausthür schreckte die Geschwister auf;
„rette dich, Berthold!“ rief Margarete, bleich vor Angst, und mit einem
Sprunge war er aus der Thür, die Treppe hinaufgehuscht und auf dem
finstern Bodenraum verschwunden. Frau Eva fragte von innen, wer da sei.
„Ich bin es, Justus,“ war die Antwort, „ist Jungfer Margarete hier? die
gestrenge Frau ist in großer Sorge um sie.“ Gewaltsam bezwang sich das
Mädchen so weit, um dem Eintretenden mit unbekümmert klingendem Ton
entgegenzurufen: „Habe ich mich so verspätet, Just? ich komme gleich“;
dann nahm sie mit scheinbar heiteren Worten Abschied von dem alten Paar
und trat langsam den Heimweg an.
„Verzeiht, liebe Mutter,“ begann sie, als sie Frau Ursula und Elsbeth
allein fand; „ich konnte Frau Evas Bitte nicht widerstehen; die
alten Leutchen haben große Sorge um einen Verwandten, der ihre Hilfe
begehrt. Er scheint ein leichtsinniger Bursche, aber von guten Gaben zu
sein, und wir berieten hin und her, was sich für ihn thun ließe. Das
Dringendste wäre, ihn in eine anständige Kleidung zu stecken, denn er
ist arg herabgekommen, aber die Mittel der Fiedlers sind beschränkt,
und sie möchten ihm ihr Erspartes lieber als Zehrpfennig auf die Reise
geben.“
Margarete erschrak selbst über die Sicherheit, mit der sie der
geliebten Mutter diese Fabel vortrug, doch sah sie zu ihrer Beruhigung,
daß jene völlig ahnungslos und mit warmer Teilnahme darauf einging.
Oben in der Kammer hingen noch Kleider von Berthold, die wollte sie zu
Meister Andreas schicken; hier fräßen sie doch nur die Motten, und dort
könnten sie noch einem Unglücklichen helfen.
In der Stille einer langen, schlaflosen Nacht überlegte Margarete, was
sie für den Bruder thun könne, und wie ein Blitzstrahl durchzuckte
sie plötzlich der Gedanke an Ulrich. Er war der einzige, dem sie sich
vertrauen wollte, er würde einen Weg wissen, auf dem Berthold nach dem
Norden gelangen könnte. Sobald es, ohne Aufmerksamkeit zu erregen,
geschehen konnte, eilte sie am nächsten Morgen in das Hundsgäßlein,
sendete von dort eine Botschaft nach Maltheim und übergab Berthold
das Päckchen mit seinen eignen Kleidern. Er bewegte sich freier und
natürlicher in der von früherher gewohnten Tracht und war auch für
sie mehr der Alte; sie konnte vertraulicher mit ihm reden und ihn
ansehen, ohne über die furchtbaren Veränderungen der letzten Jahre zu
erschrecken.
Am folgenden Tage kam Ulrich, den das Schicksal seines Freundes mit
brennender Teilnahme erfüllte, und der zu jeder Hilfe bereit war. Er
riet, Berthold möge so schnell als möglich die Stadt verlassen; er
selbst wolle ihn unter seinen Knappen nach Maltheim mitnehmen; dort
könne er in leidlicher Sicherheit verweilen, bis alles zu seiner
Reise vorbereitet sei. Einer derer von Maltheim war Komtur auf einer
preußischen Ordens-Ballei; dorthin müsse Berthold sich wenden und ein
Unterkommen suchen; an Empfehlungen solle es ihm nicht fehlen.
Berthold hatte dem allen zugehört, ohne etwas einzuwenden, nur einmal
erhob er seine Stimme und fragte mit schmerzlichem Beben: „Nach
Maltheim? muß es sein? muß ich so vor Irmgard erscheinen?“
„Du wirst sie nicht mehr auf der Burg finden,“ war die Antwort, die in
trübem Ton gegeben wurde.
„Wie, ist sie verheiratet, oder -- -- barmherziger Himmel -- ist sie
tot?“
„Nein, sie ist ins Kloster gegangen.“
Berthold fuhr mit der Hand nach der Stirn. „Ins Kloster? träume ich?
der weiße Edelfalke trauert auch zwischen den mitleidlosen Mauern? wer
war so grausam, ihn dort einzusperren?“
Die Erzählung ihres Geschickes bewegte ihn tief, „wenn sie dort
ausharren kann, hätte ich es auch wohl vermocht!“ murmelte er, „aber
sie war immer stärker, mutiger, größer, als ich! Arme, weiße Rose, wie
welk magst du jetzt dein liebes Köpfchen hängen lassen!“ Er war nun mit
allem, was Ulrich vorschlug, dankbar einverstanden, und so schien die
schwierige Angelegenheit sich in hoffnungsvoller Weise zu ordnen. Unter
Schmerzen und Thränen nahm Margarete von dem Bruder Abschied und befahl
ihn dem Schutze des Himmels und der Fürsorge des treuen Freundes, der
gerade zu rechter Zeit heimgekehrt war, um ihr in den bängsten Stunden
ihres Lebens beizustehen.
Noch eine Zeit namenloser Aufregung galt es durchzumachen, als die
Nachricht von Bertholds Flucht aus dem Kloster Herrn Wilibald Ebner
erreichte. Die Kunde warf Frau Ursula aufs Krankenbett und beugte die
stolze Haltung des Ratsherrn für viele Tage. Dann zeigte er seinem
ganzen Hause an, daß sein Sohn für ihn tot sei und niemand seinen
Namen nennen dürfe, und ging wieder aufrechten Hauptes in sein Kontor.
Margarete that, was sie konnte, um ihre Mutter zu trösten; daß sie um
Bertholds Entweichen wisse, durfte sie ihr freilich nicht verraten,
aber sie suchte dasselbe im mildesten Lichte darzustellen. Doch
wenn Frau Ursula in einem Augenblick eine gewisse Erleichterung
in dem Gedanken fand, daß ihr geliebter Sohn nicht mehr unter
einem unerträglichen Druck leide, so überfiel sie im nächsten die
Todesangst um seine gefährdete Seele und die bittere Sorge um sein
augenblickliches Ergehen. Es war für Margarete eine schwere Aufgabe,
ihre Fassung gegenüber diesem Jammer der geliebten Mutter zu bewahren
und sich doch nichts von dem merken zu lassen, was sie wußte. Mit
unsäglicher Spannung wartete sie auf die Nachricht von Bertholds
glücklich erfolgter Abreise, die Ulrich ihr sogleich zu bringen
verheißen hatte.
[Illustration]
Fünfzehntes Kapitel.
Fehde.
Heiß entbrennet der Streit: „hie Wölfe!“ ertönt’s und „hie Nürnberg!“
Und mit Begierde des Kampfs füllt sich des Bürgers Gemüt.
Die Fehde-Erklärung der Nürnberger an den Bund der Wölfe versetzte
Stadt und Land in angespannte Thätigkeit, galt es doch, sich für
den kommenden Streit zu rüsten und möglichst viele Bundesgenossen
zu werben. Nach allen Seiten flogen berittene Boten aus, um die
benachbarten Edlen zum Zuzug aufzufordern; andere ritten auf die
Dörfer, welche zum Gebiet der Stadt gehörten, und sagten den Bauern
an, sich und ihre Habe in Sicherheit zu bringen. Man stellte ihnen
anheim, nach der Stadt selbst oder nach den festen Häusern zu fliehen,
welche in deren Besitz standen und durch starke Besatzungen geschützt
wurden. An allen Orten war man geschäftig, die Verteidigung der Stadt
zu sichern; die Landwehr, d. h. der Wall und Graben um die Stadtmark,
wurde durch Schranken von Bohlen verstärkt; über die Landstraßen wurden
Schlagbäume gelegt, neben welchen ein starker Posten zur Bedeckung
lag. Die Mauertürme wurden mit Geschützen und Wachen versehen;
mehrere Türmer wechselten sich beständig ab, um jedes Zeichen des
herannahenden Feindes durch Blasen oder ein ausgehängtes Signal
kundzuthun. Jeder Bürger mußte sich selbst, oder einen Stellvertreter
zum Kriegsdienst stellen; die verschiedenen Innungen traten zu
geschlossenen Abteilungen zusammen: die einen gehörten zum Fußvolk und
wurden aus der Kriegskammer des Rathauses mit Spieß, Hellebarde und
Faustrohr bewaffnet, während die reicheren zu Pferde dienten und sich
selbst ausrüsteten; andre wurden zur Bedienung der Geschütze bestimmt,
welche der Stolz der Stadt waren und fast wie lebende Wesen betrachtet
wurden. Sorgfältig wurde jede Abteilung gemustert und eingeübt von
den Hauptleuten und Viertelsmeistern, entweder ritterlichen Männern,
die im Solde der Stadt standen, oder tüchtigen Handwerkern, die sich
schon früher Kenntnisse im Kriegswesen erworben hatten. Die ganze sonst
so friedliche Stadt glich plötzlich einem Heerlager; alle gewöhnliche
Thätigkeit schwieg, aller Gedanken waren nur auf Kampf und Verteidigung
gerichtet.
Aber auch die Wölfe waren nicht müßig geblieben, auch sie hatten
Genossen geworben und viele Ritter, die nicht zu ihrem Bunde gehörten,
aber irgend eine Klage oder einen Groll gegen die Stadt hatten, sowie
eine Menge von Bauern und Söldnern auf ihre Seite gezogen. Vergebens
jedoch hatte Junker Veit seine ganze Beredsamkeit aufgeboten, um
Ulrich von Maltheim für sich zu gewinnen; derselbe hatte mit der
größten Festigkeit erklärt, daß er mit den Wölfen nichts zu schaffen
haben, sondern völlig neutral bleiben wolle. Das ward ihm von beiden
Teilen arg verdacht, denn jeder schätzte nur die, welche sich ihm zu
thatkräftiger Hilfe verpflichteten.
Herr Wilibald Ebner war durch diese Vorbereitungen völlig in Anspruch
genommen, und es war ihm lieb, daß die öffentlichen Angelegenheiten
seine ganze Kraft erforderten und ihm keine Zeit ließen, an den Kummer
in seinem Hause zu denken. Dennoch sah er ein, daß Frau Ursula zu
leidend sei, um die Aufregungen einer solchen Zeit mitzuerleben; er
beschloß daher, seine Familie fortzuschicken, wozu er die Erlaubnis des
Rates durch eine hohe Summe erkaufen mußte. Seine Frau besaß Verwandte
in Bamberg; dorthin wollte er sie und die Töchter senden, Lorenz Tucher
sollte ihr Begleiter sein. Ursula fügte sich schweigend dem Befehl
ihres Gatten, sie fühlte sich zu krank zum Widerspruch; Margarete aber
suchte den Vater in seinem Schreibzimmer auf, wo sie ihn allein fand.
„Lieber, teurer Vater,“ begann sie schüchtern, „wollt Ihr Eurer Tochter
eine Bitte gestatten?“
„Was soll’s, mein Kind?“ fragte er müde; „du wirst in diesem Augenblick
nicht an Kleinigkeiten denken.“
„Nein, es ist etwas Großes, das ich erbitte -- -- laßt mich bei Euch
bleiben, Vater! Die Mutter hat Elsbeth und Lorenz, Ihr aber habt sonst
niemand, der Euch einmal die Falten von der Stirn streicht, oder mit
dem Ihr ein herzliches Wort sprechen könnt.“
„Meine gute Tochter,“ sagte er gerührt und zog sie an sich, „hast
du auch bedacht, was es heißt, bei mir zu bleiben? Nicht, daß ich
wirkliche Gefahr für dich fürchtete, aber eine Fülle von Unbehagen und
Einsamkeit -- und welchen Ersatz könnte ich dir dafür bieten, ich, ein
geschlagener Mann, ein entlaubter Baum, dem von unheilbarer Wunde das
Mark verdorrt?“
Nie zuvor hatte Margarete einen so tiefen Blick in das verschlossene
Innere ihres Vaters gethan, aber dieser eine genügte auch, um alle
Zärtlichkeit und Hingebung ihres Herzens für ihn wach zu rufen; sie
schlang die Arme um seinen Hals, lehnte ihren Kopf an seine Brust
und sagte mit tiefer Innigkeit: „Mein Vater, ich kann dir das nicht
ersetzen, was du verloren hast; ich kann dir nur mein ganzes Leben
weihen. Stoße mich nicht zurück -- laß mich bei dir bleiben!“
„So bleibe,“ sagte er warm und küßte sie auf die Stirn. „Aber jetzt laß
mich allein, denn ich habe wichtige Dinge zu bedenken.“ --
Drei Tage vor dem Beginn der Feindseligkeiten -- man pflegte die
vereinbarten Fristen auf beiden Seiten gewissenhaft einzuhalten --
verließ der Reisewagen des Ratsherrn die Stadt. Unter dem schützenden
Verdeck hatte man Frau Ursula in Kissen und Decken weich gebettet,
Elsbeth saß neben ihr, während Lorenz Tucher, als Befehlshaber über
einen Trupp reisiger Knechte, wohlbewaffnet daneben ritt. Herr
Wilibald gab den Reisenden das Geleit bis zur Grenzmark der Stadt,
schärfte Lorenz noch die größte Vorsicht ein und nahm dann von den
Seinen Abschied. Langsam bewegte der Zug sich vorwärts und erreichte
wohlbehalten den Annenhof, wo man rastete, um am nächsten Morgen die
Reise fortzusetzen. Lorenz lugte beständig nach rechts und links,
nach hinten und vorn aus, doch war die Straße leer; nur ein einzelner
Reiter, mit einem Knechte hinter sich, zog in gemessener Entfernung
desselben Weges. Elsbeth fand die langsame Fahrt sehr langweilig und
bat Lorenz, ein wenig zu Fuß gehen zu dürfen; doch lehnte er dies ab,
bot ihr aber an, sie für eine Weile vor sich aufs Pferd zu nehmen.
Das lies sie sich gern gefallen und plauderte recht munter mit ihrem
Begleiter, den ihre kindliche Harmlosigkeit und Heiterkeit stets
belustigte, nur vergaß er darüber, auf den Wagen zu achten; derselbe
flog plötzlich hoch in die Höhe, weil er auf einen mächtigen Stein
gestoßen war, -- im nächsten Augenblick gab es einen Krach, und das
schwerfällige Gefährt senkte sich langsam auf die Seite.
Der Unfall brachte unter den Begleitern eine große Verwirrung hervor;
sie sprangen von den Pferden, einige hoben Frau Ursula heraus und
legten sie am Rande des Weges sorgsam nieder, andre richteten den Wagen
auf, um den geschehenen Schaden zu untersuchen. In diesem Augenblick
brach aus dem nahen Gehölz ein bewaffneter Haufe hervor und stürzte
sich auf die reiterlosen Pferde, um sich ihrer zu bemächtigen. Das
Unerwartete ihres Erscheinens verblüffte die überraschten Knechte so
sehr, daß sie völlig den Kopf verloren, um so mehr, als Elsbeth sich
jammernd und schreiend an Lorenz klammerte und ihn an jeder Bewegung
hinderte. Doch jetzt flog wie ein Sturmwind der vorhin bemerkte Reiter
mit seinem Knappen heran; mit hoch geschwungenem Schwert drang er auf
die Räuber ein, seine lauten, bestimmten Kommandoworte fanden williges
Gehör, die Reisigen sammelten sich um ihn, und in wenigen Minuten war
der räuberische Haufe in wilder Flucht zerstoben.
Der Reiter stieg vom Pferde, zog den großen Hut tiefer ins Gesicht und
kniete neben Frau Ursula nieder, die totenbleich, mit geschlossenen
Augen auf ihren Kissen lag. „Ist Euch ein Leid geschehen, ehrsame
Frau?“ fragte er in gedämpftem Ton.
„Nein, mich hat niemand berührt, dank Eurer kräftigen Hilfe,“ erwiderte
sie mit matter Stimme. „Wollt Ihr mir Euren Namen nennen, werter Herr,
damit ich weiß, für wen ich beten darf?“
„Ich bin ein namenloser Abenteurer, der alles hinter sich lassen muß,
was ihm jemals lieb und teuer war, um in der Fremde sein Glück -- oder
den Tod -- zu suchen. Wollt Ihr mir Euren Segen zu meiner Irrfahrt
geben, gestrenge Frau?“
Sie hob die Hände auf und berührte leise sein tief gesenktes Haupt.
„Gott segne Euch, mein tapferer Ritter, und die heilige Jungfrau
vergelte Euch, was Ihr an uns gethan gehabt.“
„Habt Dank, werte Frau!“ sagt er, und seine Stimme klang, wie von
Thränen verschleiert, „Euer Segen wird mir ein Talisman in allen
Fährlichkeiten sein. Betet für mich, denn ich weiß nicht, ob meine
Mutter es nicht verschmäht, für ihren unwürdigen Sohn zu beten.“
Er hob das Haupt empor und sah sie an, ihre Augen trafen sich.
„Berthold!“ rief sie mit einem Ausdruck, der zwischen namenlosem
Schrecken und grenzenloser Freude schwankte -- ihr schwanden die Sinne.
Er riß sie an seine Brust und küßte ihr Antlitz mit leidenschaftlicher
Zärtlichkeit, dann ließ er die bewußtlose Gestalt sanft zurücksinken.
Als Elsbeth zu ihrer Mutter trat, schwang er sich eben aufs Pferd,
schwenkte noch einmal seinen Hut und jagte davon; als Frau Ursula
wieder zu sich kam und angstvoll suchend umherblickte, da zeigte nur
noch ein fernes Staubwölkchen die Richtung an, in der er verschwunden
war. --
Margarete hatte nicht viel Muße, ihre Einsamkeit zu empfinden, denn
die ernste Zeit nahm nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen
in Anspruch. Die unter den Waffen stehenden ärmeren Leute, sowie die
geworbenen Söldner wurden auf Kosten der Stadt gespeist; man hatte
große Küchen errichtet, die von kundigen Frauen bedient und von
Höherstehenden beaufsichtigt wurden. Frau Magdalene Krafftin hatte an
bestimmten Tagen die Ratsküche unter ihrer Obhut, und Margarete stand
ihr treulich bei. Der Haushalt erforderte manche Arbeit; auch waren
viele Frauen und Kinder in Nürnberg, die jetzt, da aller Verdienst
stockte, ohne den Beistand der Reicheren in bittere Not geraten wären,
und für sie gab es fortwährend zu denken und zu sorgen. Kam Herr Ebner
vom Rathause zurück, wo er einen großen Teil des Tages in wichtigen
Geschäften zubrachte, so fand er sein Töchterlein stets seiner harrend,
immer voll Teilnahme an allem, was vorging, immer bereit, ihn mit
freundlichen Worten zu erheitern und für sein leibliches Wohl zu sorgen.
Margarete saß in der Fensternische, welche durch dunkle, tief
herabfallende Vorhänge von dem eigentlichen Wohnraum abgeschlossen
war; durch die gefärbten Scheiben drang nur noch ein dämmeriges Licht.
Die Arbeit war ihr entfallen, die Hände ruhten müßig im Schoß, ihre
Gedanken flogen träumend umher. Drei Gestalten zogen an ihrem inneren
Blick vorüber: Berthold, Lorenz und Ulrich, alle drei ihr lieb und
vertraut, und doch so unendlich voneinander verschieden. Wie hatte
sie den frischen, fröhlichen Bruder geliebt, mit einer Liebe, die zu
jedem Opfer fähig gewesen wäre! Seine Flucht aus dem Kloster hatte ihr
Vertrauen zu ihm gewaltig erschüttert, und selbst das tiefe Mitleid,
das sie für ihn empfand, konnte sie nicht darüber täuschen, daß ihm die
Kraft gefehlt habe, das, was er auf sich genommen, auch durchzuführen.
Lorenz, mit seinem klaren Verstand, seinem tüchtigen Charakter,
hatte sich bald ihre volle Achtung erworben, und sie mußte sich
sagen, daß er viel mehr ein Sohn nach dem Herzen ihres Vaters gewesen
wäre, als Berthold mit seinen hochfliegenden Plänen; aber all seine
Anschauungen waren nüchtern und praktisch, für die Fragen und Gedanken,
die ihre Seele oft bewegten, hatte er nur ein ironisches Lächeln,
ein mitleidiges Achselzucken. Wie anders dagegen Ulrich mit seinem
rastlosen Streben nach Wahrheit und Erkenntnis, mit dem energischen
Willen und dem sanften, liebevollen Herzen! Ja, er entsprach von den
Dreien am meisten dem Bilde eines echten, ganzen Mannes.
Die Träumerin fuhr plötzlich mit einem Schrei empor, denn durch die
Vorhänge blickte ein männliches Antlitz sie an, während sie den
nahenden Tritt völlig überhört hatte. „Ulrich -- um Gotteswillen, wie
kommt Ihr hierher?“
„Ich komme, um Euch die versprochene Nachricht von Berthold zu bringen,
Margarete; habt Ihr mich nicht erwartet?“
„Aber wie kommt Ihr in die Stadt, da doch keiner hereingelassen wird,
der nicht zu den Unsrigen gehört?“
„Hans Fiedler hatte die Wache am Spittlerthor, der hat mich
eingelassen.“
„Um Jesu willen! Ulrich -- wenn Euch jemand hier fände, es könnte Euch
teuer zu stehen kommen!“
„Seid ohne Sorge, liebe Margarete, ich komme ebenso sicher hinaus, wie
ich hereinkam. Aber seid Ihr nicht gespannt, etwas von Berthold zu
hören?“
„Ist er in Sicherheit? Gott sei Dank -- und innigen Dank Euch für Eure
Hilfe! Aber kommt, kommt, Ulrich, mein Vater darf Euch hier nicht
finden, Ihr müßt Euch verbergen, -- o kommt, ich vergehe vor Angst.“
Sie zog ihn durch eine schmale Seitenthür in einen finstern Gang, stieß
dann eine andre Thür auf und schob ihn in einen düsteren Raum. „Bleibt
hier, ich bitte Euch, und wartet meiner, ich komme zurück, sobald ich
kann.“ Ehe er sich’s versah, war sie fort und hatte den Schlüssel
abgezogen.
Zitternd vor Aufregung kehrte das Mädchen in das Wohngemach zurück,
zündete die Lampe an und deckte den Tisch zum Abendessen, das Herr
Wilibald jetzt allein, ohne die übrigen Hausgenossen, einzunehmen
liebte. Wie sollte sie nur Ulrich ungesehen fortschaffen? sie konnte
ja dem Vater nicht einmal erklären, zu welchem Zwecke er gekommen sei,
denn sie wagte es nicht, sein strenges Verbot zu übertreten, das selbst
Bertholds Namen verpönte. Endlos kam ihr heute die Stunde der Mahlzeit
vor, welche ihr sonst so traulich erschien; heute that sie nichts, um
Herrn Wilibald zu fesseln, sondern atmete erleichtert auf, als sich
endlich die Thür hinter ihm schloß. Eine Weile lauschte sie noch auf
den verhallenden Tritt, dann ergriff sie die Lampe und eilte in das
Zimmerchen, wohin sie Ulrich gebracht hatte.
„Gott sei Dank, er ist fort!“ sagte sie, „nun könnt Ihr unbemerkt das
Haus verlassen. Eilt, Ulrich, ich werde nicht eher ruhig sein, als bis
ich Euch in Sicherheit weiß.“
„Mit dem Eilen ist’s nun vorbei,“ erwiderte er mit einem eigentümlichen
Lächeln; „während Ihr mich hier gefangen hieltet, ist die Stunde
verflossen, in der Hans am Thor die Wache hatte. Ihr müßt Eure
Gastfreundschaft schon bis morgen früh ausdehnen, sonst könnte man mich
leicht für einen Spion ansehen und am nächsten Pfosten aufknüpfen.“
„Gerechter Gott!“ rief sie entsetzt, „und das sagt Ihr so kaltblütig?
Jesus Maria, was habe ich gethan, in welche Lage hat meine Thorheit
Euch gebracht -- und ich wollte doch nur das Beste! O Ulrich, ist das
mein Dank für alles, was Ihr an Berthold gethan habt?!“ Sie setzte sich
nieder und brach in bittere Thränen aus.
„Beruhigt Euch, liebe, holde Margarete,“ sagte er sanft und tröstend,
„es wird so schlimm nicht werden. Laßt uns auf Gott und mein gutes
Glück vertrauen! Und da Ihr mich nun doch nicht loswerden könnt, so
trocknet Eure Thränen und laßt uns miteinander reden, wie es guten,
alten Freunden geziemt.“
Seine Ruhe wirkte besänftigend auf ihre erregten Gefühle; sie erinnerte
sich ihrer hausmütterlichen Pflichten, brachte ihm mit eigner Hand
-- denn sie mochte niemand von der Dienerschaft ins Vertrauen ziehen
-- Speise und Trank, ließ sich dann alle Einzelheiten von Bertholds
Ergehen berichten und gab ihrer Anerkennung für Ulrichs thätige Hilfe
lebhafte und herzliche Worte.
Später brachte sie ihm einige Kissen und Decken. „Ihr müßt Euch für die
Nacht hier einrichten, so gut es geht,“ flüsterte sie, „ich kann Euch
in kein anderes Zimmer führen. Schlaft wohl, Ulrich, morgen früh komme
ich wieder zu Euch. Hier ist der Schlüssel, schließt Eure Thür fest zu.“
Als sie aber am nächsten Morgen an die Thür klopfte, blieb alles still:
das Zimmer war leer, und der gefangene Vogel schon vor ihr ausgeflogen.
Sie faltete die Hände und sendete ihm ein inbrünstiges Stoßgebet nach.
Der Vormittag verging Margareten in fieberhafter Erregung, bei jedem
Schritt, jedem Geräusch fuhr sie zusammen, als bedeute es etwas
Schreckliches. Sie war gerade auf dem Vorsaal beschäftigt, als sie auf
der Straße lautes Geschrei und das Stampfen vieler Füße hörte. Das
war in dieser Zeit nichts Seltenes, man brachte oft Gefangene ein,
oder Söldner, welche sich irgendwie gegen die strengen Kriegsregeln
vergangen hatten. Sonst sah sie kaum danach, heute aber eilte sie ans
Fenster und musterte angstvoll den Zug gewaffneter Knechte, welcher von
einer Menge johlender Buben begleitet wurde. In der Mitte gingen zwei
Männer, denen man die Hände auf den Rücken gebunden hatte; der eine
schleppte sich widerwillig weiter und bekam zuweilen einen Stoß mit
der Hellebarde, um ihn im Gange zu erhalten, der andre schritt ruhig,
in aufrechter Haltung, dahin, den Hut tief in die Stirn gedrückt.
Margarete riß das Fenster auf und streckte die Hände nach ihm aus:
„Ulrich, Ulrich!“ rief sie in schneidendem Weh. Ihre Stimme verklang
in der Unruhe da unten, und zu rechter Zeit kam noch das Gefühl des
Schicklichen über sie; sie flog vom Fenster zurück, ehe ihr Benehmen
Aufmerksamkeit erregt hatte, und verbarg verzweiflungsvoll ihr Gesicht
in den Händen.
„Gott im Himmel, was habe ich gethan!“ stöhnte sie. „Ich, ich allein
trage die Schuld an dieser Schmach! Was wird er sagen? was werden sie
ihm anthun? was wird seine Mutter anfangen, wenn er nicht zurückkehrt?
was soll ich thun, um ihn zu befreien?“ Sie wäre am liebsten aufs
Rathaus geeilt, hätte ihren Vater dort aufgesucht und ihm alles
gebeichtet, -- aber sie fühlte wohl, daß das unmöglich sei, daß es sich
für ein Mädchen nicht zieme, sich unter die vielen Männer zu begeben
und alle Blicke auf sich zu ziehen.
Sie mußte also warten, und peinliche, angstvolle Stunden waren es, die
sie zubrachte. Endlich, endlich kam ihr Vater zu ihr, um sich, wie er
pflegte, eine kurze Weile in ihrer Gesellschaft zu erholen. Sie eilte
ihm entgegen. „Was habt Ihr mit ihm gemacht, Vater? Ihr könnt nicht
glauben, daß er eine strafbare Absicht gehabt hat -- ich bürge für ihn,
daß er nichts Böses gegen die Stadt im Schilde führte!“
Herr Wilibald sah sie erstaunt an. „Von wem sprichst du, mein Kind?“
„Von Ulrich von Maltheim -- o Vater, entlaßt ihn schleunigst aus seiner
Haft, damit sich seine Mutter nicht in Angst um ihn verzehre -- es ist
schlimm genug, daß er wie ein Verbrecher über die Straße geführt wurde
-- er, ein untadeliger Edelmann!“
„Und woher weißt du so genau, was der Junker von Maltheim für Absichten
hatte, als er sich heimlich in die Stadt schlich?“
„Ich habe ihn gesprochen und weiß, weshalb er kam.“
„Du, Margarete? -- -- wann und wo sprachst du ihn?“
„Gestern Abend an dieser Stelle.“
„Wie? meine Tochter sagt mir ohne Erröten, daß sie einem fremden Manne
ein Stelldichein bewilligt habe? Also darum bist du in der Stadt
geblieben, nicht um deinem Vater eine schwere Zeit zu erleichtern,
sondern um in der Nähe dieses jungen Fants zu bleiben? -- Soll ich alle
meine Kinder so verlieren?“
Margarete richtete sich hoch empor und sah dem erregten Manne fest und
furchtlos ins Antlitz. „Mein Vater,“ sagte sie mit edlem Stolze, „wann
hat deine Tochter dir je das Recht gegeben, so unwürdig von ihr zu
denken? Nicht um meinetwillen kam Ulrich von Maltheim her, sondern um
deines Sohnes willen: er brachte mir Kunde von Berthold.“
„Schweig!“ rief ihr der Ratsherr heftig zu und wendete sich von ihr;
„du weißt, daß dieser Name nicht vor meinem Ohr genannt werden darf!“
„O mein Vater,“ versetzte sie mit sanfter Würde, -- und mit einem
Schlage war alle Aufregung von ihr gewichen -- „wie schwer sich auch
Berthold vergangen haben mag, so hört er doch nimmer auf, dein Sohn
zu sein, und wie bitter du ihm auch zürnen magst, in deinem innersten
Herzen spricht doch eine Stimme für ihn. Wenn es ihm gelingt, auf einem
andern Boden ein neues, würdiges Leben zu beginnen, so danken wir es
dem thatkräftigen Eingreifen Ulrichs von Maltheim, der als ein treuer
Freund an ihm gehandelt hat. War es auch tollkühn von ihm, sich in die
Stadt zu wagen, um sein Versprechen zu erfüllen, so braucht er sich
seines Thuns doch wahrlich nicht zu schämen, und schlecht stünde es uns
an, ihn für solche That unter falschem Verdachte leiden zu lassen.“
Herr Ebner durchmaß das Zimmer mit hastigen Schritten, er kämpfte einen
schweren Kampf mit sich selbst. Dann warf er sich in einen Lehnstuhl,
stützte das Haupt in die Hand und sagte mit unsicherer Stimme: „Ich
will alles wissen, berichte mir genau jedes Wort.“ Er hörte mit
gespannter Aufmerksamkeit auf ihre Erzählung, dann versank er in ein
tiefes Schweigen. Endlich stand er auf und sagte in strengem Ton:
„Du hast unrecht gethan, als du mir Bertholds Erscheinen in Nürnberg
verheimlichtest, denn ich hatte das erste Recht darauf, die Verirrungen
meines Sohnes zu erfahren, ja, ich hätte ihn damals noch zu seiner
Pflicht zurückführen können. Was den Junker von Maltheim betrifft, so
werde ich für ihn Bürgschaft leisten und ihn, statt im Ratsgefängnis,
in meinem Hause in Gewahrsam nehmen. Du wirst für ihn sorgen, darfst
ihn aber weder sehen, noch sprechen. Ich erwarte unbedingten Gehorsam
und würde jeden Versuch, diese Vorschrift zu übertreten, streng
bestrafen. Setze das kleine Zimmer neben meiner Schreibstube in
Bereitschaft und bleibe in deiner Kammer, bis ich dich rufe.“
Er ging hinaus und ließ Margarete in einem Widerstreit von Empfindungen
zurück. Sie sah ein, daß ihr Vater über ihren Anteil an Bertholds
Flucht ernstlich erzürnt war, und fühlte doch, daß ihm die Gewißheit,
der Sohn sei vor jeder Verfolgung sicher, eine Herzenserleichterung
gewähre; sie freute sich, daß sie Ulrich von falschem Verdacht
gereinigt und vor unwürdiger Behandlung bewahrt habe, und war doch
tief bekümmert, daß er bis zum Ende der Fehde ein Gefangener bleiben
müsse. Es tröstete sie ein wenig, daß sie selbst für ihn sorgen
durfte, und sie richtete das kleine Zimmer so traulich ein, wie sie
nur konnte; sie legte ihm ihre eignen Bücher hin -- es waren freilich
nur wenige --, auch Schreibmaterial, damit ihm die Zeit nicht zu lang
würde, und da sie keine Blumen hatte, steckte sie wenigstens große
Zweige duftiger Walnußblätter rings umher, welche die kahlen Wände
freundlich verhüllten. Das Gemach ging auf den Hof hinaus, doch war das
kleine vergitterte Fenster so hoch angebracht, daß der Insasse nur die
grüne Krone des Nußbaums sehen, aber mit seinem Blick nicht den Boden
erreichen konnte.
Gern saß Margarete mit ihrer Arbeit unter dem lieben, alten Baum,
und plötzlich kam ihr ein Gedanke: sehen und sprechen hatte der
Vater verboten, aber +singen+ nicht; so erhob sie denn eines Tages
ihre Stimme und begann, erst leise und schüchtern, dann immer
zuversichtlicher, also zu singen:
„Vöglein im Käfig sitzet alleine,
Blicket so trübe ins wogende Grün,
Schaut auf des Himmels eilende Wolken,
Möchte mit ihnen von hinnen fliehn.
Vöglein, gedulde dich noch ein Weilchen,
Bald schon erschließt sich des Kerkers Thor,
Und mit des Friedens holdem Geläute
Schwebst du zum Licht und zur Freiheit empor!“
Sie lauschte eine Weile mit klopfendem Herzen, dann vernahm sie
gedämpfte Töne, die ihr also antworteten:
„Jungfrau, die holde, stehet am Gitter,
Grüßt den Gefangnen mit tröstendem Wort,
Scheucht von der Stirne mit freundlichem Finger
Leise des Unmuts Geister ihm fort.
Siehe, da teilt sich düstres Gewölke,
Leuchtende Sterne winken ihm zu.
Dank dir, o Mägdlein! Stürme der Seele
Sang deine schmeichelnde Stimme zur Ruh!“
So hatte Margarete einen Weg gefunden, um mit Ulrich zu verkehren, ohne
das strenge Verbot des Vaters zu übertreten. So oft ihre Pflichten
es erlaubten, saß sie unter dem Baum, und auf Flügeln des Gesanges
tauschten beide ihre Herzen aus. Freilich achtete sie sorgsam darauf,
daß Herr Wilibald niemals Zeuge dieses poetischen Zwiegespräches wurde,
denn sie hatte ein leises Gefühl, daß es seinem nüchternen Sinne allzu
romantisch erscheinen würde.
[Illustration]
Sechzehntes Kapitel.
Kampf und Frieden.
Nicht mehr trotzet der Freche; ihn traf der Arm des Gesetzes.
Aber Unwürdige selbst adelt der nahende Tod.
Schon einige Wochen lang währte die Fehde, und kein Tag verging, an
dem nicht lodernder Feuerschein am Himmel gezeigt hätte, daß hier und
dort eine Scheune oder ein Wohnhaus in Flammen aufginge und arme,
vielgeplagte Menschen ihrer dürftigen Habe oder ihres armseligen
Obdachs beraubt würden. Noch war kein entscheidender Schlag gefallen,
und die Wölfe drängte es auch gar nicht, ihre Streitkräfte der
überlegenen, städtischen Heeresmacht gegenüberzustellen, vielmehr ging
ihr ganzes Streben nur dahin, durch fortgesetzte Plänkeleien die Kräfte
des Gegners zu ermüden und zu zersplittern. Für die raublustigen Ritter
mit ihrem besitzlosen Anhang war dieser Zustand gerade erwünscht; sie
fanden dabei Beute genug und ließen sich die Gelegenheit zu Kampf und
Aufregung wohl gefallen.
Ganz anders lagen die städtischen Interessen. Im ersten Augenblick war
der kriegerische Geist der Bürgerschaft auch nicht zu verachten; nicht
nur der große und kleine Rat, in welchem die Häupter des Stadtadels
Sitz und Stimme hatten, sondern auch die Versammlung der „Genannten“,
d. h. die Erwählten der Zünfte und kleinen Handelsleute, welche man
nur bei ganz besonderer Gelegenheit zur Mitberatung einberief, waren
fast einstimmig für die Aufnahme des Kampfes gewesen, denn jeder
einzelne brannte in seinem reichsstädtischen Selbstbewußtsein darauf,
die adligen Widersacher zu züchtigen und unschädlich zu machen. Mit
jedem Tage aber wurden die Opfer, die alle bringen mußten, fühlbarer
und drückender; Handel und Wandel stockten, der Verdienst blieb
aus, die Lebensmittel wurden täglich teurer. Da ließen sich denn
bald unzufriedene Stimmen hören, der Dienst mit den Waffen wurde
widerwilliger geleistet, Auflehnungen gegen die strenge Mannszucht
kamen häufiger vor. Schon mehrmals hatten die Väter der Stadt lange
Beratungen darüber gepflogen, wie der Fehde ein Ende zu machen sei;
auch heute hatten sie sich im Ratssaale vereinigt und erwogen in Rede
und Gegenrede die Wege, um den ersehnten Frieden herbeizuführen.
„Ich meine, wir müssen den Wölfen ernstlich auf den Leib rücken und
sie in ihren Höhlen überfallen,“ sagte Herr Hennerle von Steifen, ein
adliger Mann, der früher selbst der Stadt manchen Schaden zugefügt
hatte, dann aber in ihren Dienst und Sold getreten und nun einer ihrer
obersten Hauptleute war.
„Das ist von Anbeginn meine Meinung gewesen,“ versetzte Herr Wilibald
Ebner. „Wozu haben wir unsern Saturn, unsre Chriemhild mit schweren
Kosten angeschafft, wenn sie nicht die feindlichen Burgen brechen
sollen?“
„Aber wie wollt Ihr die schweren Geschütze auf den holprigen Waldwegen
meilenweit durchs Land schleppen?“ warf ein andrer ein; „bedenkt,
daß die Chriemhild allein zehn Wagen und sechs und fünfzig Pferde
gebraucht.“
„War die faule Grete, mit welcher der eiserne Burggraf Friedrich von
Hohenzollern die Schlösser der aufsätzigen märkischen Junker in Trümmer
schoß und ihren trotzigen Sinn beugte, nicht noch schwerer?“ fragte
Herr Wilibald dagegen.
„Möglich würde es schon sein,“ fiel Herr Hennerle ein, „aber eine
regelrechte Belagerung erfordert viel Opfer an Zeit und Geld. Besser
wäre es, die Wölfe zu überraschen und ihre Häupter gefangen zu nehmen;
solch ein unerwarteter Streich würde den Bund zersprengen und uns am
meisten Nutzen bringen.“
„Und wie wollt Ihr das anfangen, Hauptmann?“
„Wir müssen einen kundigen Mann gewinnen, der uns den Zugang zum
Hauptquartier verrät.“
Eine Stille folgte diesem Vorschlag, hie und da ein mißbilligendes
Kopfschütteln; doch schien ein jeder die Worte ernstlich zu überlegen.
„Wißt Ihr ein Mittel, um an solchen kundigen Mann zu gelangen, Herr von
Steifen?“ fragte der Bürgermeister.
„Wir haben einen Knecht des Junkers von Rotenhahn gefangen. Ich
glaube, daß man ihn mit Gutem oder mit Gewalt bewegen könnte, uns die
erforderliche Auskunft zu geben.“
„Laßt den Gefangenen hereinführen!“ gebot der Bürgermeister. Nach
kurzem Warten öffnete sich die Thür, und, von der Wache geleitet,
trat ein Mann in den Saal, derselbe, der einige Tage zuvor mit Ulrich
zusammen eingebracht worden war, in abgerissener Kleidung, mit wirrem
Haar und einem finstern Blick, der beharrlich am Boden haftete.
„Euer Name?“ fragte der Bürgermeister. Der Gefangene antwortete nicht;
erst, als ihm der wachehabende Stadtsoldat einen Rippenstoß gab,
murmelte er trotzig: „Ihr kennt mich, ohne daß ich’s Euch sage.“
Herr Volkamer warf einen forschenden Blick auf den finstern Gesellen,
flüsterte mit seinem Nachbar und sagte dann in strengem Ton: „Wohl
kenne ich Euch, Klaus Zworrer; Ihr habt einst im Dienste dieser
wohllöblichen Stadt gestanden, aber Ihr habt Euren Schwur gebrochen und
seid treulos zu unserm ärgsten Feinde übergegangen. Wißt Ihr, daß wir
Euch dafür ohne weiteres an den Galgen hängen können?“
„Ich weiß es,“ versetzte Klaus düster, „macht’s kurz, wozu die vielen
Reden?“
„Es gäbe ein Mittel, um Euch Gnade und Leben zu erkaufen, einen Weg, um
Eure Schuld zu sühnen und ein ehrlicheres Leben zu beginnen,“ sagte der
Bürgermeister langsam und mit Nachdruck.
Klaus schaute auf. „Und das wäre?“ fragte er hastig.
„Ihr habt seit Jahren dem Junker von Rotenhahn gedient und seid ohne
Zweifel mit seinen Plänen und Schlupfwinkeln genau bekannt; liefert uns
die Häupter des Wolfenbundes ohne Aufsehen in die Hände, und Ihr sollt
die Freiheit und reichen Lohn erhalten.“
Der Gefangene blickte finster zu Boden; in schweigender Spannung sahen
die Beisitzer des Rates auf ihn. „Ich kann es nicht,“ sagte er endlich
mit fest zusammengezogenen Brauen.
„Und warum nicht? ist Euch das Leben nichts mehr wert? wollt Ihr aus
diesem Saal sofort auf den Richtplatz wandern?“
„Herr,“ erwiderte Klaus mit rauhem Ton, „ich habe einmal meine arme
Seele verkauft, um mein elendes Leben zu retten, als ich Euch meinen
Eid brach, -- soll ich es zum zweiten Mal thun und ohne Erbarmen zur
Hölle fahren?“
Die Bedenken des rohen Kriegsknechtes blieben nicht ohne Eindruck auf
die Versammlung. „Ein Eid, den Ihr gezwungenermaßen einem Ehrlosen und
Räuber geleistet, kann nicht bindend sein,“ nahm nach einer Pause einer
der Herren das Wort; „jeder Priester wird Euch davon freisprechen.
Bedenkt, daß die Stadt das erste Anrecht an Eure Treue hat.“
Es kostete noch manches Hin- und Herreden, bis Klaus’ Zweifel
überwunden waren; endlich aber gewann die Ansicht der ehrsamen und
gestrengen Herren vom Rat den Sieg über seine Gewissensbedenken, und
er sagte seine Hilfe zu. Als er wieder in seinem Gefängnis saß, wo man
ihm sofort allerlei Erleichterungen gewährte, ballte er die Faust und
rief mit wilder Freude: „Jetzt kommt die Stunde der Rache, Junker Veit
von Rotenhahn! jetzt sollt Ihr büßen für all das Elend, das Ihr mir in
diesen Jahren bereitet habt -- Ihr und Euer Weib!“
Bald danach brachen von Nürnberg mehrere Fähnlein Fußvolk und eine
ansehnliche Reiterschar auf, denen mehrere Geschütze und anderes
Belagerungsmaterial folgte, und mit gewaltigem Lärm schlugen dieselben
langsam und bedächtig einen Weg ein, der nicht nach Hohenheiligen
führte. Einige Stunden später aber schlich sich, im Schutz der
Dunkelheit, ein auserlesener Haufe aus dem Thor, lauter erprobte
Männer voll Kraft und Entschlossenheit, die mit den besten Handwaffen
ausgerüstet waren, an der Spitze Herr Hennerle von Steifen, und neben
ihm Klaus Zworrer, als Führer. Es war tiefe Nacht, als sie im Walde,
unweit der Räuberburg ankamen; man zündete einige Fackeln an, und
mit ihrer Hilfe fand Klaus den künstlich verborgenen Eingang zu dem
unterirdischen Gange, der bis in den inneren Burghof führte. Auf den
Zehen schleichend, den scharfen Dolch zwischen den Zähnen, die Hand
am gespannten Hahn des Faustrohrs, drangen die Männer, in langer
Reihe dicht hintereinander gehend, durch den engen, niedrigen Gang
vor; der Soldknecht, der schläfrig den Ausgang bewachte, war im Nu
niedergestoßen, und der dunkle Hof füllte sich mit Bewaffneten.
Im Turme saßen die Häupter des Wolfenbundes beim Gelage und spotteten
beim vollen Becher des Nürnberger Rates, der seine Unternehmungen
so wenig zu verstecken wisse, daß man immer zwölf Stunden Zeit zur
Vorbereitung habe. Auch Frau Walburg bewegte sich unter den wilden
Gesellen; sie war sehr gealtert, und das kostbare Brokatkleid, das sie
trug -- es war aus kürzlich erbeutetem Stoff gemacht und wohl für eine
Fürstin bestimmt gewesen --, hing schlottrig um ihre dürre Gestalt;
die letzten Jahre mußten ihr nicht viele ruhige und pflegsame Tage
gebracht haben. Sie hatte viel zu thun, um den zechlustigen Genossen
ihres Gatten die Becher zu füllen und ihre zahlreichen Wünsche zu
befriedigen; die Scherze, die sie dabei zu hören bekam, waren wenig
für ein weibliches Ohr gemacht, doch war sie an solche Unterhaltung zu
sehr gewöhnt, um Anstoß daran zu nehmen. Oft stimmte sie in die freie
Rede ein und lachte laut über einen derben Witz, oder erwehrte sich mit
einer Ohrfeige eines allzu zudringlichen Gesellen.
Plötzlich erscholl von unten Getümmel und Waffengeklirr, -- die
Eindringlinge waren mit der Besatzung der Burg ins Handgemenge
gekommen. Im nächsten Augenblick stürzte Janko schreckensbleich unter
die Zechenden: „rettet Euch,“ schrie er atemlos, „die Nürnberger sind
über uns! Klaus, der Schurke, hat sie geführt!“ In wildem Durcheinander
sprangen alle auf und griffen zu den Waffen; einer und der andre
taumelte stark, aber die Gefahr zerstreute schnell den Rausch, der
die Sinne benebelte. Auf der Treppe stießen Angreifer und Überfallne
aufeinander, und ein wütendes Ringen begann. Aber noch waren die Wölfe
nicht überwunden, sie bissen mit der Wut der Verzweiflung um sich,
einige schossen aus den kleinen Fenstern des Turmes auf die Städter
herab, bis von außen her Trompetenklang und Pferdegetrappel erscholl:
der Vortrab der Belagerungstruppe rückte heran und berannte das Thor --
damit war der Sieg der Nürnberger entschieden.
Als Junker Veit erkannte, daß alles verloren sei, wollte er sein Heil
in tollkühner Flucht versuchen; schon hatte er ungesehen den Stall
erreicht und sich auf sein Leibpferd geworfen, -- er drückte ihm
beide Sporen tief in die Flanken, daß es in gewaltigen Sätzen mitten
durch die Kämpfenden dahinflog. Vielleicht wäre er entkommen, aber
ein haßerfülltes Auge war ihm gefolgt, Klaus, der sich bis dahin ganz
unthätig verhalten, riß sein Schießgewehr an die Wange -- der Schuß
krachte, und schwer getroffen stürzte Veit von Rotenhahn vom Pferde
herab. „Du Teufel! fahre hin an deine Stätte, von der du gekommen
bist!“ rief Klaus in wildem Triumph, aber das letzte Wort erstarb ihm
auf der Lippe, denn mit hoch geschwungenem Krummsäbel war der schwarze
Janko auf ihn zugesprungen und hatte ihn so furchtbar getroffen, daß er
röchelnd zusammenbrach. „Stirb, verräterischer Hund!“ knirschte Janko
-- im nächsten Augenblick lag er selbst gebunden am Boden.
Die aufgehende Sonne beleuchtete eine Stätte des Grauens und der
Verwüstung; Tote und Verwundete beider Parteien füllten den Schloßhof.
Totenbleich und regungslos lag Junker Veit da, neben ihm saß Walburg,
die sein Haupt auf ihren Schoß gebettet hatte und das strömende Blut zu
stillen suchte. Dunkle Tropfen rannen über ihr kostbares Kleid herab
-- sie achtete ihrer nicht, alle ihre Sinne und Gedanken hingen an
dem sterbenden Manne. „Veit, mein Gatte, mein Geliebter!“ rief sie
jammernd, „geh nicht von mir, laß mich nicht allein hier zurück! Was
soll ich anfangen ohne dich, du meine Stütze, mein treuer Gemahl in
guten und bösen Tagen? O thue wieder deine Augen auf und schaue mich
an, sage mir noch ein einziges Mal, daß ich immer dein gutes, treues
Weib gewesen bin. O Veit, mein Licht, meine Sonne, bleibe bei deiner
Walburg, die ohne dich nicht leben mag!“
Da schlug der Sterbende die Augen auf und sah sie mit einem Blick
voll Liebe an. „Lebe wohl, du Treue,“ stöhnte er, „hab’ Dank --
bewahre unsre Söhne -- vor ihres Vaters Schicksal ...“ Er drückte ihr
krampfhaft die Hand, streckte sich -- und war tot. --
Walburg drückte ihm die Augen zu, ein paar große Thränen rollten
langsam über ihre Wangen; lange schaute sie dem Toten unverwandt ins
Angesicht, dann legte sie ihn sanft auf die Erde nieder, richtete sich
empor und suchte mit ihrem Blick den Anführer. „Hauptmann,“ sprach sie
-- und der Schmerz lieh ihr eine Würde, die sie sonst nie besessen --
„Ihr seid die Sieger, wir die Besiegten. Ihr habt diese Burg erobert,
nehmt alles hin, nur laßt mir diesen Leib, daß ich ihn ehrlich begrabe.“
Herr Hennerle von Steifen machte eine ritterliche Verbeugung. „Edle
Frau,“ erwiderte er höflich, „wir führen nur gegen die Lebenden Krieg,
nicht gegen die Toten, auch bekämpfen wir nur Männer und nicht Frauen.
Nehmt Euren Schmuck und Eure Kleider, auch was sonst zur Notdurft
gehört, nebst dem Leichnam Eures Gatten; Wagen und Pferde stehen zu
Eurer Verfügung, und ein Häuflein Reiter soll Euch geleiten, wohin
Ihr’s begehrt.“
Frau Walburg neigte das Haupt und verschwand in der Burg; in kurzem
kehrte sie zurück, ein Bündel in der Hand, eine große Decke über dem
Arm. Der Tote ward auf einen Wagen gehoben und sorgfältig zugedeckt;
ehe die Witwe dazu stieg, wendete sie sich noch einmal an den
Hauptmann. „Gebt mir diesen mit!“ sagte sie halb bittend und halb
befehlend, indem sie auf den gefesselten Janko wies, der aus vielen
Wunden blutete. „Er war der treueste Diener seines Herrn und hat nur
nach seinen Befehlen gehandelt.“
„Es sei!“ versetzte Herr Hennerle nach kurzer Überlegung, „er wird uns
nicht mehr schaden.“
Janko küßte seiner Gebieterin dankbar die Hand und kroch mühselig auf
den Wagen; wie ein verwundeter Hund kauerte er sich zu den Füßen
seines toten Herrn nieder. „Nach Maltheim!“ befahl Walburg, und langsam
setzte der traurige Zug sich in Bewegung; die alte Heimat war der
einzige Zufluchtsort der beraubten Witwe. In diesem Augenblick dachte
sie nicht an die Söhne, die ihr noch geblieben waren und, fern von dem
gesetzlosen Treiben der letzten Zeit, erzogen wurden; sie konnte nur
an den Gatten denken, mit dem sie jung gewesen, den sie in ihrer Weise
heiß und aufrichtig geliebt hatte. Sie verhüllte ihr Haupt; die ganze
Welt um sie her war versunken; wie eine trauernde Königin, die mit dem
Gatten Krone und Reich verloren, fuhr sie dahin. -- -- -- --
Mit lautem Triumph kehrten die Nürnberger Truppen heim in die Stadt,
wo sie mit Jubel empfangen wurden. Groß waren die Vorteile, die sie
mit diesem einen Schlage errungen hatten, denn fast alle feindlichen
Anführer waren in ihren Händen, der ganze Bund zersprengt und gelähmt
durch den Verlust seiner Häupter. Dagegen waren ihre Verluste
verhältnismäßig gering: wer fragte nach Klaus Zworrer, der statt Lohn
und Freiheit den Tod gefunden hatte? Frau Barbara war tot, und seine
Töchter kannten den Vater kaum, von dem sie nur wenig Gutes erfahren
hatten. Von allen Seiten traten jetzt die guten Freunde beider Parteien
auf, die sich bisher vom Kampfe fern gehalten hatten; sie suchten
zwischen den Streitenden zu vermitteln, damit keiner von beiden durch
die Friedens-Bedingungen zu hart getroffen würde. Die gefangenen
Edelleute fanden viele Fürsprecher unter ihren Standesgenossen, und
die Stadt durfte ihnen nicht allzu scharf an den Kragen gehen, um sich
nicht neue Feinde auf den Hals zu ziehen. Man mußte sich begnügen, an
einigen geringeren Leuten ein Exempel zu statuieren, machte ihnen den
Prozeß und überlieferte sie dem hochnotpeinlichen Gericht, welches sie
durch Galgen und Rad vom Leben zum Tode beförderte. Die vornehmeren
unter den Wolfenbündlern mußten schwören, nie wieder die Waffen gegen
die freie Reichsstadt zu erheben, und wurden dann gegen ein Lösegeld in
Freiheit gesetzt. So ging die Fehde zu Ende, und die den ganzen Kampf
ausbaden mußten, waren vor allem die kleinen Bauern in den offenen
Dörfern, deren Häuser und Höfe verbrannt und verwüstet, deren Felder
zerstampft, und deren Vieh geschlachtet und fortgeführt war, während
niemand daran dachte, ihnen den erlittenen Schaden zu ersetzen.
Ulrich von Maltheim war gleich beim Beginn der Friedens-Verhandlungen
aus seiner Haft entlassen worden. „Ihr habt meinem verlornen Sohne
Freundschaft erwiesen,“ hatte Herr Wilibald ernst zu ihm gesprochen,
„dafür danke ich Euch. Freilich wäre es echtere Freundschaft gewesen,
wenn Ihr den Verirrten auf den Weg der Pflicht und Treue zurückgewiesen
hättet -- doch Ihr seid ein Edelmann und habt wie ein solcher
gehandelt. Es kann keiner von uns über die Schranken seines Standes
hinaus, aber es stände vielleicht besser in der Welt, wenn es viele
Edelleute von Eurem Schlage gäbe, Herr von Maltheim.“
Ulrich war hoch erfreut über diese Rede, aus der er nur das Lob
heraushörte; sie schien ihm die Erfüllung der süßen Hoffnungen zu
verbürgen, welche in den stillen Tagen seiner Gefangenschaft sein
ganzes Herz eingenommen hatten. Er wünschte sehnlich, ein paar
ungestörte Worte mit Margarete zu sprechen, aber er fand keine
Gelegenheit dazu; das letzte Frühstück nahm er in Gesellschaft von
Vater und Tochter ein, und der Ratsherr blieb bei ihm, bis er sein Roß
bestieg.
Als er fort war, ging das Mädchen in das kleine Zimmerchen, in dem er
die letzten Wochen gewohnt hatte; träumend betrachtete sie jedes Stück,
das er benutzt hatte, und fuhr liebkosend über jedes Buch, in dem er
gelesen. Als sie das eine aufschlug, fiel ein Zettel heraus, und hoch
errötend las sie folgende Worte darauf:
Gefangen saß ich in engem Raum,
Doch tröstend umschwebt mich der lieblichste Traum.
Mir träumte, als ich so einsam lag,
Ein Engel besuchte mich jeden Tag.
Zwar unsichtbar blieb mir sein Schwingenpaar,
Von ferne nur wehte sein duftiges Haar.
Doch seiner Stimme holdseligen Klang,
Den hörte ich deutlich, wie Sphärengesang.
Nun ist mir geöffnet des Kerkers Thor,
Nun schreit’ ich zum Licht und zur Freiheit empor;
Doch wendet sich rückwärts mein sehnender Blick:
Denn gefangen bleibet mein Herz zurück!
Herr Wilibald erschien an diesem Abend besonders aufgeräumt; der
Abschluß der Fehde mochte ihm wohl manche schwere Sorge vom Herzen
nehmen. „Was hältst du von Lorenz Tucher?“ fragte er im Laufe des
Gesprächs seine Tochter.
„Ich halte ihn für einen wackern und tüchtigen Mann,“ erwiderte sie
unbefangen, „wohl wert, Euch wie ein lieber Sohn zur Seite zu stehen.“
Dem Vater schien die Antwort zu behagen, denn er lächelte befriedigt
vor sich hin. „Es freut mich, mein Kind, daß du verständig genug
bist, so vorzügliche Eigenschaften anzuerkennen, auch wo sie ohne
ritterlichen Firlefanz, unter schlichter, echt bürgerlicher Außenseite
zu Tage treten. Du hast dich in dieser schweren Zeit als meine treue,
verständige Tochter bewährt, und so will ich dir mein Vertrauen
schenken: ich denke daran, Lorenz in alle Rechte eines Sohnes
einzusetzen und ihm einen vollen Anteil an der Handlung zu geben. Und
es ist mein herzlicher Wunsch, daß er auch noch durch ein anderes,
zarteres Band mit meinem Hause verknüpft werden möchte, durch ein Band,
das ihm ein besonderes Recht geben würde, mich ‚Vater‘ zu nennen.“
Er legte seine Hand einen Augenblick wie segnend auf ihren Scheitel,
küßte sie liebevoll auf die Stirn und verließ sie dann. In banger
Verwirrung blieb Margarete zurück; sie konnte des Vaters Wunsch nicht
mißverstehen, aber ihr Herz sprach kein Wort dazu.
[Illustration]
Siebzehntes Kapitel.
Die Werbung.
Haben die Herzen sich auch in Liebe und Treue gefunden:
Zwischen sie dränget sich noch trennend des Vaters Gebot.
Nie hatte Elsbeth Ebnerin eine glücklichere Zeit verlebt, als die,
welche sie mit ihrer Mutter bei den Verwandten in Bamberg zubrachte.
Bisher hatte sie stets hinter Margarete zurückstehen müssen, denn
obgleich jene nur zwei kurze Jahre vor ihr voraus hatte, so genoß
sie doch bei allen ein unbedingtes Vertrauen, während man sie selbst
immer noch wie ein halbes Kind behandelte. Aber jetzt fiel ihr die
Pflege der geliebten Mutter ganz selbstverständlich zu, und jeder
mußte sagen, daß sie sich derselben mit Geschick und Treue widmete;
auch machte ihr niemand Lorenz Tuchers Gesellschaft streitig, und das
beglückte sie besonders. Er begegnete ihr mit der Vertraulichkeit eines
älteren Bruders und hörte mit wohlwollendem Lächeln ihrem Geplauder
zu, das zwar nicht viel Geist, aber ein gutes Herz und einen kindlich
reinen Sinn verriet. In der größeren Selbständigkeit entwickelte
sich ihr ganzes Wesen freier und anmuthiger; da sie nicht unter dem
beständigen Vergleich mit der begabteren Schwester litt, so galt sie
bei jedermann in Bamberg für ein hübsches, wohlerzognes Mädchen, und
man begegnete ihr auf das freundlichste. Sie war daher wenig erbaut von
der Botschaft, daß ihrer Rückkehr nichts mehr im Wege stünde, und war
am letzten Tage so ernsthaft und traurig, daß Lorenz sie teilnehmend
fragte, was ihr fehle.
„Ich muß an das Märchen vom verzauberten Prinzen denken,“ versetzte
sie, „das Muhme Lene uns so oft erzählt hat, als wir noch Kinder waren.
Ein böser Zauberer hatte ihn in einen Zwerg verwandelt; nur einen Tag
im Jahr durfte er in seiner wahren Größe auftreten, aber sobald die
Sonne sank, mußte er wieder in die verhaßte Zwerggestalt schlüpfen. So
geht es mir auch.“
„Wie meint Ihr das, Bäschen? ich hoffe, es hat niemand gewagt, Euch ein
Leid anzuthun?“
„Nein, das nicht, aber ich fürchte, zu Hause und neben Margarete werde
ich wieder nur der Zwerg sein, den niemand für voll ansieht.“
Sie sah so betrübt aus, daß er tröstend über ihre Wange strich und ihre
Hände faßte. „Liebe kleine Elsbeth,“ flüsterte er ihr ins Ohr, „denkt
Ihr etwa, daß ich Eure Schwester Euch vorziehe? Ihr seid mir viel
lieber als sie.“
„Bin ich das wirklich?“ rief sie hocherfreut, „o Lorenz, wie gut seid
Ihr! bisher hat mich noch niemand neben ihr beachtet, und Ihr seid doch
so klug, wie kein andrer!“
Das Lob schmeichelte ihm und rührte ihn zugleich; er beugte sich herab
und küßte sie auf die roten Lippen. Sie schlug die Hände vor das
erglühende Gesicht, „Ihr seid ein Böser!“ rief sie halb erzürnt und
halb beglückt und lief davon. Er blieb beschämt zurück; wie konnte er,
der Ruhige, Verständige, sich so hinreißen lassen! --
Frau Ursula und Elsbeth waren glücklich heimgekehrt, und während die
Mutter nach der ermüdenden Fahrt sogleich die Ruhe suchte, saßen die
beiden Schwestern traulich beisammen und tauschten ihre Erlebnisse
aus, wobei freilich jede manches vor der andern zurückhielt. Aber
Margarete bedurfte eines teilnehmenden Herzens für die große Sorge, die
drohend wie ein Gespenst vor ihr stand, und sie beschloß, Elsbeth in
ihr Vertrauen zu ziehn. „Der Vater,“ sagte sie beklommen, „ist Lorenz
überaus wohlgesinnt und wünscht ihn ganz an unser Haus zu fesseln; ich
fürchte, er denkt sogar an -- eine Heirat.“
Elsbeths Wangen färbten sich purpurn. „Ich sehe nichts Furchtbares
darin,“ sagte sie mit niedergeschlagenen Augen.
Die Ältere stützte den Kopf in die Hand und sah ernsthaft vor sich hin.
„Nicht? ach Elsbeth, er ist gewiß ein lieber, braver Mensch, aber der
beste von allen kann er mir doch nie sein, ich ....“
„Du?“ schrie die Jüngere auf, „warum denn du und immer du? o ich wußte
es wohl, daß meine glückliche Zeit zu Ende ginge, sobald ich hierher
zurückkehrte, daß ich immer nur das Stiefkind sein würde neben dir, der
Bevorzugten und Geliebten! Und er hat es mir doch selbst gesagt, daß
ich ihm werter sei, als du ....“ ein Thränenstrom unterbrach ihre Rede,
sie legte den Kopf auf die gefalteten Hände und schluchzte laut.
Margarete stand erschrocken vor diesem leidenschaftlichen Ausbruch,
den sie zuerst gar nicht begriff; allmählich aber ging ihr ein Licht
auf, und eine Centnerlast schien ihr mit einemmal vom Herzen zu fallen.
„Liebe, gute Elsbeth,“ rief sie jauchzend, „warum weinst du? ist er
dir lieb und bist du ihm wert, o so ist alles gut! Vergieb, daß ich
nur einen Augenblick denken konnte -- -- o heilige Anna, habe Dank --
-- wie froh bin ich, wie namenlos froh, nun ebnet sich ja alles nach
unsern Wünschen! Laß dich küssen, meine Schwester, ich wünsche dir von
Herzen Glück!“
Sie umarmte Elsbeth stürmisch und lachte und weinte vor Freuden, so
daß jene die ruhige, verständige Schwester kaum wiedererkannte. Da sie
aber einsah, daß sie ihrem Glück nicht im Wege stünde, stimmte sie in
ihren Jubel ein, und zwischen den beiden Schwestern war jedes Wölkchen
zerstoben. --
Auf Maltheim drängten unterdessen die Verhältnisse zu einer
Entscheidung, denn es stellte sich nur zu bald heraus, daß ein
Zusammenleben von Frau Kunigunde und ihrer Stieftochter unmöglich sei.
Als die Weihe des ersten Schmerzes vorüber war, traten bei Walburg
schnell genug die alten, häßlichen Charakterzüge, Eigennutz, Anmaßung
und Begehrlichkeit, hervor, und mit Heftigkeit forderte sie die Teilung
des väterlichen Erbes. Herr Pirkheimer hatte inzwischen schon sein
Gutachten dahin abgegeben, daß Herr Werner von Maltheim kein Recht
gehabt habe, Hohenheiligen im alleinigen Interesse seiner Kinder
zweiter Ehe zu veräußern, und daß Walburg ein Anrecht auf die eine
Hälfte des Kaufpreises habe. Mit Mühe überredete Ulrich seine Mutter
dazu, in einen Verkauf von Maltheim zu willigen, um Walburg abzufinden;
der Kurfürst Albrecht Achilles, der alte Gönner des verstorbenen
Ritters, wollte selbst der Käufer sein. Im Andenken an die Treue
seines ehemaligen Kampfgenossen, bot er dem Sohne eine Anstellung in
kurbrandenburgischen Diensten an, die jener dankbar und bereitwillig
annahm, denn dort durfte er hoffen, ein weites Feld für seine
hochstrebenden Pläne und Gedanken zu finden. Seit Kaiser Sigismund
auf dem Konzil zu Kostnitz den treuesten Kämpen seines Thrones,
den Burggrafen Friedrich von Nürnberg, mit der Verwaltung der Mark
Brandenburg betraut und bald darauf mit der Kurwürde belehnt hatte,
war die Entwicklung des verwilderten Landes in bessere Bahnen geleitet
worden. Teils durch kluge Verträge mit den Nachbarfürsten, teils durch
gewaltiges Niederwerfen der aufsätzigen Großen, hatte Friedrich Ruhe
und Ordnung im Lande angebahnt, und was er mit Kraft begonnen, das
hatte sein Sohn, Kurfürst Friedrich der Zweite, fortgesetzt: er hatte
die trotzigen Städte gedemütigt, die Sitten der Geistlichkeit gebessert
und den Adel in gebührenden Schranken gehalten. Jetzt war Albrecht
Achilles der eigentliche Herrscher des Landes, aber er verweilte dort
nur zuweilen als Gast, denn er mochte seine schöne fränkische Heimat
nicht mit jenem rauhen, ärmlichen Lande vertauschen; so hatte er denn
seinen Sohn Johann als Statthalter in den Marken eingesetzt, und ihm
sollte Ulrich seine Kräfte widmen.
Frau Kunigunde konnte sich nicht entschließen, sich im fremden Lande
eine neue Heimat zu gründen, und so namenlos schwer ihrem Mutterherzen
auch der Gedanke einer dauernden Trennung von Ulrich fiel, so weigerte
sie sich doch entschieden, ihn zu begleiten. Sie zog sich in die
tiefste Stille zu einer Schwester zurück, die ihr gern ihr Haus
öffnete, aber die Kümmernisse und Täuschungen, die sie erlitten,
zehrten an dem Mark ihres Lebens, und nach wenigen Jahren folgte sie
ihrem Gatten in die ewige Heimat.
So war denn alles vollendet, die Erbschaft geteilt, die Frauen nach
verschiedenen Seiten abgezogen. Ulrich hatte die Mutter in ihr Asyl
geleitet und dann die Burg in die Hände des neuen Besitzers übergeben;
von einigen Knappen gefolgt, sprengte er jetzt den Burgberg hinab. Der
Abschied von der Heimat seiner Kindheit wurde ihm schwerer, als er
selbst gedacht hatte; das Bewußtsein, dem uralten Erbe seiner Väter,
das Jahrhunderte lang in den Händen seiner Familie gewesen war, für
immer Lebewohl zu sagen, als ein heimatloser Wanderer hinauszuziehen in
eine ungewisse Zukunft, rührte ihn fast zu Thränen, aber er gab seinem
Pferde die Sporen, so daß seine Begleiter ihm kaum folgen konnten, und
zog sein Schwert aus der Scheide. „Vorwärts!“ rief er, „mit Gott und
Sankt Georg! Als ein echter Ritter will ich kämpfen für Wahrheit und
Recht gegen Lüge und Finsternis, und Gott helfe mir zum Siege! O Herr,
stelle mir ein hilfreiches Wesen an die Seite, das mit seiner Liebe und
seinem Vertrauen mich stärke und tröste, wenn ich schwach werde!“
Er rastete nicht im scharfen Ritt, bis er die Thore von Nürnberg
erreicht hatte; dort hieß er seine Begleiter in der Herberge bleiben,
stellte sein Roß in den Stall und schlug zu Fuß den Weg nach dem
Ebnerhause ein.
Hier fand er alles in froher Bewegung, denn man feierte eben die
Verlobung von Lorenz Tucher mit Elsbeth Ebnerin. Herr Wilibald war
zwar sehr erstaunt und gar nicht erfreut gewesen, als seine Gattin ihm
mitteilte, daß nicht Margarete, sondern ihre Schwester die Erwählte
sei; er hätte es viel mehr seinem Lieblinge gegönnt, die ansehnliche
Stellung einzunehmen, zu der er Lorenz den Weg ebnete, -- aber gegen
die volle Übereinstimmung aller drei Beteiligten konnte er nichts
einwenden. Elsbeth strahlte vor Seligkeit; zu dem Gefühl des eignen
Glücks kann noch die Genugthuung, bei diesem wichtigsten Schritt des
Lebens der bevorzugten Schwester den Rang abgelaufen zu haben.
Ulrich stattete seinen Glückwunsch ab und bat um Erlaubnis, vor seiner
Abreise in die Fremde hier einige Stunden zu rasten, die ihm mit
Freuden gewährt wurde. Aber obgleich er auf teilnehmendes Befragen
ausführlichen Bescheid über alles gab, was er erlebt hatte und von
der Zukunft erwartete, so war er im ganzen doch ernst und schweigsam,
und Margarete teilte seine Stimmung. Endlich sprach er gegen sie den
Wunsch aus, noch einmal das Stübchen zu betreten, in dem er die Wochen
seiner Gefangenschaft zugebracht hatte; das Mädchen stand bereitwillig
auf, um ihn zu geleiten, aber auch der Ratsherr schloß sich an. Erst,
als sie auf dem Hofe unter dem alten Nußbaum standen, rief irgend
eine wohlthätige Anfrage aus einer der Schreibstuben Herrn Wilibald
ab, und endlich waren die beiden allein. Ulrich faßte beide Hände der
Jungfrau, die errötend vor ihm stand: „Liebe Margarete,“ sagte er leise
und schnell, „wenn es mir gelingt, mir im Norden eine Stellung zu
verschaffen, die -- Euer würdig ist, würdet Ihr es für denkbar halten,
-- die geliebte Heimat zu verlassen -- und mir zu folgen?“
Sie hob die treuen, grauen Augen mit dem Ausdruck vollsten Vertrauens
zu ihm empor. „Ja, Ulrich,“ sagte sie fest, „wenn es mein Vater
erlaubt, will ich Euch folgen, wohin es auch sei.“
„Und wenn es ein Jahr und länger dauern sollte, ehe ich wiederkomme,
willst du meiner harren, du Liebe, und nicht müde werden?“
„Ich will warten und hoffen, bis du kommst, sei es in einem Jahr oder
in zehn.“
Da nahm er ein Ringlein vom Finger und steckte es an den ihrigen,
danach aber zog er ihre Hände an seine Lippen und küßte sie inbrünstig.
„Lebe wohl, meine süße Braut,“ sagte er innig, „Gott schenke uns ein
glückliches Wiedersehen! baue so fest auf meine Liebe und Treue, wie
ich auf die deine!“ --
[Illustration: Ulrich zog einen Ring vom Finger ....]
Ehe Ulrich von Nürnberg schied, suchte er eine ungestörte Unterredung
mit Herrn Wilibald Ebner und bat ihn um Margaretens Hand. Der
Ratsherr maß ihm vom Kopf bis zu den Füßen mit einem strengen,
forschenden Blick. „Was habt Ihr meiner Tochter zu bieten, Herr?“
fragte er in schneidendem Ton, „habt Ihr Haus und Hof, oder ein Amt,
das Euch ernährt? oder glaubt Ihr, ich werde mein liebstes Kind einem
fahrenden Ritter übergeben, daß er es vor sich aufs Pferd nehme und
mit ihm durch die Lande ziehe, um sein Glück zu suchen? Oder meint Ihr
gar, ich solle dem Bräutchen Hohenheiligen als Mitgift geben, wie es
schon vor Jahren Euer edler Herr Vater vorschlug? Weit gefehlt, Herr
von Maltheim! Ein nüchterner Städter will feste, geordnete Verhältnisse
vor sich sehen, aufs Geratewohl wirft er seine Tochter nicht dem ersten
besten an den Hals!“
Ulrich verbeugte sich tief. „Ihr habt recht, Herr Ratsherr,“ sagte
er eisig kühl, aber mit vollkommener Höflichkeit, „es ist noch zu
früh für mich, um als Bewerber Eurer Tochter aufzutreten. In einigen
Jahren, wenn ich als wohlbestallter Rat des Kurfürsten von Brandenburg
vor Euch treten und Euch meine Einkünfte nach Heller und Pfennig
vorrechnen kann, dann will ich wieder bei Euch vorsprechen und meine
Bitte erneuern. Aber Ihr werdet es nicht hindern können, daß Jungfrau
Margarete das Wort hält, das sie mir gegeben hat, denn sie ist Eure
echte Tochter und hat gelernt, Versprechen heilig zu halten. Gehabt
Euch wohl, Herr Wilibald Ebner, auf Wiedersehn!“ Noch einmal verbeugte
er sich mit ritterlichem Anstand und ging hinaus.
Mit finsterem Blick sah ihm der Kaufherr nach. „Er wagt es, mir zu
trotzen!“ murmelte er, „thörichter Knabe, habe ich nicht allein das
Recht, über die Hand meiner Tochter zu verfügen? Und doch,“ setzte er
milder hinzu, „es war nichts Knabenhaftes in seiner Art, er ist ein
Mann geworden, den man achten muß. Wäre er nicht ein Edelmann, ich
selber könnte ihn lieb haben! -- und ich fürchte, Margarete wird schwer
von ihm lassen.“ --
Mehrere Jahre waren vergangen; Elsbeth war längst verheiratet und
ihrem Gatten in willenlosem Gehorsam unterthan; sie liebte es, sich
gegen Margarete ihres häuslichen Glücks, ihres blühenden Wohlstandes
zu rühmen, nicht ohne dabei einige mitleidige Seitenblicke auf die
hoffnungslose Wartezeit der Schwester zu werfen. Aber diese beneidete
sie nicht, sie fühlte sich glücklich und zufrieden. Zwar empfand sie
oft eine tiefe Sehnsucht nach dem geliebten Freunde, doch nie kam ein
Zweifel an seiner Treue, an seiner endlichen Wiederkehr in ihre Seele.
Auch war sie nicht ganz ohne Nachricht von Ulrich, denn zwischen
dem Hofe zu Berlin, wo Markgraf Johann die Marken verwaltete, und
der Kadolzburg, wo der alte Löwe selber hauste, herrschte ein, für
damalige Verhältnisse, reger Verkehr durch berittene Boten, welche
Anfragen, Berichte und Verordnungen hin- und hertrugen. Margarete
wußte, daß Ulrich an dem gelehrten Markgrafen, den seine Zeitgenossen
um seiner klassischen Bildung willen „Cicero“ nannten, einen überaus
wohlgesinnten Herrn gefunden habe. Doch waren die Zustände in der Mark
so ärmlich, die Landstände so schwierig in der Bewilligung von Geldern,
daß es dem Gebieter oft an den nötigsten Mitteln fehlte, um seine
Hofhaltung standesgemäß zu führen; mußte er doch die eigne Hochzeit
verschieben, weil ihm das Geld zu einer fürstlichen Ausstattung fehlte.
Das alles mußte sich ändern, wenn Johann Cicero erst der wirkliche Herr
und Kurfürst war, und so vertröstete Ulrich sich und seine Braut auf
diesen Zeitpunkt, der erst mit Albrecht Achills Tode eintreten konnte.
Margarete hätte aber auch wenig Zeit gefunden, um trüben Gedanken
nachzuhängen, denn ihre Kräfte waren vollauf in Anspruch genommen; sie
war ihren Eltern unentbehrlich und hätte selbst nicht zu sagen gewußt,
wie ihre zarte, leidende Mutter ohne ihren Beistand hätte leben sollen.
Wenige Monate nach dem Abschluß jener Fehde war dem Ebnerhause ein
unverhofftes Glück zu teil geworden, der Himmel hatte die leere Stelle
ausgefüllt und den trauernden Eltern ein Söhnchen geschenkt. Unendlich
groß war Herrn Wilibalds Freude über dies Gnadengeschenk; nun konnte er
wieder mit Freudigkeit in die Zukunft sehen, nun durfte er hoffen, daß
neben dem neuerblühenden Geschlecht der Tuchers auch der Name Ebner in
Nürnberg wachsen und dauern werde. In dem Glück, das er empfand, hatte
er Margareten versprochen, sie nie zu einer Ehe zu drängen, zu der ihr
Herz sie nicht triebe; Ulrichs Name war dabei nicht genannt worden,
sie überließ es der Zukunft, diese Angelegenheit zu rechter Zeit zur
Sprache zu bringen.
Frau Ursula empfand beim Anblick ihres Knaben nur eine wehmutsvolle
Freude; stets stand ihr dabei ihr Erstgeborner vor Augen, der ihr für
immer entrissen war. Bewahrte sie auch die flüchtige Begegnung auf dem
Wege nach Bamberg als einen kostbaren Schatz in ihrer Erinnerung auf,
so quälte der Gedanke an sein Seelenheil sie doch mit unablässigem
Kummer, und ihr Leben war eine Kette von Opfern und Bußen, um den Zorn
des Himmels zu versöhnen. Es ward ihr schwer, zu sehen, daß der kleine
Deodat -- diesen Namen hatte Herr Wilibald dem Kinde gegeben, um es
als eine besondere Gottesgabe zu kennzeichnen -- im Herzen seines
Vaters völlig Bertholds Stelle einnahm, daß jener auf ihn alle die
Hoffnungen setzte, die bei dem ältesten Sohne gescheitert waren, ja,
sie empfand es mit einer eifersüchtigen Pein, daß er den Spätgebornen
mit unendlich viel größerer Zärtlichkeit behandelte, als ehemals
Berthold. --
So war der Frühling des Jahres 1486 herangekommen, und durch die Stadt
lief das Gerücht, daß Kurfürst Albrecht Achilles, der alte Feind der
Reichsstädter, zu Frankfurt sein müdes Haupt zur Ruhe gelegt habe und
in der Klostergruft zu Heilbronn bestattet worden sei. Die Nachricht
bewegte Margaretens Herz mächtig; hatte sie auch als echtes Nürnberger
Kind wenig Neigung für den streitbaren Fürsten empfunden, so mußte
sein Tod doch entscheidend auf ihr und Ulrichs Schicksal einwirken. In
unruhiger Spannung verlebte sie die nächsten Wochen, konnte jetzt doch
jeder Tage den Ersehnten bringen und ihr Leben in gänzlich neue Bahnen
lenken!
Der alte Nußbaum auf dem Hofe hatte eben wieder sein hellgrünes
Blätterkleid angelegt, und die Schwalben schossen zwitschernd und
jubilierend darunter fort. Auf dem Sitz, der den gewaltigen Stamm
umgab, saß Margarete mit ihrer Arbeit; zu ihren Füßen spielte Deodat,
der alle Augenblicke zu ihr gelaufen kam, um ihr etwas zu zeigen, oder
sie nach hundert Dingen zu fragen; hing er doch fast mehr an ihr, als
an seiner Mutter, die sich oft so kränklich und schwach fühlte, daß
sie das lebhafte Kind nicht in ihrer Nähe ertragen konnte. Durch den
gepflasterten Thorweg klangen männliche Schritte, die auf den Hof
zukamen; Margaretens Herz fing an zu klopfen, sie schaute gespannt nach
dem Eingang -- aber es war eine andre Gestalt, als die ersehnte, wenn
auch eine wohlbekannte: Hans Fiedler. Er hatte längst seine Lehrzeit
bei Meister Adam Krafft hinter sich, war dann einige Jahre durch das
Reich gewandert und jetzt nach Nürnberg gekommen, um sein Meisterstück
zu machen und sich irgendwo als tüchtiger Steinmetz niederzulassen.
„Grüß’ Gott, Hans!“ sagte Margarete und bot ihm die Hand zum Gruß,
„wo habt Ihr so lange gesteckt? wir haben manchen Tag nichts von Euch
gesehen.“
„Ich war auf dem Annenhof,“ versetzte er ernsthaft, „Ihr wißt, die
Großmutter war schon lange krank, am letzten Montag ist sie selig
entschlafen, und gestern haben wir sie zur letzten Ruhe bestattet.“
„Crescenz ist tot?“ rief das Mädchen bewegt, „o wie mich das dauert!
die gute, alte Seele, Gott hab’ sie selig! sie hat sich durch ihre
unwandelbare Treue sicher einen Gotteslohn erworben. Aber was wird
aus Eurer lieben Mutter werden, Hans? sie ist nicht von der Art
der Großmutter und wird schwerlich ganz allein dort haushalten und
wirtschaften mögen.“
„Nein, Jungfer Margarete, das ist auch meine Meinung; wenn ich schon
Meister wäre, würde ich sie gern zu mir nehmen, aber damit hat’s noch
gute Weile. Und dann -- und dann --“ er drehte verlegen seine Kappe
zwischen den Fingern hin und her.
„Habt Ihr etwas auf dem Herzen, lieber Hans?“ fragte Margarete
freundlich, „nur heraus damit, Ihr wißt, wir beide sind von Kind auf
immer gute Freunde und getreue Kameraden gewesen.“
„Ja, Jungfer Gretchen, daher möchte ich auch Euch zu allererst sagen,
was mir widerfahren ist,“ sagte Hans, und über sein gutes Gesicht flog
ein unwiderstehlicher Freudenschein. „Ihr kennt Meister Dürer, den
Goldschmied -- und seine Töchter -- auch die Sabine -- die hat mir
versprochen, -- mein liebes Weib zu werden, sobald ich Meister geworden
bin.“
„Das freut mich von Herzen!“ sagte Margarete warm und schüttelte ihm
beide Hände. „Die Sabine ist ein liebes, tüchtiges Mädchen und wird
sicher eine frische, fröhliche Hausfrau werden. Gott segne Euch beide,
Hans; Ihr hättet nichts Besseres thun können.“
Hans strahlte vor Glück; er verehrte Margarete so sehr, daß ihr Lob und
ihre Zustimmung ihm sein erwähltes Mädchen noch lieber machten.
Der Tod der alten Crescenz bewegte Frau Ursula hauptsächlich um Afra’s
willen, der sie stets eine warme Zuneigung bewahrt hatte. Daß jene
nicht allein auf dem Annenhofe bleiben konnte, war klar, man mußte
dort eine kräftigere Schaffnerin einsetzen. „Ich habe einen Gedanken,
Margarete,“ sagte die Mutter am andern Tage, „ich möchte Afra anbieten,
wieder wie einst in meinen persönlichen Dienst einzutreten. Sie weiß
mit Kranken umzugehen und wird dir meine Pflege erleichtern; und wenn
du, mein geliebtes Kind, in kurzem wünschen wirst, dein Elternhaus zu
verlassen, so wird es dir weniger schwer werden, wenn du mich wohl
versorgt weißt.“
Margarete umarmte die Mutter mit Thränen der Wehmut und Zärtlichkeit;
sie hatte kein Geheimnis vor ihr und teilte alle ihre Sorgen,
Hoffnungen und Pläne mit der Teuren. So sehnsüchtig sie nach Ulrich
ausschaute, so schmerzlich war ihr doch der Gedanke, die Mutter
zu verlassen, die an ihre immerwährende Fürsorge und liebreiche
Gesellschaft so gewöhnt war.
Afra ging gern auf den Vorschlag ein; sie hatte keine Neigung für
die ländliche Wirtschaft, so treu sie auch in den letzten Jahren der
alternden Crescenz darin beigestanden hatte. Ihre stille, sanfte Art,
der wehmütige Schatten, der über ihrem ganzen Wesen lag, die lebhafte
Teilnahme, die sie für die Schmerzen anderer empfand, machten sie zu
einer passenden Umgebung für Frau Ursula, und Margarete fühlte sich in
der That sehr beruhigt, wenn sie an die Trennung dachte; sie würde die
geliebte Mutter wenigstens in sicherer Pflege zurücklassen. --
Heiße Sommerglut lag auf den Straßen von Nürnberg; in den
Patrizierhäusern waren überall die dunklen Vorhänge herabgelassen, um
der sengenden Sonne den Eingang zu verwehren. Im Erker des Ebnerhauses
war es kühl und angenehm, denn die Sonnenstrahlen trafen ihn nicht, und
die dicken Mauern ließen die Hitze nicht eindringen. Dort saß Margarete
und blickte träumerisch hinaus auf die Gasse, in der nichts zu sehen
war, aber ihre Augen schauten auch nicht nach äußeren Dingen, sie
waren nach innen gekehrt. Plötzlich scholl Pferdegetrappel vom Markt
her, mehrere Reiter bogen auf den Ägidienplatz ein. Einer sprengte
voraus, eine herrliche, hohe Gestalt; er nahm den Hut vom Kopfe, daß
ihm die blonden Locken um die weiße Stirn wehten, und schwenkte ihn
grüßend nach oben. Eine Purpurglut schoß in Margaretens Wangen -- der
Augenblick, von dem sie in sechs langen Jahren geträumt, war gekommen:
Ulrich war wieder da! Sie stand regungslos, nur das Antlitz hatte sie
der Treppe zugekehrt. Und jetzt kam er heraufgestürmt, der treue Freund
ihrer Kindheit und Jugend, der Erkorne ihrer reiferen Jahre, er zog sie
in seine Arme und küßte sie auf die Stirn. „Meine Margarete, meine süße
Braut,“ flüsterte er mit unsäglicher Zärtlichkeit, „da bin ich endlich,
endlich bei dir! O wie lang und schwer waren diese Jahre der Trennung!
Aber nun soll sich nichts mehr zwischen uns drängen, nun wollen wir
treu zusammenstehen, bis einst der Tod uns scheidet.“
Sie lehnte sich an seine treue Brust und sah mit glücklichen Augen
zu ihm auf; dann machte sie sich sanft von ihm los. „Du mußt dir
meines Vaters Zustimmung erbitten, Ulrich. Mein Herz konnte ich allein
verschenken, über meine Hand kann nur er verfügen. Aber erst komm zur
Mutter.“
Frau Ursula empfing Ulrich wie einen geliebten Sohn, er hatte ja einst
so viel für ihren Berthold gethan, und Margaretens Liebe machte ihn
ihr doppelt wert. Es war eine köstliche Stunde im traulichen Gemach
der Hausfrau --, aber noch war mancher Sturm zu bestehen, ehe das
Schifflein der Liebenden im sicheren Hafen landete. Herr Wilibald
konnte sich nicht entschließen, seine Einwilligung zu ihrer Verbindung
zu geben; die alten, festgewurzelten Vorurteile gegen den adligen Stand
verbanden sich mit der tiefen Abneigung, seine Lieblingstochter, deren
teilnehmendes Verständnis ihm unentbehrlich zum Leben schien, aus
seinem Hause fort, in eine unerreichbare Ferne ziehen zu lassen. Alle
Bitten Margaretens und seiner Gattin prallten an seinem hartnäckigen
Widerstande ab, sein „nein“ schien unumstößlich zu sein.
In tiefem Kummer war das Mädchen einmal zu Meister Andreas Fiedler
gegangen; der liebe, alte Mann mit dem kindlichen Glauben und der
reichen Erfahrung sollte ihr sagen, wie sie sich in dem herben
Zwiespalt zwischen dem Vater und dem Bräutigam verhalten solle.
Frau Eva und ihr Gatte wechselten bedeutungsvolle Blicke bei ihrem
traurigen Bericht. „So wollen wir es versuchen, Eures Vaters Herz zu
rühren,“ sagte der Alte endlich, „unserm Worte wird er vielleicht nicht
widerstehen.“
Margarete sah ihn erstaunt an, sie konnte sich die Zuversicht, mit
der er sprach, nicht erklären; welchen Einfluß glaubte der schlichte
Meister über den stolzen Patrizier zu besitzen? Sie gab sich keiner
Hoffnung hin, daß seine Einmischung zum Ziele führen werde.
Der Ratsherr saß in seiner Schreibstube am Pult, aber die Feder war ihm
aus der Hand gefallen, und er brütete düster vor sich hin. Da ward an
seine Thür geklopft, und auf seinen ärgerlichen Ruf -- denn wer wagte
es, ihn gerade jetzt zu stören? -- trat ein alter Mann mit schneeweißem
Haupthaar ein, auf eine Krücke gestützt, während eine ebenso alte,
einfache Frau ihn am andern Arm führte.
„Wer seid Ihr, und was wollt Ihr von mir?“ fuhr der Kaufherr auf.
„Kennt Ihr uns nicht mehr, Wilibald Ebner?“ fragte Andreas mit sanftem
Ernst. „Ich hätte Euch noch heute unter Tausenden erkannt, obgleich Ihr
Euch auch sehr verändert habt, seit Ihr zu Ulm in meinem Hause ein- und
ausgingt. Damals wart Ihr noch kein großer, reicher Herr, und Hedwig
Fiedlerin war nicht unter Eurer Beachtung.“
„Andreas Fiedler und Frau Eva!“ sagte Herr Wilibald erbleichend, indem
er sich erhob und die alten Leute durch ein Handbewegung zum Sitzen
einlud. „Freilich, es sind viele Jahre seit jener Zeit vergangen, und
es ist alles, alles anders geworden. Und doch habe ich die Jugend nicht
vergessen -- nein, sicher nicht! Hedwig Fiedlerin steht heute noch in
meiner Erinnerung, als ein wunderbar liebliches, engelreines Wesen, zu
gut für diese Welt und ihre grausamen Verhältnisse.“
Frau Eva wischte sich die Thränen aus den Augen, und Meister Andreas
sah sehr gerührt aus. „Ich will Euch jetzt, nach mehr als dreißig
Jahren, keinen Vorwurf machen, Herr Ebner,“ sagte er milde, „daß Ihr
unser einziges Kind verließt und ihm das treue Herz bracht -- Ihr mögt
Gründe gehabt haben, die Ihr für zwingend hieltet, und Hedwig ruht
längst in seligem Frieden. Aber wir wissen, was solch ein junges Herz
leidet, wenn ihm der liebste Wunsch versagt wird, und wir möchten Euch
bitten, inständig und mit allen Kräften: Bereitet Eurer eignen Tochter,
Eurer lieben, holden Margarete kein solches Los! Tausendmal schwerer,
als die Trennung von ihr, würde das Bewußtsein auf Euch lasten, ihr
Lebensglück vergiftet, ihre süßesten Hoffnungen geknickt zu haben. Seid
milde und gütig und gewährt Eurem Kinde das, was Ihr dem unsrigen einst
geraubt habt!“
Lange saß der Ratsherr, den Kopf in die Hand gestützt, und kämpfte
schwer mit sich selbst und seinem harten Sinn. Endlich stand er auf,
reichte den beiden Alten die Hand und sagte: „Ihr habt mich bezwungen!
Heute noch feiern wir die Verlobung meiner Margarete mit Ulrich von
Maltheim. Möchte der Himmel das Opfer, das ich bringe, als eine Sühne
annehmen für das, was ich an Eurer Tochter verschuldete!“
[Illustration]
Achtzehntes Kapitel.
Hochzeit.
Seliger Tag, da der Braut ein neues Heim sich erschlossen!
Aber mit Thränen im Aug’ läßt sie das alte zurück.
Es war eine glückliche Zeit, die nun folgte; Margarete war
unbeschreiblich lieblich in ihrem bräutlichen Glück, das wie ein
heller, warmer Sonnenstrahl aus ihren Augen leuchtete, und das, im
Verein mit ihrer dankbaren Zärtlichkeit, ihren Vater wenigstens nicht
bereuen ließ, seiner selbstsüchtigen Liebe dieses Opfer abgerungen
zu haben. Und er konnte es nicht einmal vor sich selber leugnen, daß
Ulrich ihrer wert sei; trotzdem, daß er ein Edelmann und Fürstendiener
war, erschien er in jeder Lage als ein ganzer Mann, dessen
Rechtschaffenheit und Wahrhaftigkeit selbst dem eingefleischten Bürger
volle Achtung abnötigte.
Ulrich kam und ging; er besuchte Irmgard in ihrer klösterlichen
Zurückgezogenheit und erledigte mancherlei Aufträge seines fürstlichen
Herrn, besonders suchte er Werkleute zu werben, welche bereit wären,
ihm nach der Mark zu folgen. Kurfürst Johann Cicero hatte verschiedene
große Bauten vor, so lag ihm vor allen der Bau der neuen Universität
am Herzen, die er zu Frankfurt an der Oder gründen wollte, und dazu
bedurfte er eines gewiegten Steinmetzen, der imstande wäre, den ganzen
Bau zu leiten. Ulrich hatte an Hans Fiedler gedacht, und dieser hätte
auch sogleich mit beiden Händen zugegriffen, wäre nicht die Rücksicht
auf seine und Sabinens Mutter gewesen -- denn daß das Mädchen ihm auch
in die Fremde folgen würde, das wußte er gewiß. Die Anerbietungen waren
aber so günstig, daß ein junger Meister sie gar nicht ablehnen konnte,
auch handelte es sich vorläufig nur um einige Jahre; so ließen denn die
Mütter ihre Einwendungen fahren und gaben ihre Zustimmung. Es wurde
beschlossen, daß beide Hochzeiten beim Beginn des Herbstes stattfinden
und die beiden jungen Paare gemeinsam die Reise nach dem Norden
antreten sollten. --
Es war ein goldig klarer Herbsttag: die Sonne hatte siegreich die
Morgennebel bezwungen, ein frischer Wind hatte die Wolken auseinander
gejagt, so daß sie sich, wie eine schneeweiße Lämmerherde, am Rande des
Horizontes lagerten. Unter dem Nußbaum, der noch seine volle Laubkrone
bewahrt hatte, stand Margarete, und wehmütige Gedanken zogen durch
ihre Seele. Der Baum war ihr wie ein alter Freund, an den sich tausend
liebe Erinnerungen knüpften: war er doch der Genosse ihrer kindlichen
Spiele mit Berthold gewesen, hatte er doch dem tief ergreifenden,
unvergeßlichen Abschiedsgespräch mit dem Bruder gelauscht und den
Zwiegesängen mit Ulrich zugehört, in denen es beiden klar geworden war,
daß sie zu einander gehörten. Von dem alten Nußbaum Abschied nehmen,
das hieß scheiden von den geliebten Eltern und der teuern Heimat, von
der eng umfriedeten, sorgsam behüteten Jugend und hinausschiffen auf
das fremde Meer des Lebens, mit seinen Wellen und Stürmen, seinen
unbekannten Landeplätzen. Aber dann trat Ulrichs Bild vor ihr inneres
Auge, und mit ihm kehrte Mut, Vertrauen und Freudigkeit zurück; er
war der rechte Steuermann, dem sie sich wohl für die unsichere Fahrt
anvertrauen durfte, an seiner Seite wollte sie auch den Sturm nicht
fürchten, sondern mit ihm vertrauend nach oben blicken, wo nach Nebel
und Wolken Gottes Gnadensonne sicher wieder scheinen würde. So ging sie
freudig und gefaßt ihrem Ehrentage entgegen. --
Die Hochzeit wurde mit der gediegenen Pracht ausgerichtet, die dem
Reichtum und Ansehen des Patrizierhauses gebührte. Um die Mittagszeit
erschien der Bräutigam, gefolgt von seinen Genossen, teils Jünglingen
aus den vornehmsten Familien der Stadt, teils jungen Adligen, welche
mit Ulrich verwandt waren. Einer unter ihnen war zum Sprecher
auserkoren; er warb nach alter Sitte noch einmal in feierlicher Rede um
die Braut, der Vater übergab sie ihm, und er führte sie dem Bräutigam
zu, der sie mit vorgeschriebener Umarmung empfing. Dann ordnete sich
der hochzeitliche Zug zum Gange nach der Kirche; bunte Teppiche
bedeckten die Straße bis zum Gotteshause, und eine schaulustige Menge
bildete ein dichtes Spalier. Voran schritt ein Beamter der Stadt, der
mit seinem Stabe die Bahn frei hielt; ihm folgte Deodat mit Elsbeths
ältestem Töchterlein, welche den Weg mit Blumen bestreuten; dann
führte Ulrich Frau Ursula und Herr Wilibald die Braut. Herrlich waren
die beiden Hochzeiter anzuschauen: Ulrich trug ein anschließendes Wams
von dunkelrotem Samt mit Hänge-Ärmeln, das mit dunklem Pelz besetzt, an
Brust und Nacken dreieckig ausgeschnitten war, darunter ein Untergewand
von Goldbrokat mit engen Ärmeln, kurze, rote Beinkleider von Seide und
lange, fest anliegende Strümpfe von gleicher Farbe. Ein purpurrotes
Samtbarett mit wallender weißer Feder, das er erst an der Tafel mit
einem grünen Kranz vertauschte, saß auf seinen vollen Locken, eine
lange goldne Halskette, ein Geschenk seines kurfürstlichen Herrn,
reichte ihm bis auf die Brust herab; am silberbeschlagenen Gürtel
hing eine zierliche Ledertasche und ein Dolch in silberner Scheide.
Margarete trug ein Kleid von rosenroter, schwerer Seide mit kostbarem,
juwelengeschmücktem Gürtel; vorn keilförmig geteilt, ließ es ein
Unterkleid von reichgemustertem Silberbrokat sehen. Das knappe Mieder
mit den herabfallenden Ärmeln war mit Perlenschnüren zugenestelt,
ein breites Halsband von Perlen und Diamanten, das fürstliche
Hochzeitsgeschenk ihres Vaters, schlang sich um die feine Halskrause.
Auf ihrem Haupt erhob sich ein luftiges Gestell von Draht, auf dem
das grüne Jungfernkränzlein thronte, und von welchem der lange, zarte
Spitzenschleier bis auf die Erde herabwallte. -- Als der Gottesdienst
vorüber und die kirchliche Handlung beendet war, empfing eine Bande
von Spielleuten an der Kirchthür den Hochzeitszug und stellte sich mit
lustigem Geschmetter an die Spitze; dann folgte das junge Paar Hand
in Hand. -- Endlich waren die treuen Herzen vereint und hatten ein
heiliges Recht, einander anzugehören.
Ein festliches Hochzeitsmahl vereinte die Gäste im Ebnerhause, und
die reichbesetzte Tafel bot einen prächtigen Anblick dar: stattliche
Männer und schöne Frauen, köstliche Gewänder von Samt und Seide, mit
edlem Pelzwerk verbrämt, mit funkelndem Geschmeide verziert, umgaben
sie; reiches Gold- und Silbergeschirr, schön gearbeitete Becher, Kannen
und Schüsseln, die alten und neuen Schätze der Tuchers und Ebners
prangten darauf, und die Reihe der Gerichte und feurigen Weine war
schier unabsehbar. Vergebens hatte Margarete versucht, Meister Andreas
und seine Eva zu bewegen, an ihrem Feste teilzunehmen; sie fühlte sich
ihnen zu innigstem Dank verpflichtet, obgleich sie nicht ahnte, durch
welches Mittel der alte Meister den Widerstand ihres Vaters besiegt
habe. Aber die beiden Alten dankten für die ihnen zugedachte Ehre; sie
fühlten daß sie dort nicht hinein paßten, und begnügten sich mit den
Besuchen, die ihnen die Verlobten in dankbarer Liebe abstatteten.
Am folgenden Tage veranstaltete Ulrich ein Fest auf der Nürnberger
Burg, an dem zugleich die ganze Hochzeitsgesellschaft der Dürers und
Fiedlers teilnahm. Alle angesehenen Leute Nürnbergs, auch die Künstler
und höheren Zunftgenossen, waren dorthin geladen, und viele fanden sich
ungebeten ein, um alle die Herrlichkeit wenigstens von weitem anzusehn.
Musik, Gesang und Tanz vergnügte die Jugend; um die große Linde im
Burghof führte man fröhliche Reigentänze auf, bei deren Anordnung
sich besonders der Schwager Hans Fiedlers, der junge Albrecht Dürer,
hervorthat. Mit künstlerischem Blick wußte er die schönsten Tanzfiguren
einzuleiten und die schwierigsten Verschlingungen in anmutiger
Gruppierung harmonisch aufzulösen. Alles schaute dem kunstreichen
Tanz bewundernd zu, und der alte Maler Michael Wohlgemuth nickte
wohlgefällig mit dem grauen Haupte: er war mit seinem Schüler zufrieden
und prophezeite ihm eine glänzende Zukunft in der Kunst der Malerei,
der er sich bereits gewidmet hatte.
Auf die festlichen Tage mit ihrem rauschenden Jubel folgten die
Schmerzen und Thränen des Abschiedes. Lange hielten Mutter und Tochter
sich umschlungen, als könnten sie nimmer voneinander lassen; in diesem
Augenblick fühlten beide, daß sie einander nicht wiedersehen würden.
-- Vor der Thür stand ein, für damalige Begriffe bequemer Reisewagen,
der die beiden jungen Frauen aufnehmen sollte; die Männer ritten
daneben, einige hochbeladene Packwagen mit Möbeln und Hausrat waren
unter sicherer Bedeckung schon um einige Tagereisen vorausgeschickt.
Herr Wilibald Ebner gab den Reisenden eine Strecke weit das Geleit;
noch einmal schloß er Margarete in seine Arme und gab ihr seinen
väterlichen Segen. Dann schüttelte er Ulrich die Hand: „Macht sie
glücklich,“ sagte er mit halb erstickter Stimme, „und haltet sie
hoch und wert, sie ist ein seltenes Kleinod. Solltet Ihr aber des
märkischen Sandes und des Hofdienstes überdrüssig werden und Euch nach
der alten Heimat zurücksehnen, so wisset, daß ich in meinem Testament
Hohenheiligen Margareten als Erbteil verschrieben habe, daß es ihr und
ihren Nachkommen für alle Zeit gehöre.“ Damit wendete er sein Pferd und
sprengte, ohne sich umzuschauen, nach der Stadt zurück.
So zogen die vier jungen Menschen in der Vollkraft ihres Wollens
und Könnens hinaus: der Edelmann aus altem Rittergeschlecht, die
Patriziertochter und die beiden Handwerkerkinder, um sich im fremden
Lande Haus und Heim zu gründen. Mit sich nahmen sie die höhere Bildung,
die verfeinerten Lebensformen und die künstlerischen Interessen ihrer
alten Heimat und pflanzten sie als fruchtbare Keime in den Boden
der Mark ein. Neue Geschlechter erblühten dort, welche fester und
treuer zu den stammverwandten Kurfürsten hielten, als die märkischen
Junker, die zum Teil noch lange in ihren Zollern-Fürsten Fremde und
Eindringlinge sahen, und ihnen feindselig gegenüberstanden. Aber die
Einwanderer fanden dort auch Gutes und Treffliches vor, das sie mit
Freuden annahmen und das sich in den Seelen ihrer Kinder festwurzelte,
und so erwuchs allmählich aus der Verschmelzung der verschiedenen
Elemente ein tüchtiger Stamm, der die Tugenden des Nordens und Südens
in sich vereinte und in fleißiger Arbeit und redlichem Streben, in
unwandelbarer Unterthanentreue und aufrichtiger Frömmigkeit den Thron
des Herrschers als feste Stütze umgab.
[Illustration]
Neunzehntes Kapitel.
Nach vierzig Jahren.
Freunde der Jugend -- im Alter vereint: es trennt sie der Glaube,
Hoffnungen sanken in Staub, aber die Liebe, sie bleibt!
Mehrere Jahrzehnte waren verflossen, eine neue Zeit war über
Deutschland heraufgezogen. Der Schwan, den Meister Andreas so
sehnsüchtig erwartet hatte, war hundert Jahre nach Hussens Tode
erschienen: Luthers gewaltiges Auftreten lenkte das geistige Leben der
Nation in ganz veränderte Bahnen. Alte Fesseln sprangen, gefangene
Geister und Gewissen wurden frei; die dichte Wolke von Heiligen und
Priestern, welche sich zwischen Erde und Himmel gedrängt hatte, teilte
sich, und die frommen Herzen lernten ihren Weg zu Gott selbständig
und ohne Fürsprecher finden. Die Klöster öffneten sich, und hunderte
von Mönchen und Nonnen folgten dem Beispiel des Reformators, warfen
die erzwungenen, oder als nichtig erkannten Gelübde von sich, um
hinfort Gott nicht in beschaulichem Müßiggang, sondern in ehrlichem
Arbeiten und Schaffen zu dienen. Auch in die Klassen der Mühseligen
und Beladenen dieser Erde, vor allem in die der schwer gedrückten
Bauern drang die frohe Botschaft von der evangelischen Freiheit und
der Gleichheit aller Menschen vor Gott ein und wurde mit freudiger
Hoffnung aufgenommen. Längst schon war ihnen das Joch der übermütigen
geistlichen und weltlichen Herren unerträglich geworden; oft schon
hatten sich hie und da Bauernbünde gebildet, welche die Befreiung der
Unterdrückten anstrebten, jetzt kam ein neuer, mächtiger Antrieb in die
Sache. Das Streben nach Abstellung des zeitlichen Elendes verband sich
mit edleren Zielen, religiösen Gedanken und berief sich auf göttliche
Gebote. Aber dem Edlen und Berechtigten mischten sich nur zu bald
unreine Elemente bei; aufrührerische Geister predigten eine falsche
Freiheit, ein gewaltsames Abschütteln aller alten Verpflichtungen. Ein
Thomas Münzer, Jäcklin Rohrbach, Georg Metzler und andere entflammten
durch Wort und Beispiel die Bauern zu furchtbarer Gewaltthat, und durch
alle Gauen Deutschlands, vom Süden und Westen anfangend, zog sich der
entsetzliche Bauernkrieg, der alles bedrohte, was vornehm, reich und
gebildet war, oder unter der Herrschaft der Kirche stand.
Einige Meilen von Nürnberg entfernt, in der Nähe von Hohenheiligen, lag
das Kloster gleichen Namens, das den Klarissinnen gehörte, einem Orden
von der strengsten Regel. Das Kloster besaß ausgedehnte Ländereien
und viele hörige Leute, die durch den adligen Klostervogt in tiefster
Unterthänigkeit erhalten und zu harter Fronarbeit herangezogen wurden.
Manches, was der Ritter versah, ward durch die Mildthätigkeit der
Nonnen wieder gut gemacht; sie pflegten die Kranken, kleideten die
Nackten, speisten die Hungrigen und erwarben sich manches „lohn’s
Gott,“ während sich hinter dem Vogt oftmals eine schwielige Faust
ballte und ein zorniger Mund ihm Rache schwur.
Im Sommer des Jahres 1525 war es, als sich von Weinsberg her, wo
die Blutthat gegen den Grafen von Helfenstein Furcht und Entsetzen
verbreitet hatte, die wilde Flut der Bauernbewegung gegen Würzburg
wälzte; überall wurden Burgen und Klöster erstürmt und geplündert und
die einheimische Bevölkerung zum bewaffneten Aufstande ermuntert. Ein
räuberischer Haufe war bis nach Hohenheiligen gedrungen, hatte sich mit
den hörigen Leuten des Klosters verbrüdert und beschlossen, den Vogt zu
züchtigen und das reiche Klostergut an sich zu bringen.
Trefflich war der Überfall gelungen, der Ritter samt seinen Knechten
war gefangen und unschädlich gemacht worden, ehe er sich um Beistand
an seinen Nachbar wenden konnte; lärmend und tobend drang die wilde
Horde gegen das Kloster vor. Die Thür, die fest verschlossen war,
ward zertrümmert; wie ein reißender Strom ergoß sich die Rotte in die
stillen Kreuzgänge. Nirgends war ein menschliches Wesen zu sehen,
unheimliches Schweigen gähnte die Raubgesellen aus allen Winkeln und
Zellen an. So drangen sie bis in die Kirche vor, aber hier hielten
die rohen Männer unwillkürlich inne. Vor dem Altar, über dem die
ewige Lampe schwebte, lagen die sämtlichen Nonnen auf den Knieen; in
ihrer Mitte stand die Äbtissin, eine kleine, feine Gestalt im weißen,
faltigen Rock und weißen Wimpel, der Brust und Hals in dicken Falten
umgab. Vom Kopf herab wallte der schwarze Nonnenschleier bis zu den
Ellenbogen, auf der Brust glänzte ein großes, goldenes Kreuz. In dem
marmorweißen Antlitz stand keine Furcht geschrieben, nur feste
Entschlossenheit; die dunklen Augen leuchteten in todesmutiger Ruhe;
sie hielt den Anstürmenden ein Kruzifix entgegen, und ihre Lippen
bewegten sich in leisem Gebet. Der Anblick hatte etwas überwältigend
Feierliches, Ehrfurchtgebietendes; die von Hohenheiligen erinnerten
sich plötzlich all der Wohlthaten, die ihre Frauen und Kinder hier
empfangen hatten, sie senkten Spieße und Sensen und drückten sich
still hinaus. Die Fremden aber ließen sich nicht lange einschüchtern;
ein riesiger Bursche, der den Anführer machte, stellte sich der
Äbtissin gegenüber und verlangte gutwillige Herausgabe aller Schätze,
widrigenfalls er und seine Genossen sie mit Gewalt nehmen würden.
[Illustration: Der Retter in der Not.]
„Die heiligen Gefäße und Gerätschaften gehören nicht mir, sondern dem
Kloster,“ erwiderte die Äbtissin mit klarer Stimme; „nie, so lange
ich atme, werde ich das anvertraute Gut den Händen der Feinde unsrer
heiligen Kirche übergeben.“
„Nehmt Euch in acht, Ihr winziges Milchgesicht!“ rief der Sprecher
drohend, „es kostet mir nur ein Aufheben meines Spießes, so ist Euer
kindischer Widerstand gebrochen, und Ihr liegt erschlagen am Boden.
Aber Ihr seid ein so erbärmlich schwacher Widersacher, daß ich Gnade
gegen Euch üben will, wenn Ihr ohne weitere Umstände meinem Befehl
gehorcht. Ich will bis zwanzig zählen: legt Ihr inzwischen alle Eure
verborgnen Kostbarkeiten vor uns nieder, so sollt Ihr ungeschoren
bleiben; weigert Ihr Euch, so wird’s Euch schlimm ergehen, und wir
nehmen, was wir begehren, mit Gewalt!“
Er fing langsam zu zählen an, regungslos blieb die Äbtissin vor ihm
stehen, während die zitternden Nonnen sich näher an sie drängten.
„Sechzehn, siebzehn, achtzehn,“ zählte der Bauer; schon hob er seinen
Spieß, und seine Mordgesellen hielten ihre Waffen zum tödlichen Schlage
bereit -- da fuhr plötzlich eine andre bewaffnete Schar auf die Räuber
ein, Schwerter klirrten, Pistolenschüsse dröhnten durch die heilige
Stätte. Ein wilder Kampf begann zwischen den Bauern und den neuen
Ankömmlingen, welche durch eine Seitenpforte hinter dem Altar in die
Kirche gedrungen waren und sämtlich die Abzeichen des Deutschen Ordens
trugen. Der Anführer eilte auf die Äbtissin zu, schlug seinen weißen
Mantel um sie und hob sie mit starken Armen empor. „Ihr müßt fliehen,
hochwürdigste Frau!“ rief er ihr zu und schleppte sie durch das
Pförtchen; eilenden Fußes folgten ihm die Nonnen. Er hob die Äbtissin
auf sein Pferd und jagte mit ihr davon, während die frommen Schwestern
ihr Heil in wilder Flucht suchten.
Das alles war so schnell und mit so unwiderstehlicher Gewalt vor sich
gegangen, daß die geistliche Frau kaum zur Besinnung kam, geschweige
denn einen Widerstand versuchen konnte. Nach einigen Minuten richtete
sie sich auf und fragte in strengem Ton: „Wer seid Ihr, und wohin
bringt Ihr mich?“
„Ich bringe Euch in Sicherheit, Irmgard von Maltheim,“ erwiderte der
Ritter; „Euer todeskühner Leidensmut würde Euch diesen Buben gegenüber
wenig genützt haben, und nicht unter ihren kirchenschänderischen Händen
solltet Ihr Euer Leben aushauchen.“
„Ihr nennt einen Namen, der längst begraben ist,“ versetzte sie
wehmutsvoll; „seit einem halben Jahrhundert habe ich Schwester Matthäa
geheißen. Und Ihr? woher kennt Ihr meine Vergangenheit? von wannen
kommt Ihr?“
„Kennt Ihr mich denn gar nicht mehr, Irmgard? ist kein Zug an mir, der
Euch an die alte, längst verklungene, glückliche Jugend gemahnte?“
Sie sah ihn aufmerksam an. Das Gesicht war einst vielleicht schön
gewesen, aber eine harte Zeit hatte es mit tiefen Furchen gezeichnet,
Haare und Bart waren grau, und um den Mund lag ein Zug bitterer
Enttäuschung. Nur in den dunklen Augen glühte noch das Feuer früherer
Tage, -- und diese Augen, obwohl sie einst lachend und sorglos in die
Welt hinausgeschaut, riefen ihr das Bild des Jugendfreundes zurück.
„Ihr müßt Berthold Ebner sein,“ sagte sie, tief aufatmend.
„Ich +war+ es, aber auch ich habe diesen Namen längst begraben, meine
Flucht aus dem Kloster hatte mich seiner unwert gemacht. Als mich der
Hochmeister unsres Ordens zum Ritter schlug, legte er mir den Namen
Berthold von Franken bei, und diesen habe ich seit vierzig Jahren, wie
ich hoffe, nicht mit Unehren geführt.“
Vor ihnen tauchte jetzt ein schmuckes Herrenhaus auf, keine Burg mit
Türmen und Gräben, mit Donnerbüchsen gespickt, sondern ein friedlicher
Landsitz, der zwar von einer Mauer umgeben und mit starken Thoren
versehen war, aber doch ein freundliches, ländliches Gepräge trug.
„Wißt Ihr, wer hier wohnt?“ fragte Berthold.
„Auch ein Genosse unserer Jugend: Ulrich von Maltheim.“
„Mein Schwager Ulrich?“ rief er erstaunt, „welch wunderbares
Zusammentreffen! Ich glaubte ihn in kurbrandenburgischen Diensten, wo
ich ihn vor fünfzehn Jahren aufgesucht habe!“
„Er hat sich vom Hofdienst in diese ländliche Stille zurückgezogen.
Hätte er nur geahnt, was uns drohte, er wäre uns gleich zu Hilfe
geeilt, obgleich auch er unsrer heiligen Mutter Kirche untreu geworden
und zum neuen Glauben übergetreten ist.“
„Darf ich Euch bitten, hier abzusteigen, Irmgard, und allein
einzutreten?“ fragte Berthold, als sie am Thor angelangt waren, „ich
muß zurück, um nach meinen Leuten zu sehen.“
„O ich bitte Euch, erkundigt Euch auch nach meinen armen Schwestern --
ich habe sie treulos in der Gefahr verlassen, wie ein Mietling, der den
Wolf kommen sieht und flieht!“
„Ihr gehorchtet nur dem Zwange, auch hättet Ihr sie nicht schützen, nur
mit Ihnen sterben können. Aber seid ohne Sorge, meine Leute werden den
Rebellen wacker die Zähne gezeigt haben, und dieser elende Bauernpöbel
flieht, sobald man ihm ernsthaft gegenübertritt.“
Als Berthold nach wenigen Stunden zurückkehrte, konnte er gute
Nachricht mitbringen: die Ordensbrüder waren mit dem Bauerntrupp bald
fertig geworden, der Vogt und seine Knechte waren befreit und das
Kloster besetzt, um es gegen eine Wiederkehr der Aufrührer zu schützen.
Mehrere Nonnen waren bereits zurückgekehrt, anderen, die sich in der
Nähe verborgen, war Botschaft gesendet worden, daß sie nichts mehr zu
fürchten hätten, einige freilich hatten die gute Gelegenheit benutzt,
um die heimlich ersehnte Freiheit zu gewinnen. Die Äbtissin ließ sich,
angesichts der hergestellten Sicherheit, überreden, den Tag über in
dem verwandten Hause zu verweilen und erst zur Nacht in das Kloster
zurückzukehren.
Es war ein wehmütiges, und doch unendlich wohlthuendes Beisammensein
der alten, so lange getrennten Jugendgenossen, die hier in trautem
Kreise ihre Lebensschicksale austauschten. Am wenigsten hatte Irmgard
zu berichten; aus dem langen Gleichmaß ihrer Tage ragte eigentlich nur
ein großes Ereignis hervor: ihre Wahl zur Äbtissin. Auch in ihre streng
geregelte Gemeinschaft hatte die Kunde von Luthers Auftreten Eingang
gefunden, aber die unwandelbare Festigkeit der Oberin, welche mit Liebe
und ernstem Eifer über die ihr anvertrauten Seelen wachte, hatte bis
jetzt noch jeden Abfall vom alten Glauben verhindert.
Viel bewegter war das Leben gewesen, von dem Ulrich und Margarete zu
erzählen hatten. Manche Not und Widerwärtigkeit hatten sie in der Mark
zu überwinden gehabt, wo die Zustände noch vielfach ungeordnet, die
Mittel immer knapp waren. Aber die unverbrüchliche Liebe und Treue,
welche die beiden Gatten vereinte, hatte weder in guten, noch in
bösen Tagen gewankt, und wenn Ulrich in seinem Amt auf Schwierigkeiten
stieß, wenn ihm zuweilen Hindernisse in den Weg traten, die seine
guten Absichten kreuzten und ihm bittere Täuschungen bereiteten, so
fand er in seinem Hause immer einen Hafen des Friedens, in dem seine
Kraft sich stärkte und sein Streben neue Anregung fand. Nach Johann
Ciceros Tode war Ulrich in den Dienst seines Nachfolgers, Joachims
des Ersten, übergegangen und hatte denselben in seinem Bemühen, die
Rechtspflege zu fördern und die Verwaltung in gedeihliche Bahnen
zu lenken, mit all seinem Wissen und Wollen kräftig unterstützt.
Als aber die neue Zeit anbrach und die Reformation ihren Siegeslauf
begann, als Ulrich und sein Weib sich der reineren Lehre alsbald mit
ganzem Herzen anschlossen, da hatte der Abscheu des Fürsten gegen die
Neuerung seinem geheimen Rat den weiteren Dienst unmöglich gemacht,
und derselbe hatte sich nach Hohenheiligen zurückgezogen, das nach des
Vaters Tode Margareten zugefallen war. Hier führte er ein stilles Leben
voll geistiger Arbeit, während sich sein Ehegemahl in der alten Heimat
sehr glücklich fühlte. Sie sorgte wie eine Mutter für alle Elenden
und Betrübten und ward von ihrer Umgebung unbeschreiblich verehrt.
In Hohenheiligen hätten die Anführer sicher keinen Anklang mit ihren
Aufreizungen gefunden, denn dort wurden alle gerechten Beschwerden
liebevoll angehört und abgestellt; das kleinste Bäuerlein konnte seinen
Acker in Frieden bauen und dessen Früchte ohne erdrückende Lasten und
Fronen genießen.
Die Kinder des edlen Elternpaares waren in aller Welt zerstreut, die
Söhne dienten verschiedenen Herren, nur der jüngste studierte, zur
Freude seiner Mutter, zu Wittenberg die Gottesgelahrtheit, um einst
ein Prediger des Evangeliums zu werden. Von den Töchtern war nur
noch eine zu Hause, und ihre holde Jungfräulichkeit bildete einen
lieblichen Gegensatz zu der matronenhaften Schönheit und Würde, welche
Frau Margareten eigen waren. Unter der weißen Schleierhaube, die das
ergraute Haar bedeckte, leuchteten deren graue Augen in ungetrübtem
Glanze hervor, ein Hauch von Milde und Güte lag über den edlen Zügen,
und die hohe, ungebeugte Gestalt kam auch in der schlichten Kleidung
des Alters noch zu voller Geltung. --
Bertholds Geschichte war eine Kette trüber Täuschungen. Die Flucht aus
dem Kloster hatte ihm wie ein schwerer Bann auf Seele und Gewissen
gelegen; er konnte der gestohlenen Freiheit nicht froh werden, und
sein Leben ward, wie das seiner Mutter, eine Reihe von Bußen, um
diese Schuld zu sühnen. Nur zu bald hatte er erkennen müssen, daß
er sein Leben an eine verlorne Sache gesetzt habe, daß der Deutsche
Orden im Absterben sei und seinem Ende entgegeneile. Weder Friedrich
von Sachsen, noch Albrecht von Brandenburg, die letzten Hochmeister,
hatten es vermocht, dem Verderben Einhalt zu gebieten; von innen hatten
sich die alten Bande der Zucht und Ehre völlig gelockert, von außen
drohte Polen mit seiner Übermacht den Orden zu erdrücken, und die Kraft
und Tapferkeit der Einzelnen erschöpfte sich in nutz- und ruhmlosen
Kämpfen. Endlich hatte Albrecht Frieden mit der Krone Polen gemacht
und über den Trümmern der Ordensherrschaft ein weltliches Herzogtum
Preußen errichtet; dann hatte er den neuen Glauben angenommen und sich
mit einer Fürstentochter vermählt. Aber nicht alle Ordensritter wollten
sich der neuen Ordnung der Dinge fügen; viele zogen sich grollend
zurück, unter ihnen Berthold, den das Gelübde seiner Mutter mit
unzerreißbaren Banden gefangen hielt. Mit einer Schar gleichgesinnter
Ordensbrüder, die ihn zum Anführer erwählten, hatte er das Preußenland
verlassen, um nach dem Süden zu ziehen, wo der Deutschmeister Walter
von Kronberg zu Mergentheim die zersprengten Reste vereinigte, und wo
der Deutsche Orden noch lange ein schattenhaftes Dasein, ohne innere
Kraft und Bedeutung, führen sollte. Die Zeiten des Rittertums waren
unwiederbringlich dahin, selbst der ritterliche Kaiser Maximilian hatte
die abgestorbenen Formen nicht neu beleben können. Man nannte ihn den
letzten Ritter, und mit ihm ward die alte Zeit für immer begraben. --
„Was ist aus unserm Jugendgespielen Hans Fiedler geworden?“ fragte
Berthold.
„Er ist in der Mark geblieben,“ versetzte die Schwester, „wo er eine
ansehnliche Stellung als erster Baumeister des Kurfürsten einnimmt und
ein reiches Feld für seine Gaben gefunden hat. Nach dem Tode unserer
Mutter holte er unsre treue Afra zu sich; sie ist erst vor wenigen
Jahren in hohem Alter gestorben, nachdem sie das Glück genossen, einen
Kreis zahlreicher Enkel um sich erblühen zu sehen.“
Am folgenden Tage sandte Ulrich eine Botschaft an Elsbeth und Deodat
in Nürnberg, daß der lang entbehrte Bruder eingekehrt sei, und entbot
sie zu einem Gastmahl in seinem Hause. So waren einmal alle vier
Geschwister unter einem Dache vereint: Berthold von Franken, Margarete
von Maltheim, Elsbeth Tucherin und Deodat Ebner, und verschieden wie
ihre Namen, waren auch ihre äußeren und inneren Verhältnisse. Deodat
war wie Margarete mit voller Überzeugung der neuen Lehre beigetreten,
Berthold hielt starr am alten Glauben fest, ohne die Berechtigung
der Reformation zu prüfen, und auch Elsbeth war, wie ihr jüngst
verstorbener Gatte, der alten Kirche treu geblieben, hatte es aber
nicht hindern können, daß ihre Kinder meist in das Lager der Neuerer
übergegangen waren. Berthold hatte seinen Kindertraum erfüllt gesehen:
er war ein Ritter geworden, aber sein Glück hatte er nicht gefunden.
Deodat war in seines Vaters Fußstapfen getreten und brachte den Namen
Ebner zu neuem Ansehn und vermehrten Ehren in der alten Vaterstadt;
auch hatte er mehrere Söhne, welche die von Herrn Wilibald ersehnte
Fortdauer seines Geschlechtes verbürgten. Die Namen Ebner und Tucher
blieben eng vereint, und die verbundenen Häuser standen noch lange
in hoher Blüte, als ein würdiges Bild patrizischen Reichtums und
bürgerlicher Ehrenhaftigkeit.
[Illustration]
Druck von +August Pries+ in Leipzig.
[Illustration:
Reich ausgestattete Mädchenbücher und Prachtwerke
aus dem Verlage von
Ferdinand Hirt & Sohn in Leipzig.
]
[Illustration: Ankunft der Maltheimer im Ebnerhause.
Probebild aus: =Brigitte Augusti, Im Banne der freien Reichsstadt=. (S.
S. 2.)]
❧ Reich ausgestattete Bücher für junge Mädchen. ❧
≡ Schriften von Brigitte Augusti. ≡
~_Nach dem allgemeinen Urteile ist es der schnell beliebt gewordenen
Verfasserin vorzüglich gelungen, gediegene Erzählungen, reich an
erziehlichem und belehrendem Inhalt, ins Leben zu rufen. Es seien
deshalb insbesondere Eltern, Erzieher und Erzieherinnen auf diese
vielverbreiteten, aufs beste ausgestatteten und mit Abbildungen der
namhaftesten Maler versehenen Schriften aufmerksam gemacht._~
☛ Für das reifere Mädchenalter (14-18 Jahre). ☚
An deutschem Herd.
Kulturgeschichtliche Erzählungen aus alter und neuer Zeit =mit
besonderer Berücksichtigung des Lebens der deutschen Frauen.=
Die Abbildungen von Prof. =W. Friedrich, W. Räuber, Hugo Engl= und =A.
v. Rößler.= In fünf ganz selbständigen u. einzeln käuflichen Bänden:
Prachtband je 6 _=M=_, geh. je 4,50 _=M=_.
I. Band: =Edelfalk und Waldvöglein.= Erzählung aus dem 13.
Jahrhundert.
II. Band: =Im Banne der freien Reichsstadt.= Erzählung aus d. 15.
Jahrhundert.
III. Band: =Das Pfarrhaus zu Tannenrode.= Bilder aus der Zeit d.
30jähr. Krieges.
IV. Band: =Die letzten Maltheims.= Erzählung aus der Zeit Friedrichs
des Großen.
V. Band: =Die Erben von Scharfeneck.= Aus den Tagen der Königin
Luise.
An fremdem Herd.
Bunte Bilder aus der Nähe und Ferne, mit besonderer Berücksichtigung
=des häuslichen Lebens in verschiedenen Ländern.=
Mit Bildern von Prof. =Wold. Friedrich, O. Gerlach= und =C. H.
Kuechler.= In vier ganz selbständigen und einzeln käuflichen Bänden:
Prachtband je 6 =_M_=, geheftet je 4,50 =_M_=.
I. Band: =Gertruds Wanderjahre.= Erlebnisse eines deutschen Mädchens
im Elsaß, in Spanien, Italien und Frankreich.
II. Band: =Zwillings-Schwestern.= Erlebnisse zweier deutscher Mädchen
in Skandinavien und England.
III. Band: =Unter Palmen.= Schilderungen aus dem Leben und der
Missionsarbeit der Europäer in Ostindien.
IV. Band: =Jenseit des Weltmeers.= Schilderungen aus dem
nordamerikanischen Leben.
#☛ Mit diesen beiden Sammlungen hat sich +Brigitte Augusti+ einen
ersten Namen als Jugendschriftstellerin gesichert. Die Kulturbilder
„+An deutschem Herd+“ verfolgen nach dem Vorbilde der „Ahnen“ Gustav
Freytags den Zweck, der weiblichen Jugend das Leben und Wirken
unserer deutschen Frauen durch sieben Jahrhunderte hindurch an der
Hand fortlaufender, aber selbständiger Erzählungen zu schildern,
die durch ihren weitangelegten kulturgeschichtlichen Hintergrund
eine sie hoch über die landläufige seichte Mädchenlitteratur
erhebende Bedeutung gewinnen. -- Von nicht minder ungewöhnlicher
Bedeutung ist die andere Sammlung „+An fremdem Herd+“, die sich auf
geographisch-sittengeschichtlichem Boden bewegt, in der Jetztzeit
spielt und das öffentliche und häusliche Frauenleben in den
verschiedenen Ländern zum Gegenstande hat.#
[Illustration: Quer durch Indien.
Probebild aus: =Brigitte Augusti, Unter Palmen.= (S. gegenüber.)]
❧ Reich ausgestattete Bücher für junge Mädchen. ❧
≡ Schriften von Brigitte Augusti. ≡
☛ Für das reifere Mädchenalter (14-17 Jahre). ☚
Die folgenden drei Schriften sind erschienen bevor die Verfasserin
die vorerwähnten beiden großen Sammlungen herausgab; alle 3 Bücher
enthalten abgeschlossene Erzählungen, die aufs günstigste aufgenommen
worden sind:
=Knospen und Blüten.= =Eine Erzählung für junge Mädchen.= Mit
Titelbild. 2. Auflage. Reich geb. 3,50 _M_. Geh. 2,25 _M_.
=Mädchenlose.= =Bilder aus des Lebens Mai.= Mit Bildern von +J.
Kleinmichel+. 2. Aufl. Reich geb. 4 _M_. Geh. 2,50 _M_. Hieran
schließt sich zu gleichem Preise:
=Haus und Welt.= =Bilder aus des Lebens Mai.= Eine (selbständige)
Fortsetzung der „Mädchenlose“. Mit Bildern von +J. Kleinmichel+.
= Eine neuere, recht beachtenswerte Schrift der Verfasserin ist: =
[Illustration: Königin Luise. Nach G. v. Kügelgen.]
Luise,
Königin von Preußen.
Ein Lebensbild,
deutschen Frauen und Mädchen gewidmet
von
Brigitte Augusti.
Mit vielen Abbildungen.
Steif geheftet 35 _Pf._
Geschenkausgabe, auf Velinpapier gedruckt und fein gebunden 1 _M_.
☛ Für Heranwachsende Mädchen (12-14 Jahre) ☚
sind von Frau +Brigitte Augusti+ unter Zugrundelegung der besten
Erzählungen namhafter Jugendschriftstellerinnen des Auslandes in freien
Bearbeitungen erschienen:
=Miriam, das Zigeunerkind.= Nach =J. Colombs= Werk: „~La fille des
Bohémiens~“. Mit 8 Tonbildern u. vielen Abbild. im Text. Prachtb. 6
_M_. Geh. 4,50 _M_.
=Liebe um Liebe.= Nach =J. Colombs= Werk: „~Les étapes de
Madeleine~“. Mit vielen Bildern. Prachtband 6 _M_. Geheftet 4,50 _M_.
☛ Der Titel dieser Schrift hat schon mehrfach zu Mißverständnissen
geführt; es handelt sich um ein durchaus ernstes Buch, das mit den
Liebeleien nichts zu thun hat, die in den modernen Schriften für die
weibliche Jugend leider eine so große Rolle zu spielen pflegen.
=Im Kampfe des Lebens.= Nach =S. May’s= „=Die Mädchen von
Quinnebasset=“. Prachtband 5 _M_. Geheftet 3,50 _M_.
= Ueber Brigitte Augustis neues Gedenkbuch „+In gutem Geleit+“ wolle
man Seite 7 einsehen. =
❧ Reich ausgestattete Bücher für junge Mädchen. ❧
☛ Für das reifere Mädchenalter (14-18 Jahre). ☚
#Neuigkeit 1898#:
Maria und Martha.
Erzählung für erwachsene Mädchen
von
=Anna Gnevkow.=
Mit Abbildungen von +C. H. Kuechler+. Prachtband 3,50 _M_. Geheftet
2,25 _M_.
[Illustration]
=Müller-Liesel.= Eine Erzählung für erwachsene Mädchen von =Else
Hofmann=. Mit Titelbild-Heliogravüre. Reich geb. 3,50 _M_. Geh. 2,25
_M_.
[Illustration]
=Erzählungen für die weibliche Jugend von Aurelie= († +Gräfin
Baudissin+). I. =Der Opal.= II. =Die Stieftochter.= Mit Bildern von
+W. Claudius+. 4. Auflage, in =neuer= Ausstattung. Reich gebunden
3,50 _M_. Geheftet 2,25 _M_.
=Elisabeths Winter und Frühling in Rom. Briefe eines jungen Mädchens
in die Heimat= von =Olga Eschenbach=. Mit 16 Tonbildern, die
Hauptsehenswürdigkeiten Roms berücksichtigend. 2. Ausgabe. Gebunden 4
_M_.
=Die ungleichen Schwestern= von =Angelika v. Lagerström=. 3.
Auflage. Reich gebunden 3,50 _M_. Geheftet 2,25 _M_.
❧ Reich ausgestattete Bücher für junge Mädchen. ❧
≡ Schriften von Clementine Helm. ≡
☛ Für heranwachsende Mädchen (12-14 Jahre). ☚
[Illustration]
=Vater Carlets Pflegekind.= Nach =J. Colombs= Werk „=~La fille de
Carilès~=“, gekrönt mit dem großen Monthyonpreise, bearbeitet. Mit 12
Separat- und vielen Textbildern. 6. Auflage.
=Doris und Dora.= =Eine Erzählung für junge Mädchen.= Freie
Bearbeitung der französischen Erzählung: ~=Chloris et Jeanneton=~ von
=Josephine Colomb=. Mit 12 Tonbildern und vielen Abbildungen im Text.
4. Auflage.
=Der Weg zum Glück.= Nach =J. Colombs= „=~Deux mères~=“ frei
bearbeitet. Mit vielen Abbildungen. 2. Auflage.
= Preis jedes der drei Bücher in Prachtband 6 _M_, geheftet 4,50
_M_. =
☛ Diese Bearbeitungen der drei besten Colombschen Schriften durch Frau
#=Clementine Helm=# haben allenthalben Anerkennung gefunden;
Inhalt und Ausstattung sichern denselben einen ersten Platz in unserer
Jugendlitteratur. „Vater Carlets Pflegekind“ ist eine +wirkliche Perle+
unter den Mädchenbüchern.
= Für Mädchen und Knaben von 9-13 Jahren ist bestimmt: =
=Rheinsagen=, der heranwachsenden Jugend erzählt von =Martin
Claudius=. Mit vielen Abbildungen. 2. Auflage. Kartoniert 2,50 _M_.
☛ Für das jüngere Kindesalter und heranwachsende Mädchen und Knaben. ☚
= Zur Erlernung des Französischen und Englischen. =
~=Petit à Petit ou Premières Leçons de Français= par =A. Herding.=
Pour les enfants de cinq à dix ans. Ouvrage illustré de 206 gravures,
dessinées par Fedor Flinzer. Septième édition.~ Kartoniert 2,50 _M_.
~=By Little and Little or First English Lesson-Book for Children
from five to ten years of age.= An Adaption of Mrs. A. Herding’s
„Petit à Petit“ by =Hedwig Knittel=. With 206 Illustrations. +Second+
edition.~ Kart. 2,50 _M_.
= Zur Weiterführung des ersten französischen und englischen Unterrichts
sind bestimmt: =
Thora Goldschmidt’s
Bildertafeln für den Unterricht im Französischen.
Bildertafeln für den Unterricht im Englischen. (#Neu!#)
26 Anschauungsbilder mit erläuterndem Text und einem ausführlichen
Wörterverzeichnis. Für das deutsche Sprachgebiet autorisierte Ausgabe.
Kartoniert je 2,50 _M_.
❧ Prachtwerke. -- Gedenkbücher. ❧
= Ein durch Inhalt, Ausstattung und handliches Format (Kleinquart)
beliebtes =Prachtwerk= ist: =
[Illustration: Allzeit im Herrn.]
⇥ Eine Auswahl ⇤
=aus den Werken deutscher religiöser Dichtung=.
Herausgegeben von
=Bernhard Rogge=, ~D. theol.~, Kgl. Hofprediger.
Mit einem einleitenden Gedicht von +Karl Gerok+.
Sehr reich mit Bildern geziert durch W. Claudius, Prof. W. Friedrich,
Prof. B. Plockhorst, G. Wichtendahl und viele andere Künstler, nebst
einer Heliogravüre nach Prof. A. Noack.
=Vierte Auflage.= Prachtband 12,50 _M_.
Der Herausgeber bietet mit dieser herrlichen Sammlung, die =+Karl
Gerok+= würdig und sinnig eingeleitet hat, dem christlichen Hause eine
inhaltlich wie äußerlich kostbare Gabe, in der die Schöpfungen unserer
ersten Poeten älterer und neuerer Zeit -- die Perlen christlicher
Dichtung und tiefempfundener Stimmungsbilder aus der Natur -- eingehend
behandelt und durch prächtige Abbildungen ergänzt sind.
Bezüglich der Ausstattung und des Formates bildet zu vorgenanntem Werke
ein Seitenstück:
=Im Wechsel der Tage= von =Adolf Brennecke=. =Unsere Jahreszeiten im
Schmuck von Kunst und Dichtung.= Eine Auswahl aus den Werken unserer
besten vaterländischen Dichter. Mit 3 Heliogravüren und vielen
Holzschnitten. +Neunte+ Auflage. Prachtband 10 _M_.
Aus dem reichen Schatze unserer Litteratur haben die köstlichsten
Perlen der Poesie in dieser wirklich vornehm und anmutig ausgestatteten
und mit einem entzückenden und stimmungsvollen Bilderschmuck versehenen
Anthologie Aufnahme gefunden. Als Zierde des Büchertisches und als ein
für alle Gelegenheiten passendes und dauernd wertvolles Geschenk kann
dieses Prachtwerk nicht genug empfohlen werden.
Als Gelegenheitsgeschenk wird gern gewählt die kleinere Sammlung:
=Ich grüße Dich!= Von =Anna Schauberg.= Lieder und Gedichte.
+Zwölfte+ Auflage, gänzlich neu bearbeitet von =Siegfried
Moltke-Raimund.= Mit einem Farbendruck Titelbilde, zahlreichen
Abbildungen und farbiger Texteinfassung. Goldschnittband 3 _M_.
☛ Gedenkbücher. ☚
=In gutem Geleit= von =Brigitte Augusti.= Ein Denk- und Merkbüchlein
für alle Tage des Jahres. Zusammengestellt und ihren jungen
Freundinnen gewidmet. In reich ausgestattetem Goldschnittband 4 _M_.
Jeder Monat wird mit einem längeren Gedichte, jeder Tag mit einem
kurzen, aber inhaltreichen Spruche begonnen. Für eigene Aufzeichnungen
der Besitzerinnen des Buches ist hinreichend Raum gelassen und zu
demselben Zwecke ein besonders festes, zart abgetöntes Papier in
Anwendung gebracht worden. Besondere Sorgfalt ist auch auf originelle
Ausstattung des Einbandes verwendet worden. (Die sonstigen Schriften
=Brigitte Augustis= sind auf den Seiten 1-4 angezeigt!)
* * * * *
=Für den Lebensweg= von ~Lic. D. theol.~ =O. Riemann.= Gedenkblätter
zur Erinnerung an den Konfirmationstag. In zwei Ausgaben.
=Pracht-Ausgabe= mit 4 Heliogravüren nach Originalen von Professor
+Heinrich Hofmann+ und O. +Schulz+ und künstlerischen Holzschnitten.
Prachtband 9 _M_.
=Kleine Ausgabe=, nur den mit farbiger Einfassung und bunten
Kopfzeilen hergestellten Text, sowie die Holzschnitte enthaltend.
Gebunden 4 _M_.
Durch die glänzende Ausstattung, das handliche Format (kl. 4°) und die
sinnige Anordnung des Inhalts ist mit diesem +Gedenkbuche+ eine der
schönsten Konfirmationsgaben geboten. Neben den poesievollen, echt
christlichen Begleitworten des Herausgebers sind für die Widmung des
Geschenkgebers, den Denkspruch des Konfirmators, für Erinnerungsworte
der Eltern, Geschwister, Verwandten, sowie für die Freunde und
Freundinnen bestimmte, zumeist mit Allegorien geschmückte Blätter
vorgesehen.
❧ =Geschenkwerke= von =Helene Stökl=. ❧
[Illustration: Holzschnittreproduktion der Heliogravüre in
„=Feierstunden der Seele=.“]
Auf der Schwelle des Lebens.
Herzensworte
als Mitgabe für deutsche Töchter bei ihrer Aufnahme
in den Kreis der Erwachsenen
von =Helene Stökl=.
Mit Titelbild. 4. Auflage. Prachtband 4 _M_.
Feierstunden der Seele.
Dichterklänge
zur Erquickung und Erhebung von Herz und Geist
ausgewählt
von =Helene Stökl=.
Mit einer Heliogravüre. Prachtband 4 _M_.
Druck von +August Pries+ in Leipzig.
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75086 ***
Im Banne der freien Reichsstadt
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Excerpt
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Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1897 so weit
wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht
mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
Besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der
folgenden Symbole...
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— End of Im Banne der freien Reichsstadt —
Book Information
- Title
- Im Banne der freien Reichsstadt
- Author(s)
- Augusti, Brigitte
- Language
- German
- Type
- Text
- Release Date
- January 12, 2025
- Word Count
- 85,384 words
- Library of Congress Classification
- PT; PZ
- Bookshelves
- Browsing: History - European, Browsing: Fiction
- Rights
- Public domain in the USA.